Katzbuckelei

Am 4. Juni stand im Deutschen Bundestag eine Regierungserklärung der Kanzlerin zu einem Treffen der Staats- und Regierungschefs der EU sowie zu dem G7-Gipfel auf der Tagesordnung. Erklärung und Debatte verliefen wie gewohnt und zu erwarten. Bis auf eine Ausnahme. Katrin Göring-Eckardt, eine der Fraktionsvorsitzenden der Grünen, studierte Theologin ohne Abschluss (laut Wikipedia), an der Der Spiegelin einem Portrait besonders bemerkenswert fand, dass sie ein Zimmertrampolin in ihrem Abgeordnetenbüro stehen hat, diese Frau Göring-Eckardt also redete in jener Debatte für ihre Fraktion.
Für Die Linke – als sogenannte Oppositionsführung – hatte zuvor Sahra Wagenknecht gesprochen. Über sie machte sich nun Göring-Eckardt her und monierte, Wagenknecht habe wieder von dem Einfluss der Neofaschisten in der Regierung der Ukraine gesprochen, und setzte fort: „Meine Güte, die haben am Sonntag, als auch die Europawahl stattfand, bei der Wahl zum Präsidenten der Ukraine noch nicht einmal 2 Prozent der Stimmen bekommen. Können Sie das wenigstens einmal zur Kenntnis nehmen, auch wenn das vielleicht einen Moment an Ihrem Weltbild kratzt, Frau Wagenknecht?“ (Zitate nach dem Stenografischen Bericht, www.bundestag.de) Abgesehen davon, ob die zwei Prozent sachlich stimmen – es kommt drauf an, wie die verschiedenen Parteien und Kandidaten in der Ukraine eingeordnet werden –, setzt dieser Verweis doch nicht außer Kraft, dass Personen von der rechtsextremen Swoboda-Partei beziehungsweise aus der rechten Szene, aus faschistischen Parteien, die in Deutschland im Normalfall geheimdienstlich bearbeitet würden, als Mitglieder der Regierung und der Sicherheitsapparate agieren und für das Vorgehen der Truppen der Kiewer Regierung im Osten des Landes maßgeblich mitverantwortlich sind. Selbst der frühere EU-Kommissar Günter Verheugen hatte dies einen Tabu-Bruch in der europäischen Nachkriegsgeschichte genannt. So argumentiert Göring-Eckardt wider das Offensichtliche. Weshalb aber die Kritik an diesen Faschisten in der Regierung der Ukraine durch Wagenknecht aus deren Weltbild kommen soll, bleibt völlig unklar. Es ist dies eine nochmals verstärkte Leugnung der Kiewer Tatsachen.
Weiter meint die Grüne dann: „Dort versuchen Menschen, eine demokratisches Land aufzubauen, dort versuchen Menschen, für Frieden zu sorgen. Sie werden unterstützt, ja, sie werden auch von uns unterstützt. Wer das nicht akzeptiert und wer das nicht mit unterstützt, der stellt sich außerhalb von Friedensbemühungen und außerhalb von Demokratie, Frau Wagenknecht.“ Das Protokoll vermerkt hier Beifall bei Bündnis 90/Die Grünen, bei der CDU/CSU und der SPD. Im Klartext heißt das, die Faschisten in Kiew sind Teil eines „Kampfes um Frieden“, wie er im Osten der Ukraine gerade mit schweren Waffen gegen die dortige Bevölkerung geführt wird. Die Unterstützung dessen ist Ausdruck der Politik der Grünen (dazu klatschen dann auch die Regierungsparteien), und wer dies kritisiert, wie Sahra Wagenknecht, stellt sich außerhalb von Frieden und Demokratie.
Dies hätte eigentlich Anlass sein sollen, dass sich Die Linke, ihre Fraktions- und Parteispitze zur offenen Verteidigung von Wagenknecht aufraffen. Diesen Part versucht von Seiten der Abgeordneten zunächst Sevim Dagdelen zu übernehmen. Sie zitiert „den großen Dichter und Denker“ Bertolt Brecht, der gesagt hatte: „Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher!“ Und dann zählt sie die neofaschistischen Minister in der Kiewer Regierung auf – es sind insgesamt fünf – und verweist darauf, dass bei diesen ach so demokratischen Wahlen in der Ukraine Kandidaten der Linken von Faschisten bedroht wurden und ein Kandidat der Partei der Regionen unter Hausarrest gestellt worden war. Göring-Eckardt wiederholt dann ihre schon vorher eingenommenen Positionen. Als Andrej Hunko für die Linke noch einmal zu dem Sachverhalt Faschisten in der ukrainischen Regierung argumentieren will, wird er durch lautes Gepöbel von Grüner Seite daran gehindert.
Und was tut nun die Linken-Spitze? Sie distanziert sich in Person von Gregor Gysi, Katja Kipping und Bernd Riexinger von Sevim Dagdelen. Es sei „völlig legitim“, dass Göring-Eckardt darauf hingewiesen habe, der Kandidat „der rechtsextremen Swoboda-Partei“ habe bei der Präsidentschaftswahl „sehr schlecht abgeschnitten“. Niemand sei „zur Vollständigkeit seiner Ausführungen im Bundestag verpflichtet“. Dass man mit einer Aneinanderreihung von Halbwahrheiten eine Lüge produzieren kann, wird hier geflissentlich ausgeblendet. Am Ende hieß es: „Eine solche Kritik rechtfertigt aber keinesfalls, der Abgeordneten Göring-Eckardt ein Verbrechen zu unterstellen, sie damit als Verbrecherin darzustellen. Von dieser Äußerung unserer Abgeordneten Sevim Dagdelen distanzieren wir uns.“ (Pressemitteilung vom 5. Juni 2014,www.linksfraktion.de) Von der Kanzel herab. Offensichtlich auch ohne Beschluss eines Fraktions- oder Parteigremiums. Das ist die Wiedereinführung der Parteistrafe auf dem Wege einer Exkommunikation.
Politisch wird dies nur noch getoppt durch die Entschuldigung des damaligen PDS-Fraktionsvorsitzenden beim Obersten Kriegsherrn, George W. Bush, im Jahre 2002 wegen offener Proteste im Bundestag von Abgeordneten der eigenen Fraktion gegen dessen Kriege. Der hatte damals gnädig geantwortet, so sei nun mal die Demokratie. Dagdelen hatte jetzt süffisant kommentiert, dass CDU-Generalsekretär Heiner Geißler dasselbe Brecht-Zitat 1983 in der politischen Auseinandersetzung mit der SPD verwendet hatte, ohne dass sich der CDU-Vorsitzende – er hieß damals Helmut Kohl – oder der damalige Unionsfraktionschef von Geißler distanziert hätten. Bliebe nur hinzuzufügen: Um richtig Politik zu machen, das gilt auch in der Opposition, braucht es halt „Arsch in der Hose“. (Das ist jetzt – im Vergleich heute handelnder Personen zu Kohl – nicht im Sinne der Physis gemeint.)