Anschlag der Kellner

Er wankte nicht, nicht einmal ins Straucheln geriet Donald Tusk, obwohl ringsum die Erde bebte. Politisch jedenfalls, denn tektonisch zählt das Land zu den ruhigen Gegenden. Die Tusk-Regierung hat derzeit mit dem größten Abhörskandal in der Geschichte Polens zu tun, den Journalisten schnell ein politisches Erdbeben nannten. Mehrere Minister sind betroffen, aktuelle und ehemalige, dazu der Zentralbankchef und weiteres Spitzenpersonal. Immer wurde fein gegessen, edler Wein probiert, die vorgefasste Meinung nicht hinter dem Berg gehalten. Zwei Warschauer Spitzenrestaurants in der Nähe des Sejms, darauf spezialisiert, den heutigen Größen in Politik und Geschäft gewünschte Verschwiegenheit und Intimität zu bieten, waren undicht; von hier gelangten die brisanten Aufzeichnungen in die Welt. Als Verstärker diente das Wochenblatt Wprost, dessen bessere Zeiten lange zurückliegen. Wie das Blatt zu den brisanten Aufzeichnungen kam, liegt im Halbdunkeln, angeblich hat ein Trio gehandelt, ein Kellner, ein Kneipenmanager und ein Jungunternehmer, der mit windigen Geschäften um importierte Steinkohle aus Russland innerhalb weniger Jahre schnell reich geworden ist. Warum die nun aber plötzlich zu Sommerbeginn 2014 dem Blatte das willkommene Material vollkommen kostenfrei übergeben haben sollen, gehört zu den vielen Ungereimtheiten in diesem Fall. An Brisanz lassen die bisher veröffentlichten Materialien jedenfalls nichts zu wünschen übrig. Der Zentralbankchef traf sich mit dem Innenminister und forderte – wirtschaftspolitischer Vernunft wegen – die Ablösung des Finanzministers. Der nun verlor kurz darauf tatsächlich seinen Job, traf sich dann im Frühjahr 2014 mit dem Außenminister, beide stießen auf den allerhöchsten Führer an, damit er ewig lebe, suchten auch sonst eifrig nach dem Haar in der Suppe, also in der Regierung, der sie angehören beziehungsweise angehörten. Dass Außenminister Sikorski dabei auch das Gewicht von Polens transatlantischem Bündnis zu den USA infrage stellte, weil es in Polen ein trügerisches Gefühl von Sicherheit hervorrufe, geht nun als Sensation um die Welt. Aus dem Präsidentenpalast heißt es dazu, man könne eher damit leben, wenn das Oberhaupt der polnischen Bischöfe bekenne, nicht mehr an Gott zu glauben, als mit der Offenbarung des eigenen Außenministers. Kurzum, es ist eigentlich Stoff, der Regierungen zum Rücktritt zwingt. Nicht so die Tusk-Mannschaft, denn Polens Premier machte aus der Regierungskrise prompt eine Staatskrise, aus dem Abhörskandal einen hinterlistigen Anschlag, der schließlich vereitelt worden sei durch forsches Einschreiten entsprechender Organe. Er meinte damit die Suche nach verdächtigen Materialien in den Redaktionsräumen von Wprost, die Funktionäre des Inlandsgeheimdienstes durchführten. Das mündete zwar im geballten Protest der Journalistenwelt; Polens bekannteste Radiomoderatorin meinte gar, alle Journalisten des Landes stünden nun gegen Tusk. Ein Sturm im Wasserglas, denn schnell zeigte sich, dass die tiefe politische Spaltung auch hier beruhigend wirkte. Das Kaczyński-Gespenst wirkte Wunder, denn alle, die den Anführer der Nationalkonservativen nicht zurück ans Regierungsruder wollen, hielten erschrocken inne, weil der Einsatz vorgezogene Neuwahlen hieß. Nachdem die Journalistenfront zerbröselt war, nahm Tusk ganz ungeniert seine Ministerriege in Schutz. Einzelne sollten sich schämen und täten das wohl auch, doch vollbringe man unter seiner Leitung aufopferungsvolle Arbeit allein zum Wohl von Land und Bürgern. Zukünftig müsse jeder seine Zunge besser hüten, weil der Staatsfeind nun überall sein könne, selbst im unschuldigen Kellner könne der stecken. Als der jetzige Anschlag der Kellner noch weit entfernt war, hielt Tusk einem Minister die Treue, den schließlich eine Uhr doch noch zum Rücktritt zwang. An dessen Handgelenk sahen Steuerhüter ein allzu teures Stück, das nirgends deklariert worden war. Ein Geschenk der Ministergattin sei das gewesen, ein Mitbringsel vom Persischen Golf. Um sich nach dem erzwungenen Rücktritt reinzuwaschen, ließ der ehemalige Minister die Uhr dem Werte nach schätzen, wobei sich für alle überraschend herausstellte, dass die kostbare Uhr nur billiges Plagiat war von höchstens 100 Euro. Aus solchem Holz sind Polens Minister geschnitten, nicht alle, aber auffällig viele. Den Ministerpräsidenten ficht das nicht an, er denkt jetzt an Sommerpause, saure Gurkenzeit und des Wählers Angst vor einem Kaczyński-Comeback. Sollte alles gut gehen, wird er 2015 bei den turnusmäßigen Parlamentswahlen erneut antreten, weil guter Dinge eben drei sind. Und auch anderswo wird ja bewiesen, dass fähiges Regierungspersonal es dreimal schafft.