Was tun?

Zwischenbilanz auf kurze Sicht

Die aktuelle Systemkrise stellt linke Politik vor ein Dilemma. Sie trifft global alle Gesellschaften, aber in sehr verschiedener Weise. Wo es Massenproteste gibt, in den von der Krise zersprengten Gesellschaften, sind sie oft Ausdruck ohnmächtiger Wut. Wo es Massenproteste geben müsste, in den Gesellschaften, die das Krisenmanagement steuern, bleiben sie schwach, weil maßgebliche Träger_innen möglichen Protests auf „Ko-Management“ setzen, allen voran die IG Metall. Das spielt den finstersten politischen Kräften in die Hände. Sichtbar wird das am Fiskalpakt, mit dem das EU-Krisenmanagement den „Klassenkampf von oben“ auf Dauer stellt. Deshalb muss die Verfassung der EU „von unten“ neu gesetzt werden. Das kann nur auf den Straßen und Plätzen Europas geschehen. Hier aber beißt sich die Katze in den Schwanz: noch fehlen die Kräfte zum konstituierenden politischen Akt. Zeit für eine Zwischenbilanz.

Ausgangspunkte von Arabellion bis blockupy

Selbst in deutschen Verhältnissen ist zunächst der Arabische Frühling 2011 zu erinnern. Ging es sozialer Bewegung seit dem Jahrhundertwechsel anfangs nur um die bloße Möglichkeit einer „anderen Welt“, stellte sich der Tahrir-Platz der Aufgabe, den Übergang in diese „andere Welt“ zu vollziehen. Dass der konstituierende Akt nicht zu verlängern war, ist kein Einwand: Was zählt, sind die gegenüber den Jahrzehnten davor radikal erweiterten Perspektiven der arabischen Bewegungen und ihrer neukonstituierten Linken. In deutschen Verhältnissen übertrug sich das, mit den Protesten anderswo nur bedingt zu vergleichen, auf „blockupy Frankfurt“. Neben der ersten Probe für den „Metropolenstreik“ zählt die strategische Idee, die eigene Aktion weniger auf die eigene Mehrheitsgesellschaft als auf die südeuropäischen Bewegungen zu beziehen und darin am Kampf um die Verfassung der EU teilzunehmen. Das zielte direkt auf einen weiteren, kurz vorher unvorstellbaren Übergang in „andere Welten“: den Aufstieg des Syriza-Bündnisses und die Möglichkeit seines Wahlsiegs im Juni 2012. Der wurde nicht erreicht, doch ist die Chance noch nicht vom Tisch, das EU-Krisenmanagement vom Süden her zu unterbrechen. Für sich allein aber führt sie nur auf das oben genannte Dilemma zurück. Schlagen wir deshalb einen Haken: Gibt es hier, im „Herzen der Bestie“, vielleicht eine ganz eigene Option auf einen Übergang in eine „andere Welt“ – aufs hiesige Maß beschränkt, doch nach links offen?

Zwischenschritt: „Mosaiklinke“

Dazu ist kurz der seit Heiligendamm diskutierte Begriff der „Mosaiklinken“ anzuführen. Sie will keine „Volks-“ oder „Einheitsfronten“, sondern heterogene Politikweisen einer Linken vermitteln, die sich zu einer „politischen“ (staatsorientierten), „sozialen“ (gewerkschafts- und bewegungsorientierten) und „kulturellen“ (in die Mikropolitiken des Alltags verwobenen) Linken ausdifferenziert. In solch einem Mosaik stellt sich nicht zuletzt die „Machtfrage“ neu, als Frage eines Handelns im und gegen den Staat, das gerade nicht „ein“ Handeln, sondern ein Crossover verschiedener Handlungsweisen meint: in staatlichen und außerstaatlichen Institutionen und Organisationen, auf Straßen und Plätzen wie im gelebten Alltag. Mosaiklinke Machtfragen zielen nicht bloß auf Macht im Staat, schließt sie aber auch nicht aus. Das produziert unausweichlich Konflikte, sucht aber deren produktive Wendung.

ROT-grün-rot …

Werden mosaiklinke Machtfragen zur Frage nach der Macht im Staat gebündelt, führt das auf DIE LINKE als linken Pol der politischen Linken. Sie verdankt sich dem Anschluss der DDR und dem in Hartz-IV und rot-grünen Kriegseinsätzen ratifizierten Bankrott der alten politischen Linken des Westens. Für DIE LINKE wird Macht im Staat trotzdem nur innerhalb eines rot-grün-roten Blocks greifbar. Der war noch vor drei Jahren konkrete Option, scheint heute aber passé: wäre die Systemkrise nicht auch eine Krise der konstitutionellen Politik, die deshalb, das lehren Ägypten, Griechenland, Italien und Frankreich, Neukonstitutionen der politischen Linken möglich machen.

Was aber heißt rot-grün-rot? Die Formel wäre einmal „ROT-grün-rot“ zu schreiben und meint dann den „linken“ der beiden Pole bürgerlicher Demokratie. Der hängt bekanntlich an der SPD, nicht weil sie links wäre, sondern weil sie ihn mehrheitsfähig macht. Dass die Partei primär ein Apparat ist, in dem Opportunismus den Zugang zu Ämtern und Einkünften vermittelt, widerspricht dem nicht. Konstituiert sich ein rot-grün-roter Block, wird es dieser Opportunismus sein, der die SPD in den Block führt.

… und rot-GRÜN-ROT

Die politische Konstitution des sozial und kulturell längst vorliegenden rot-grün-roten Blocks hängt deshalb an LINKEN und Grünen. An den LINKEN als der einzigen antikapitalistischen Kraft konstitutioneller Politik, trotz allem. An den Grünen, sofern sie trotz allem als die Partei der für den Mai 1968 konstitutiven Bedürfnisse – emanzipatorische Individualisierung, Demokratisierung, Feminismus, Ökologie – wahrgenommen werden.  In der sozialen und kulturellen Linken kommen antikapitalistische und post-68er Begehren lange schon zusammen. In beiden Parteien dominieren bislang Kräfte, die das nicht sehen. Bleibt das so, wird es nichts mit rot-GRÜN-ROT und der Macht im Staat. Soll sich das ändern, müssen sich diese Parteien ändern. DIE LINKE hat dafür einiges getan, die Grünen weniger. Für die Bewegungen auf den Straßen und Plätzen wie für die Mikropolitiken des Alltags wäre rot-GRÜN-ROT die Formel eines Übergangsprogramms und vielleicht der Übergangsregierung, die die Konstitution „anderer Welten“ in ihrem Prozess braucht, hier und in Athen.

Lagerwahlkampf

Nachdem SPD und Grüne länger schon am Ausschluss der LINKEN aus den Parlamenten arbeiten, wird dieser Kurs mit der Steinbrück-Kandidatur dominant: inszeniert als „Lagerwahlkampf“ einer rot-grünen „Linken“ gegen eine schwarz-gelbe Rechte. Dumm nur, dass die lagerübergreifende Zustimmung zum Fiskalpakt die Intrige torpediert: wenn nicht in der Wahrnehmung, dann in der Wirklichkeit. Das mag für den Wahlsieg reichen, trägt zur Wendung der Systemkrise nichts bei. Bleibt’s dabei, ist rot-GRÜN-ROT zunächst keine Wahloption mehr, sondern Option einer Neukonstitution der politischen Linken. Deren erster Zug war die Gründung der Grünen, der zweite die der LINKEN, der dritte beginnt jetzt, quer zum Lagerwahlkampf, im Ja oder Nein zum Fiskalpakt. Hier liefert Frankreich, nach dem Amtsantritt Hollandes, erste Lockerungsübungen. Rot-grün-allein steht rechts von Hollande, das zeigt, wo’s lang geht.

Im linken Mosaik bleiben linke Sozialdemokrat_innen und Grüne zur Neukonstitution der politischen Linken eingeladen. Die bleibt selbst im günstigsten Fall, um das ausdrücklich festzuhalten, auf den konstituierenden Akt der Straßen und Plätze verwiesen. Sie kann ihm aber auf ihre Weise zuarbeiten. Der Übergang selbst, wenn er kommt, wird plötzlich gekommen sein.