Der Fall Olli R. – ein deaktivierter Basisgewerkschafter

Olli R. ist Wobbly und er sitzt im Knast. Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Auf den ersten Blick nicht viel, am Ende aber doch mehr als man ahnt

Olli war im Oktober 2009 nach § 129 zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Das Gericht hatte ihn und zwei Genossen der versuchten Brandstiftung auf Bundeswehr-LKWs und der Zugehörigkeit zur sogenannten „militanten gruppe (mg)“ für schuldig befunden. Am 20. Juli 2011 trat Olli die Haft an, die er fortan im offenen Vollzug absolvierte.

Inklusive der viermonatigen U-Haft hatte er im Juli 2013 zwei Drittel der Strafe abgesessen und als „Erstverbüßer“ die realistische Aussicht gehabt, den Rest der Strafe auf Bewährung ausgesetzt zu bekommen. Auch die JVA des Offenen Vollzuges rechnete seit Monaten fest damit. Doch am 22. Mai 2013 kam in Folge von bundesweit 21 Razzien ein Ermittlungsverfahren ans Licht, in dem er und acht andere Beschuldigte der Bildung einer mg-Nachfolgeorganisation verdächtigt werden. Als erste Reaktion wurde Olli vom offenen in den geschlossenen Vollzug verlegt und ist seitdem in Tegel eingesperrt: Arbeitsplatz gefährdet, politische Aktivitäten unterbunden, soziale Bindungen belastet … – eben alles, was eine plötzliche Inhaftierung mit sich bringt. Nur dass gegen ihn (wie gegen die anderen Beschuldigten, die sich deshalb auch auf freiem Fuß befinden) gar kein Haftbefehl vorlag. Dafür war die Beweislage offenbar zu dünn.

Zudem liegen die Beschuldigungen gegen Olli zeitlich vor seinem Haftantritt. Beides hat die drei Kammerrichter allerdings nicht davon abgehalten, Ollis Antrag auf vorzeitige Entlassung abzulehnen. Begründung: Es sei nicht ersichtlich, ob der Vollzug seine Wirkung entfaltet habe und Olli „künftigen Tatanreizen widerstehen“ werde. So soll der mit der Verlegung nach Tegel eingeleitete Desozialisierungsprozess fortgesetzt werden.

In der Anhörung vor dem Kammergericht, die der Entscheidung vorausging, hatte Olli den Rahmen seiner politischen Arbeit sehr klar definiert. In der Tat hat er seit längerem in der IWW eine politische Heimat gefunden, in der er sich aktiv und konstruktiv engagierte. Er wirkte beim Aufbau der Berliner IWW-Ortsgruppe mit, brachte thematische Impulse in die Diskussionen ein und rief schließlich die Zeitschrift „strike!“ ins Leben, die er gemeinsam mit anderen Wobblies herausgab.

Kernthemen seiner Arbeit waren, neben Lohndumping und Arbeitsbedingungen, vor allem die Legalisierung des politischen Streiks und die Auseinandersetzung mit dem Unionismus als ein Weg, die Arbeitskämpfe aus den sklerotischen Strukturen klassischer Gewerkschaften herauszubewegen und ihnen eine gesamtgesellschaftliche Perspektive zu geben.

Diese Aktivitäten sind den Untersuchungsbehörden nachweislich bekannt. Sie lassen kaum Platz für einen Aktivismus auf Nebengleisen, und so können selbst die Ermittlungsbehörden in den letzten zwei Jahren nichts Relevantes gegen Olli geltend machen. Hingegen wird sowohl in den Schreiben des Gerichts als auch des BKA immer wieder betont, Olli sei ein Überzeugungstäter, habe seine radikale politische Haltung nicht aufgegeben und gehöre noch immer der „linksextremistischen Szene“ an.

Mit dem Bild vom unverbesserlichen Radikalen wird zugleich suggeriert, dass deshalb weiterhin eine Gefahr für die allgemeine Sicherheit von ihm ausginge. Bemerkenswert ist, dass eine unzulässige Kausalbeziehung zwischen den Begriffen „radikal“ und „extremistisch“ hier zumindest nahe gelegt wird. Alarmierend ist nun, dass in der Darstellung eines immer-noch-radikalen-und-deshalb-gefährlichen Individuums jegliche radikal linke politische Tätigkeit als Hinweis auf eine Bereitschaft zu strafrechtlich relevanten Handlungen in Szene gesetzt wird. Wenn das von Olli klar umrissene Betätigungsfeld und sein politisches Selbstverständnis als Basisgewerkschafter Anlass sind, ihn als Gefahr zu qualifizieren, dann heißt das zwar noch nicht, dass hier basisgewerkschaftliche Arbeit direkt kriminalisiert wird – aber es ist ein Schritt in die Richtung. Ein Schritt, der als Signal ernst genommen werden sollte, da er immerhin zur Folge hat, dass Olli nicht vorzeitig entlassen wird (wie seine beiden Mitverurteilten), sondern über ein Jahr länger im Knast – obendrein im geschlossenen – verbringen soll.

Über die Lage von Olli informiert das „Soli-Komitee Olli R.“ auf seinem blog.
Dort erscheinen demnächst auch die Daten des Solikontos für Olli.
Die Zeitschrift „strike!“ findet ihr auf: strike.blogsport.de

Dieser Artikel erschien zuerst in der Direkten Aktion #219 - September / Oktober 2013