Rechtsextreme Frauen: Verharmlost und verkannt

Als „Desaster“ bewertet der Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss in seinem Abschlussbericht die Ermittlungen der dortigen Sicherheitsbehörden und spricht gar vom Verdacht „gezielter Sabotage“: Die Fahndung nach dem untergetauchten Trio, das bereits im Jahre 1998 wegen eines Sprengstofffunds gesucht wurde, sei „in einem so erschreckenden Ausmaß von Desinformation, fehlerhafter Organisation, Abweichungen von üblichem Vorgehen und Versäumnissen bei der Verfolgung erfolgversprechender Hinweise und Spuren durchsetzt“, dass es nicht mehr vertretbar erscheine, „hier nur von ‚unglücklichen Umständen’, ‚Pannen’ oder ‚Fehlern’“ zu sprechen.[1]

Der Thüringer Abschlussbericht zeigt einmal mehr, wie Sicherheitsbehörden Rechtsextremismus bagatellisierten und teilweise sogar mit Personen aus der rechten Szene zusammenarbeiteten. Offen bleibt die Frage, ob Morde und Terror des NSU hätten verhindert werden können, hätte man das Problem Rechtsextremismus wirklich ernst genommen. Zu der mörderischen Mischung aus Ignoranz und mangelnder Abgrenzung gehört auch die Verharmlosung der Rolle von Beate Zschäpe, die symptomatisch für den Umgang mit rechtsextremen Frauen zu sein scheint: Sie gelten oftmals lediglich als das unpolitische Anhängsel ihrer männlichen Mitstreiter.

Beate Zschäpes Ideologie und Gewaltbereitschaft wurden und werden noch immer unterschätzt: Bereits als 17jährige soll sie, gefragt nach ihren Zukunftswünschen, zu einem Sozialarbeiter gesagt haben, erst einmal müssten „die Ausländer weg“.[2] Vor 1998 – dem Jahr, als Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos untertauchten – bildete sie mit anderen die Kameradschaft Jena und nahm an rechtsextremen Demonstrationen des „Thüringer Heimatschutzes“ teil. Sie beteiligte sich an gewaltsamen Aktionen, brach unter anderem einer Frau den Arm und wurde mehrmals bewaffnet von der Polizei aufgegriffen. Trotz alledem blieb Zschäpe strafrechtlich unbehelligt.

Als der NSU im Untergrund lebte, machte sich das Trio das Bild von der friedvollen Frau systematisch zunutze: Zschäpe war dafür zuständig, den Anschein der Harmlosigkeit im Alltag aufrecht zu erhalten. Sie hielt Kontakt zu Nachbarn, die sie später als gesellig und freundlich beschrieben. Die nette Frau von nebenan besorgte unterdessen Schusswaffen wie Ausweise und verwaltete die bei Banküberfällen erbeuteten Gelder. Selbst als sich Zschäpe bei einer polizeilichen Zeugenbefragung zu einem Wasserschaden im Haus ihres Unterschlupfes im Jahr 2006 in massive Widersprüche über ihren Namen und Wohnort verstrickte, ging der anwesende Polizeibeamte dem nicht nach. Zschäpe blieb abermals unbehelligt.

Rechtsextreme Frauen passen nicht ins Bild

Auch nachdem das Trio als NSU bekannt wurde, spielten viele Medien die Rolle von Beate Zschäpe herunter: Immer wieder wurde vermutet, sie habe nichts über die vom NSU verübten Morde gewusst bzw. sei nur teilweise über sie informiert gewesen. Spekulationen darüber, ob sie nur wegen Liebesinteressen Teil des NSU gewesen sei, prägten die Berichterstattung. Der Rechtsextremismusexperte Ulrich Overdieck weist zu Recht darauf hin, dass andere, weitaus wichtigere Fragen hingegen noch immer unbeantwortet sind: Wie hat Zschäpe vom Tod Mundlos’ und Böhnhardts erfahren? Was hat sie während ihrer Flucht unternommen, von wem wurde sie dabei unterstützt? Gibt es eventuell doch weitere Mittäter, die noch immer unbekannt sind – und ist die Annahme des OLG München tatsächlich zutreffend, dass der NSU mit dem Tod der beiden Männer und der Festnahme Zschäpes nicht mehr existiere? Overdieck fragt in diesem Zusammenhang, ob diese „Aufklärungslücke bei einem rechtsextremen Mann nicht eine ernstere Besorgnis sowohl innerhalb der Sicherheitsorgane als auch in den Medien auslösen würde“.[3]

Der Umgang mit Beate Zschäpe ist kein Zufall, sondern Anzeichen einer weitverbreiteten Wahrnehmung, in der Frauen allgemein als harmlos und unpolitisch gelten. Eine solche gravierende Fehleinschätzung in Bezug auf den NSU beging auch die Nürnberger Polizei im Jahr 2007. Als die Ermittlungsbehörden kurzzeitig auch der Möglichkeit eines rassistischen Hintergrunds der Mordserie nachgingen, fiel eine wichtige Unterstützerin des Terrornetzwerks durchs Fahndungsraster: Die Polizei strich kategorisch Frauen von einer Liste, die sämtliche dem bayrischen Verfassungsschutz bekannte Rechtsextreme aufführte. Darunter befand sich auch Mandy S., die dem Trio unter anderem in Chemnitz Wohnungen besorgt hatte – sie blieb unentdeckt. Bis heute ist keine der Frauen angeklagt, die Unterstützerinnen des NSU waren und Ausweise, Bahncards und Krankenkassenkarten für Zschäpe besorgten. Eine soll sogar manchmal ihr Kind zur Verfügung gestellt haben, damit Zschäpe und einer ihrer Komplizen als Familie auftreten konnten.

Der Irrtum vom männlichen Jugendphänomen

Frauen per se als friedfertig oder harmlos anzusehen, hat eine lange Tradition. Diese Stereotype gehen in Geschichtsschreibung, Wissenschaft und Gesellschaft oftmals mit der Abwesenheit von Frauen einher: Beispielsweise lässt sich aus den meisten Geschichtsbüchern wenig über Täterinnen im Nationalsozialismus lernen. Dahinter steckt zwar nicht unbedingt die Absicht, deren Rolle zu verneinen. Trotzdem kommt die Geschichtsschreibung in der Summe fast ohne Frauen aus – was auch daran liegen mag, dass die Geschichtswissenschaft lange eine Männerdomäne war.

Das gilt auch und nicht zuletzt für rechtsextreme Frauen – ihre Rolle wird nach wie vor offenkundig unterschätzt. Bereits in den 90er Jahren wurde die rechtsextreme Szene vorwiegend als männliches Jugendphänomen wahrgenommen. So mancher hegte die Hoffnung, die sich rasant entwickelnde rechtsextreme Szene in Ostdeutschland würde sich eines Tages von selbst erledigen, nämlich dann, wenn die jungen Männer eine Familie gründen. Doch die einfältige Annahme, Frauen hätten per se einen positiven Einfluss auf Männer, erwies sich als falsch. Stattdessen gründeten die Frauen mit den Männern Familien; heute gibt es Kinder und Jugendliche, die in rechtsextremen Elternhäusern aufwachsen, und ganze Siedlungen, in denen rechtsextreme Familien völkische Gemeinschaften bilden.

Die gesellschaftliche Auseinandersetzung damit beginnt allerdings nur zögerlich, gendersensible Rechtsextremismusprävention bildet bis heute eine seltene Ausnahme. So wird die Relevanz von Frauen für die rechte Szene in der Regel an Indikatoren gemessen, die ihren Einfluss nicht erfassen können. Beispielsweise wird immer wieder darauf verwiesen, dass Frauen innerhalb der NPD nur eine marginale Rolle spielen. Auch seien sie sehr viel seltener als Männer an Gewalttaten beteiligt. Dabei ist es allerdings wenig verwunderlich, dass Frauen in rechten Parteien deutlich weniger Einfluss haben als Männer, schließlich handelt es sich beim Rechtsextremismus um eine hyperpatriarchale Ideologie. Dennoch sind Frauen alles andere als unbeteiligt: Bei Gewalttaten stehen sie nicht selten Schmiere, regen andere dazu an oder treten als Zeuginnen auf, um rechtsextreme Männer nach der Tat zu entlasten. Ihnen wird schnell geglaubt, da sie als vertrauenswürdig gelten. Statistiken erfassen diese Arten der Mittäterschaft nicht, die Beteiligung von Frauen an Gewalttaten kann deshalb nur schwer gemessen werden. Mehr als 180 Menschen sind seit der Wende in Deutschland von rechten Gewalttäterinnen und Gewalttätern ermordet worden. Diese Zahl wird steigen, wenn der Rechtsextremismus nur als ein Problem wahrgenommen wird, das sich mit dem Verbot der NPD erledigt. Das bedeutet auch, rechte Frauen als Akteurinnen der Szene wahrzunehmen. Dazu aber muss man den Blick verändern und ihn endlich auch auf den Alltag richten.

Die Kümmerer vor Ort

Denn selbst, wenn das Verbotsverfahren erfolgreich sein sollte – die mittlerweile vielerorts feste Verankerung rechtsextremer Frauen wie Männer vor allem in ländlichen Gegenden wird bleiben. So darf der zuletzt knapp verpasste Wiedereinzug in den sächsischen Landtag nicht darüber hinwegtäuschen, dass die NPD in Sachsen knapp 100 Mandate für Kreistage und Gemeinderäte innehat und diese für die Verbreitung ihrer Einstellung weidlich nutzt.

Seit dem Jahr 1997 verfolgt die NPD das sogenannte Vier-Säulen-Konzept. Als eine der vier Säulen machte sie den „Kampf um die Köpfe“ aus – und rief zu kommunalem Engagement auf, um die Nähe zur lokalen Bevölkerung zu nutzen. NPD-Anhängerinnen und -Anhänger sollen aktiv werden, Gesicht zeigen und so dafür sorgen, dass die Hemmschwelle, die NPD zu wählen, sinkt. Hier bot sich insbesondere für rechtsextreme Frauen eine Chance, sich im Sinne der Partei zu engagieren, da ihnen leichter Sympathien und Vertrauen entgegengebracht werden. Zugleich steht ihr Engagement in Vereinen, auf Dorffesten oder in Elternbeiräten nicht im Widerspruch zu den starren Geschlechterrollen der rechtsextremen Ideologie: Um die sogenannte Volksgemeinschaft zu erhalten, kommt der traditionellen Geschlechterordnung eine hohe Bedeutung zu – viele Kinder zu haben und diese im völkischen Geiste zu erziehen, ist daher eine Hauptaufgabe für rechtsextreme Frauen. Doch diese lässt sich hervorragend auch strategisch einsetzen, um im persönlichen Umfeld unter dem Anschein bürgerschaftlichen Engagements rassistische Ideologien zu verbreiten.

Immer öfter berichten inzwischen auch Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher oder Eltern, dass sich in Elternvertretungen, Vereinen und allen anderen Bereichen, in denen Kinder bzw. Eltern typischerweise aufeinandertreffen, rechte Frauen präsent sind. Oft wird erst mit der Zeit deutlich, dass sie ihr Engagement für die Verbreitung ihrer Propaganda nutzen: Da organisiert beispielsweise eine Mutter einen Schulbasar, auf dem Bücher aus dem Nationalsozialismus getauscht werden. Kinder, die in rechten Elternhäusern aufwachsen, bringen Puzzles von Deutschland in den Grenzen von 1937 mit oder bemalen sich die Arme mit Hakenkreuzen. Werden die Eltern anschließend in die Schule einbestellt, tauchen die Mütter auf – und wissen angeblich von nichts.

Hoher Beratungsbedarf für Pädagogen

Hier bestehen große Herausforderungen für die Präventionsarbeit und hoher Beratungsbedarf: Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher brauchen Fortbildungen zum Umgang mit rechtsextremen Elternhäusern und insbesondere auch den Kindern, die in ihnen sozialisiert werden. Schließlich sind es immer gleich mehrere Herausforderungen, vor denen Pädagoginnen und Pädagogen in diesen Situationen stehen: Zunächst einmal müssen sie überhaupt wahrnehmen, dass es ein Problem gibt, sie müssen Strategien entwickeln, wie sie mit den Frauen (bzw. Familien) umgehen, sie müssen sich positionieren und dürfen gleichzeitig nicht den Kontakt zu den Kindern aus den rechtsextremen Elternhäusern verlieren. Schließlich müssen sie auch alle anderen Kinder vor rechter Propaganda und Einflussnahme schützen.

Die meisten Kinder, die in rechtsextremen Familien aufwachsen, sind im Moment noch jung. Pädagoginnen und Pädagogen müssen daher in erster Linie mit rechtsextremen Eltern umgehen, manchmal auch vereinzelt mit rechten Schülerinnen und Schülern. Doch schon in wenigen Jahren werden mancherorts mehrere Kinder und Jugendliche in einer Klasse sitzen, für die die Leugnung des Holocausts und ein rassistisches Weltbild zur Normalität gehören. Deshalb ist es dringend geboten, diese Entwicklung in Weiterbildungen und der universitären Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer zu berücksichtigen. Die Auseinandersetzung mit rechtsextremen Einstellungen muss zu einem übergreifenden Bestandteil der Lehramtsausbildung werden, und auch in anderen Ausbildungen und Studiengängen wäre diese Maßnahme sinnvoll.

Denn rechtsextreme Frauen engagieren sich längst nicht nur ehrenamtlich, sondern sind auch der Aufforderung gefolgt, soziale Berufe zu ergreifen. Es gibt rechtsextreme Erzieherinnen, Sozialarbeiterinnen, Pflegerinnen und Hebammen – und dementsprechend Schulen, Kindertagesstätten und Pflegeeinrichtungen, in denen diese Frauen tätig sind.

Sind die Frauen erst einmal in den Berufen angelangt, bleiben sie oft lange unerkannt und schaffen es dennoch, ihre menschenverachtende Ideologie zu verbreiten. Kitas, Schulen oder Pflegeeinrichtungen brauchen fachliche Unterstützung, Fortbildungen und Beratung zu der Frage, wie sie mit rechtsextremen Kolleginnen umgehen können. Denn nicht selten sind die Kollegien verunsichert und zögern, jemanden aus ihrer Mitte zu „denunzieren“. Gerade in Ostdeutschland ist die Hemmschwelle hoch, eine Person wegen ihrer als politische Haltung fehlinterpretierten Ideologie auszuschließen.

Schlussendlich haben wir lediglich eine beklemmende Ahnung davon, wie viele Einrichtungen sich keine Hilfe suchen oder das Problem gar nicht erst erkennen. Gerade im ländlichen Raum wird Rechtsextremismus aufgrund der großen sozialen Nähe der Menschen untereinander nur selten direkt thematisiert, geschweige denn offen bekämpft.

Um dieser tiefen Verankerung rechter Strukturen etwas entgegenzusetzen, ist ein engagierter Einsatz vonnöten – und das Wissen um die Strategien rechtsextremer Frauen. 


[1] Vgl. Thüringer Landtag, Bericht des Untersuchungsausschusses 5/1 „Rechtsterrorismus und Behördenhandeln“, DS 5/8080, 16.7.2014, S. 1582. 

[2] Die hier genannten Beispiele stammen aus den Recherchen von Ulrich Overdieck, vgl. ders., Fallgeschichte 1: Beate Zschäpe, in: Amadeu Antonio Stiftung (Hg.), Rechtsextreme Frauen – übersehen und unterschätzt, Berlin 2014, S. 35-44. 

[3] Ebd. 

(aus: »Blätter« 10/2014, Seite 33-36)