Obamas Drohnenkrieg

Seit Jahren kommt der Westen im Kampf
gegen den islamistischen Terrorismus nicht voran.
Kein Wunder:
Man kann einen Feind nicht bekämpfen,
indem man ihm ähnlich wird.

Jakob Augstein

Den verbrecherisch-völkerrechtswidrigen US-Drohnenkrieg gegen vermeintliche und auch gegen tatsächliche Terroristen hatte der Friedensnobelpreisträgers Barack Obama gleich nach seinem ersten Amtsantritt im Vergleich zu seinem Vorgänger, dem offen bellizistischen George W. Bush, stark ausgeweitet. Das war Gegenstand eines Blättchen-Beitrages des Autors im Jahre 2012.
Vom Inhalt dieses Beitrages ist nichts zurückzunehmen. Im Gegenteil. Nachfolgend einige ergänzende Aspekte.
Vor kurzem haben sich mit Brandon Bryant, Cian Westmoreland, Stephen Lewis und Michael Haas vier ehemalige Angehörige der US-Luftwaffe und allesamt gewesene Drohnenpiloten in einem offenen Brief an ihren Präsidenten, an US-Verteidigungsminister Ashton B. Carter und den amtierenden CIA-Chef John O. Brennan gewandt, weil ihnen „im Laufe der Zeit […] klar geworden“ sei, „dass der Umstand, dass wir unschuldige Zivilisten töten, die Hassgefühle nur befeuert, die den Terror und Gruppen wie den ‚Islamischen Staat‘ (IS) antreiben – und zugleich in ähnlicher Weise als Rekrutierungswerkzeug wirkt wie Guantanamo Bay. Diese Regierung und ihre Vorgängerregierung haben ein Drohnenprogramm aufgesetzt, das eine der verheerendsten Triebfedern des Terrorismus und der Destabilisierung weltweit ist“.
Es ist unter anderem dieser US-Drohnenterror, der dem IS bisher immer noch mehr Zulauf an Kombattanten beschert hat, als ihm durch militärische Gegenaktionen zu Lande und in der Luft Verluste beigebracht werden können.
Die Adressaten des Briefes werden aufgefordert, ihre „Perspektive zu überdenken, auch wenn eine solche Bitte angesichts der beispiellosen Verfolgung von Whistleblowern, die uns vorangegangen sind […], womöglich vergeblich ist“.
Von letzterem muss allerdings leider nicht nur und nicht einmal in erster Linie wegen der Behandlung von Whistleblowern ausgegangen werden, sondern vor allem weil die regierungsoffizielle US-Registratur der Drohnen-Opfer gar keine „unschuldigen Zivilisten“ kennt. Mit inhumaner zynischer Logik lässt diese Statistik überhaupt nur zwei Arten von Toten zu:
erstens – diejenigen, die auf der mittels Drohnen „abzuarbeitenden“ sanktionierten Tötungsliste (kill list) stehen; die bilden im Jargon der Drohnenpiloten den „Hauptgewinn“ (jackpot); und
zweitens – alle übrigen Opfer, die unter dem Begriff „im Kampf getöteter Feind“ (enemy killed in action) subsummiert werden.
Unbeteiligte, Frauen, Kinder und Alte, Zivilisten? Alles enemies killed in action. So einfach kann Statistik sein.
Dass jedoch ein sehr großer Teil der Drohnenopfer genau in diese Kategorien fällt, wird von Organisationen wie Human Rights Watch, Amnesty International oder dem Bureau of Investigative Journalism immer wieder angeprangert.
Und häufig werden bei der Jagd auf einzelne Terroristen Dutzende, bisweilen Hunderten Unbeteiligte ermordet, ohne dass die eigentliche Zielperson überhaupt getroffen wird. So sind bei diversen Versuchen, den Chef von Al-Kaida, Aiman al-Sawahiri, zu treffen, mindesten 76 Kinder und 29 Erwachsene getötet worden. Al-Sawahiri wurde bisher nicht getroffen und rief erst Anfang November via Twitter erneut Muslime weltweit zu Anschlägen gegen den Westen auf.
Letztlich gilt den US-Killern vom Himmel jeder Mensch männlichen Geschlechts als legitimes Ziel, wie Brandon Bryant bei seiner Aussage vor dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages deutlich machte: Jeder männliche Jugendliche sei ein Kämpfer; der offizielle Begriff laute military aged male – Mann im kampffähigen Alter; die Altersgrenze dafür liege bei zwölf Jahren. Manche seiner Kameraden verträten dazu kaltschnäuzig die Auffassung, dass aus Kindern ja irgendwann Terroristen würden – man müsse „das Gras mähen, bevor es zu hoch wachse“.

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Einschub: US-Soldaten mit einer solchen Einstellung wie auch ihre Vorgesetzten bis hinauf zum obersten Kriegsherrn, die, wenn sie schon die Ermordung von Halbwüchsigen nicht direkt befehlen, so diese doch auch nicht unterbinden, sind alle miteinander zu jung, um am 6. Oktober 1943 in Posen die folgenden Sätze gehört zu haben: „Es trat an uns die Frage heran: Wie ist es mit den Frauen und Kindern? – Ich habe mich entschlossen, auch hier eine ganz klare Lösung zu finden. Ich hielt mich nämlich nicht für berechtigt, die Männer auszurotten – sprich also, umzubringen oder umbringen zu lassen – und die Rächer in Gestalt der Kinder für unsere Söhne und Enkel groß werden zu lassen. Es mußte der schwere Entschluß gefaßt werden […].“ Der das über die „Judenfrage“ sagte, war Heinrich Himmler.
Historische Vergleiche haben ja bekanntlich ihre Tücken und hinken bisweilen gleich auf beiden Beinen. Aber – springt hier nicht eine gewisse Übereinstimmung in der finalen Behandlung von „Feinden“ ins Auge?

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Vor dem Hintergrund des bisher Gesagten erscheint das Nächste nachgerade folgerichtig, zumindest verwundert es nicht mehr wirklich: In den vergangenen Jahren sind sehr viele Drohnenangriffe auf Menschen geflogen worden, deren Identität den an der Tötung beteiligten US-Diensten vor und nach der Tat völlig unbekannt war. Auch für solche Schläge gibt es einen Täter-Euphemismus – signature strike, was als Tötungsakt aufgrund eines Verhaltensmusters zu verstehen ist.
Menschen, die solchen Angriffen zum Opfer fallen, geraten ins Fadenkreuz, so fasste Kai Biermann, einschlägiger Experte in diesen Fragen, zusammen, „weil die US-Geheimdienste der Meinung sind, dass sie sich wie Terroristen verhalten. Wer in Somalia einen Kleinlaster fährt, mit dem Islamisten zuvor Waffen transportiert haben, ist im Zweifel in tödlicher Gefahr, wenn die Bildauswerter im Pentagon das Nummernschild wiedererkennen. Oder wer ein Haus betritt, in dem sich zuvor Kämpfer getroffen haben. Oder gar ein Mobiltelefon benutzt, mit dem zuvor ein lokaler Kommandeur telefoniert hat.“
Schon die allererste gezielte US-Tötung mittels Drohne war ein signature strike – und zugleich ein solcher Fehlschlag, dass an sich sofort das ganze Konzept ad absurdum geführt war.
Am 4. Februar 2002 zog eine ferngesteuerte, mit Hellfire-Raketen armierte Drohne vom Typ MQ-1 Predator im Osten Afghanistans ihre Bahn. Ziel war ein Mann, der von der CIA für Osama bin Laden gehalten wurde: Er war sehr groß (Bin Laden maß über 1,90 Meter) und wurde von Umstehenden sichtbar ehrerbietig behandelt. Das Hellfire-Geschoss tötete aber nicht Bin Laden, sondern drei Männer, die Metallreste von Raketen und Bomben sammelten, um mit dem Verkauf des Schrotts ihr Einkommen aufzubessern. Eines der Opfer war 1,80 Meter groß.
Signature strikes finden immer noch statt.
„Drohnenpiloten sind Menschenjäger“, so kennzeichnete Bryan Bryant seinen früheren Berufsstand vor dem NSA-Untersuchungsausschuss. Der junge Mann wusste, wovon er sprach, hatte er doch als Staff Sergeant fünf Jahre lang Drohneneinsätze im Irak, in Afghanistan, Pakistan, Somalia und im Jemen geflogen und dabei auch den Ziel-Laser bedient, mit dessen Hilfe die Raketen ihre Arbeit tun.
Und weil diese Arbeit eine im Wortsinne mörderische ist, hätte Tucholsky die Täter wohl kaum nur als „Menschenjäger“ bezeichnet.