Oury Jalloh – DAS WAR MORD!

Ein neues Brandgutachten zum Tode von Oury Jalloh widerlegt die Version der Selbstentzündung und Selbsttötung

Oury Jalloh, geboren am 2. Juni 1968 in Kabala/Sierra Leone, kam am 7. Januar 2005 durch einen Brand im Keller des Polizeireviers Wolfgangstraße 26 in Dessau (Sachsen-Anhalt) ums Leben. Schon kurz nach dem Tod von Oury Jalloh hatten sich Menschen zusammengeschlossen, die die Selbsttötungsthese von Polizei und Staatsanwaltschaft nicht akzeptieren konnten (die GWR berichtete). Sie beauftragten Rechtsanwält_innen, sammelten Gelder, ließen eine zweite Obduktion auf eigene Kosten durchführen und kämpfen seither als „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ um die Wahrheit.

 

Dass sie selbst dabei von der Staatsanwaltschaft und Polizei verfolgt und kriminalisiert wurden, Razzien und Schikanen erleben mussten und einige von ihnen auf Demonstrationen durch Polizeigewalt schwer verletzt wurden, konnte sie nicht zum Schweigen bringen.

Allein durch die Kraft dieser Initiative konnten die ungeheuerlichen Vorgänge auf dem Polizeirevier Dessau-Roßlau benannt und auch international bekannt gemacht werden.

 

Da die Gerichte die bisherigen Brandgutachten immer sehr eng formuliert vorgegeben hatten (Fragestellung in etwa: „Wie war es möglich, dass Oury Jalloh sich selbst anzünden konnte?“), beschloss die Initiative ein umfassenderes und unabhängiges Brandgutachten erstellen zu lassen.

Sie beauftragte schließlich den Brandsachverständigen und Thermophysiker Maksim Smirnou aus Waterford (Irland), Brandver­suche nicht nur zur Brandentstehung sondern vor allem auch zum Brandverlauf durchzuführen und die Ergebnisse mit dem Brandbild in der Dessauer Zelle zu vergleichen.

Ein Polizeivideo, das kurz nach dem Feuer aufgenommen wurde, zeigt den Leichnam von Oury Jalloh, auf dem Rücken liegend bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Die weißen Kacheln der Zelle sind durch schwarzen Ruß dunkel gefärbt – eine Kachel ist geborsten.

Die Fragestellung war also: Was muss geschehen sein, damit ein menschlicher Körper und eine feuerfeste Matratze nach einem Feuer so aussehen, wie auf dem dokumentierten Brandbild der Zelle 5 vom 7. Ja­nuar 2005?

In einem Nachbau der Dessauer Zelle wurden Schweinekadaver, die mit T-Shirts und Jeans bekleidet waren, auf einer Matratze mit feuerfester PVC-Hülle positioniert. Dann führte der Sachverständige Smirnou die unterschiedlichen Brandversuche durch.

Um die Selbstanzündungstheorie der Gerichte zu überprüfen, wurde beim ersten Test versucht, die Matratze mit einem Feuerzeug anzuzünden.

Dies gelang erst nach Aufreißen der Matratzenhülle und es entstand ein Schwelbrand im darunter liegenden Schaumstoff. Dieser entwickelte weißen Rauch und farblose bzw. matte Rußablagerungen an den Kacheln. Nach über einer Stunde war weniger als die Hälfte der Matratze verbrannt, eine Verbrennung von Kleidungsstücken entstand nur bei Kontakt mit dem Schwelbrand an den Auflageflächen. Die Oberseite des Schweinekadavers wies keine Verbrennungen auf. Ein Feuerzeug, das unter den Körper gelegt worden war, blieb unbeschädigt und funktionsfähig.

Auch durch die nachfolgenden Versuche (Entfernung der gesamten feuerfesten Oberseite der Matratze, Verwendung von Alkohol, Grill-Anzünder oder Verwendung von 2 Litern Benzin) konnte das Dessauer Brandbild nicht erzeugt werden.

Erst nach Entfernung der ganzen feuerfesten Matratzen-Oberseite und durch die Verwendung von 5 Litern Benzin (Kanister) kam es zu einer explosiven Feuerentwicklung mit „unmittelbarem Durchzünden“ des gesamten Materials („flashover“), die dann – zum Schutz der technischen Gerätschaft nach einer Minute gelöscht werden musste.

Es entstand der benzintypische schwarze Rauch und Kacheln waren unter der Hitzeentwicklung geborsten. Der Schweinekörper wies „umfängliche Hautdurchkohlung“ auf, wie sie auch bei Oury Jalloh vorgefunden worden war.

Das unter den Schweinekörper gelegte Feuerzeug blieb in Form und Farbe erhalten – ganz im Gegensatz zu dem Feuerzeug, das nach dem Brand in der Dessauer Zelle „gefunden“ wurde, bei dem der gesamte Plastikanteil zu schwarzer Masse verschmolzen war. Dieses verbrannte Feuerzeug soll laut Aussagen von Beamten unter dem Leichnam Oury Jallohs ge­legen haben.

Die Tatsache, dass bei den Versuchen hohe Konzentrationen von Cyaniden (Blausäure-Verbindungen) ausschließlich bei der Verwendung von Benzin und Grill-Anzünder auftraten – nicht jedoch bei den Tests ohne Brandbeschleuniger – könnte die Vermutung unterstützen, dass Benzin benutzt wurde, denn bei Oury Jalloh wurden Cyanide im Körper nachgewiesen.

Der Sachverständige Smirnou kommt zu dem Schluss, dass alle Testergebnisse toxikologisch und pathologisch überprüft werden müssen, um die tatsächliche Ursache des Todes von Oury Jalloh zu klären.

 

Indizien und Beweise

Auf der Pressekonferenz am 12. November 2013 in Berlin, auf der die Oury-Jalloh-Initiative dieses Brandgutachten vorstellte, wurden weitere Widersprüche und Ungereimtheiten benannt.

Die Aussage eines vom Mag­deburger Landgericht beauftragten Brandsachverständigen, der annimmt, dass der Brand-Ausbruchsort im Bereich einer geplatzten Wandfliese in der Nähe der rechten Handfessel lag, ist fragwürdig. Wenn das Feuer dort entstanden wäre und der Gefangene an einem inhalatorischen Hitzeschock gestorben ist, also die heiße Luft eingeatmet haben muss, dann hätte er – aufgrund der durch die Hitze verursachten Schmerzen – gebeugt seitlich liegen müssen.

Menschen, die einem Hitzeschock erliegen, sterben in der momentanen Körperhaltung und diese verändert sich da­nach auch nicht mehr. Da der Leichnam aber auf dem Rücken liegend aufgefunden wurde, war Oury Jalloh entweder nicht bei Bewusstsein, dann kann er sich nicht selbst entzündet haben – oder das Feuer ist von allen Seiten explosionsartig entstanden.

Im Leichnam wurde das Hormon Noradrenalin nicht nachgewiesen, das innerhalb weniger Sekunden in Streßsituationen im Urin gemessen werden kann. Es stellt sich erneut die Frage, ob Oury Jalloh überhaupt bei Bewusstsein war.

Das von der Polizei präsentierte verkohlte Feuerzeug, mit dem sich der Gefangene angezündet haben soll, weist weder DNA-Spuren von ihm noch Faserspuren von seiner Kleidung auf. Stattdessen hafteten dem Feuerzeug große Mengen von Faserresten an, deren Herkunft nicht geklärt wurde, weil das Magdeburger Gericht weitere Analysen ablehnte.

Da also ausgeschlossen werden kann, dass das Feuerzeug jemals in Kontakt mit Oury Jalloh oder der Matratze war, kann die Hypothese der Selbstentzündung nicht mehr aufrechterhalten werden, da hierfür ein nachvollziehbares Tatwerkzeug fehlt.

Das vollständige Video, das das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt am Brandort aufnehmen ließ, ist verschwunden oder gelöscht. Die Aufnahmen brechen nach ca. 4 Minuten aus sich widersprechenden Begründungen ab. Das Video hätte zeigen können, ob sich tatsächlich ein Feuerzeug unter dem Körper des Toten befand.

Das Fahrtenbuch zweier Polizei-Beamter ist verschwunden, wodurch nicht mehr geklärt werden kann, was die beiden in der Zeit zwischen der Festnahme und dem Brandausbruch ge­macht haben.

Das elektronische Festnahmeprotokoll zu Oury Jalloh ist – offensichtlich per Hand – gelöscht worden.

Die rechte Handfessel wurde zwei Wochen nach dem Brand auf Anordnung des Verwaltungsleiters vom Hausmeister des Reviers widerrechtlich mit einem Bolzenschneider von der Wand gelöst und entsorgt.

Ein am Hinterkopf des Toten gesichertes 8 cm großes Stoffstück wurde zwar der Gerichtsmedizin übergeben, taucht aber in der Asservaten-Liste nicht auf.

Ein Gesprächsvermerk, den ein Dessauer Kriminalbeamter über ein erstes Gespräch mit Kollegen aus Stendal am Todestag anfertigte und seinem Vorgesetzten übergab, ist verschwunden. Der Inhalt des Gespräches war, dass dem Innenministerium bekannt war, dass die Polizeibeamten in Dessau „mit Ausländern hart umgehen“.

Die Liste aller Beamten, die sich am Brandort aufgehalten hatten, ist verschwunden. Fotos, die durch Beamte des Reviers am Todestag gemacht wurden, sind verschwunden.

Das Landeskriminalamt (LKA) hatte bei der Tatort- und Spurensicherung keinen Brandsachverständigen hinzugezogen und ließ den Ort auch nicht auf Brandbeschleuniger untersuchen.

Obwohl es im LKA-Bericht vom 10. Januar 2005 heißt, dass der gesamte Brandschutt gesichert worden sei, wurden lediglich vier Tüten mit Brandschutt asserviert und nur zwei davon auf Brandbeschleuniger untersucht. Zudem wurde durch Zeugenaussagen vor Ge­richt deutlich, dass diese Aluminiumtüten wieder geöffnet wurden, so dass der Nachweis eines möglichen Brand­be­schleu­nigers gar nicht möglich war. Rußablagerungen von den Wänden der Zelle wurden gar nicht erst mitgenommen.

Diese massenhaften Manipulationen an den Beweismitteln, die gravierenden Ermittlungsfehler und Unterlassungen und die vielen Widersprüche bei den Aussagen der Beamt_innen veranlassten die „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ und einige Einzelpersonen da­zu, am 12. November 2013 eine Strafanzeige wegen Totschlag oder Mord gegen unbekannte Polizeibeamte im Todesfall Oury Jalloh beim Generalbundes­anwalt Harald Range zu stellen.

In der Begründung heißt es un­ter anderem: „Wir wenden uns ... an Sie, weil es sich im vorliegenden Fall um eine besonders schwere Straftat mit Bezug zur inneren Sicherheit und Ver­fasstheit der Bundesrepublik Deutschland handelt, da die zu ermittelnden Täter notwendi­gerweise exekutive Amtsträger des Bundeslandes Sachsen-Anhalt sein müssen.“

 

Antirassistische Initiative Berlin - DokumentationsStelle

 

Weitere Infos:

www.ari-berlin.org/doku/titel.htm

 

Spendenkonto für das Brandgutachten, für weitere medizinische und toxikologische Untersuchungen, zur Deckung von Gerichts- und Anwaltskosten und zur Finanzierung der anstehenden Aktionen: Initiative in Gedenken an Oury Jalloh e.V., Bank für Sozialwirtschaft, Kontonummer: 1233 601, BLZ: 100 205 00

http://initiativeouryjalloh.wordpress.com/

Spenden bis 2000 Euro, die vom 12.11.2013 bis 12.2.2014 auf dem Konto eingehen, werden von der Bethe Stiftung verdoppelt!

 

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 384, Dezember 2013, www.graswurzel.net

 

 

 

KASTEN:

 

Zusammenfassung der Ereignisse

 

Am 7. Januar 2005 gegen 8 Uhr nahmen zwei Polizisten in Dessau den Asylbewerber Oury Jalloh fest. Frauen der Stadtreinigung hatten sich durch den unentwegt auf sie einredenden alkoholisierten Mann gestört gefühlt, der sie bat, ihr Handy benutzen zu dürfen. Da die Polizisten seine Papiere vorgeblich nicht lesen konnten, nahmen sie ihn mit aufs Polizeirevier.

 

Um 8.30 Uhr legten sie ihm Hand- und Fußschellen an und veranlassten eine Blutentnahme. Danach brachten sie den Gefangenen in die im Keller gelegene Zelle 5 und befestigten die Arme und Beine mit Handschellen an Metallgriffen, die seitlich der Matratze in Wand und Boden eingelassen waren. Der Festgenommene sei zu seinem „eigenen Schutz“ in Rückenlage so fixiert worden, hieß es später.

 

Nach Untersuchungsergebnissen der Staatsanwaltschaft Dessau geschah danach folgendes:

Um 12.00 Uhr stellte der Dienstgruppenleiter Andreas Schubert die Wechselsprechanlage zur Zelle 5 leise, weil er sich durch Rufe aus der Zelle beim Telefonieren gestört fühlte. Eine Kollegin drehte den Schalter jedoch wieder auf „laut“, so dass die akustische Verbindung zwischen Dienstzimmer und Zelle nur kurz unterbrochen war. Zwischen 12.04 Uhr und 12.09 Uhr nahmen sowohl Andreas Schubert als auch seine Kollegin „plätschernde“ Geräusche wahr und hörten den Alarm vom Rauchmelder. Der Dienstgruppenleiter schaltete diesen Alarm aus. Das „plätschernde“ Geräusch im Lautsprecher der Gegensprechanlage wurde lauter, der Rauchmelder schlug erneut an, und die Rufe von Oury Jalloh waren jetzt deutlich zu hören. Während der Dienststellenleiter den Alarmknopf zum zweiten Mal ausstellte, informierte seine Kollegin die Verwaltung über den Alarm. Erst als auch der Rauchmelder im Lüftungsschacht Alarm schlug, verließ Andreas Schubert sein Dienstzimmer, suchte sich im Pausenraum noch Kollegen und begab sich dann in den Kellerbereich. Seine Kollegin, die an der Wechselsprechanlage blieb, hörte jetzt deutlich aus der Zelle die Rufe „Mach mich los, Feuer“ – und das klappernde Geräusch von Schlüsseln, die das Zellenschloss öffnen. Die Polizisten betraten die Zelle allerdings nicht, weil – wie sie später aussagten – die Rauchentwicklung zu stark war.

 

Den Feuerwehrleuten, die durch den Notruf „Brand im Zellentrakt – eine Person vermißt“ alarmiert wurden, wurde weder die Zellennummer mitgeteilt noch wurde ihnen gesagt, dass Oury Jalloh an die Pritsche gefesselt sei. Und so konnten sie zunächst nach intensiver minutenlanger Suche im schwarzen Qualm des Zellentraktes niemanden finden. Erst bei der wiederholten Suche entdeckten sie den brennenden Leichnam Oury Jallohs – 15 Minuten nach ihrem Eintreffen. Oury Jalloh war bis zur Unkenntlichkeit verbrannt – ebenso die darunterliegende Matratze, die einen feuerfesten Überzug besaß.

 

Noch am selben Tag gab die Polizei bekannt, dass der 36-jährige Gefangene sich selbst verbrannt habe. Oury Jalloh war jedoch im Revier von zwei Polizisten gründlich durchsucht worden – sie hatten ein Handy, eine Brieftasche und ein gebrauchtes Papiertaschentuch sichergestellt. Ein Feuerzeug war nicht dabei.

 

In der Asservaten-Liste vom 10. Januar 2005 ist kein Feuerzeug eingetragen. In einer Liste des folgenden Tages taucht ein Feuerzeug auf, dessen verkohlte Reste dann auch präsentiert wurden.

 

Die Obduktion am 10. Januar 2005 durch das Institut für Rechtsmedizin in Halle ergab, dass Oury Jalloh einem Hitzeschock erlegen ist: ein schlagartiger Atemstillstand infolge der Einatmung heißer Dämpfe mit anschließendem Herzstillstand, bei dem der Körper nach 2,5 Minuten auf bis zu 345 Grad Celsius erhitzt wurde. Anzeichen äußerer Verletzungen wurden bei dieser Untersuchung nicht erkannt. Eine von den Anwält_innen der Familie geforderte Röntgenuntersuchung lehnte die Staatsanwaltschaft als „nicht erforderlich“ ab.

 

Bei einer zweiten Obduktion, die von Unterstützer_innen und Anwält_innen der Familie in Auftrag gegeben wurde, wurde dann aufgrund röntgenologischer Untersuchungen ein Nasenbeinbruch festgestellt.

Allein durch öffentlichen Druck und Demonstrationen, auf denen gefordert wurde, die Vorgänge des 7. Januar 2005 aufzuklären, sah sich die Staatsanwaltschaft immer wieder genötigt, Widersprüche zuzugeben und die Untersuchungen fortzuführen. Zum Beispiel wurde dann erst vier Wochen nach dem Feuertod Jallohs bekannt, dass er in oben beschriebener Weise fixiert war.

 

Anfang Juni 2005 hatte die Staatsanwaltschaft Dessau das gegen zwei am 7. Januar diensthabende Polizisten geführte Ermittlungsverfahren mit der Erhebung einer Anklageschrift wegen fahrlässiger Tötung beziehungsweise Körperverletzung mit Todesfolge abgeschlossen. Im Oktober 2005 lehnte das Gericht jedoch den Prozess-Start ab und forderte stichhaltigere Beweise für die Schuld der zwei Polizeibeamten.

 

Die Staatsanwaltschaft gab daraufhin ein Brandgutachten beim Feuertechnischen Institut in Heyrothsberge bei Magdeburg in Auftrag. Dieses Gutachten, das am 30. Juli 2006 dem Landgericht Dessau vorgelegt wurde, kam zu dem Schluss, dass vom Ausbruch des Feuers bis zum Tod Oury Jallohs etwa sechs Minuten Zeit verstrichen. Genügend Zeit, das Leben des Gefangenen zu retten, wenn die Beamten richtig gehandelt hätten.

 

Im November 2006 lehnte das Landgericht Dessau den Prozess gegen die beiden Polizeibeamten wiederum ab. Begründung: fehlender hinreichender Tatverdacht. Bezüglich des Verfahrens gegen den Dienstgruppenführer Schubert sollten noch „ergänzende Fragen“ durch die Brandgutachter beantwortet werden.

 

Erst im Januar 2007, fast auf den Tag zwei Jahre nach dem Tod von Oury Jalloh, ließ die 6. Strafkammer des Landgerichtes Dessau die Anklage gegen den 46-jährigen Dienstgruppenleiter zu.

 

Am 27. März 2007 wurde der Prozess gegen die beiden Beamten eröffnet. Während dem Dienstgruppenleiter Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen wird, sah sich sein Kollege der Anklage wegen fahrlässiger Tötung gegenüber, weil er bei der Durchsuchung Oury Jallohs das Feuerzeug übersehen haben sollte.

 

Die Polizistin, deren Aussage den Dienstgruppenleiter Schubert maßgeblich belastet hatte, war nach dem 7. Januar 2005 aus „Fürsorgepflicht“ (psychische Probleme) zwangsversetzt worden. Vor Gericht relativierte sie nun ihre ursprüngliche Aussage. Gegen die Beamtin wurde daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen Falschaussage eingeleitet.

 

Am 10. Verhandlungstag äußerte der Vorsitzende Richter Manfred Steinhoff deutliche Zweifel am Wahrheitsgehalt der Aussagen der Beamt_innen: Zumindest eine Person müsse bewusst falsch ausgesagt haben, um den Hauptangeklagten zu schützen. „Ich werde den Prozess in Grund und Boden verhandeln, ich werde notfalls jeden Zeugen zehnmal vorladen.“

 

Ein Beamter, der sich bisher nicht erinnern konnte, machte daraufhin detailliertere Angaben, die im deutlichen Widerspruch zu den Aussagen des Hauptangeklagten standen.

 

Nach 58 Verhandlungstagen erging am 8. Dezember 2008 ein Urteil, in dem die beiden angeklagten Polizeibeamten freigesprochen wurden. „Trotz aller Bemühungen ist dieses Verfahren gescheitert“, stellte der Vorsitzende Richter fest. Die Polizei von Dessau habe durch ihr Versteckspiel und ihre schlampigen Ermittlungen die Offenlegung der tatsächlichen Geschehnisse vom 7. Januar 2005 unmöglich gemacht und „dem Rechtsstaat geschadet“.

 

Am 7. Januar 2010, dem fünften Todestag von Oury Jalloh, hob der Strafsenat des Bundesgerichtshofes in Karlsruhe das Dessauer Urteil auf und verwies das Verfahren zur Neuverhandlung an das Landgericht Magdeburg. Die Vorsitzende Richterin Ingeborg Tepperwien mahnte im Wesentlichen vier Lücken und Ungereimtheiten an, die in einem neuen Verfahren aufzuklären seien. Neben den Fragen, wann der Rauchmelder Alarm schlug, warum die Schmerzensschreie von Oury Jalloh nicht gehört wurden, wann der Dienststellenleiter wirklich in den Kellertrakt hinuntergegangen sei, stellte das Gericht die wesentliche Frage, „ob und wie es Jalloh möglich gewesen sein soll, den Brand zu legen“.

 

Am 12. Januar 2011 begann das Verfahren vor der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Magdeburg. Ein Jahr später – nach über 40 Gerichtstagen – wurde deutlich, dass auch diese Kammer die „Selbstentzündungshypothese“ einseitig verfolgte, obwohl inzwischen nicht wenige Zeugenaussagen als Lügen nachgewiesen worden waren, obwohl nachgewiesen wurde, dass entscheidende Beweismittel vernichtet waren, obwohl wichtige Dokumente, die die Staatsanwaltschaft hätte sichern müssen, unwiederbringlich verschwunden waren.

 

So z.B. Protokolle der Vernehmung von Polizeibeamten des Dessauer Reviers, das Fahrtenbuch der Beamten, die Oury Jalloh festnahmen, Dienstbuch- und Journaleinträge, Video-Dokumentationen des toten Oury Jalloh.

 

So hatte der Hausmeister des Reviers widerrechtlich die von der Spurensicherung versiegelte Zelle Nr. 5 geöffnet und die Fessel, an der Oury Jalloh mit der rechten Hand fixiert war, mit einem Bolzenschneider von der Wand gelöst und entsorgt. Er handelte auf Anweisung seines Vorgesetzten, der zu diesem Vorgang nicht vernommen wurde.

 

Auch wurde vor Gericht bekannt, dass die ursprünglich luftdicht verschlossenen Aluminiumtüten mit Ascheresten wieder geöffnet worden waren, so dass Reste eines möglichen Brandbeschleunigers nicht mehr nachgewiesen werden konnten.

 

Belastungszeug_innen wurden ausgegrenzt, gemobbt, dienstlich versetzt oder öffentlich als unglaubwürdig erklärt. Es wurde auch bekannt, dass Oberregierungsrat Georg Findeisen Polizeiangehörige vor Zeugenvernehmungen auf Versammlungen und bei Einzelberatungen auf ihre Aufgabe „vorbereitete“.

 

Als das Gericht im März 2012 versuchte, den Prozess mit der Einstellung des Verfahrens gegen Geldauflagen vorfristig zu beenden, stellte die Nebenklage wegen Untätigkeit und mangelnden Aufklärungswillens einen Befangenheitsantrag gegen die gesamte Kammer. Dieser wird zwar abgelehnt, jedoch ein neues Brandschutz-Gutachten in Auftrag gegeben.

 

Das Feuerzeug, mit dem sich Oury Jalloh angeblich selbst angezündet haben soll, wurde jetzt erst auf DNA- und Textilspuren untersucht. Es wurden Spuren von Polyesterfasern an dem verkohlten Plastik gefunden, die weder mit der Kleidung von Oury Jalloh, noch mit denen der Matratze übereinstimmten.

 

Besonders bemerkenswert war der Auftritt der ehemaligen Polizeipräsidentin der Dessauer Polizeidirektion Ost, Brigitte Scherber-Schmidt, als Zeugin der Nebenklage, die sich nicht erinnern konnte oder sich nicht verantwortlich fühlte. Sie bestritt auch ihre Verantwortung unter anderem für einen internen Brief an alle Mitarbeiter_innen der Polizeistation kurz nach den Ereignissen am 7. Januar 2005, der den chronologischen Ablauf des Tages als Selbstmord darstellte.

 

Am 13. Dezember 2012 – nach 66 Verhandlungstagen und fast zwei Jahren Prozessdauer – wurde der damalige Dienstgruppenleiter Andreas Schubert vom Landgericht Magdeburg wegen fahrlässiger Tötung zu 120 Tagessätzen à 90 Euro verurteilt. Der Angeklagte, die Staatsanwaltschaft und die Nebenklage legten Revision gegen das Urteil ein.

 

Mehr Infos in: Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen (1993 – 2012)

 

 

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 384, Dezember 2013, www.graswurzel.net