In der rassistischen Realität angekommen

Rechtspopulistische Schwedendemokraten werden drittstärkste Partei im Parlament

Noch vor vier Jahren waren sich politische Kommentator_innen, Forscher_innen und Aktivist_innen recht einig: Die rechte Partei „Sverigedemokraterna“ (Schwedendemokraten, SD) war zwar mit 5,7 Prozent der Stimmen erstmals im Parlament vertreten, was als ärgerlich und schockierend genug angesehen wurde — eine Wiederwahl schien aber niemandem wahrscheinlich. Erstens wurden die SD kaum ernst genommen: zu unprofessionell, personell schlecht ausgestattet und wie die meisten „Ein-Punkt-Parteien“ mies informiert in allen Themen außer ihrer Herzensangelegenheit, der Immigration. Zweitens war auch die letzte rechtspopulistische Partei, „Ny demokrati“, die es in den 1990er Jahren ins Parlament geschafft hatte, eine Ein-Legislaturperioden-Fliege  geblieben. Drittens konnte sich kaum jemand so recht vorstellen, dass die schwedische Bevölkerung ein ähnliches rassistisches Potential aufbringt wie die meisten anderen. All diese Überlegungen wurden am 14. September als fromme Wünsche entlarvt: SD erreichten landesweit 13,3 Prozent der Stimmen und wurden zur drittstärksten Partei in Schweden. Was ist passiert in der skandinavischen Vorzeige-Wohlfahrts-Demokratie?


Jimmie Åkesson, Chef der „Sverigedemokraterna“ | Foto: Johan Wessman © News Øresund (CC BY 3.0)

Seit der Finanzkrise Ende der 1990er Jahre haben zunächst die sozialdemokratische, nun seit acht Jahren die bürgerlich-liberale Regierung eine Privatisierung des staatlichen Sektors betrieben, die in ihrer Radika­lität in Europa ihresgleichen sucht. Kindergärten, viele Schulen, der gesamte Pflege- und Gesundheitsbereich, sogar der Notruf sind privat. Statt der erhofften Steigerung der Effektivität hat die Qualität des Ausbildungs- und Gesundheitswesens abgenommen, Skandale über Wartezeiten in Krankenhäusern oder grobe Vernachlässigung von alten Menschen in Pflegeeinrichtungen häufen sich. Vor allem die bürgerlich-liberale Regierung wurde angeklagt, den staatlichen Besitz spottbillig an Risiko-Kapitalgesellschaften verkauft zu haben, deren vornehmliches Ziel nicht gerade die Einhaltung von Mindeststandards in der Altenpflege ist.

Die Linkspartei trat auch diesmal im Wahlkampf mit der Parole „Keine Gewinne in der Wohlfahrt“ an — nicht ganz realistisch angesichts der breiten Unterstützung aus allen politischen Lagern für die Privatisierung seit 20 Jahren. „Wohlfahrt“ steht dabei für ein Bündel an ehemals staatlichen Leistungen und Einrichtungen, die immer weiter gekürzt und die sowohl von der Linken als auch etwa von SD mit den Verhältnissen der 1960er und 1970er Jahre verbunden werden — dies ist einer der Aspekte, mit denen sich SD als „weder rechts noch links“ präsentieren möchten, denn der Wunsch, zum Wohlfahrtsstaat von vor 40 Jahren zurückzukehren, ist in Schweden eine linke politische Utopie, der sich SD in Teilen anschließen. Eine Utopie in weiter Ferne, die sich laut SD mit einer Einschränkung von Immigration und Familiennachzug um 90 Prozent verwirklichen lassen würde.

Bürgerlich-liberale Migrationspolitik: „Öffnet eure Herzen!“

Schweden ist Mitglied im Schengen-Verband und teilt insofern die europäische Grenz- und Asylpolitik in all ihren schrecklichen Konsequenzen. Dennoch ist Schweden beliebt als Fluchtpunkt, mit Abstand gibt es hier die meisten Asylsuchenden relativ zu den Einwohner_innen. 2013 erhielten rund 50 Prozent der Asylsuchenden in erster Instanz eine Aufenthaltserlaubnis — mit riesigen Schwankungen je nach Herkunftsland, nach Afghanistan und in den Irak etwa wird auch aus Schweden abgeschoben. Diejenigen, die es bis in den Norden geschafft haben und nicht per Dublin-Verordnung sofort abgewiesen werden, können während und nach ihrem Asylverfahren eine große Neuerung der abgewählten Koalition genießen: Asylbewerber_innen haben in Schweden während der Dauer ihres Verfahrens eine Arbeitserlaubnis, und wird ihr Asylgesuch abgelehnt, können sie noch zwei Wochen danach ein Arbeitsvisum beantragen, ohne das Land verlassen zu müssen. Auch die Einreise nach Schweden mit einem neu ausgestellten Arbeitsvisum ist vergleichsweise einfach. Die Mindestanforderungen (relativ niedriges Gehalt, aber gemäß Tarifvertrag, Sozialversicherung, gültiger Pass) sind oft zu erreichen, insbesondere dann, wenn jemand in Schweden bereit ist zu helfen. Gleichzeitig liegt in Schweden die Arbeitslosigkeit bei etwa 8 Prozent, bei den unter 25-Jährigen sogar bei 25 Prozent.

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Einen Monat vor der Wahl, nach einem Sommer voller Kriege weltweit, thematisierte Staatsminister Fredrik Reinfeldt (Moderaterna, „Die Gemäßigten“) die Situation und kündigte an, dass die stark steigenden Flüchtlingszahlen in Schweden den Spielraum für staatliche Investitionen in naher Zukunft weiter einschränken würden. „Öffnet eure Herzen“, bat er die Schwed_innen, und mahnte Geduld an, bis die Migrant_innen voll integriert und nicht mehr nur ein Kostenfaktor sein würden. Was als Erklärungsversuch für die miserablen Staatsfinanzen und als offenes Wort zur Migrationspolitik gemeint war, erwies sich als taktischer Fehler: die Mehrheit derjenigen, die zum ersten Mal SD wählten, kam von der Regierungspartei Moderaterna (das war allerdings schon vor Reinfeldts Rede absehbar)  und wollte offenbar ihre Herzen und Geldbeutel nicht öffnen.

Als eine weitere Konsequenz der bürgerlich-liberalen Regierung mit ihrer relativ europa-freundlichen Politik wird die Zunahme von EU-Migrant_innen gesehen. Bis zu ihrer Ankunft gab es in Schweden kaum sichtbare Armut und Obdachlosigkeit — nun werden die Bettler_innen immer wieder Opfer von tätlichen Angriffen. Es fehlt an einer offiziellen Statistik, aber es ist bereits mehrmals vorgekommen, dass Zeltlager zerstört und die zugehörigen Autos verbrannt wurden. SD ist die einzige Partei, die offen ein Verbot von Bettelei fordert, und damit den Nerv vieler Großstadtbewohner_innen trifft, die kein Elend sehen wollen.

SD und die anderen

SD haben im Gegensatz zu den meisten rechtspopulistischen Parteien ganz klare Wurzeln in der extremen Rechten. Doch die verschiedenen Richtungswechsel, personellen Säuberungen und Abgrenzungsversuche gegen „Rassisten und Extremisten“ scheinen Wirkung zu zeigen — jede siebte Person in Schweden findet nun ein ehemaliges Sammelbecken für rechte Skinheads und Altnazis wählbar. Das wiederum ist für viele schwer zu akzeptieren. Entsprechend thematisierten die meisten der Kampag­nen, Zeitungsartikel, Demoaufrufe etc. gegen SD deren Rassismus und, wie einige gar meinen, „Faschismus“ sowie diverse Skandale wie tätliche Angriffe von SD-Mitgliedern, Veruntreuung von staatlichen Mitteln und personelle Verbindungen zu volksverhetzenden Internetseiten. Dabei sind SD ein Paradebeispiel dafür, wie eine Abkehr von klar neofaschistischer Ideologie und Praxis hin zum Rechtspopulismus rassistische Parolen salonfähig macht und damit einem vorhandenen rassistischen Potential eine Plattform bietet.

Ein weiterer Aspekt ist die neue Stärke der extremen Rechten, von deren Gewalttätigkeit sich SD distanzierten, während sie gleichzeitig deren Themen in die etablierten Medien tragen. Vor allem Mitglieder der „Svenskarnas parti“ (Partei der Schweden, SvP) und von „Svenska motståndsrörelsen“ (Schwedische Widerstandsbewegung) haben im vergangenen Jahr durch tätliche Übergriffe auf linke Personen und Veranstaltungen auf sich aufmerksam gemacht; zudem nehmen die Aufmärsche von SvP in den Städten deutlich zu, was regelmäßig zu Straßenschlachten führt. SD, von eben dieser extremen Rechten als zu weich und zu israelfreundlich beschimpft, scheinen von diesen Manifestationen rechter Gewalt zu profitieren.

Wie weiter?

Die Tatsache, dass eine Partei, die das politische Establishment als undemokratisch ansieht, demokratisch gewählt wurde, scheint die politische Landschaft grundlegend zu verändern. Die bisherige Politik der weitgehenden Isolation von SD im Parlament wird sich in der Praxis kaum konsequent weiterführen lassen. Die schwierige Regierungsbildung ist noch nicht abgeschlossen — wie sehr eine starke rechtspopulistische Partei die Politik einer Minderheitenregierung beeinflussen kann, hat zuletzt das Beispiel Dänemark gezeigt.

Acht Jahre bürgerliche Koalition: Fortführung des sozialdemokratischen Ausverkaufs