Solide gearbeitet, Diskussionsbedarf bleibt

Parteitag der LINKEN in Magdeburg

Der Magdeburger Parteitag der LINKEN am 28. und 29. Mai 2016 mit dem Leitmotto »Sozial gerecht. Für alle. Besser.« hatte die langfristige politisch-inhaltliche Vorbereitung des Bundestagswahlkampfes 2017 zum Ziel. Zugleich musste ein neuer Parteivorstand gewählt werden. Das arbeitete der Parteitag – trotz des unsäglichen Torten-Angriffs auf Sahra Wagenknecht – diszipliniert ab. Gleichwohl hat die Partei in diversen Punkten nach wie vor Klärungsbedarf.

Wenn man in den letzten Monaten und Wochen in die Partei hinein hörte, waren Momente von Irritation, Beunruhigung und sogar Unzufriedenheit an der Basis zu spüren: Es hat sich was geändert, seit die Partei in den drei Landtagswahlen im März 2016 mit unerwartet schlechten Ergebnissen konfrontiert wurde. Irritation und Beunruhigung beziehen sich auf den Verlust von WählerInnen von der Linkspartei an die rechtspopulistische AfD.

Diskussionswürdige Wählerwanderungen nach rechts

Das Problem der Wählerwanderung generell nach rechts wird sich auch durch Resolutionen auf Parteitagen nicht wegdiskutieren lassen: Die LINKE landete bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt hinter der AfD, die im Land zur zweitstärksten Kraft aufstieg. In Brandenburg käme neueren Umfragen zu Folge diese aktuell auf gut 20%. Damit wäre sie stärker als die LINKE und in Brandenburg hätte die rot-rote Koalition zurzeit keine regierungsfähige Mehrheit mehr.

Die Unzufriedenheit an der Basis speist sich aus dem weit verbreiteten Gefühl, dass dieser Sachverhalt in der Parteiführung politisch nur unzureichend bearbeitet wurde und darauf bezogen von ihr keine neue, adäquate Orientierung an die Basis erfolgt ist. Zwar hatten die beiden Bundesvorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger ein Papier »Revolution für soziale Gerechtigkeit und Demokratie« mit Vorschlägen für eine offensive Strategie der Linken vorgelegt, aber dieser Text war – da zu spät eingereicht – nicht als Orientierung für den neuen Bundesvorstand und für seine Arbeit bis zum Sommer nächsten Jahres, also bis zur Erarbeitung eines Wahlprogramms, zum diskutierbaren Parteitagsantrag erhoben worden.

Die beiden Vorsitzenden formulieren darin eine historischen Einordnung der augenblicklichen politischen Entwicklungslinien: »In den nächsten Jahren wird sich entscheiden, in welche Richtung sich die Gesellschaft bewegt. Sie steht an einem Scheideweg: Zwischen rechter Hetze und neoliberaler Konkurrenz auf der einen Seite, Demokratie, Solidarität und soziale Gerechtigkeit auf der anderen Seite. Werden größere Teile der Erwerbslosen, Prekären, Geringverdienenden und die abstiegsbedrohte Mittelschicht sich den Rechtspopulisten zuwenden und damit den Weg für eine noch unsozialere, autoritäre und antidemokratische Entwicklung bereiten? Oder gelingt es, Konkurrenz und Entsolidarisierung zurückzudrängen und ein gesellschaftliches Lager der Solidarität zu bilden? Diese Fragen stehen nicht erst seit dem tiefen Einschnitt in der politischen Landschaft, den die Landtagswahlen im März 2016 darstellen, im Raum. Sie verweisen darauf, wie wichtig es ist, dass es eine starke LINKE gibt«.

Daran gemessen wurde auch die unmittelbar vor dem Parteitag vom ehemaligen Vorsitzenden der Bundestagsfraktion Gregor Gysi geäußerte Kritik – »Man spricht uns auch die Gestaltungsmacht ab, weil wir auf Bundesebene den Eindruck vermitteln, nicht in die Regierung zu wollen.« – nicht als hilfreich empfunden. Denn zurzeit gibt es noch nicht einmal rein rechnerisch im Bund eine Mehrheit für Rot-Rot-Grün. Und die gesellschaftliche Kraft, um einen Politikwechsel, den schließlich auch Sahra Wagenknecht anmahnte, auf den Weg zu bringen, muss erst noch entwickelt werden. Bernd Riexinger kleidete dies in die Worte: »Wir haben seit Jahren kein linkes Lager der Parteien.« Eine einfache Ausrufung oder Beschwörung wird es der Republik allerdings auch nicht bescheren.

Der Streitpunkt Regierungsbeteiligung

Vor dem Parteitag war es zu heftigen Kontroversen bis hinein in die Führung von Partei und Fraktion um die Flüchtlingspolitik, um Obergrenzen, um Bleiberecht und Residenzpflichten von Asylbewerbern etc. und in diesen Fragen um den Umgang mit dem Rechtspopulismus von Pegida und der AfD gekommen. Die Dilemmata einer auch Gestaltungsansprüchen folgenden linken Landespolitik schilderte für die meisten Delegierten überzeugend die Landes- und Fraktionsvorsitzende in Thüringen, Susanne Hennig-Wellsow, mit Blick auf das Regieren mit einem Ministerpräsidenten der LINKEN.

»Mir sind die Antworten zu einfach, die sagen, wenn Thüringen abschieben muss, zeigt das, wir dürfen mit SPD und Grünen nicht regieren. Das ist viel zu kurz gegriffen. Wenn es etwas zeigt, dann zeigt es, dass DIE LINKE europäisch als auch bundesweit nicht die Mehrheit hat, um Abschiebungen und Asylverschärfung zu verhindern, sondern dass wir als Länder und Kommunalpolitiker davor stehen, Bundesrecht umsetzen zu müssen, weil auch eine LINKE im Bund nicht stark genug ist, diese Entscheidung zu verhindern.« Und sie machte einmal mehr deutlich, dass ein Politikwechsel im Bund nicht vom Himmel fällt, sondern dessen Komponenten ebenso Gegenstand von Diskussionen in der Partei werden müssten wie die unverzichtbaren Aktionen des Kampfes gegen rechts.

Bernd Riexinger stellte in seiner Rede heraus: »Ohne Übertreibung kann man sagen, dass wir in den nächsten Jahren vor der Alternative stehen: Wird der Kapitalismus immer autoritärer oder schaffen wir es, den Neoliberalismus und Rechtspopulismus beiseite zu schieben. Das ist die Frage, vor der die Linke in vielen Ländern heute steht.« Damit dämmerte dem Parteitag, dass die so kurz umrissenen veränderten Bedingungen ein bloßes »Weiter-So« unmöglich machen.

In den folgenden Debatten um die Leitanträge des Vorstandes »Für Demokratie und Solidarität! Gegen den Rechtsruck«, »Mehr für alle. Eine soziale Offensive für ein offenes Land« und »Für Frieden und eine gerechte Weltordnung« akzeptierten die Delegierten mit durchweg deutlichen Mehrheiten das Deutungsangebot der Parteiführung von einer »Weggabelung der Gesellschaft«, die eine Erneuerung linker Politik notwendig macht. Dazu nannte Katja Kipping als Eckpunkte

- »eine handlungsfähige europaweite Bewegung, die ein demokratisches und soziales Europe neu begründet;
- den Wandel in der Arbeitswelt zum Ausgangspunkt nehmen und ein neues Verständnis von Solidarität im 21. Jahrhundert zu verankern;
- verlässlich als soziale Schutzmacht im Alltag wirken;
- die Bereitschaft, sich mit den Superreichen und dem Finanzkapital anzulegen, um auf eine sozial-ökologische Wirtschaftsordnung hinzuarbeiten;
- konsequente Friedenspolitik und eine neue internationale Bündnispolitik.
- All das ist undenkbar ohne grenzübergreifende Solidarität und Weltoffenheit!« (Rede Katja Kipping)

Die Wahlen zum Parteivorstand verliefen unspektakulär, es gab keine personelle Veränderung im engeren Zirkel von Vorsitzenden, stellvertretenden Vorsitzenden, Bundesgeschäftsführer und Schatzmeister. Die Beunruhigung aus der Vorparteitagszeit schlug sich in etwas schwächeren Wahlergebnissen für die beiden Vorsitzenden nieder. Die Wahlen zum erweiterten Parteivorstand brachten z.B. mit Christian Schaft, 25jähriger Bildungspolitiker im Thüringer Landtag, und Raul Zelik, Schriftsteller und Publizist aus Berlin, zum einen Vertreter in das Gremium, die neue Impulse setzen könnten.

Zum anderen wird er etwa durch die Wahl von Lucy Redler und die Wiederwahl von Thies Gleiss mit Menschen »revolutionärer Ungeduld« ergänzt, die Strömungen repräsentieren, die längst ihren Höhepunkt und ihre Funktionen überschritten haben. Ob der neue Vorstand insgesamt eine bessere Arbeitsfähigkeit und eine größere politische Realitätsnähe entwickeln wird, bleibt abzuwarten.

Beides allerdings wird notwendig sein, um mit Blick auf die im September anstehenden Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, die Kommunalwahlen in Niedersachsen sowie die Bundestagswahlen ein Jahr später, das politische Profil zu schärfen, über eine kämpferische Rhetorik in Richtung Neoliberalismus, Superreichen und Finanzkapital hinaus zu einer präziseren Analyse der gesellschaftlichen Realität zu kommen und in den Fragen der Einschätzung der Entwicklung von Sozialdemokratie, Grünen und der Unionsparteien differenziertere Orientierungen zu entwickeln als ihre bloße Charakterisierung als Bestandteil eines zerstrittenen »neoliberalen Blocks«.

Und auch in Sachen der in der Partei kontrovers diskutierten Euro-/Europa-Frage – während im Vorjahr die Solidarität mit der Syriza-Regierung noch heftig gefeiert wurde, bedurfte es diesmal der Erinnerung von Axel Troost und Dietmar Bartsch, dass deren Kampf noch keineswegs beendet und solidarischer Umgang nach wie vor dringend geboten ist – besteht Diskussions- und Handlungsbedarf. Der große Alternativ- bzw. Ersetzungsantrag zu Europa (G16) wurde der Parteitags- und Antragsregie folgend ohne große Debatte zur Weiterbehandlung an den Parteivorstand verwiesen. Damit wurden zwar die Konflikte zu diesem Thema auf dem Parteitag vermieden, sie sind aber weiter virulent.