Frage nicht was, deine Marke für dich tut, sondern frage, was du für deine Marke tun kannst

in (28.11.2012)

„Ob OTTO, Nivea oder Tchibo, Marken sind aus dieser Welt nicht mehr wegzudenken. Eine Marke ist der gute Name, der entsteht, wenn viele Menschen auf Dauer ähnliche positive Vorstellungen mit einem Angebot verbinden. Auch Hamburg ist eine Marke. Dies erkennt man daran, dass Menschen in aller Welt bestimmte positive Vorstellungen von der Metropole haben. Die Marke Hamburg bietet damit eine großartige Chance für alle Akteure der Metropole, von der Marke Hamburg zu profitieren. Und sie bietet gleichzeitig die Möglichkeit, durch eigenes Handeln die Marke Hamburg weiter zu stärken.“
Seltsam, aber so steht es geschrieben. Seit fünf Jahren auf der Seite der Hamburg Marketing GmbH, die für das Erscheinungsbild dieser Stadt zuständig ist und deren Aufsichtsrat stets der erste Bürgermeister vorsitzt. Während andere deutsche Großstädte bei ihrer Selbstdarstellung etwas muffig Touristenberatung betreiben oder behördliche Dienstleistungen in den Vordergrund stellen, hatte man in der alten Kaufmannsstadt die Zeichen der Zeit früh erkannt. In einem dünnbrettbohrerhaften Kauderwelsch aus Werberideologie und Richard Florida-Talk werden hier „Kommunikationsmuster“ und „Markenbaukästen“ zusammengezimmert, dass es kracht – damit daraus ein widerspruchsfreies, sozial befriedetes Fantasialand mit Elbphilharmonie und Table-Dance, Blankenese und Schanze, Agenturleben und Künstlerszene wird. Harley-Days auf dem Kiez, Gay-Paraden in St. Georg, Off-Kunst-Spektakel in der Hafencity, Reeperbahn-Festival, Fanmeilen und Cruising Days: kaum eine Woche ohne ein touristisches Megaevent, das „markenstärkende Funktion“ übernehmen soll. Und mitten drin, eingefügt und zwangsrekrutiert für die Marke: alle, die in dieser Stadt „kreativ“ sind. Nun ist aber das Selbstverständnis vieler Kulturschaffender und Angehöriger cooler Subkulturen so, dass sie ihre sogenannte Kreativität ja gerade als Ausdruck ihrer schöpferischen Autonomie begreifen. Und dieses Eigene nicht in falschen oder sogar feindlichen Kontexten verwurstet sehen wollen.
Meine persönliche Schmerzgrenze war im Frühjahr 2009 überschritten, als ich meine Band in trauter Eintracht u.a. mit Nena, Udo Lindenberg, Westernhagen und der Queen Mary auf dem Cover des Magazins der Hamburg Marketing wiederfand. Das Blatt wird vom Hamburger Senat finanziert, erscheint vierteljährig in einer Auflage von einer Million Exemplaren und liegt z.B. der Süddeutschen Zeitung und dem Standard bei. Der Titel dieser Ausgabe war 55 Gründe für das Leben an der Elbe. Wir berieten uns in einem kleinen Kreis von AktivistInnen und heraus kam das Manifest Not In Our Name, Marke Hamburg.[1] Dann erweiterten wir den Kreis unter anderem auch um ein paar eher zufällig prominente Sympathisanten wie Peter Lohmeyer und Rocko Schamoni, machten eine Pressekonferenz im frisch besetzten Gängeviertel und verschickten den Text an ein paar FreundInnen und Presseleute. Die Zustimmung war überwältigend. Innerhalb weniger Wochen hatten wir 6000 UnterzeichnerInnen. Zum überwiegenden Teil Angehörige der sogenannten „creative class“. Derer also, die im Sinne der Marke eingespannt werden sollen und die das Ganze ähnlich ankotzte wie uns.
„Wir haben schon verstanden: Wir, die Musik-, DJ-, Kunst-, Theater- und Film-Leute, die kleinegeile-Läden-Betreiber und ein-anderes-Lebensgefühl-Bringer, sollen der Kontrapunkt sein zur ‚Stadt der Tiefgaragen’ (Süddeutsche Zeitung). Wir sollen für Ambiente sorgen, für die Aura und den Freizeitwert, ohne den ein urbaner Standort heute nicht mehr global konkurrenzfähig ist. Wir sind willkommen. Irgendwie. Einerseits. Andererseits hat die totale Inwertsetzung des städtischen Raumes zur Folge, dass wir – die wir doch Lockvögel sein sollen – in Scharen abwandern, weil es hier immer weniger bezahlbaren und bespielbaren Platz gibt.“
Der Text wurde vom Hamburger Abendblatt und der ZEIT mit Begeisterung aufgenommen und abgedruckt, wobei es bei letzter nicht ohne ein Foto vom eigentlich unbeteiligten Maler Daniel Richter vor der Gängeviertelkulisse abging. Not in our name wurde im Bundestag von einem Linke-Abgeordneten zitiert und bei dieser Gelegenheit typischerweise erwähnten Promis zugeschrieben. Aus vielen Städten folgten Einladungen von StadtaktivistInnen und mancherorts wurde der Text angepasst auf die Verhältnisse vor Ort. Natürlich hatte die große Popularität des Manifests auch damit zu tun, dass ein Jahrzehnt von stupidem Kaufmannsgeist getragener Politik, an der fast alle politischen Parteien in verschiedenen Konstellationen ihren Anteil hatten, überall in der Stadt ihre Spuren hinterlassen hatte. Vor allem das Dogma, öffentliche Flächen vorzugsweise an den Höchstbietenden zu verscherbeln, hatte fast überall in Hamburg einen ungeheuren Verdrängungsdruck spürbar werden lassen. Eine Immobilienkrise hat es hier nicht gegeben. Das Reingebuttere in die immer teurer werdende Elbphilharmonie und die Umlegung der Kosten auf den Kulturhaushalt, der Abbau von sozialen Einrichtungen oder die Ausweitung nervtötender Events waren ein paar der Gründe dafür, ein Fass langsam zum Überlaufen zu bringen. In einer rasanten Abfolge von Ereignissen manifestierte sich 2009 das außerordentlich heterogene Recht auf Stadt Netzwerk, dem heute über 50 Initiativen angehören. Ein unideologisches gegenseitiges Wohlwollen machte es möglich, dass hier z.B. klassische Autonome mit linksliberalen BürgerInnen, bohemistisch-hedonistische Szeneleute mit proletarischen Alt-Eingesessen, vorstädtische SchrebergärtnerInnen mit WebdesingerInnen weitgehend entspannt zusammenarbeiten können. Unermüdliche Aktivitäten an diversen Brennpunkten der Stadt, mehrere große Demos, die enorme, auch überregionale Beachtung der Gängeviertelbesetzung und die ungewöhnliche neue Sprache, mit der sich all das artikulierte, schaffte einen kurzen Moment, in dem wir uns als Recht auf Stadt-AktivistInnen plötzlich gar nicht mehr retten konnten vor lauter Einladungen durch Politik und Presse. Als seien wir plötzlich respektable BürgerInnen dieser Stadt, deren Urteil den Großkopferten etwas Wert sei. Als ob diese Leute schon immer unsere Musik gehört und geschätzt hätten und als ob man über alles reden könnte. So verlief das Gespräch bei der damaligen Kultursenatorin der ersten schwarz-grünen Koalition Deutschlands auch recht absurd, weil die Dame partout nicht glauben wollte, dass wir diesen Kampf nicht führen, um günstige Zwischennutzungslocations für unsere Künstlerkaste rauszuschlagen.
„Wir wollen die Frage ‚Wie wollen wir leben?’ nicht auf Stadtentwicklungs-Workshops diskutieren. Für uns hat das, was wir in dieser Stadt machen, immer mit Freiräumen zu tun, mit Gegenentwürfen, mit Utopien, mit dem Unterlaufen von Verwertungs- und Standortlogik. [....] Wir sagen: Eine Stadt ist keine Marke. Eine Stadt ist auch kein Unternehmen. Eine Stadt ist ein Gemeinwesen. Wir stellen die soziale Frage, die in den Städten heute auch eine Frage von Territorialkämpfen ist. [...] Wir nehmen uns das Recht auf Stadt – mit all den Bewohnerinnen und Bewohnern Hamburgs, die sich weigern, Standortfaktor zu sein.“
Der heutige Bürgermeister Scholz (SPD), der uns damals populistischerweise in eine der ältesten deutschen Diskotheken, das Grünspahn, eingeladen hatte, hat schon länger nichts mehr von sich hören lassen. Seit die SPD wieder alleine regiert, gibt sie den BürgerInnen dieser Stadt das gute alte Gefühl „dass sie das Ding schon schaukelt“. Ist mir letztendlich auch lieber, wenn unsereiner von außen gegen die Tür bollert, anstatt freundlich herreingebeten zu werden. Nur sollte das Geboller nach Möglichkeit schon etwas hermachen und wir sollten auf den Moment vorbereitet sein, an dem die Tür nachgibt.



Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst (Wien), Winter 2012, „Eventisierung“.

 



[1] http://nionhh.wordpress.com/about/