Bezugspunkt Justiz oder Bezugspunkt Bewegung?

Über die Leichtigkeit, mit den eigenen Position auch Bündnisfähigkeit und emenzapatorische Handlungsmacht zu verlieren

Eine linke Anwältin verteidigt einen Neo-Nazi, der einen Antifa-Aktivisten lebensgefährlich verletzt hat.[1] Mit dem Freispruch ist die Frage nach der politischen Bewertung der Mandatsübernahme nicht beantwortet. Die Debatte berücksichtigt nicht, dass progressive Rechtspraxis den gesellschaftlichen Kontext mitdenken und Bündnisfähigkeit ermöglichen muss.

Eine Ansicht: Endlich mal wieder ein konkretes Thema, dass linke Jurist_innen dazu bringt, sich über ihre Grundsätze auszutauschen. Sind alle wach geworden? Eine andere Ansicht: Verflixt, wie konnte denn das passieren? Sowohl die anwaltliche Positionsverschiebung als auch die Argumentation am Thema vorbei – Recht auf Verteidigung ja oder nein? – enthalten grobe politische Irrtümer.

In diesem Beitrag wird eine Vereinigungstheorie vertreten: Beides trifft zu. Die Debatte ist Ausdruck der Situation der linken Jurist_innenschaft, einer undurchdachten inhaltlichen Position und einer ausbaufähigen Einbindung in politische Bewegungen. Daraus müssen Erkenntnisse gezogen werden, denn eine linke Rechtspraxis benötigt eine politische Analyse als Fundament. Sie muss in größeren Horizonten denken als in denen des rechtsstaatlichen status quo. Dafür ist linke Rechtspraxis auf Bündnisse angewiesen. Die Zusammenarbeit bspw. mit Antira- und Antifa-Gruppen sollte daher nicht leichtfertig aufgegeben werden.

Endlich mal wieder eine Debatte!

Es ist zu begrüßen, wenn linke Jurist_innen sich mal wieder inhaltlich miteinander auseinandersetzen, wenn ein Thema Herzen und Hirne bewegt. Noch besser ist es, dass ein Austausch über das Fachgebiet hinaus mit Bewegungsaktivist_innen und Politiker_innen geführt wird. Solche Debatten sind selten und zeigen etwas sehr Positives: Es gibt einen kollektiven Bezugsrahmen für linke Rechtspraxis. Linke Jurist_innen begreifen sich als Teil eines größeren Zusammenhangs und werden von der Antifa-Bewegung und von im weitestesten Sinne linken Parteipolitiker_innen ebenfalls so gesehen. Ohne einen solchen Bezugsrahmen kann es kaum gesellschaftliche Handlungsfähigkeit geben. Sich zu streiten bedeutet eben auch, dass es nicht egal ist, was Gruppe X in Stadt Y tut.

Der aktuelle Streit mobilisiert so viel Aufmerksamkeit, weil er sich an dem Kern linker Anwaltsidentität entfaltet, nämlich an der Wahl des Mandats und dabei am Ausschluss bestimmter Mandate. Keine andere Frage – z.B. nach innovativen Rechtsgebieten – nimmt zur Zeit relevanten Raum ein. Entscheidend ist dagegen die Frage: Wen vertrete ich, auf wessen Seite stehe ich? Dies wird anhand gesellschaftlicher Machtverhältnisse beantwortet, innerhalb derer die benachteiligte Seite vertreten wird.[2] Der Fokus auf die Mandatswahl mag einfach erscheinen; in Zeiten schwacher politischer Bewegun- gen und fehlenden Inputs ist sie aber sinnvoll. Denn selbstver- ständlich stellt die Mandatsauswahl einen politischen Akt dar: Recht ist eine Machttechnik und kommt den Mandant_innen zugute.

Der Ausschluss von Nazis als Mandant_innen im Strafverfahren stellte dabei bisher eine Art Minimalkonsens dar: Wer hat es mit Sicherheit nicht verdient, die engagierte, qualitativ hochwertige und vergleichsweise günstige Tätigkeit linker Anwält_innen zu nutzen? Nazis. Bis hierher trifft die erste Ansicht zu: Gut, dass Grundsätze diskutiert werden, denn sonst geraten die zugrundeliegenden Analysen in Vergessenheit. Und genau hier zeigt sich eine beunruhigende inhaltliche Leere, eine unreflektierte Argumentation auf der Oberfläche: Rechtsstaat ja oder nein? Status quo oder Rückschritt? Dies sind jedoch keine ausreichenden Kriterien für emanzipatorische Positionen. Die Debatte enthält zahlreiche Missverständnisse.

Das Recht auf Verteidigung – hier irrelevant

Die erste grundlegende Verdrehung betont das Recht auf Strafverteidigung und übersieht, dass dieses Recht überhaupt nicht gefährdet war. Das Verfahren bot interessante Fragen der Notwehrprovokation sowie öffentliche und fachöffentliche Beachtung, womit es Interesse in der versierten Anwaltschaft generieren konnte. Deshalb geht eines der wenigen innovativen Argumente für die Zulässigkeit der Mandatsübernahme ins Leere, nämlich die Sorge, die Verteidigung von Nazis Nazi-Anwält_innen zu überlassen.[3] Diese Gefahr bestand nicht; es hatte sich ein renommierter, der Nähe zur rechten Szene unverdächtiger Verteidiger gefunden.

Weiterhin muss das Recht der Angeklagten auf eine Verteidigung abgegrenzt werden von einem Recht auf eine_n bestimmte_n Verteidiger_in. Ein solches Recht gibt es nicht. Andernfalls wäre der_diejenige zur Übernahme jedes Mandats verpflichtet. Aus dem – an den Staat gerichteten – Recht auf eine Verteidigung kann denklogisch nichts folgen für die Frage der anwaltlichen Entscheidung. Trotzdem bildete es den Kern der Pro-Argumentation und genügte für die politische Bewertung: Der_die Angeklagte ist im Strafprozess mit dem übermächtigen anklagenden Staat konfrontiert und verdient deswegen Unterstützung. Die klassische linksanwaltliche Argumentation also: Vertretung der unterlegenen Seite – stark unterkomplex betrachtet.

Die Mandatswahl – nur eine Frage des Könnens?

Die Frage, wieso andere linke Anwält_innen nicht diese Konsequenz ziehen, sondern Nazi-Mandate ablehnen, wird nicht ausdrücklich angesprochen. Die betreffende Anwältin selbst beantwortet sie implizit damit, dass andere linke Verteidiger_innen es nicht könnten. Ihre Erklärungen für das Abweichen von einem linksanwaltlichen Konsens reihen Professionalitätsbehauptungen und eine kompetenzbezogene Abgrenzung von anderen linken Anwält_innen aneinander: „Auch in einem Nazi kann ich den Menschen sehen und nicht nur ein Monster.“[4] „Ich bin zu diesem Spagat [zwischen privater Ablehnung von rechten Positionen und beruflichem Auftrag] fähig.“[5] Ein fragwürdiges Bild von linken Kolleg_innen: Diese sehen demnach in angeklagten Nazis keine Menschen, sondern Monster?

Hier taucht die zweite grundlegende Verdrehung auf: Können und willentliches Tun werden gleichgesetzt – ganz so, als ob es selbstverständlich sei, alles zu tun, was mensch kann. Das Gegenteil sollte bei einer politischen Handlungsentscheidung eigentlich der Fall sein: Überlegen, welche der Optionen welchen Effekt hat. Die Ablehnung von Nazi-Mandaten hängt keineswegs damit zusammen, dass linken Anwält_innen ihr Gewissen oder eine dogmatische Verbohrtheit im Weg stünde, sondern mit der politischen Analyse, dass die Arbeitskraft dabei in die falsche Richtung ginge und die Tätigkeit nicht emanzipatorisch sinnvoll wäre.

Strafrechtlich-apolitische Argumentationsmuster

Eine Inkonsequenz in der Pro-Argumentation führt zu apoliti- scher Beliebigkeit: Die Argumentation „Angeklagte_r = strukturell unterlegen = mandatswürdig“ wird nicht zu Ende geführt, denn sonst müssten alle linken Verteidiger_innen auch Nazis vertreten. Soweit gehen aber weder die Anwältin noch der AKJ Freiburg, der die Mandatsübernahme als legitim einstuft.[6] Stattdessen wird die Frage als subjektive qualifiziert. Der AKJ Freiburg bezeichnet die Entscheidung als „eine persönliche Frage und für uns nicht per se verwerflich“[7]. Eine erstaunlich apolitische Begründung für etwas, das den Kern linker Anwaltstätigkeit ausmacht. Auch die Formulierung „nicht verwerflich“ macht stutzig: Kommt es darauf an, ob ein Verhalten individuell vorwerfbar ist? Oder darauf, was politisch sinnvoll ist und was nicht, welches Verhalten welche gesellschaftlichen Konsequenzen hat? Verschiedene Äußerungen zeigen eine individualisierende, moralisierende Perspektive, indem sie – mit unterschiedlichen Ergebnissen – nach der anwaltlichen Gesinnung fragen, also quasi nach dem subjektiven Tatbestand.[8] Die betreffende Anwältin macht eine berufsgruppenspezifische Einwilligung geltend, die wohl mit dem Eintritt in die Anwaltskammer zwangsweise abverlangt werden kann: „Ich akzeptiere es, wenn andere sagen, ich kann oder will keinen Nazi oder keinen Vergewaltiger verteidigen. [...] Man sollte mir dann aber auch nicht ankreiden, dass ich es kann.“[9] Auch hier wird eine eigene, von Kolleg_innen nicht geteilte Qualifikation behauptet. Die Forderung nach wechselseitiger Freiheit, jede_n zu vertreten, ist bei sich als links verstehenden Anwält_innen absurd: Die Vertretung hat reale Auswirkungen – u.a. auf den Tatverletzten, auf die Antifa-Szene und auf die Nazi-Szene –, und dies auch dann, wenn sie nicht intendiert sind. „Keine böse Absicht“ ist nicht gleichbedeutend mit „politisch sinnvoll“. Viele Beteiligte übertragen den individualisierenden Blick des Strafrechts aus ihrer Rechtspraxis auf die politische Diskussion. Diese Kontextlosigkeit bringt einige wichtige Aspekte durcheinander und übersieht andere. Die betreffende Anwältin ignoriert die politische Bedeutung komplett, wenn sie ihr Verhalten erklärt: „Ich habe mich auch schon für Straftäter eingesetzt, die schrecklichere Verbrechen begangen haben [...], und auch da habe ich immer noch den Menschen gesehen.“[10] Tatsächlich hat die linke Ablehnung von Nazi-Mandaten nichts damit zu tun, wie „schrecklich“ eine Tat ist. Ein Nazi-Mandat wäre auch dann abzulehnen, wenn es eine Sachbeschädigung in Gestalt eines Nazi-Aufklebers auf einem Laternenpfahl beträfe. Bei einer Frage, die von der linken Anwaltschaft einstimmig beantwortet und politisch begründet wird, sollte die Frage nach Machtverhältnissen eigentlich nicht übersehen werden können. Genau dies passiert aber, wenn die Frage auf eine der subjektiven Empathiefähigkeit reduziert wird. Empathie lässt sich für alle Menschen empfinden. Das macht deren Fälle noch nicht zu emanzipatorischen Mandaten.

Ansprüche an linke Rechtspraxis I: Kontext

Der eigentliche Knackpunkt ist nicht das Recht auf Verteidigung, sondern die Frage, wen linke Anwält_innen verteidigen sollten. Auch wenn der_die Angeklagte im Strafprozess grundsätzlich unterstützenswert ist, gibt es andere Konstellationen, wie im Freiburger Fall: Die Anklage bezog sich nicht auf irgendeine Straftat eines Menschen, der zufälligerweise Nazi war, sondern auf eine Gewalttat gegen einen Linken. Nicht nur aus der Perspektive des Geschädigten kann dies, angesichts der kaum glaubhaften Notwehrbehauptung, nur als klassische Nazi-Gewalt gegen Linke wahrgenommen werden. Der Betroffene und sein politisches Umfeld müssen bei der Überlegung, wer anwaltlich zu unterstützen ist, berücksichtigt werden, da auch ihre Interessen von dem Strafverfahren und der Verteidigung massiv berührt werden. In der Pro-Argumentation tauchen sie jedoch nicht auf. Damit werden alt-linke Konzepte von Strafverfolgung als Kampf des anklagenden Goliath gegen den beschuldigten David reproduziert; das Tatopfer und die gesellschaftlichen Macht- und Gewaltverhältnisse, die sich in einer Straftat ausdrücken, werden geflissentlich übergangen.

Dass diese Sichtweise nicht immer emanzipatorisch wirkt, wurde in der Auseinandersetzung mit sexualisierter Gewalt allmählich erkannt: Viele linke Strafrechtler_innen lehnen eine Verteidigung bei diesen Vorwürfen ab, da sie mit großer Wahrscheinlichkeit dazu beitragen würde, Sexismus als Machtverhältnis aufrechtzuerhalten. Bei dem Freiburger Fall einer Gewalttat eines Nazis gegen einen Antifa-Aktivisten sollte es ebenso deutlich sein, dass neben dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch und dem Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren noch eine dritte Position involviert ist: das Interesse des Tatverletzten an der Feststellung des potenziell geschehenen Unrechts. Dieses Interesse muss zumindest mitgedacht werden.

Ansprüche II: Mandant_innen = Akteur_innen

Wenn Anwaltstätigkeit mit einer politischen Motivation betrieben wird, geht es auch um eine mögliche politische Identifikation mit dem_der Mandant_in. Wenn die Mandatswahl den Kern linker Anwaltstätigkeit darstellt, dann steht der_die Mandant_in für das jeweilige politische Anliegen, im Idealfall auch für eine politische Bewegung.

Was bedeutet das für das Freiburger Geschehen? Hinter dem Mandat kann das politische Anliegen „Recht auf Verteidigung“ stehen. Dieses Recht ist aber gefestigt. Historisch betrachtet ist dies einErfolg gerade linker Anwaltstätigkeit und darf nicht unterbewertet werden! Heute jedoch benötigt diese Forderung keine links-anwaltliche Unterstützung mehr. Wie es in einem Anwaltsblog heißt: „Sie [die betreffende Anwältin] nimmt die Aufgabe einer Strafverteidigerin in einem rechtsstaatlichen Verfahren wahr“[11] – und nichts anderes! Die Tätigkeit beschränkt sich auf die Erfüllung eines gesetzlich verbrieften Rechts, auf eine professionelle Herangehensweise an Strafverteidigung. Um emanzipatorisch zu wirken, braucht es mehr bzw. anderes.

Hier taucht ein scheinbares Paradox auf: Die Berufung auf einen früheren Erfolg stellt unter veränderten Bedingungen einen Fehler dar. Bast u.a. haben das für die Rechtswissenschaft beschrieben: „Die Konturlosigkeit kritischer Rechtswissenschaft heute kann als Resultat ihrer Erfolge interpretiert werden – und zugleich als Produkt der Unschärfe und Begrenztheit ihrer konsentierten programmatischen Ziele.“[12] Auf Rechtspraxis trifft dies ebenso zu. Mögliche andere Mandant_innen – angeklagte linke Aktivist_innen oder ein_e von Nazis angegriffene_r Schwarze_r Deutsche_r – können von linken Anwält_innen gerade wegen der Etabliertheit rechtsstaatlicher Positionen eine stärkere Identifikation und Kooperation mit ihren progressiven, also über bestehende Rechte hinausgehenden Anliegen erwarten. Progressive Rechtspraxis muss mehr sein als die Realisierung eines status quo; sie muss offen sein für zukunftsweisende Inhalte. Das ist z.B. im Ausländerrecht oft automatisch der Fall, in der Strafverteidigung jedoch nicht, wenn die Tat ein gesellschaftliches Machtverhältnis realisiert, insbesondere bei rassistischer und sexistischer Gewalt. In diesen Fällen kann das Machtverhältnis gerade durch die Feststellung des geschehenen Unrechts bekämpft werden, weshalb aus linker Perspektive derartige Verteidigungen nicht übernommen und eher Nebenklagen vertreten werden.

Eine Entscheidung von Fall zu Fall stellt keine Lösung dar, denn Mandant_innen in einer marginalisierten oder politisch aktiven Position sollten einen Anwalt vorziehen, der ihren Interessen und Inhalten prinzipiell nahe steht. Ohne die Bereitschaft, sich auf die Perspektive der Mandant_innen einzulassen, kann keine erfolgreiche Kommunikation zwischen Anwält_in und Mandant_in und keine hierarchiearme, empowernde Prozessführung stattfinden. Linke anwaltliche Professionalität geht insofern über neutrale Professionalität hinaus: Sie verlangt eine personenbezogene Spezialisierung, eine Identifikation mit emanzipatorischen Anliegen und eine Annäherung an diese Ziele in der Mandatswahrnehmung. Schon das Nachvollziehen von subalternen Anliegen erfordert viel Zeit und Aufmerksamkeit und beschränkt sich nicht darauf, in jemandem „den Menschen zu sehen“; Anwält_innen haben nicht den gleichen Auftrag wie Psycholog_innen. Sie sollen die Interessen der Mandant_innen in die Rechtssprache übertragen. Diese Übersetzungsleistung wird noch anspruchsvoller, wenn die Perspektive der Mandantin abweicht von dem, was das Recht für eine „normale Lebenssituation“ hält. Die Übersetzung von marginalisierten oder politischen Positionen – bspw. die Interessen von Strafgefangenen oder von Diskriminierungsbetroffenen – in den Rechtsdiskurs ist daher besonders schwierig. Allein weil der Tag nur 24 Stunden hat, kann ein_e Anwält_in sich nicht effektiv auf unterschiedlichste Gebiete spezialisieren. Wenn eine Spezialisierung auf linke Mandate nicht geschieht und ein_e Anwält_in stattdessen die Grenzen des eigenen Könnens ausprobieren möchte, dann liegt die Priorität eben auf einer unpolitischen Variante von Professionalität. Bewegungsmandant_innen und gesellschaftlich marginalisierte Mandant_innen dürfen jedoch mehr erwarten, als eine apolitisch-professionelle Vertretung, die in allen Mandant_innen nur „den Menschen“ sieht. Eine emanzipatorische Herangehensweise an die Anwaltstätigkeit muss die Mandant_innen auch als unterstützenswerte gesellschaftliche Akteur_innen wahrnehmen, denen es ermöglicht wird, sich selbst als kollektiv handlungsfähig zu erleben. Eine anwaltliche Äußerung im Sinne von: „Gestern habe ich zwar einen Nazi verteidigt, der einen Linken angegriffen hat. Aber heute verteidige ich auch gerne wieder die linke Antifa-Aktivistin, die einen Nazi-Laden beschädigt hat. Das hat nix miteinander zu tun.“ würde gerade das Gegenteil tun, indem sie politische Kollektive ignoriert und auch dem_der Mandant_in vermittelt, dass er_sie sich allein in einem individuellen Konflikt befindet. Aus dieser Sichtweise, die nur Individuen und keine gesellschaftlichen Zusammenhänge wahrnimmt, kann keine linke Handlungsmacht erwachsen.

Ansprüche III: Bündnisfähigkeit

Die Mandatsübernahme beeinflusst auch die Möglichkeit, mit emanzipatorischen Gruppen Bündnisse einzugehen. Die Tat richtete sich nicht nur gegen zwei Individuen, sondern als Bedrohung gegen eine gesamte politische Szene. Diese Szene, die Freiburger Antifa, hat verständlicherweise kein Interesse daran, in Zukunft mit Personen oder Gruppen zusammenzuarbeiten, die die linke Verteidigung ihres Angreifers befürworten. Ebenso wird es Betroffenen von rassistischer Gewalt gehen: Sie können sich bei der betreffenden Anwältin kaum in guten Händen fühlen. Beide Gruppen würden in ihrer Erwartung enttäuscht, als politische Akteurin wahrgenommen zu werden. Ihre Interessen und die von Nazis sind entgegengesetzt, sodass eine engagierte anwaltliche Vertretung ausscheidet. Die Akzeptanz eines Nazi-Mandats stellt eine faktische Absage an zukünftige Bündnisse mit diesen Gruppen dar – unabhängig von der anwaltlichen Intention. Dass Antifa- und Antira-Gruppen zentrale Akteurinnen linker Bewegung und der Kampf gegen Rassismus einen Kerninhalt linker Politik darstellen, wird bei der Übernahme der Verteidigung ignoriert. Das Ausblenden des gesellschaftlichen und politischen Kontextes von Anwaltstätigkeit ist schon bei Mainstream-Anwält_innen ärgerlich. Bei sich selbst als links verstehenden Jurist_innen führt es zu Funktionslosigkeit.

Wenn der Freiburger Antifa und der Grünen-Fraktion aus ihrer Distanzierung von der Anwältin ein Vorwurf gemacht wird, dann stellt dies das dritte Missverständnis dar: Bei dieser Abgrenzung handelt es sich nicht um Mobbing, sondern um die einzig mögliche Reaktion, sofern diejenigen, die sich distanzieren, einen Bezug zu den betreffenden politischen Anliegen haben. Bei den Grünen und der Antifa ist das der Fall, bei der Anwaltskammer wäre es nicht so. Die Antifa und die betreffende Anwältin vertreten ganz offensichtlich unterschiedliche politische Anliegen: Die einen machen den Kampf gegen Rechtsradikale zu ihrem Hauptanliegen und treten dabei als Gruppe, als Teil einer Bewegung auf. Die andere entscheidet von Fall zu Fall, wem ihre Arbeitskraft zugute kommt und unterstreicht dabei ihre Distanz zu linker Bewegung und zu linken Kolleg_innen. Ein zukünftiges Zusammenarbeiten wäre für beide Seiten unsinnig. Dies zu erkennen und auszusprechen ist sicherlich legitim.

Für die Grünen ist die Distanzierung die Voraussetzung dafür, zukünftig mit antirassistischen Gruppen und Opfern von Nazi-Gewalt zusammenarbeiten zu können. Diese Personenkreise dürfen eine Solidarisierung erwarten, und dazu gehört eine klare Position dahingehend, auf wessen Seite mensch bei einem Strafverfahren wegen einer Gewalttat steht. Denn Nazis sind nicht wegen ihres Musikgeschmacks unbeliebt, sondern weil sie das Lebensrecht anderer Menschen aktiv angreifen. Die Existenz einer Nazi-Szene erzeugt ein Bedrohungsszenario, dass sich regelmäßig in rassistischen und anderen Gewalttaten realisiert. Einen Prozess gegen einen gewalttätigen Nazi neutral zu beobachten und nicht den Betroffenen von Nazi-Gewalt stärker zuzuhören hieße das Gewicht dieser Gewalt zu verkennen.

Dass es auch anders, also an Bündnisfähigkeit interessiert, geht, zeigen einzelne Berliner Anwält_innen, die ihren Ausschluss von Strafverteidigung bei sexualisierter Gewalt pragmatisch damit begründen, auf die Kooperation mit relevanten linksradikalen Gruppen nicht verzichten zu wollen, welche wiederum die Ablehnung solcher Mandate zur Bedingung der Zusammenarbeit machen.[13]

Der Rechtsstaat als Ziel?

Wenn das Recht auf Verteidigung mangels Bedrohung gar nicht gestärkt werden konnte, welche Entwicklung ist dann zu verzeichnen?

Zunächst hat in einer individuellen Prioritätensetzung der spannende Fall vor Bewegungsnähe den Vorzug bekommen. Diese Abwägung ist gar nicht so verkehrt. Wenn der traditionelle Macker-Bereich der versierten Strafverteidigung von Verteidigerinnen aufgebrochen wird, dann lässt sich dem viel Positives abgewinnen. Aber der konkrete Preis dafür ist hoch und wurde nicht diskutiert – letzteres ist beunruhigend. Denn wie alle politischen Akteur_innen benötigen auch linke Jurist_innen Input und Allianzen, um handlungsfähig zu sein. In der Beschränkung auf rechtsstaatliche Gesichtspunkte liegt also ein Wechsel des Bezugsrahmens: Es werden keine eigenständig linken, über den status quo hinausdenkenden Gesichtspunkte bemüht. Die mit der juristischen Ausbildung angelegte Distanz zu politischen Bewegungen wird vergrößert, ebenso die Nähe zur Justiz. Letztlich wird der Strafprozess legitimiert: Wenn die Verteidigung so viel Ärger wert ist, dann muss es sich beim Strafverfahren um eine ganz formidable Angelegenheit handeln. Die Annäherung an staatliche Institutionen, die in der Betonung rechtsstaatlicher Positionen liegt, dient folglich keiner marginalisierten gesellschaftlichen Position – anders als bei der Nebenklage wegen sexistischer oder rassistischer Gewalt.

Neo-Nazis sollen wohl auch nicht zur gesellschaftlich unterdrückten Randgruppe erklärt werden: Perspektivlose Jungmänner mit ungünstiger Sozialisation usw. – das wäre kaum eine akzeptable Argumentation. Ein Tabubruch erfolgt, ohne progressive Positionen überhaupt nur anzudenken.

Die Akzeptanz dieser Mandatsübernahme folgt gleichzeitig einer apolitischen Version von Professionalisierung. Wenn ein „Spagat“ zwischen linker anwaltlicher Gesinnung und Nazi-Verteidigung für möglich gehalten wird, dann läuft dies auf eine Abwendung von linker Bewegung und eine Hinwendung zum status quo hinaus. Begründet wird dies mit individueller Entscheidungsfreiheit, was zunächst zurückhaltend, neutral und tolerant klingt. Der Journalist Rath beschreibt die Anwältin als „in ihrer Haltung nicht missionarisch. ,Ich akzeptiere es, wenn andere sagen, ich kann oder will keinen Nazi oder keinen Vergewaltiger verteidigen.‘ Das sei eine höchstpersönliche Entscheidung. ,Man sollte mir dann aber auch nicht ankreiden, dass ich es kann.‘“[14] Aber wird hier nicht recht deutlich für ein bestimmtes, nämlich das etablierte Verständnis von Anwält_innen als „unabhängige[n] Organ[en] der Rechtspflege“, § 1 Bundesrechtsanwaltsordnung, geworben / missioniert? Wenn Kritik mit dem Verweis auf ein scheinbar unhinterfragbares Ideal – Akzeptanz für alles und jedes – kaltgestellt und die eigene Überlegenheit in Sachen Empathie betont wird, dann passt das ziemlich gut zu Mission, hier in Sachen Entpolitisierung. Für eine linke Organisierung und emanzipatorische Inhalte bleibt mit dieser Positionsverschiebung weg von der Bewegung und hin zum Staat nicht viel übrig.

Redet und handelt miteinander

Dass die Debatte so sehr zu wünschen übrig lässt, ist in dreierlei Hinsicht bedenklich:

Erstens gibt es zu wenige gemeinsame Themen der linken Rechtspraxis, die irgendwie „brennen“. Das Bedürfnis nach einer gemeinsamen politischen Identität, unter Jurist_innen und mit Bewegungen, darf sich nicht auf die Ablehnung von Nazis beschränken. Etwas mehr gemeinsame Suche nach aktuellen Themen, Kooperations- und Interventionsmöglichkeiten, z.B. im Antidiskriminierungsrecht, ist angezeigt.

Zweitens sollte zumindest die Mandatswahl als die Kernfrage linker Anwaltsidentität kollektiv diskutiert werden. Die Ausschlusskriterien wurden für Fälle sexualisierter Gewalt breit diskutiert. Das frühere Ausschlusskriterium Dealer_in wird weitgehend individuell aufgeweicht, obwohl die Bedeutung solcher Entscheidungen in kollektiven Prozessen besser erfasst werden kann.

Und wenn drittens für gemeinsame Entwicklungen nicht die Zeit ist, dann sollte zumindest nicht versucht werden, das Rad neu zu erfinden – insbesondere nicht, wenn damit ein bereits erreichter Stand linker Professionalität abgesenkt wird. Zugegeben, seit der Verabschiedung vom Hauptwiderspruch der Klasse und mit dem Erkennen vielfältiger Machtverhältnisse, wie Sexismus, Rassismus usw., ist die Welt vergleichsweise komplex geworden. Als Basis progressiver Rechtspraxis genügt es aber nicht, alle einmal erkannten Positionen über Bord zu werfen und es sich auf dem beliebten links-juristischen Ersatz-Hauptwiderspruch „,Gegen den Staat’ ist immer richtig.“ gemütlich zu machen, denn dieser Inhalt ist weitgehend staatlich eingebettet. Professionalisierung und Allianzen mit staatlichen Institutionen können Bündnisse mit Bewegungen situationsspezifisch ergänzen, aber nicht ersetzen und dürfen sie daher nicht – wie im Freiburger Fall – beeinträchtigen.

Die aktuelle Debatte muss also Anlass für eine gemeinsame Reflektion und Positionierung sein. Dafür ist auch ein Austausch zwischen den Generationen notwendig, denn gerade der aktuelle Fall zeigt vielleicht, dass nicht wertgeschätzt werden kann, was mensch nicht kennengelernt hat: die Möglichkeit, sich im Streben nach Handlungsmacht an Bewegungen zu orientieren. Sie können auch einen inhaltlichen Orientierungspunkt, wohin Entwicklungen gehen sollen, liefern, damit Anwaltstätigkeit nicht nur gesellschaftlich verantwortlich, sondern progressiv wirken und den status quo überschreiten kann. Emanzipatorische Rechtspraxis lebt von der Zusammenarbeit mit Bewegungen. Und Bewegungen benötigen die Zusammenarbeit mit wachen linken Jurist_innen.


Ulrike A.C. Müller arbeitet an der Europa-Universität Viadrina und promoviert zur anwaltlichen Auseinandersetzung mit Hartz IV.

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[1] Sachverhaltsschilderung u.a. in: Die linke Anwältin und der Neonazi, Legal Tribune Online vom 25.6.2012, http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/ neonazi-mit-linker-anwaeltin-als-strafverteidigerin (Stand aller Links: 18.7.2012).

[2] Ulrike A.C. Müller, Professionelle Direkte Aktion. Linke Anwaltstätigkeit ohne kollektive Mandantschaft, Kritische Justiz (KJ) 2011, 448.

[3] http://www.kanzlei-hoenig.de/2012/kein-rueckgratloses-charakterschwein.

[4] https://linksunten.indymedia.org/de/node/63723.

[5] http://akj-freiburg.de/index.php?page=stellungnahme.

[6] Ebenda.

[7] Ein Blogbeitrag trägt den Titel „Kein rückgratloses Charakterschwein“ und

[8] übernimmt dabei die persönlichkeitsbezogene Ebene anderer Beiträge, s. Fn. 3.

[9] Fn. 1.

[10] Ebenda.

[11] Fn. 3.

[12] Jürgen Bast u.a., Kritische Rechtswissenschaft und Kritische Justiz, KJ 1999, 316.

[13] Fn. 2.

[14] Fn. 1