"So wie wir sind, sind wir richtig!"

Die erste Mad & Disability Pride Parade hierzulande am 13. Juli in Berlin fand überwältigenden Zuspruch. Mehr als tausend Menschen feierten mit Konfettiregen bei strahlendem Sonnenschein ihr Anders-, So- und Zusammensein. Ein Kurzbericht.

Eine der besten Demos der letzten Zeit!“, „Großartig, was sich die Leute alles ausgedacht haben!“, „Was für eine super Stimmung!“ - das waren nur einige von vielen begeisterten Kommentaren auf der ersten Mad & Disability Pride Parade, zu der ein Bündnis verschiedener Gruppen, darunter der Arbeitskreis mit ohne Behinderung (Ak moB), der Arbeiskreis Psychiatriekritik, die Kritischen Feministinnen und das Gen-ethische Netzwerk (GeN), aufgerufen hatte. Viele Teilnehmer_innen kamen geschminkt und verkleidet zu dem Umzug. Sie brachten Protestaccesoires und eigene Schilder mit, auf denen zum Beispiel zu lesen war: „Pflegestufe 3 und Spaß dabei“, „Ich bin Assistent, kein Pfleger, kein Betreuer“ und „Gegen Scham und Stigma“. Die Grinsekatze aus „Alice im Wunderland“ und eine fünf Meter hohe Puppe waren auch dabei, um gegen Ausgrenzung, Barrieren und Benachteiligung behinderter und als verrückt diagnostizierter Menschen zu protestieren.

Im Unterschied zu anderen Demonstrationen gegen Diskriminierung und für gesellschaftliche Teilhabe, auf denen detailliert über bestimmte Änderungen der Sozialgesetzgebung geklagt wird oder die gesellschaftliche Inklusion Behinderter zauberformelartig beschworen wird, war die Parade ein Akt der gemeinsamen Selbstermächtigung. Für ein paar Stunden schien auf den Straßen zwischen dem Berliner Hermannplatz und dem Kottbusser Tor eine tatsächlich barrierefreie Gesellschaft auf, in der Menschen sich nicht mehr ständig gegenseitig kategorisieren.

Mehrere Teilnehmer_innen berichteten von Nebenwirkungen der Parade: In den darauffolgenden Tagen seien Schwierigkeiten aufgetreten, wieder in den rücksichtslosen Ellenbogenalltag, der von scheinbar Normalen und Gesunden dominiert wird, zurückzufinden.

Zwar war zu der Parade nicht bundesweit mobilisiert worden, es kamen dennoch nicht nur Berliner_innen. Die Person mit der weitesten Anreise erhielt auf der Abschlusskundgebung eine Konfettidusche.

Aber es ging nicht nur ums Feiern. Ernst wurde es beispielsweise in dem Redebeitrag von Theresia Degener, die unter anderem auf die spezifisch deutsche Haltung gegenüber Behinderung - Heilen und Vernichten - einging.(1) Auf der Auftaktkundgebung erinnerte das Vorbereitungsbündnis außerdem an den „sehr erschreckenden Vorfall“, bei dem Ende Juni diesen Jahres am Neptunbrunnen vor dem Berliner Roten Rathaus ein nackter Mann von der Polizei erschossen worden war. Die Rednerin stellte in Frage, dass es sich für den Polizisten tatsächlich um eine Notwehrsituation gehandelt hat und kritisierte die mediale Diskussion um den psychischen Gesundheitszustand des Mannes. Auf die zunehmende Selektion mittels pränataldiagnostischer Untersuchungsmethoden machte das GeN aufmerksam. Es sei empörend, dass behauptet wird, die Tests in der Schwangerenvorsorge würden Frauen Selbstbestimmung ermöglichen, wo sie in Wahrheit Schwangeren den medizinischen Blick auf ihr werdendes Kind aufzwängen. Einen Blick, der „nur zwischen gesund und krank unterscheiden kann und der das eine als gut, das andere als schlecht bewertet”. Und der Arbeitskreis Psychiatriekritik verwahrte sich gegen Zuschreibungen, Normen und immer neuen Diagnosen - so etwa den neuen Katalog der psychiatrischen Erkrankungen, den so genannten DSM V - mit denen das psychiatrische System die Gesellschaftlichkeit von Krisen verschleiere. „Unsere Krisen sind Ausdruck unserer Lebenserfahrungen in einem System, in dem wir oft gewaltvolle Erfahrungen machen”, so die Rednerin, „einem System, in dem Rassismus und Sexismus Alltag sind” und in dem es gelte, „sich einzufügen, unterzuordnen, mitzumachen”.(2)

Das Bündnis, das den Umzug vorbereitet hat, arbeitet auch nach der Parade weiter zusammen. Zwar ist noch nicht entschieden, ob es schon 2014 wieder eine Mad & Disability Pride Parade in Berlin geben wird. Die in diesem Jahr ausgegebenen Parolen sollten aber ohnehin nicht auf einen Tag im Jahr beschränkt bleiben: Tanzt Barrieren weg! Hüpft aus den Schubladen! Scheißt auf Diagnosen!

Kirsten Achtelik ist Sozialwissenschaftlerin und politische Aktivistin. Zu ihren Schwerpunkten gehören unter anderem reproduktive und sexuelle Rechte und die Kritik der Reproduktionsmedizin. Sie hat unter anderem die Kritischen Feministinnen mitbegründet und die Pride Parade mit vorbereitet.

Fußnoten:

(1) Siehe Dokumentation auf S. 41 in diesem Heft.

(2) Alle Redebeiträge ungekürzt im Netz unter www.pride-parade.de/redebeitraege.html. Dort und unter www.gen-ethisches-netzwerk.de/gen/2013/1307pm_pride_parade_berlin außerdem weitere Fotos und Videos von der Parade.