John Kerrys Eingeständnis: „USA unterstützten ISIS in Syrien, Russland kämpfte gegen den Terror“

in (08.04.2017)

Die USA sahen dem Aufstieg von ISIS in Syrien tatenlos zu und hofften, die Entwicklung kontrollieren zu können: Im letzten Herbst traf der US-amerikanische Außenminister Kerry am Sitz der UNO zu einer privaten Unterhaltung mit Anti-Asad-Aktivisten zusammen. Das Treffen wurde heimlich mitgeschnitten. Medien wie die New York Times vermittelten nur einen verzerrten Eindruck von dem, was gesagt worden war, jeder Skandal blieb aus. Der Autor dieses Beitrags rät, sich die ganze Aufnahme anzuhören, da das Gespräch sehr aufschlussreich ist für die Beurteilung der Rolle der USA beim Aufkommen von ISIS und auch Russlands Eingreifen in den Konflikt ganz anders eingeschätzt wird als in der offiziellen Rhetorik. Es verlief wie folgt:

Die anwesenden Syrer beschwerten sich, wir würden nicht genug helfen. Kerry und seine Mitarbeiter sagten, wir und die Saudis, Qatar und die Türkei hätten den Rebellen riesige Mengen an Hilfe zukommen lassen; die Rebellen ihrerseits seien leider irgendwie mit Extremisten verbündet. „Nusra macht es uns schwer“, sagte Kerry mit Bezug auf Jabhat al-Nusra, al-Qaidas Ableger in Syrien. „Nusra und Daesh [ISIS] machen es uns beide schwer, denn es gibt diese extremen Elemente, und leider haben sich einige Teile der Opposition entschlossen, mit ihnen zusammenzuarbeiten.“

Der Aufstieg der Extremisten habe zur Intervention Russlands geführt. Kerry sagte (bei Minute 26), dass zu dem Zeitpunkt, als Daesh bzw. ISIS erstarkte, die USA zusahen und glaubten, wir könnten die ISIS-Situation „unter Kontrolle“ halten, weil sie Asad dazu zwingen könnte zu verhandeln, aber stattdessen trat Putin auf den Plan. Kerry: „Der Grund für das Eingreifen der Russen war das Erstarken von ISIS; Daesh drohte, nach Damaskus vorzurücken usw. Und darum intervenierte Russland. Weil sie keine Daesh-Regierung wollten und Asad unterstützten. Und wir wussten, dass sich das abzeichnete. Wir haben das beobachtet. Wir sahen, dass Daesh stärker wurde, und wir dachten, dass dies Asad bedrohen würde. Wir nahmen jedoch an, dass wir dies wahrscheinlich würden kontrollieren können und Asad dann zu Verhandlungen bereit wäre. Aber anstatt zu verhandeln, bekam er Unterstützung von Putin.“

Die syrischen Aktivisten wollten mehr US-Unterstützung, aber Kerry und einer seiner Berater sagten, dass mehr Militärhilfe problematisch sei. „Derzeit senden wir schon eine außerordentlich große Menge an Waffen nach Syrien“, sagte der Außenminister. Sein Berater fügte hinzu, dass Waffen ein zweischneidiges Schwert seien, denn „wenn man immer mehr Waffen an Orte wie Syrien schickt, endet dies nicht gut für Syrien. Denn es wird immer jemanden geben, der bereit ist, Waffen an die andere Seite zu liefern.“

Kerry ging noch mehr ins Detail: „Das Problem ist, dass dann immer mehr Akteure mitmischen und die Einsätze in die Höhe schnellen. Russland steckt mehr rein, Iran steckt mehr rein; Hizbollah ist präsenter, ebenso Nusra; und Saudi-Arabien und die Türkei pumpen Geld an ihre Stellvertreter – und ihr alle werdet zerstört werden.“

Kerry sagte, die USA wollten, dass ein „politischer Prozess“ die Kampfhandlungen ablöst: Wahlen, bei denen Millionen von syrischen Flüchtlingen in anderen Ländern wahlberechtigt sein sollten – so dass sichergestellt sei, dass Asad verlieren würde. Die anwesenden Syrer lehnten das ab. Einer bestand darauf, dass Asad durch eine Invasion gestürzt werden müsse, weil die Syrer im Ausland um ihre Angehörigen im Land fürchteten. Kerry sagte, dass eine US-Bodenoffensive von der US-amerikanischen Öffentlichkeit aufgrund der Tausenden Toten aus unseren anderen Kriegen nicht unterstützt werden würde. Kerry sagte, er sei einer derjenigen in der US-Administration, die ein größeres Engagement befürworteten, aber er habe sich nicht durchsetzen können. Er war frustriert wie sie: „Es ist schwierig, weil der Kongress einen Militäreinsatz nicht bewilligen wird.“

Das Gespräch drehte sich also überwiegend um diese Frustration, aber in diesem Zusammenhang sagte Kerry einige aufschlussreiche Dinge. Wie schon die Wikileaks-Enthüllung,1 dass das US-Außenministerium und Hillary Clinton wussten, dass unsere Verbündeten Saudi-Arabien und Qatar „ISIS insgeheim finanziell und logistisch“ bei seinem Vormarsch 2014 im Irak und in Syrien unterstützten, bestätigen Kerrys Äußerungen und die von Vertretern des US-Außenministeriums die antiinterventionistische Sicht auf die US-amerikanische Rolle in Syrien: Wir und unsere arabischen Verbündeten haben Waffen geliefert. Das hat zur Eskalation der Gewalt geführt. Die guten Rebellen haben „irgendwie“ mit Extremisten zusammengearbeitet, die direkte finanzielle Unterstützung von unseren arabischen Verbündeten erhalten. Wir dachten, dass das Erstarken von ISIS sich als nützliches Druckmittel gegen Asad erweisen würde, aber Putin intervenierte nicht, weil Russland Zivilisten bombardieren will, sondern wegen des Erstarkens von ISIS. Während also die Bewaffnung von Rebellen und unsere cleveren Hoffnungen, das Erstarken von ISIS beherrschen zu können, Asad unter Druck gesetzt haben, haben sie doch vor allem zu mehr Gewalt geführt. Abgesehen davon, dass wir kein Recht zum Eingreifen hatten, klingt dies wie eine Liste von Gründen, warum die USA nicht hätten intervenieren sollen.

Wie wurde dies in dem eingangs erwähnten New-York-Times-Bericht vom 30. September 2016 dargestellt? Anne Barnard zufolge ging es um das Scheitern der USA, den segensreichen militärischen Einsatz nicht bewerkstelligt zu haben: „Außenminister Kerry war darüber sichtlich verärgert, nicht zuletzt über seine eigene Regierung. Einer der New York Times vorliegenden Tonaufnahme des Treffens zufolge beschwerte er sich wieder und wieder gegenüber einer kleinen Gruppe syrischer Zivilisten, dass seine diplomatischen Bemühungen nicht durch die ernstzunehmende Androhung militärischen Eingreifens unterstützt worden waren.“

In aller Fairness muss gesagt werden, dass Barnard sich darauf konzentrierte, was für die Teilnehmer an der Unterhaltung am wichtigsten gewesen wäre – Kerrys Präsentation der guten Absichten der USA und die Position derjenigen, die die militärische Stärke der USA einsetzen wollen, um ein brutales Regime zu stürzen, das nicht mit uns verbündet ist.

„Sie glauben also, dass die einzige Lösung ist, dass jemand interveniert und Asad stürzt?“, fragte Mr. Kerry.

„Ja“, sagte Ms. [Marcell] Shehwaro.

„Wer soll das sein?“, fragte er. „Wer wird das machen?“

„Vor drei Jahren hätte ich gesagt: Sie. Aber jetzt weiß ich es nicht.“

Betont wurde jedoch, dass nach Meinung der Anwesenden die USA nicht genug getan hatten. Der geopolitische Kontext, den die Tonaufnahme enthielt, tauchte in dem Bericht schlicht nicht auf. Es steht außer Zweifel, dass Asad und die Russen für viele Gräueltaten verantwortlich sind, aber jeder, der die Aufnahme gehört hat, sollte in der Lage gewesen sein zu erkennen, dass Kerry unabsichtlich eine verheerende Einschätzung einer potentiellen US-Intervention in Syrien lieferte.

Zu den US-Waffenlieferungen bemerkte Barnard: „Er sagte allerdings auch, dass weitere Bemühungen der USA, Rebellen zu bewaffnen oder zu intervenieren, nach hinten losgehen könnten.“

Was ist jedoch mit den bereits gelieferten Waffen? „Derzeit senden wir schon eine außerordentlich große Menge an Waffen“, sagte Kerry, was von der Times nicht zitiert wurde. Deutete irgendetwas in Kerrys Logik darauf hin, dass unsere Waffenlieferungen in der Vergangenheit keinen Schaden angerichtet haben, zukünftige Lieferungen aber wohl? Verweist dieses Argument nicht vielmehr auf die schmerzliche Erkenntnis, dass einige von den Hunderttausenden, die in Syrien starben, deswegen starben, weil wir und unsere Verbündeten den Krieg immer wieder angeheizt haben?

CNN wählte einen ähnlichen Tenor wie die New York Times: „Kerry äußerte auch Sympathie für die Forderung der Syrer, dass die USA angesichts der syrischen und russischen Luftangriffe auf Zivilisten stärker eingreifen müssten; er sagte gegenüber der Gruppe, er habe sich mit seinem Argument für einen Militäreinsatz gegen das Regime des syrischen Präsidenten Bashar al-Asad nicht durchsetzen können.“

Es dürfte schwerfallen, ein Beispiel dafür zu finden, wann Aktivisten, die sich leidenschaftlich gegen US-Interventionen oder die Verbrechen unserer Verbündeten aussprechen, je eine private Unterhaltung mit einem US-amerikanischen Außenminister gehabt hätten. Wie viele Palästinenser oder Opfer im Jemen, geschweige denn Syrer, die den Rebellen ablehnend gegenüberstehen, haben jemals Gelegenheit zu einem solchen Treffen erhalten? Man braucht sich keine Sorgen über eine voreingenommene Medienberichterstattung über solche Treffen machen, da sie ohnehin offenbar nie stattfinden. Also kann Kerry sich weiterhin über unsere Achtung für das Völkerrecht auslassen und eine klare Trennlinie zwischen uns und den Russen ziehen – dabei kann er sicher sein, dass ihm sicher die Menschen im Jemen nicht widersprechen werden, weil dort 1.000 Kinder pro Woche sterben,2 und das vor allem wegen unserer saudischen Verbündeten und mit unserer Unterstützung. Und Kerry wird wahrscheinlich auch nicht mit Menschen aus Gaza sprechen, obwohl er in einer von einem unerwartet offenen Mikrofon aufgezeichneten Aussage3 die israelische Bombardierung des Gazastreifens 2014 als eine „verdammt präzise Operation“ bezeichnete.

Wikileaks tweetete letzte Woche über die Enthüllung der Aufnahme [des Gesprächs mit den syrischen Aktivisten] und verschaffte der Sache damit mehr öffentliches Interesse. Die Tonaufnahme hat in rechtsgerichteten Blogs Aufmerksamkeit erhalten, die Obama wegen der Unterstützung von ISIS einen Verräter nennen. Das übertreibt den Inhalt der Aufnahme. Auf der Linken hat es bisher nur sporadische Reaktionen gegeben. Joe Lauria fasste kürzlich die Unterhaltung auf Common Dreams 4 zusammen:

„Außenminister John Kerry sagte, dass die USA, anstatt den IS in Syrien ernsthaft zu bekämpfen, bereit war, das Erstarken der Jihadisten als Druckmittel gegen Asad zu nutzen, um diesen zum Rücktritt zu zwingen …“

Die linke libertäre Website [Activist Post] erfasste auch den Hauptpunkt: „Enthüllte Aufnahmen zeigen John Kerrys Eingeständnis: USA unterstützte ISIS in Syrien, Russland kämpfte gegen den Terror.“5

Mark Ames6 [kommentierte]: „Warum ist diese Kerry-Aufnahme kein massiver Skandal? Der Zynismus ist atemberaubend.“

Und selbst NBC’s Bill Neely7 hat den verstörenden Inhalt der Aufnahme erfasst: „Warum #Russland in #Syrien intervenierte, von John Kerry. Und warum die USA dem Erstarken von #ISIS zusah & es ausnutzen wollte.“

Das ist verblüffend. Man sollte meinen, dass die Mainstreammedien die wirklich interessanten Stellen unterdrücken würden, die der sonst üblichen Darstellung – in der wir unzweifelhaft die guten, wenn auch etwas inkompetenten Kerle sind und die Russen das reine Böse – widersprechen. Aber warum hat das Thema auf der Linken nicht mehr Aufmerksamkeit bekommen? Man wird wohl kein besseres Argument gegen unsere Intervention in Syrien finden als das von Kerry in dieser Aufnahme.

Die New York Times8 gelangte im September [2016] in Besitz dieser heimlich aufgenommenen Aufnahmen und berichtete darüber; ebenso CNN.9

 

1 http://www.independent.co.uk/voices/hillary-clinton-wikileaks-email-isis-saudi-arabia-qatar-us-allies-funding-barack-obama-knew-all-a7362071.html

2 http://www.usnews.com/news/world/articles/2017-01-02/yemens-children-starve-as-war-drags-on

3 https://www.youtube.com/watch?v=iVm93dBPxHk

4 http://www.commondreams.org/views/2016/11/06/obamas-last-stand-against-war-syria

5 http://www.activistpost.com/2017/01/leaked-tapes-john-kerry-admission-u-s-pulling-for-isis-syria-russia-fighting-terror.html

6 https://mobile.twitter.com/MarkAmesExiled/status/817457951120248832

7 https://mobile.twitter.com/BillNeelyNBC/status/817362810195820544

8 Die Aufnahme ist hier zugänglich: http://mondoweiss.net/2017/01/watched-manage-leaked/#sthash.5fT05AdF.dpuf

9 https://www.nytimes.com/interactive/2016/09/30/world/middleeast/john-kerry-syria-audio.html?_r=1; http://edition.cnn.com/2016/10/01/politics/kerry-audio-recording-syria/