Open Source Biologie

Interview mit Rüdiger Trojok

Ein Ziel vieler AnhängerInnen der DIY-Bio-Szene ist es, die Dinge, die für wissenschaftliches Arbeiten und die Entwicklung neuer biotechnologischer Features benötigt werden, frei zugänglich zu halten. Sie orientieren sich damit an den Entwicklungen der freien Software, die zunehmend als Erfolgsmodell gewertet wird. Interview mit Rüdiger Trojok.

Rüdiger Trojok ist Biohacker in Berlin. Im Moment schließt er sein Biologie-Studium (Diplom) ab. Vom 24. - 26. Januar 2014 ist er Teil des Projektes „DIY Bio Lounge und Bio-hackathon“ im Art Laboratory Berlin (www.artlaboratory-berlin.org) in Verbindung mit der Transmediale,  Ausstellung und Kongress zu Verbindungen zwischen Kunst, Kultur und Technologie (www.transmediale.de).

 

In der DIY-Bio-Szene werden oft Bezüge zum Open-Source-Ansatz der Software-Entwicklung hergestellt - was genau hat es damit auf sich?

Der Impuls, Biologie als Technologie aufzufassen, kommt aus der Forschung im Bereich der so genannten Synthetischen Biologie.(1) Diese wird maßgeblich von ein paar Laboren in den USA vorangetrieben, deren Professoren aus den Informationstechnologien, IT,  in die Biologie gewech-selt sind. Beispielsweise Drew Endy, meines Wissens auch jemand, der sich maßgeblich für eine Open-Source-Entwicklung einsetzt.

 

Wie ist das Verhältnis zwischen Synthetischer Biologie und DIY-Biotech-Szene? Gehören die zwei zusammen?

Nein, nicht direkt. Natürlich beschäftigen sich beide mit Biologie. Das eine, die Synthetische Biologie, ist jedoch eine sehr teure akademische Forschung. Das andere ist ein Hobby. Insofern unterscheiden sich die durchgeführten Projekte natürlich ganz erheblich. Gemeinsam haben beide Bereiche eigentlich nur, dass sie Biologie als programmierbare Technologie, man nennt es jetzt oft Wetware, ansehen. Die DIYbio-Szene hat diesen Ansatz aufgegriffen und eigenständig weiterentwickelt. Man schaut sich derzeit die Methoden aus der Biotech-Forschung an und vereinfacht sie so weit, dass man möglichst alle verwendeten Chemikalien und Geräte durch haushaltsübliche Materialien ersetzt. Die Anleitungen stellt man dann für alle frei zugänglich online. Dazu passt auch, dass die Open-Source-Entwicklung in der Computerbranche Anfang der 1980er Jahre ebenfalls maßgeblich von privaten Bastlern vorangetrieben wurde.

 

Mit Open-Source werden verschiedene Dinge verbunden. Was steht für Sie im Vordergrund?

Wenn man es ganz nüchtern betrachtet, bauen wir gerade im Wesentlichen Laborgeräte nach und vereinfachen Protokolle für Versuche, die die moderne biologische Forschung in den letzten Jahren etabliert hat. Damit soll die Technologie billiger und auch für Heim-Anwender verfügbarer werden. Die Anleitungen werden online kostenlos ausgetauscht. Zum Beispiel auf Webseiten wie instructables.com. Das ist im Grunde aber eher Open Hardware. Eine weitere Sache ist, den Open-Source-Begriff auf den genetischen Code auszudehnen. Hier sieht man erste Ansätze. Zum Beispiel sind kürzlich eine Reihe von Start-up-Unternehmen aufgetaucht, die ein kollaboratives, offenes Designen von Gensequenzen online ermöglichen. Das heisst, man hat ein Computerprogramm, oder auch nur eine Web-Applikation, in der man digital gemeinsam mit anderen an Gensequenzen und zellulären Netzwerken, die Funktionen, die man einem Organismus geben möchte, modellieren kann. Und natürlich sind ja auch die ganzen biologischen Datenbanken wie zum Beispiel die Protein Data Bank  oder die NCBI (2) auch Open-Source, das heißt offen zugänglich. Dort sind unter anderem die Informationen über alle bisher sequenzierten Genome gespeichert. Die DIYbio-Szene arbeitet sich so allmählich in diesen Bereich vor - ist aber noch ziemlich am Anfang. Denkt man das aber weiter, erscheint das Potential, den Gencode so zu verwenden, riesig - man bekommt eine ungefähre Vorstellung davon, wenn man sich ansieht, wieviele sequenzierte Gene in den öffentlichen Datenbanken eingetragen sind. Prinzipiell kann man das jetzt alles verwenden um neue Organismen zu bauen. Nehmen wir als Beispiel das Glowing-Plant-Projekt, das über das Portal kickstarter.com über 500.000 Dollar Spenden gesammelt hat. Das Projekt ist zunächst der DIY-Szene zugeordnet worden, ist aber genau genommen ein professionelles Start-up-Unternehmen, was man auch an der involvierten Geldsumme sehen kann. In einem reinen DIY-Labor mit Equipment, das auf eBay ersteigert worden ist, würde sowas derzeit keinen Sinn ergeben. Es gibt in dem Projekt aber auch ein paar Akteure aus dem Umfeld der DIY-Bio-Szene. Sie helfen mit, die Gensequenzen am Computer zu entwickeln, die die Profis des Start-ups dann im Labor anwenden wollen. Das theoretische Potential - die Simulation am Computer - scheint also vorhanden zu sein, praktisch gibt es bei der Umsetzung aber noch Hürden. Allerdings ist nicht gesagt, dass die Computersimulation, die daheim gemacht wurde, in der Praxis dann auch immer funktioniert. Es ist unklar, ob die Theorie weit genug entwickelt ist.

 

Gibt es denn DIY-Labore, in denen derart komplexe Forschung betrieben werden kann, und wo es zum Beispiel schon so etwas wie Gensynthese-Maschinen gibt?

Es kommt darauf an, wer das Experiment macht. Es gibt viele Profi-Biologen in der DIY-Bio-Szene, die auch beruflich mit Biologie oder Biotechnologie zu tun haben. Derart vorgebildet sind sie natürlich durchaus in der Lage, komplexe Wissenschaft zu betreiben, haben aber in der Regel in ihren Freizeit-Laboren nicht das Geld dazu. Allerdings muss komplexe Forschung nicht immer teuer sein. Man kann auch clevere Experimente mit wenig Geld machen. Die Amateure in der Szene halten sich für gewöhnlich an bereits etablierte Experimente und kaufen sogenannte „Kits“ (3) ein, wenn es um Molekulargenetik geht. Oft vergleichbar mit dem, was man auch im Biologieunterricht an Schulen macht. Es gibt auch einige Künstler, die die Techniken einsetzen. Die Eintrittshürde für solche Experimente sinkt relativ schnell. Bisher gibt es jedoch noch keine Heim-Gensynthesizer. Alle, die Experimente mit neu designter DNA gemacht haben, haben diese von Firmen eingekauft. Das ist viel einfacher und günstiger und wird auch auf absehbare Zeit so bleiben.

 

Kann man den Gencode wirklich wie einen Computer-Code behandeln?

Ja und nein. Die Behauptung, das würde gehen, kommt von den oben bereits erwähnten amerikanischen IT-Professoren, die in die Biowissenschaften wechselten. Sie haben diese Behauptung einfach mal aufgestellt. In der Tat, der genetische Code des Lebens ist ein abstrakter Buchstaben-Code. Zudem ist er in so etwas wie „logische Bausteine“ aufgeteilt, also Gene und weitere DNA-Abschnitte, die die Gene regulieren. Man kann mit diesen Bausteinen, die Biobricks genannt werden, am Computer so arbeiten, wie das mit einem Programmiercode getan wird. Dabei schreibt man dan einfach die Basenabfolge des Gencodes digital um. Aber in der Natur sieht die Sache etwas anders aus. Am Computer benutzt man zum Beispiel elektrischen Strom für die logischen Operationen. Es spielt kaum eine Rolle, wie viel davon gebraucht wird. Der Computer-Code besteht auch nur aus Elektronenströmen. In der Natur wird stattdessen chemische Energie benötigt und der Code - beziehungsweise das ausgeführte biologische Programm - besteht aus Molekülen. Will man ein solches Programm ausführen hat das erhebliche praktische Konsequenzen, vor allem was die Verfügbarkeit von Energie und Material angeht. Meistens klappt das nämlich noch gar nicht gut, da das Material nur langsam diffundiert und völlig anders kontrolliert wird, als man das von Strömen auf Platinen - in Computern - kennt. Die Folge ist, dass die umprogrammierten Organismen das Programm nicht ausführen oder sich nicht vermehren - oder es einfach von selbst wieder löschen. Evolutionär haben sie ja keinen Vorteil davon, es wird ausselektiert. Der scheinbare Nachteil beim Programmieren des genetischen Codes ist aber auch ein riesiger Vorteil. Denn man kann Organismen herstellen, die für uns effizient nützliche Dinge tun. Man bräuchte im Prinzip gar keine industrielle Fertigung mehr - nur noch die abstrakte Information! Zudem würde man als Rohstoffe für die umprogrammierte Zelle im Grunde nur Luft, Licht und ein paar gewöhnliche Mineralien benötigen. Um das Beispiel von eben wieder aufzugreifen: Was die Machbarkeit des Glowing-Plant-Projektes angeht, bin ich ausgesprochen skeptisch - denn sichtbares Licht zu generieren kostet Unmengen an Energie. Aber nichtsdestotrotz wäre es natürlich sehr praktisch, energie- und ressourcensparend, wenn es funktionieren würde.

 

Ein Code muss ja auch gelesen werden. Wie weit trägt der Vergleich Gencode/Computer-Code in Bezug auf das „Lesende“?

Eine interessante Frage. Ich denke man sollte zum Beispiel ein Bakterium, das eine eingeführte Gensequenz abliest, eher mit einer Maschine, die Computer-Codes interpretiert, vergleichen. Allerdings ist das natürlich eine reduktionistische Betrachtung. Die Natur ist viel komplexer. Jedes Enzym für sich genommen erscheint mir zwar schon wie eine Maschine. Ein ganzer Organismus aber „lebt“, obwohl er ja im Grunde aus einzelnen Maschinen besteht. Das, was Leben ausmacht, liegt also wohl an dem Zusammenspiel der Maschinen - ich denke hier an die Informationsnetzwerke, die das alles koordinieren. Der Science-Fiction-Autor Stanislav Lem hat von der Evolution des genetischen Codes als „materiellem Denkprozess“ gesprochen. Vielleicht trifft es das besser. Diese Frage der Betrachtung ist noch nicht wirklich geklärt. Aber mit der Computeranalogie kommen wir der Sache in meinen Augen etwas näher. Und hoffentlich funktioniert dann auch der Open-Source-Ansatz bei Wetware genau so gut wie bei Software. Wer weiss, vielleicht haben wir in 20 Jahren ein genetisches Wikipedia und ein zelluläres Linux, das kostenlos und frei kopierbar ist und allen zugutekommt?

Das Interview führte Christof Potthof.

Fußnoten:

(1) Zur Synthetischen Biologie siehe den Artikel „Frickler, Gründer, Bürgerforscher” auf Seite 18 in diesem Heft.

(2) www.pdb.org; National Center for Biotechnology Information unter dem Dach der US-amerikanischen National Institutes of Health (NIH), im Netz www.ncbi.nlm.nih.gov.

(3) Als „Kits“ werden gebrauchsfertige, einfache Pakete bezeichnet, in denen mehr oder minder alle für einen Versuch notwendigen Utensilien inklusive einer detaillierten Beschreibung vorhanden sind