Afropolitane Kultur und Literatur

Hefteditorial iz3w 357 (Nov./Dez. 2016)

Als die Romanschriftstellerin Taiye Selasi vor über zehn Jahren in einem Essay den Begriff »Afropolitan« kreierte, löste sie eine lebendige Debatte aus.  Der semantische Ursprung ihrer Neuschöpfung liegt in den Wörtern »African« und »Cosmopolitan«. Afropolitan will Schwarze Identitäten dem Kontext von Diskriminierung, Armut und Unterdrückung entreißen und stattdessen jene empowern, die sich nicht darunter subsumieren lassen wollen. So zeichnet Selasi das Bild einer intellektuellen, urbanen Avantgarde: Eine neue Generation afrikanischer AuswanderInnen und ihrer Nachfahren, erfolgreich, gebildet und wohlhabend. AfropolitInnen sind aktive MitgestalterInnen der globalisierten Welt (und damit genau das, was People of Colour Jahrhunderte lang von rassistischer Ideologie abgesprochen wurde). Selasi definiert AfropolitInnen nicht als WeltbürgerInnen, sondern als »WeltafrikanerInnen«, die in Metropolen und zwischen scheinbar bezugslosen Welten zu Hause sind.

Afropolitanes Bewusstsein zeichnet sich für Selasi vor allem durch die Ablehnung allzu starker Vereinfachungen aus – egal wo man auf der Welt lebt (siehe S. 18). KritikerInnen wie Marta Tveit hingegen vertreten die Meinung, der Begriff Afropolitan erschaffe lediglich eine weitere Gruppenidentität: Diese sei exklusiv, elitär und selbstverherrlichend (siehe S. 19).

Inzwischen werden unter dem Begriff Afropolitan nicht mehr nur spannende Romane zusammengefasst, welche die Herkunft und Heimkehr von Menschen zum Thema machen, deren Eltern – zumindest teilweise – afrikanischer Herkunft sind (siehe S. 24). Inzwischen gibt es eine Vielzahl von Literaturprojekten (S. 28), von Filmen und Serien (S. 34), von hippen Onlinezeitschriften und Dance-Hall-Treffs in Miami und London, in Accra und in Abijan (S. 30). Mittlerweile werden Afropolitan Vibes als Plattform für alternative Musik in Lagos gefeiert, Afripedia gibt sich als Archiv der Kreativindustrie auf dem afrikanischen Kontinent und das African Food Festival versteht sich als panafrikanisches Projekt, betrieben von »AfrikanerInnen in der Diaspora, die das Afrikanische Erbe schamlos repräsentieren und ausstellen«, wie das Webmagazin afropolitaninsights dazu anmerkt.

Was hinter dem Begriff steckt, lässt sich angesichts der Breite der »afropolitan« genannten Produkte und Identitätsdiskurse nicht eindeutig definieren. Zumindest steht das nicht in unserer und hoffentlich in niemandes Macht. Die Bedeutung hängt jeweils davon ab, wer in welchem Kontext aus welcher Rolle heraus das Afropolitane feiert – oder es verwirft. Durchaus relevant bleiben aber die Fragen, ob der gehypte Begriff sich dazu eignet, auf die Lebensverhältnisse einer nicht am Diskurs beteiligten afropolitanen Armutsgesellschaft aufmerksam zu machen (S.32), ob er als Selbstbezeichnung oder Fremdzuschreibung benutzt wird, ob er das westlich geprägte Narrativ über Afrika herausfordert und dabei dessen Zuschreibungen überwindet – oder ob er neue schafft.

die redaktion

 

Unser herzlicher Dank gilt der Fotokünstlerin Juliana Kasumu, die uns zur Bebilderung der Seiten 17 bis 27 und der Seite 32 Motive aus einer ihrer Portraitserien zum Thema Feminismus, Rassismus und Identität zur Verfügung stellte. Siehe www.julianakasumu.co.uk/portraits