Sieg im Krieg. Chinas Militär im Umbruch

Die mediale Aufregung war groß, als unlängst Chinas Präsident Xi Jinping als „Oberkommandierender“ im Kampfdrillich ein Kommandozentrum der Volksbefreiungsarmee (VBA) besuchte. War es Ausdruck eines sich militarisierenden Chinas? Oder gar von Spannungen zwischen Parteiführung und Armee? Aber: In Uniform war Xi bereits vor einigen Jahren aufgetreten. Und als Vorsitzender der Zentralen Militärkommission (ZMK) ist er längst faktischer „Oberkommandierender“ der Streitkräfte.
Also viel Lärm um nichts? Nicht ganz. Bemerkenswert war der Ort: nicht irgendein Kommandozentrum, sondern das Gemeinsame Kommandozentrum der ZMK– in Beton gegossener Ausdruck für das Bemühen der chinesischen Führung um größere Interoperabilität aller Teilstreitkräfte der VBA als zentrales Anliegen der laufenden Militärreform.
Pekings Schlussfolgerung aus den militärischen Konflikten des letzten Vierteljahrhunderts: Die Kriege der Zukunft werden gekennzeichnet sein durch gemeinschaftliche Anstrengungen diverser, mit Hochtechnologiewaffen ausgestatteter Truppengattungen. Dabei von zentraler Bedeutung: das zügige Erringen der „Informationshoheit“ – die Kriege der Zukunft werden „lokale Kriege unter informatisierten Bedingungen“ sein.
Seit der Jahrtausendwende wird an einer entsprechenden Doktrin gefeilt, werden Waffenarsenale grundlegend erneuert sowie Ausbildungsprozeduren und Kampfstatuten stetig verfeinert.
Unter Xi Jinping hat all dies eine neue Qualität angenommen: Die nationale (militärische) Sicherheit wurde in ihrer Bedeutung der nationalen Wirtschaftsentwicklung gleichgestellt. Zweistellige Zuwachsraten beim Rüstungsetat sorgen dafür, dass die Truppe nicht nur mit hochmodernen land-, luft-, see-, welt- und kyberraum-gestützte Waffenplattformen ausgestattet wird, sondern auch innovative – Rekrutierungs- und Ausbildungsstrategien verfolgen kann.
Die Umrüstung der VBA erfolgt systematischer denn je, wobei ausländische Technik eine zunehmend untergeordnete Rolle spielt. Erhöhte Reichweiten und Offensivfähigkeit stehen dabei ganz oben auf der Prioritätenliste.
So verfügt das „2. Artillerie-Korps“ mit der DF-16 inzwischen über eine weitere ballistische Boden-Boden-Rakete mit bis zu 1.000 Kilometer Reichweite. Unmittelbar vor ihrer Indienststellung scheint die silogestützte DF-41 mit unter Umständen bis zu 15.000 Kilometern Reichweite zu stehen. In der Zwischenzeit wird die ebenfalls interkontinentale DF-5B „MIRV-fähig“ gemacht. Darüber hinaus hat Chinas Antischiffsraketenprogramm hat mit der nuklearen DF-21D (Reichweite: 2.500 Kilometer) und der sowohl konventionell wie nuklear einsatzbaren DF-26 (Reichweite: 3.500 Kilometer) weiter an Gestalt gewonnen. Mit diesen Waffensystemen will China gegebenenfalls insbesondere US-Flugzeugträger-Kampfgruppen ins Visier nehmen.
Das Heer verfügt zwar über einen eher konventioneller Fuhrpark, dafür aber zunehmend über schlagkräftige Luftlandetruppen. Ihre kontinuierliche Ausstattung mit moderner Hubschraubertechnik hat Chinas Landstreitkräfte in den letzten Jahren nicht nur wesentlich mobiler, sondern auch reaktionsschneller werden lassen.
Auch bei der Luftwaffe tut sich einiges: Das Testprogramm für den schweren Tarnkappenbomber J-20 läuft erfolgreich; von seinem Konkurrenten, dem J-31, existieren inzwischen mindestens zwei Prototypen. Die für den J-20 vorgesehene Luft-Luft-Rakete PL-10 AAM wurde inzwischen dreißigmal erfolgreich getestet; eine weitere neue Luft-Luft-Rakete, die PL-15, befindet sich seit vergangenem Herbst in der Erprobungsphase. Noch ein Flugzeugprototyp, der J-11D, basierend auf der russischen Su-27, jedoch mit chinesischen Triebwerken ausgestattet, ist vor gut einem Jahr erstmals in den Himmel gestiegen. Auch bei eingeführten Modellen wie dem J-10B wird inzwischen weitgehend auf russische Antriebstechnik verzichtet. Ein ähnliches Bild bei schweren Transportern: der unlängst vorgestellte Y-20 (Nutzlast: bis zu 60 Tonnen), Nachfolger der russischen Il-76, wurde komplett in China entwickelt und wird mittelfristig ausschließlich chinesische Turbinen verwenden. Lediglich beim strategischen Bomber H-6K sowie den Aufklärungsflugzeugen KJ-2000 und KJ-500 wird Peking weiterhin auf sowjet-russische Grundkonstruktionen (Tu-16, Il-76, An-12) setzen. Last but not least konnte China mit der Mehrzweckdrohne GJ-1 sowie dem Tarnkappenflugzeug „Göttlicher Adler“ beweisen, dass es auch bei unbemannter Flugtechnik genuine Fertigkeiten entwickelt hat.
Inzwischen auf den Weltmeeren zu Hause: Chinas Kriegsflotte. Der Zerstörer Typ-52D wird seit einiger Zeit in Serie gebaut. Mehrzweck-Fregatten und Korvetten der Typen 054A und 056 gehören inzwischen zur Grundausstattung der Flotte. Neue Projekte wie der Kreuzer Typ-055 sowie ein zweiter, erstmals ausschließlich chinesischer Flugzeugträger sind in Arbeit. Vier ballistische Raketen-U-Boote vom Typ 094 (Jin-Klasse), bestückt mit JL-2-Interkontinentalraketen, haben 2015 ihren Dienst aufgenommen. Grundlegend überholt wurden vier Jagd-U-Boote vom Typ 093. Die Serienproduktion konventioneller U-Boote der Yuan-Klasse läuft auf Hochtouren. Gleichwohl: Submarine Tarnkappentechnologien sowie nukleare Antriebssysteme bleiben eine Herausforderung für Chinas Ingenieure. Ebenso seegestützte Anti-Schiff-Kampfsysteme. Mit der 2015 erfolgten Indienststellung der Antischiffsrakete YJ-12 sowie dem Aufklärungsflugzeug KJ-500 hat Chinas Flotte jedoch wesentliche Schritte zur Behebung dieses Mankos getan. Fortschritte gibt es dem Vernehmen nach auch bei Chinas Marinefliegern: 2015 ist das trägergestützte Mehrzweckkampfflugzeug J-15 nach einigen Schwierigkeiten endlich in Serie gegangen. Ebenfalls angelaufen ist die technische Erneuerung der Küstenwache: ein 10.000-Tonnen-Patroullienboot durchläuft derzeit diverse Seetests, mindestens ein weiteres Boot derselben Klasse ist im Bau.
Die technische Verfeinerung maritimer Plattformen und die damit verbundene Erweiterung von Missionen und Operationen finden ihren Niederschlag in immer komplexeren Manöversituationen, so geschehen im Rahmen der russisch-chinesischen Seekriegsmanöver „Gemeinsames Meer 2015 I“ (im Mittelmeer) sowie „Gemeinsames Meer 2015 II“ (im Japanischen Meer. Aber auch andere Waffengattungen trainieren Interoperabilität, etwa das Heer im Rahmen der Übung „Fortschritt 2015“ im Trainingszentrum Zhurihe in der Inneren Mongolei.
Was derartige Veranstaltungen nicht zuletzt deutlich machen: Mit Wehrpflichtigen allein lassen sich die kommenden Herausforderungen kaum meistern. Motivierte Hochschulabsolventen sowie mit Langzeitverträgen angelockte Spezialisten – sie werden in naher Zukunft das Bild der chinesischen Streitkräfte bestimmen.
Neues Militärgerät sowie innovative Rekrutierungs- und Ausbildungsmethoden bilden für Xi Jinping, der bekanntlich bereits im November 2012, nach Übernahme der Funktion als Generalsekretär der KPCh das Milliardenvolk dazu aufgerufen hatte, den „chinesischen Traum“ von einer machtvollen und wohlhabenden Nation zu verwirklichen, jedoch lediglich eine Seite der Reformmedaille. Die andere betrifft die Organisation der VBA als solche. Nach Dean Cheng, China-Analyst der US-amerikanischen Heritage Foundation, erfolgt deren Umgestaltung in dreierlei Richtung:
1. Neustrukturierung wehrrelevanter Organisationen: Die sieben Militärregionen werden durch fünf Kriegzonen ersetzt, an deren Spitze gemeinsame Operationsstäbe stehen, die ihrerseits durch das Gemeinsame Kommandozentrum der ZMK miteinander verbunden und beaufsichtigt werden.
2. Die ZMK als oberstes militärisches Gremium wird künftig nicht nur aus vier Allgemeinen Abteilungen, sondern 15 Abteilungen, Büros und Kommissionen bestehen. Integraler Bestandteil dieser Restrukturierung: die Umgestaltung der Generalstabsabteilung in eine Gemeinsame Stabsabteilung.
3. Die Zahl der gleichrangigen Teilstreitkräfte wird vergrößert, und das Heer, das bislang die VBA politisch und bürokratisch dominierte, gilt ab jetzt allenfalls noch als primus inter pares. Luft- und Seestreitkräfte sind nunmehr gleichrangig. Auch wenn die ZMK immer noch vorrangig aus Heeresoffizieren besteht, soll sie künftig die VBA als Ganzes repräsentieren. Und das „2. Artillerie-Korps“, das bisher eine mehr oder weniger autonome „Superstruktur“ darstellte, erhält ebenfalls den Status einer Teilstreitkraft, wurde umbenannt in „Raketenstreitkräfte“ und zusammengespannt mit den Strategischen Unterstützungskräften, die wiederum Chinas Weltraumstreitkräfte, die Kräfte der Elektronischen Kriegführung sowie der Netzwerkkriegführung umfassen. Gemeinsam sollen sie Doktrinen formulieren, integrierte Trainingsabläufe entwickeln und Missionen durchführen. All dies mit dem ultimativen Ziel, in künftigen Kriegen möglichst rasch die „Informationshoheit“ zu erlangen und damit diese Kriege „gewinnbar“ zu machen.