Selektive Familienpolitik

Gebär-Förderung - aber nicht für alle

Seit 2002 gibt es in Deutschland eine Familienpolitik mit explizit demografischen Zielen: Die Geburtenrate soll gesteigert werden. Entscheidender Hebel ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die zudem als Abschied von konservativen Familienidealen gefeiert wird. Aber: Nicht alle Kinder sind dem deutschen Staat gleichermaßen teuer. Und es geht nicht um Emanzipation, sondern um die Ausbeutung weiblicher Erwerbsarbeit.

 

---- Siehe weitere Artikel zu diesem Schwerpunkt: http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/gid/217 ----

 

Das konservative Familienernährer-Modell, also die Idee, Männer seien für das Familieneinkommen und Frauen für die unbezahlte Hausarbeit zuständig, wurde zum ersten Mal im Jahr 2002 durch eine deutsche Bundesregierung offensiv infrage gestellt. Als wichtiges Ziel gab die damalige Familienministerin Renate Schmidt (SPD) eine erhöhte Erwerbsquote von Frauen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen aus. Dazu gesellten sich in der Presse Schlagzeilen zur Kinderlosigkeit von „40 Prozent der Akademikerinnen“ (1) sowie Informationen über Bildungsdefizite bei MigrantInnen. Der Subtext war klar: Die gebildeten (deutschen) Frauen geben kein Bildungskapital an den nicht vorhandenen Nachwuchs weiter. Währenddessen vermehren sich die gefährlichen Klassen (sprich: muslimische EinwanderInnen ohne Bildung) ungehindert. Die Debatte hat sich schließlich immer mehr auf die Steigerung der Geburtenrate verengt.(2)

Kinder statt Bildung und Einwanderung

Dieser Fokus auf die Geburtenrate prägt auch das Buch der ehemaligen Familienministerin Ursula von der Leyen „Wir müssen unser Land für die Frauen verändern“ (2007). Der Erfolg des Elterngeldes wurde jahrelang nur daran bemessen, ob die Geburtenrate sinkt oder steigt.

Das Irritierende an der ganzen Debatte ist und war, dass die Geburtenrate in Deutschland bereits seit den frühen 1970er Jahren relativ konstant ist. Warum dann also die Aufregung? Dafür sind verschiedene Teile der Wissensproduktion verantwortlich. Ein erster Strang besteht in ökonomischen Empfehlungen: Studien der OECD etwa haben seit Ende der 1990er Jahre für Deutschland einen Fachkräftemangel prognostiziert, der mit einer niedrigen Geburtenrate in Verbindung stehe und der ab 2020 zu einer deutlichen Wachstumsdelle für die deutsche Wirtschaft führen würde. Maßnahmen dagegen seien entweder mehr Bildung, mehr Einwanderung oder die Integration von mehr Frauen in den Arbeitsmarkt. Da mehr Bildung zwar gut klingt, aber von den regierenden Parteien in Deutschland nicht finanziert wird, und mehr Einwanderung tabu ist, wurde Letzteres favorisiert.(3) Politiknahe WissenschaftlerInnen konkretisierten diese pronatalistische Option der OECD: Eine Studie der Bertelsmann-Stfitung aus dem Jahr 2002 empfahl das schwedische Modell als „best practice“: Wenn Frauen nach der Geburt nicht so viel Einkommen verlieren, dann bekommen sie auch Kinder, obwohl sie gut verdienen. Zudem brauchen sie ausreichend verfügbare Kinderbetreuung, so die Studie.(4)

Eliteorientierung statt soziale Mobilität

Mit dem Elterngeld wurde dieses Projekt dann angegangen - und zwar entsprechend der in der Debatte zuvor angepeilten Zielgruppe: Das Elterngeld wird seit dem 1.1.2007 gezahlt. Zwölf Monate lang erhalten Eltern 67 Prozent des bisherigen Nettoeinkommens, höchstens jedoch 1.800 Euro. Das Elterngeld ersetzt das Erziehungsgeld, das seit 2001 entweder 300 Euro pro Monat für zwei Jahre oder monatlich 450 Euro für ein Jahr betrug - und zwar innerhalb enger Einkommensgrenzen. Mit dem Elterngeld ist somit eine Umverteilung familienpolitischer Leistungen von unten nach oben verbunden. Am stärksten benachteiligt sind EmpfängerInnen des Arbeitlosengeld II („Hartz IV“): Sie konnten nach der alten Regelung 24 Monate lang 300 Euro beziehen, dann nur noch für ein Jahr (ab 2007). Ab dem 1.1.2011 wurde ihnen das Elterngeld komplett gestrichen. Erste Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass 2007 etwa 60 Prozent der AntragstellerInnen - am unteren Ende der Einkommenshierarchie - weniger Leistungen erhielten als zuvor. Dagegen erhielten 25 Prozent - die Besserverdienenden - mehr Leistungen als zu Zeiten des Erziehungsgeldes.

Der mit dem Elterngeld verbundene Fortschritt, das höhere und dafür kürzere Elterngeld, das Frauen mehr Unabhängigkeit und einen schnelleren Wiedereinstieg in den Beruf ermöglichen soll, geschieht somit auf der Grundlage einer sozial selektiven Ausgestaltung: Das einkommensabhängige Elterngeld macht deutlich, dass es darum geht, besser verdienende Frauen zur Geburt zu motivieren. Von den gering qualifizierten Frauen sind überhaupt nur 50 Prozent erwerbstätig (bei den gut qualifizierten sind es 80 Prozent); die anderen 50 Prozent erhalten gar kein Elterngeld: Hier überschneiden sich geschlechts- und klassenspezifische Segmentierung.

Ein zweites Ziel des Elterngeldes, Väter zur Abwesenheit vom Beruf nach der Geburt zu motivieren, kollidiert ebenfalls mit einer sozial gerechten Verteilung. Die besser verdienenden Männer können nur mit hohen Transfers zum kurzfristigen Einstieg in die Vollzeitfürsorge für Kinder motiviert werden.

Der Widerspruch, dass Ansätze zu mehr Geschlechtergerechtigkeit auf Kosten einer gerechten Gestaltung von Sozialleistungen gehen, beruht auf der vorhandenen Arbeitsteilung zwischen Geschlechtern und Einkommensgruppen, die das Elterngeld nicht modifiziert. Anstatt relativ arme Eltern in der Weise zu fördern, dass sie finanziell mehr Spielräume haben, was nachweislich Bildungskarrieren beeinflusst, werden gut ausgebildete und relativ gut verdienende Eltern dazu ermuntert, mehr Kinder zu bekommen. Elitenorientierte Bevölkerungspolitik hat die Maxime der sozialen Mobilität abgelöst.

Politik für die meisten:

Das Zuverdienerinnenmodell

Zudem setzt die aktuelle Politik darauf, dass ein Teil der Frauen dauerhaft auf schlecht bezahlte Jobs verwiesen bleibt: Deutlich wird dies an den Zahlen zur Entwicklung der atypischen Arbeit: 2004 haben 35 Prozent aller erwerbstätigen Frauen in Teilzeitarbeit, Zeitarbeit, geringfügiger Beschäftigung oder befristeten Arbeitsverhältnissen gearbeitet (gegenüber 10 Prozent der Männer), 2011 waren es 37 Prozent (bei den Männern 14 Prozent).(5)

Der Ausbau der Kinderbetreuung selbst stützt die Polarisierung der Einkommen: In der Kinderbetreuung sind etwa 375.000 Beschäftigte angestellt. Davon arbeiten 60 Prozent in Teilzeit, etwas weniger als 4 Prozent der Beschäftigten sind Männer. Die Verdienste einer Vollzeitbeschäftigten liegen mit durchschnittlich 2000 Euro brutto knapp über dem Niedriglohnsektor, für Teilzeitbeschäftigte liegen sie deutlich darunter (GEW Hauptvorstand 2004).

Resultat der neuen Familienpolitik, die ja auch ihrem eigenen Anspruch nach auf eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen und nicht auf eine grundsätzliche Umverteilung von Haus- und Sorgearbeit abzielt, ist eine Stärkung des Zuverdiener(innen)-Modells. Dies wird auch durch das weiter bestehende Ehegattensplitting begünstigt. Das Alleinverdiener-Modell wird mit der kürzeren und für viele BezieherInnen niedriger dotierten Elternzeit unattraktiver und ideologisch abgewertet; das Doppelverdiener-Modell bleibt eine Möglichkeit, die vor allem für gut verdienende Paare attraktiv gemacht wird, die nicht entlohnte Haus- und Erziehungsarbeit durch Haushaltshilfen und öffentliche und/oder private Kinderbetreuung ersetzen können. Denn sie haben mit den 2006 eingeführten Freibeträgen für die Kinderbetreuung ein weiteres Geschenk bekommen: DoppelverdienerInnen und Alleinerziehende können zwei Drittel ihrer Ausgaben für die Betreuung ihrer Kinder unter 14 Jahren von maximal 6.000 Euro Betreuungskosten steuerlich geltend machen, bei AlleinernährerInnen gilt dies nur eingeschränkt, nämlich nur für Kinder zwischen drei und sechs Jahren. Vor allem Familien, in denen beide Partner einer gut bezahlten Erwerbsarbeit nachgehen, werden finanziell entlastet. Mit der neuen Familienpolitik differenzieren sich also die möglichen Ernährermodelle je nach Einkommenshierarchie stärker als bisher - in Richtung eines klassenselektiven Ernährermodells.

Umverteilung von unten nach oben

Das Besondere an der neuen Familienpolitik ist, dass sie unter dem Vorzeichen eines progressiven Feminisms zwei Politiken legitimiert: Erstens findet eine Umverteilung von staatlichen Geldern statt, die über die verteilungspolitische Wirkung hinaus ein Zeichen setzt, welche Bevölkerungsgruppen durch Disziplinierung (Workfare und Niedriglohn) und welche Gruppen durch Bonbons und Geschenke eingebunden werden sollen. Das ist zugleich auch ein Abbild dessen, wie die Regierung die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse einschätzt. Zweitens wurden demografische Maßnahmen rehabilitiert: Sie fördern der Ideologie der Regierung folgend zugleich das Wirtschaftswachstum und die Geschlechtergerechtigkeit (für manche), sie erhalten die „Bildung“ (durch Förderung der „bildungsnahen“ Familien) - und sie lassen die „Überfremdung“ und das medial als bedrohlich inszenierte Lotterleben von Messie-Müttern auf Hartz IV nicht ausufern. Entscheidend ist dabei auch, wie politische Prinzipien durch diese Debatte verdichtet wurden: Gesellschaftliche Integration durch Bildung, soziale Mobilität sind ganz einfach undenkbar und tabu - die statistischen Erhebungen zur Kinderlosigkeit von Akademikerinnen konnten nur in diesem Licht als nationale Katastrophe erscheinen.

 

 

Jörg Nowak hat derzeit eine Professur in Politikwissenschaft an der Universität Kassel und ist aktiv in der Stadtteilarbeit. Veröffentlichungen: Familienpolitik als Kampfplatz um Hegemonie. Bemerkungen zur Leerstelle eines linken Feminismus, in: D. Auth u.a. (2010): Selektive Emanzipation, S. 129-150; Geschlechterpolitik und Klassenherrschaft (2009).

 

 

Fußnoten:

(1)            „Akademikerin und kinderlos“, stern.de, 13.10.05, www.kurzlink.de/gid217_z.

(2)            2012 ermittelten die Demografen wieder einen leichten Anstieg der Geburtenraten bei Akademikerinnen: „Geburtenrückgang bei Akademikerinnen gestoppt“, sueddeutsche.de, 19.09.12, www.kurzlink.de/gid217_y; umjubelt mit Schlagzeilen wie „Akademikerinnen werden wieder Mütter“, n-tv.de, 16.01.13, www.kurzlink.de/gid217_x.

(3)            Renate Schmidt hat dies 2004 so formuliert: „Weniger Kinder bedeuten weniger Wachstum und weniger wirtschaftlichen Wohlstand und zwar schon heute und nicht erst in 20, 30 Jahren. (…) Der überregionale und internationale Wettbewerb um hochqualifizierte Arbeitskräfte wird an Bedeutung gewinnen. Der demographische Wandel in Deutschland wird jedoch bewirken, dass Unternehmen schon in absehbarer Zeit Probleme haben, was qualifizierte Arbeitskräfte und auch die Zahl der Kunden ihrer Produkte und Dienstleistungen angeht, wenn dem nicht gezielt entgegengesteuert wird.“ (Rede beim 11. Münchner Management Kolloquium am 12.03.04).

(4)            Werner Eichhorst, Eric Thode (2002): Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Benchmarking Deutschland Aktuell, Gütersloh.

(5)            Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch 2012, Gesamtwirtschaft und Umwelt - Arbeitsmarkt, pdf unter www.kurzlink.de/gid217_w.