Halb voll, halb leer oder gar nicht existent?

Die soziale Dimension und Mobilität im Europäischen Hochschulraum - eine Zwischenbilanz

Mit dem Bologna-Prozess war die große Hoffnung auf eine höhere Auslandsmobilität und ein Zusammenwachsen des europäischen Hochschulraums verbunden. Gleichzeitig befürchteten vor allem die StudierendenvertreterInnen und Gewerkschaften, dass die soziale Dimension unterbelichtet bleibt. Martin Unger wirft einen Blick auf den Europäischen Hochschulraum.

Vor rund 15 Jahren ›starteten‹ die HochschulministerInnen von 30 europäischen Staaten den Bologna-Prozess. Aus diesem soll sich einmal der Europäische Hochschulraum (European Higher Education Area - EHEA) entwickeln. Mittlerweile sind 47 Staaten (und die EU-Kommission) diesem Prozess beigetreten, Weißrussland könnte nächstes Jahr aufgenommen werden. Hauptmotiv für diese breite Kooperation im Bildungsbereich war und ist es, die Wettbewerbsfähigkeit und Attraktivität der Hochschulbildung in Europa zu stärken und Studierendenmobilität sowie die "Employability" von Studierenden zu verbessern. Dies sollte zunächst vor allem durch die Vergleichbarkeit von Studienleistungen (ECTS) und Abschlüssen (Bachelor, Master, später auch PhD) erreicht werden. Später kamen noch weitere action lines, z.B. hinsichtlich Qualitätssicherung, hinzu. Seit 2001 ist in den ministeriellen Kommuniqués auch von der "sozialen Dimension" des Hochschulraumes die Rede, was jedoch weitgehend vage blieb. Erst 2007 wurde die soziale Dimension definiert und die Mitgliedsstaaten riefen sich selber dazu auf, nationale Strategien zu entwickeln, um die soziale Dimension des Europäischen Hochschulraumes zu verbessern.

Was ist aus den Mobilitätszielen und den angestrebten sozialen Verbesserungen im Bologna-Prozess geworden? Sind sie den ökonomischen Zielen ›nur‹ untergeordnet oder sind sie gänzlich untergegangen?

Stillstand in Deutschland - Expansion in Europa

Bevor hierauf eine Antwort versucht wird, macht es Sinn, sich den gesamten Hochschulraum, von dem hier die Rede ist, einmal vor Augen zu führen: Er reicht von der Universidad de la Laguna auf Teneriffa bis zur Far Eastern Federal University in Wladiwostok, erstreckt sich also alleine in Ost-West-Richtung über mehr als 15.000 Kilometer. Wie viele Hochschulen es in diesem Raum gibt, ist nicht ganz klar, aber in den 47 Staaten gibt es fast 40 Millionen Studierende - das entspricht grob gesagt der Zahl der EinwohnerInnen Polens.1 Diese "Studierendenrepublik" wäre also der sechstgrößte Mitgliedsstaat der EU. Ein großes Stück dieser Republik wäre dann russisch - in Russland alleine gibt es rund 10 Millionen Studierende. Deutschland steuert mit etwa 2,7 Millionen nur etwas mehr als 7 Prozent aller Studierenden zu diesem Europäischen Hochschulraum bei, gehört aber zusammen mit der Ukraine, der Türkei und dem Vereinigten Königreich dennoch zu den größeren Hochschulsystemen (nach Russland). Absolut gesehen jedenfalls. Bezogen auf die EinwohnerInnenzahl der Länder sind Russland, Litauen, Griechenland und Island die "Großen" (Weißrussland wäre sogar noch etwas größer), während Deutschland zusammen mit Italien, Georgien, Aserbaidschan, Liechtenstein, Malta und der Schweiz aufgrund der geringen Hochschulzugangsquote die Gruppe der kleinsten Hochschulsysteme bildet. In Weißrussland, Litauen und Russland studieren anteilig fast doppelt so viele Menschen wie in Deutschland, oder anders: wäre der Hochschulsektor in Deutschland ähnlich stark expandiert wie in den meisten anderen Ländern des EHEA, müsste es heute in Deutschland etwa 5,4 Millionen Studierende geben. In zahlreichen Ländern hat sich die Zahl der Studierenden in den letzten 15 Jahren mehr als verdoppelt, aber eben nicht von einem niedrigen Niveau aus, sondern in etwa von jenem Niveau aus, auf dem Deutschland heute steht. Während in Deutschland von Rekordzahlen an Studierenden gesprochen wird, sieht das aus Sicht des Europäischen Hochschulraumes also eher nach Stillstand aus.

Ob diese starke Expansion der Hochschulsysteme nun gut oder schlecht ist oder welche Vor- und Nachteile sie mit sich bringt, wäre eine andere (wichtige) Diskussion. Die Zahlenspiele hier sollen nur verdeutlichen, wie groß der Bologna-Prozess inzwischen ist und welche Entwicklungen sich parallel zur Umsetzung des Bologna-Prozesses in anderen Staaten abgespielt haben. Eine Verdoppelung der Studierenden innerhalb von 15 Jahren hieße - alleine um den Status quo zu erhalten - auch eine Verdoppelung der Zahl der Lehrenden, der Hochschulgebäude, der BAföG-EmpfängerInnen, der Wohnheime (die ja heute schon nicht ausreichen) und, und, und. Man kann vermuten, dass das reiche Deutschland mit so einer Entwicklung ziemlich überfordert wäre. Dies sind aber genau jene Gegebenheiten, unter denen im Bologna-Prozess über die soziale Dimension oder die Steigerung von Studierenden- (und Lehrenden-)Mobilität diskutiert wird.

Die soziale Dimension  im EHEA

In den MinisterInnen-Kommuniqués 2001, 2003 und 2007 wurde die soziale Dimension (zumeist auf Druck der europäischen Studierendenvertretung ESU) zwar immer wieder erwähnt, z.B. um die zu steigernde Wettbewerbsfähigkeit mit Maßnahmen zur sozialen Kohäsion sowie dem Abbau von sozialen und genderspezifischen Ungleichheiten ›auszubalancieren‹. Eine konkrete action line wurde dazu jedoch nicht formuliert, d.h. konkrete Umsetzungsmaßnahmen wurden nicht abgeleitet. 2007 wurde dann erstmals versucht das Wortungetüm der sozialen Dimension näher zu definieren. Die MinisterInnen beschlossen damals, dass die Studierendenpopulation, die ein Studium aufnimmt, betreibt oder abschließt, in allen Studienzyklen (BA, MA, PhD) die Diversität der Bevölkerung reflektieren soll. Mit dieser Formulierung sollte die Definition einerseits flexibel für die unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Staaten bleiben und andererseits wurde bewusst vermieden mögliche unterrepräsentierte Gruppen zu benennen, um keine Vetos einzelner Staaten zu riskieren. Die Hoffnung war, dass einige progressive Staaten vorangehen und dadurch Druck auf andere Staaten ausgeübt werde nachzuziehen. Daher wurde in den Begleitdokumenten jedem Staat empfohlen, Daten zur sozialen Dimension zu erheben, unterrepräsentierte Gruppen unter den Studierenden zu identifizieren und dann eine nationale Strategie vorzulegen, wie diese Unterrepräsentanz abgebaut werden kann. Es gab detaillierte Dokumente, wie eine derartige Strategie aussehen könnte und welche Punkte sie umfassen sollte (z.B. auch Einbeziehung der Betroffenen, also der Studierenden, auf allen Ebenen oder nicht-monetäre Leistungen wie Zugang zu psychologischer Beratung). EUROSTAT, EURYDICE und das Projekt EUROSTUDENT wurden ebenfalls aufgefordert, hierzu einen Datenbericht vorzulegen (was sie 2009 und 2012 auch taten).

Irland und England hatten bereits Aktionspläne, die in die vorgeschlagene Richtung gingen und einige skandinavische Staaten arbeiteten an solchen Plänen. In den anderen erhofften ›Vorreiterstaaten‹ kam es entweder zu Regierungswechseln oder tragende Personen wechselten ihren Job. Das verdeutlicht auch, wie stark Fortschritte auf diesem Gebiet personenabhängig sind. Die Hoffnungen wurden daher weitgehend enttäuscht und die Weiterentwicklung der sozialen Dimension im Bologna-Prozess kam zu einem Stillstand. Dass sie nicht völlig aus dem Blick geriet, war wiederum vor allem der Europäischen Studierendenvertretung zu verdanken. Und wohl auch der Tatsache, dass "Soziales" auch ein Thema zur Beruhigung des schlechten Gewissens ist. Niemand steht auf und sagt, das sei überflüssig oder gehöre aus dem Bologna-Prozess gestrichen. Aber viele können offenbar gut damit leben, dass es vage bleibt und Säumigkeiten bzgl. beschlossener Maßnahmen, wie Aktionspläne zu entwickeln bzw. deren Umsetzung, nicht sanktioniert werden (können).

Inzwischen aber sind andere Staaten aktiv geworden und neue Initiativen wurden gestartet. Zum Beispiel hat Estland eine "equity-Strategie" entwickelt, Rumänien hat unter Einbeziehung internationaler ExpertInnen eine Bestandsaufnahme, einen equity-Report erstellt und wird daraus einen Aktionsplan ableiten. Kroatien setzt zunehmend Aktionen im Bereich der sozialen Dimension und hat ebenso wie Litauen und Armenien internationale ExpertInnenteams zur Unterstützung bei der Entwicklung einer nationalen Strategie der sozialen Dimension eingeladen, um die Unterrepräsentanz spezifischer Gruppen von Studierenden in ihren Hochschulsystemen abzubauen. Aus dem Bologna-Prozess heraus wurde ein Peer-Learning-Verfahren angestoßen, in dem Staaten und Hochschulen konkrete Maßnahmen im Rahmen der sozialen Dimension vorstellen und von den Erfahrungen anderer lernen können. Noch nie wurden in so vielen Staaten Studierenden-Sozialerhebungen durchgeführt wie 2013/14 und die vergleichende Darstellung der Ergebnisse im EUROSTUDENT-Report wird trotz Finanzkrise erstmals von allen beteiligten Staaten auch kofinanziert. Im Bologna-Prozess selbst wird derzeit an einer konkreten Strategie zur Umsetzung der sozialen Dimension gearbeitet, die von den MinisterInnen auf dem nächsten Gipfel 2015 in Eriwan beschlossen werden soll.

Die oben beschriebene starke Expansion der Hochschulsysteme ist allerdings nicht nur auf höhere Übertrittsraten von den Schulen ins Hochschulsystem zurückzuführen, sondern auch auf eine Ausweitung im Sinne des lebensbegleitenden Lernens. Mehr ältere Studierende, mehr Teilzeitstudierende, mehr berufsbegleitend Studierende tragen in vielen Staaten zum Wachstum der Studierendenzahlen bei. Für die Verbesserung der sozialen Dimension stellt diese zunehmend heterogene Studierendenpopulation mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Problemlagen eine weitere Herausforderung dar. Ein 35-jähriger, berufstätiger Student mit Familie hat andere Schwierigkeiten als eine 18-jährige Abiturientin - und das unabhängig von oder vielmehr zusätzlich zu ihren unterschiedlichen sozialen Hintergründen. Daher lautet der Arbeitstitel der erwähnten Strategie auch "Entwicklung der sozialen Dimension und des lebensbegleitenden Lernens bis 2020". Insbesondere was lebensbegleitendes Lernen an den Hochschulen betrifft, hat Deutschland Nachholbedarf und kann sicherlich von der Ausformulierung dieser Strategie profitieren.

Wie bereits die Zehn-Jahres-Evaluierung des Bologna-Prozesses feststellte,2 ist die soziale Dimension sehr heterogen definiert, sie ist eine Querschnittsmaterie und bisher ohne konkrete Maßnahmen oder Vorgaben sehr vage geblieben. Daher ist aus Sicht des gesamten Europäischen Hochschulraumes kaum zu beurteilen, welche Veränderungen in diesen Bereichen, trotz oder wegen Bologna, passiert sind. Andererseits muss man auch bedenken, dass die Verbesserung der sozialen Lage der Studierenden und der Abbau von Ungleichheiten neben national sichtbaren Maßnahmen (wie z.B. Studienförderung) auch viele konkrete Maßnahmen vor Ort an den Hochschulen und bereits zuvor in den Schulen benötigt (z.B. Beratung, Mentoring). Viele dieser ›kleinen Maßnahmen‹ werden aber kaum je zur Kenntnis genommen, geschweige denn international wahrgenommen. Nur große, landesweite Maßnahmen seitens der Politik werden bemerkt, insbesondere dann, wenn es sich um Verschlechterungen (z.B. Kürzung der Stipendien) handelt. Daher entsteht zu leicht der Eindruck, es würde im Bereich der sozialen Dimension nichts passieren und wenn, dann gebe es nur Rückschritte. In manchen Staaten mag das stimmen, in anderen passiert auf nationaler Ebene praktisch nichts, während z.B. gleichzeitig viele Initiativen an den Hochschulen gesetzt werden. Daher lässt sich eine Veränderung der sozialen Situation der Studierenden nur valide bewerten, indem man die Studierenden selbst (be)fragt. Ob die Zusammensetzung der Studierendenpopulation nach sozialen, regionalen, Gender- oder anderen Kriterien ausgewogener ist, ließe sich mit amtlichen Daten evaluieren, sofern die entscheidenden Merkmale flächendeckend erfasst werden. Aber selbst unter den besten aller Voraussetzungen wird es nie möglich sein alle Veränderungen ursächlich auf den Bologna-Prozess zurückzuführen. Dafür überlagern sich die Einflüsse des Bologna-Prozesses viel zu sehr mit politischen Veränderungen auf nationaler Ebene, der EU-Politik, ökonomischen Rahmenbedingungen etc..

Offensichtlich ist jedoch, dass zum Abbau sozialer Ungleichheiten an den Hochschulen auch das Schulsystem beitragen müsse. Dies fällt aber oft in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Ministeriums, einer anderen Gebietskörperschaft (Gemeinde, Land, Bund) und/oder einer anderen Partei und wird daher im Bologna-Prozess nur sehr vorsichtig formuliert bzw. gefordert. Veränderungen im Schulsystem sind jedoch der Schlüssel, um die soziale Zusammensetzung der Studierendenpopulation nachhaltig zu verändern. Mit Stipendiensystemen oder ähnlichen nachlaufenden Maßnahmen werden nie vergleichbare Effekte erzielt werden können. Diese aber stehen häufig im Mittelpunkt der Diskussionen, strukturelle Veränderungen jedoch nicht.

Internationale Mobilität

Auch auf dem Gebiet der internationalen Mobilität wurde lange kritisiert, dass der Bologna-Prozess eher vage bleibt (z.B. "Attraktivität steigern", "Studierenden- und Lehrendenmobilität ausweiten"), dass undefiniert bleibt, was eigentlich genau unter Mobilität verstanden wird, wie die angestrebten Veränderungen konkret erreicht werden sollen und dass die Datenlage für eine Bewertung unzureichend ist. Beim letzten MinisterInnengipfel 2012 in Bukarest wurde jedoch eine eigene Mobilitäts-Strategie beschlossen, die EU als einziger finanzkräftiger Partner zu mehr Engagement im gesamten EHEA aufgefordert (was sich ansatzweise in ERASMUS+ niederschlägt) und auch die Datenlage verbessert sich langsam.

Studierendenmobilität nimmt weltweit zu, so auch der Zustrom von Studierenden von außerhalb Europas in den EHEA. Allerdings konzentriert sich dieser stark auf die großen westeuropäischen Staaten (und Ex-Kolonialherren) Großbritannien, Frankreich, Spanien und Deutschland. Insofern ist der EHEA zwar attraktiver geworden, aber in sich auch ungleicher. Auch innerhalb des EHEA hat die Studierendenmobilität stark zugenommen, jedoch hat ERASMUS hierbei - unabhängig vom Bologna-Prozess - einen großen Anteil. Zugenommen hat sowohl die degree-mobility, also das Absolvieren eines ganzen Studiums im Ausland, als auch die credit-mobility, also das Absolvieren eines Teils des Studiums im Ausland. Letzteres übrigens auch nach der Finanzkrise und in besonders davon betroffenen Ländern, wie Orr und Haaristo kürzlich gezeigt haben.3 Schaut man sich die Mobilitätsströme jedoch im Detail an, so wird ersichtlich, dass Studierendenmobilität hauptsächlich zwischen den Staaten Westeuropas stattfindet und auch hier teilweise eher in eine Richtung (von Nord nach Süd) denn bilateral abläuft. Zwischen West- und (Süd-)Osteuropa hat zwar die Studierendenmobilität ebenfalls zugenommen, bleibt aber deutlich hinter den Wachstumsraten im Nordwesten zurück. Unterscheidet man die Bologna-Staaten nach ihrer Wirtschaftskraft, so lässt sich folgern, dass Studierendenmobilität innerhalb des Clubs der Reichen stattfindet. Kein Wunder, wird doch von Studierenden nahezu aller Staaten die Finanzierung als das Haupthindernis eines Auslandsaufenthaltes gesehen. Weitere Hindernisse sind Visaprobleme, unzureichende Anerkennung von im Ausland erbrachten Studienleistungen und die Vereinbarkeit eines Auslandsaufenthalts mit den eigenen Lebensumständen, was umso gravierender wird, je älter die Studierenden sind (Job, Partnerschaft, Kinder).4

Diese starke Konzentration der Mobilitätsströme auf (Nord-)Westeuropa ist andererseits symptomatisch für den ganzen Bologna-Prozess: Bisher beschränken sich die treibenden Kräfte innerhalb des großen EHEA auf einige wenige (westliche) Staaten und natürlich die EU. Aber Abstimmungsprozesse und Entscheidungen müssen mit 47 Playern getroffen werden, in föderalen Staaten kommen noch Subeinheiten (Länder, Kantone...) hinzu. Das Ganze wird organisatorisch von einem kleinen Sekretariat begleitet, das in jeder Periode von unterschiedlichen Staaten betrieben wird. Der Bologna-Prozess als solcher verfügt über keinerlei finanzielle Mittel. Daher dreht sich alles um Empfehlungen und (nicht sanktionierbare) Selbstverpflichtungen der Staaten. Sie müssen alle Initiativen auch tatsächlich umsetzen und finanzieren. Das kann dauern, insbesondere wenn die Regierung und damit die Prioritäten wechseln. Aber Armenien, das derzeit für drei Jahre das Bologna-Sekretariat führt, ist ein Beispiel dafür, dass sich zunehmend auch Staaten von außerhalb der EU stärker im Bologna-Prozess engagieren. Die EU selbst leistet teilweise Anschubfinanzierungen (z.B. bei der Unterstützung von Pilotprojekten oder Berichten) und ist das einzige Mitglied, das über international einsetzbare finanzielle Ressourcen verfügt. Aber es gibt nur einen sehr begrenzten Rahmen, in dem die EU finanzielle Unterstützungen auch außerhalb ihrer Mitgliedsstaaten leisten darf (z.B. Erasmus Mundus oder einige Förderschienen im Forschungsbereich).

Über Lehrendenmobilität ist dagegen viel weniger bekannt und die strukturellen Hindernisse (Arbeitserlaubnis, Sozialversicherungen) sind zum Teil noch größer als bei den Studierenden. Auch hier engagiert sich in erster Linie die EU, aber die Mobilitätsquoten sind und bleiben sehr niedrig.

Fazit

Es ist schwer zu sagen, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Studierendenmobilität nimmt im Großen und Ganzen zu, aber in sehr ungleichem Ausmaß, nämlich vor allem zwischen den reicheren Staaten Westeuropas. Dies wird sich in absehbarer Zeit auch mit vielen Strategien nur schwer ändern. Zurzeit scheint es allerdings für die soziale Dimension eine leicht positive Welle zu geben, aber was dann wirklich auf nationaler Ebene umgesetzt wird, bleibt fraglich. Man braucht ja nur zu fragen, wie viele nationale Aktionspläne zum Abbau sozialer Ungleichheiten an den Hochschulen mittlerweile vorgelegt wurden, nachdem die MinisterInnen dies bei ihrem Gipfel 2007 für alle Bologna-Staaten beschlossen haben. Auch Deutschland benötigt für die Ausformulierung dieses Plans offenbar mehr als sieben Jahre.

Anmerkungen

1) Diese und die folgenden Zahlen stammen vom Statistikinstitut der UNESCO und beziehen sich auf 2009 (also auf die Zeit vor der Finanzkrise!), nur die Zahlen für Deutschland stammen aus 2011.

2) CHEPS; INCHER, ECOTEC 2010: The Bologna Process Independent Assessment. The first decade of working on the European Higher Education Area.

3) Dominic Orr, Hanna-Stella Haaristo 2014: Seismic - Student and staff mobility in times of crisis. Bericht für den DAAD.

4) Siehe http://www.eurostudent.eu.

Martin Unger ist Hochschulforscher am Institut für Höhere Studien in Wien und Lektor an zwei Wiener Universitäten. Unter anderem arbeitet er an der Studierenden-Sozialerhebung in Österreich und dem internationalen Vergleichsprojekt EUROSTUDENT mit. 2005-07 war er Delegierter in der internationalen Arbeitsgruppe "Soziale Dimension und Mobilität" des Bologna-Prozesses, in der er zurzeit als Projektleiter eines EU-Projektes wieder involviert ist.