Polizei vs. Blockupy

Der antikapitalistische Protestzug am 1. Juni 2013 in Frankfurt wurde zu einem eindrucksvollen Aufzug deutscher Staatsmacht. Aber auch zu einer Demonstration linker Solidarität

Dieser Artikel sollte sich nach den Vorgängen am ersten Tag der Blockupy-Protesttage am letzten Maiwochenende vor allem kritisch mit den Inhalten der beteiligten linken Gruppen und ihrem Auftreten beschäftigen: Mit den unsäglichen Hammer-und-Sichel-Fahnen unbelehrbarer Alt- und RestkommunistInnen, mit peinlichen Auftritten von Attac-Schlagerparodisten, mit der unerträglichen Johlveranstal­tung der Linkspartei im DGB-Haus, auf der Sahra Wagenknecht wahlkampfgerecht in Szene gesetzt und noch für den krudesten Neokeynesianismus frenetisch bejubelt wurde. Nach dem 1. Juni 2013 steht aber etwas anderes auf der Tagesordnung: Ein brutaler polizeilicher Angriff auf die Linke insgesamt.

 

Diese zeigte sich solidarisch – über alle Lagergrenzen hinweg. Beide Vorgänge überstrahlen die inhaltliche Kontroverse, auch weil sie ziemlich einmalig sind.

 

15.000

Rund 15.000 Blockupy-Aktivis­tInnen haben sich gegen 12:30 Uhr in Bewegung gesetzt und werden, noch bevor alle den Startpunkt am Baseler Platz na­he des Frankfurter Hauptbahnhofs verlassen haben, schon wieder gestoppt.

An der Ecke Hofstraße/Neue Mainzer Straße stürmt gegen 13 Uhr eine Hundertschaft der Po­lizei ohne Vorwarnung in die Straßenmündung zur Neuen Mainzer Straße und blockiert die DemonstrantInnen.

Die Demo hat bis dahin rund 900 Meter zurückgelegt. Unter Schlagstock- und Pfefferspray­einsatz drängt sich eine weitere Hundertschaft hinter den an­tikapitalistischen Blöcken in die Menge, um die Demo zu spalten. Von nun an gibt es für die Eingeschlossenen neun Stunden lang keine Möglichkeit, den Polizeikessel ohne Perso­nenkontrolle zu verlassen. Bis zum Beginn der gewaltsamen Räumung kann das Areal über­haupt nicht verlassen werden.

Die erste polizeiliche Aufforderung lautet, die Demo könne wie geplant weitergehen, wenn alle die Vermummung abnehmen würden.

Im Gegensatz zur späteren offiziellen Darstellung der Polizei kommt die überwiegende Mehrheit der im so genannten „Schwarzen Block“ versammelten AktivistInnen dieser Aufforderung sogar nach. Bei der Demaskierung kommen überwiegend jugendliche Gesichter zum Vorschein.

Auch beim allerbösesten Willen kann keine Rede davon sein, dass diese Leute eine Armee von bewaffneten Polizis­tInnen bedrohen könnten. Auf jedem Rockkonzert geht es aggressiver zu als in diesem Kessel. Schnell wird die angebliche „Defensivbewaffnung“ (Styro­porplatten) in Sitzgelegenheiten umgewandelt; als behelfsmäßige Damentoilette wird ein Transparent gespannt, man un­terhält sich. Die anwesenden Abgeordneten der Linkspartei versuchen in Verhandlungen mit dem Einsatzleiter eine Lösung zu finden, um die Demo ohne Personenkontrollen weitergehen lassen zu können.

Stattdessen werden Katja Kip­ping, Willy van Ooyen und Ja­nine Wissler mit erhobenen Händen abgeführt, als sie sich schützend vor den antikapita­listischen Block stellen. Gegen 16:40 Uhr, also gut dreieinhalb Stunden nach der Festsetzung werden den Gefangenen zwei Dixi-Toiletten zur Verfügung gestellt. Kurz darauf beginnt die Polizei mit der Räumung.

 

Gewaltfreier Widerstand

Selbst die erzkonservative Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) stellte bezüglich der Ein­kesselung der Antikapitalis­tIn­nen fest: „Tatsächlich befinden sich Anhänger radikaler Gruppen innerhalb des Blocks. Von Gewalttätigkeiten aber war ihr bisheriges Verhalten bei der Demonstration bis zu diesem Zeitpunkt weit entfernt.“ 

Und dabei blieb es dann auch, abgesehen von Kettenbildun­gen und dem Widerstand gegen den Abtransport.

 

Polizeigewalt

Was die Einsatzleitung geritten hat, mit einem Dutzend Wasserwerfern, zwei Hubschraubern, militärischen Räumfahrzeugen, hunderten Metern Stacheldraht und einer Polizeiarmee anzurücken, über die auch viele unbeteiligte PassantInnen nur noch staunen konnten, bleibt rätselhaft.

Die Sturheit des Verhandlungsführers der Polizei, der unbedingt von allen rund tausend Eingekesselten die Ausweise sehen wollte, sorgte auch bei den im Kessel anwesenden JournalistInnen für Kopfschütteln.

Eine Reporterin des ZDF heute journal suchte nach Aktivis­tInnen für einen O-Ton und stellte fassungslos fest: „Die haben ja alle totale Angst!“

Das alles ging auch vielen eingesetzten PolizistInnen zu weit. Mehrere Beamte äußerten schon während des Einsatzes gegenüber DemonstrantInnen ihr Missfallen. Einer, der seine Kollegen bei  Gewalttätigkeiten im Zuge der Räumung beobachtete, distanzierte sich offen davon und bat um Differenzierung: „Sie dürfen nicht alle Polizisten über einen Kamm scheren.“

Ein Kollege aus NRW, der selbst im Kessel eingesetzt war, begrüßte die Solidaritätsaktio­nen der MitarbeiterInnen des angrenzenden Frankfurter Theaters „Schauspiel“, die mit Wasserflaschen gefüllte Eimer an langen Schnüren herunterließen und flugs ein großes Transparent mit der Aufschrift „Solidarität“ an der Gebäudefassade befestigten. „Das finde ich gut“, gab er zu Protokoll und warb wortreich für Verständnis dafür, dass er das alles ja nicht zu verantworten ha­be.

Darüber hinaus wandten sich PolizistInnen sogar an die Öffentlichkeit. „Einige Beamte bezeichneten es als taktisch falsch, den gesamten Demon­strationszug angehalten zu haben und einen Teil ohne vorherige Ansage eingekesselt zu ha­ben. Auch die Brutalität, mit der einige der Einsatzkräfte vorgegangen seien, können sie nicht nachvollziehen, weil es ihrer Ansicht nach keinen Grund da­für gegeben habe“, gab die FAZ die Stimmen von Polizeibeam­ten wieder, die sich offenbar an sie gewandt hatten. In der FR beschwerten sich mehrere Beamte im Nachhinein ebenfalls über die Brutalität ihrer Kollegen, die zu einem großen Teil aus anderen Bundesländern hinzugezogen worden waren: „Die kamen, haben zugeschlagen und sind wieder heimgefahren.“ Darüber hinaus herrsche in der Frankfurter Spezialeinheit BFE, die dafür ausgebildet sei, gezielt Störer aus einer Menschenmenge zu ziehen, Frust über die Unprofessiona­lität des Einsatzes. „Die Kollegen aus den anderen Bundesländern hätten mit zwei Ketten einen viel zu großen Kessel ge­bildet. Es sei vollkommen klar gewesen, dass die allermeisten der eingekesselten Demonstranten keine Gewalttäter waren. Bei der Polizei rechnet man deshalb mit zahlreichen Strafanzeigen wegen Freiheitsberaubung“, fasste die FR die Aussagen der BFE-Beamten, die sich gegenüber der Zeitung ge­äußert hatten, zusammen.

Der Hessische Rundfunk (HR) erklärte, der so genannte Schwarze Block sei in diesem Jahr „eher ziemlich bunt“ gewesen, in der Frankfurter Rundschau war von einem Desaster die Rede, „das ein juristisches Nachspiel haben muss“. Die Polizei habe „mit ihrer Entscheidung, den Demonstrationszug am Schauspiel zu stoppen, kur­zerhand ein Urteil des Verwal­tungsgerichtshofs unterlaufen“.

Dieser hatte zuvor die Demoroute ausdrücklich genehmigt, u.a. mit dem Hinweis, die polizeiliche Gefahreneinschätzung sei haltlos.

 

Desaströs

Bei der polizeilichen Pressekonferenz stellten Hessens In­nenminister Rhein und der Frankfurter Polizeipräsident Thiel die Geschehnisse aus ihrer Sicht dar.

Aber auch die Pressekonferenz wurde zum Desaster. Da viele der anwesenden JournalistIn­nen selbst Opfer der Gewalt geworden waren, machten sie ihrem Unmut Luft. „Gewaltorgie“, „Schande für Frankfurt“ rufen die aufgebrachten Medienver­treterInnen, ein RTL-Reporter sagt, ihm sei ein Bein gestellt worden und ein Polizist habe ihm geraten: „Verpiss dich!“, ein anderer Journalist stellt fest: „So ist es noch nie zugegangen!“ und ein weiterer Kollege ergänzt: „Und zwar nirgendwo!“ Frank van Bebber von hr-online twittert: „So eine Polizei-PK habe ich noch nie erlebt.“

 

Hintergründe

Wo sich Medien verschiedenster Ausrichtung derart einig sind und sogar ein Teil der Po­lizeibeamtInnen zustimmt, stellt sich die Frage nach den Hintergründen.

Die Verantwortung in erster Linie bei dem 56jährigen Einsatzleiter Harald Schneider, einem passionierten Amateurfußball­trainer aus dem Odenwald, zu suchen, dürfte keine heiße Spur sein. Der dreifache Familienvater ist in der Vergangenheit nie als brutaler Scharfmacher aufgefallen. Dass Schneider aus eigenem Antrieb eine weitgehend friedliche Demo zusam­menprügeln lässt, ist nicht plausibel. Gleichzeitig tauchten in den Tagen danach immer neue Bilder und ZeugInnenaussagen auf, die nahe legen, dass der Zugriff an dieser Stelle schon lange vorher geplant war. Wer aber hat welches Interesse da­ran, einen Demonstrationszug dieser Größe unter massiver Ge­waltanwendung zu stoppen, ei­nen Teil davon einzukesseln, stundenlang festzuhalten, um die Leute dann einzeln aus dem Kessel zu führen? Und das alles, obwohl jedem klar gewesen sein musste, dass es für dieses Vorgehen keine Rechtfertigung gab, es illegal und unprofes­sionell war und viele Journalis­tInnen alles hautnah mitbekommen haben? Das wird in den kommenden Wochen zu klären sein.

Neun Stunden nach Beginn der Demo warten neben dem Kessel noch immer tausende Gewerkschafter, GenossInnen von Linkspartei und DKP, Ak­tivistInnen von Attac, der „In­terventionistischen Linken“, Occupy und anderen beteiligten Gruppen, sowie viele unabhängige TeilnehmerInnen singend und tanzend auf die eingeschlossenen MitstreiterIn­nen, von denen viele der Antifa oder anarcho-kommunistischen Gruppen angehören, die im „ums Ganze!“-Bündnis organisiert sind. Alle warten mit der Abschlusskundgebung bis auch der Letzte den Kessel verlassen hat, viele der Freigelassenen kehren trotz der massen­weise ausgesprochenen Platzverweise zur Demo zurück. Es ist längst dunkel geworden in Frankfurt und gemeinsam geht man unter „Anticapitalista“-Schlachtrufen zum Hauptbahnhof.

Mit diesem Ausmaß an Solidarität innerhalb einer offenbar als zerstritten eingeschätzten Linken hatte auf Seiten der Staatsmacht wohl niemand gerechnet.

Genauso wenig wie die Besitzer des Nobelrestaurants „Nizza“ damit gerechnet hatten, dass ihre Toilettenräume, die ausgiebig von der Polizei genutzt worden waren, mit Pfefferspray kontaminiert werden würden.

Aufgebracht klagte eine Besucherin: „Die können nicht mal mit ihren eigenen Waffen richtig umgehen!“

 

Nicolai Hagedorn

 

Artikel aus Graswurzelrevolution Nr. 380, Sommer 2013, www.graswurzel.net