Bundesgerichtshof hebt „fast grotesk falsches“ Brechmittelurteil auf

Am 20. Juni 2012 hat der Bundesgerichtshof (BGH) zum zweiten Mal den Freispruch des Polizeiarztes im Bremer Brechmittelfall aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an das Landgericht (LG) Bremen zurückverwiesen (Az. 5 StR 536/11). Hintergrund ist ein Brechmitteleinsatz im Dezember 2004, bei dem der 35-jährige Laya Condé ums Leben kam. Er wurde als mutmaßlicher Drogendealer festgenommen. Trotz großer Verständigungsprobleme und einer unzureichenden Anamnese wurde ihm das Brechmittel zwangsweise durch eine Magensonde eingeführt. Durch zusätzliches Einleiten von vielen Litern Wasser wurde das Erbrechen beibehalten, auch als sich sein Zustand verschlechterte. Erst als Condé das Bewusstsein verlor, wurde ein Notarzt gerufen. Als dieser seinen Zustand wieder stabilisiert hatte, löste man wegen der nachlassenden Wirkung des Brechmittels mit einem Holzspatel und der Rückseite einer Pinzette das Erbrechen direkt aus. Schließlich fiel Condé ins Koma und verstarb einige Tage später.

Die Bremer Justiz hat sich bisher mit dem Fall sehr schwer getan. Im ersten Urteil sprach das LG Bremen den Polizeiarzt vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei. Begründet wurde dies mit der Inkompetenz und Überforderung des Arztes und der daraus resultierenden Unmöglichkeit, die Entwicklung des Geschehens vorherzusehen (Urt. v. 04.12.08, Az. 7 KLs 607). Der BGH hob den Freispruch auf und gab dem LG vor, eine vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge in Betracht zu ziehen. Besonders die Fortsetzung der Maßnahme nach dem Einsatz des Notarztes sei unverhältnismäßig gewesen (Urt. v. 29.04.10, Az. 5 StR 18/10).

Beim zweiten Freispruch des LG betonte der vorsitzende Richter, dass man nicht zweifelsfrei klären könne, woran Condé verstorben sei und man daher „in dubio pro reo“ freisprechen müsse (Urt. v. 14.06.11, Az. 22 Ks 5/10). Die neue Entscheidung des BGH weist wieder darauf hin, dass die Fortsetzung der Maßnahme nach dem Notarzteinsatz nicht rechtmäßig war und der Brechmitteleinsatz den Tod von Condé zumindest mit verursacht hat. Schließlich müsse die Bremer Justiz endlich auch eine Körperverletzung mit Todesfolge prüfen.

Nun wird das LG Bremen also ein drittes Mal entscheiden, denn mangels eines anderen LG im Bundesland und wegen einer Gesetzeslücke in der Strafprozessordnung ist es nicht möglich, dass ein anderes Gericht dies übernimmt. Es bleibt abzuwarten, ob das LG sich in der Lage sieht, den Polizeiarzt fast acht Jahre später zu verurteilen, oder ob den Angehörigen von Condé weitere Prozesse zugemutet werden.

Melanie Küster, Bremen