Wehrhafte Demokratie gegen Neonazismus?

Ein Interview mit Rechtsanwalt Alexander Hoffmann über die Fallstricke staatlicher Maßnahmen gegen die extreme Rechte

in (14.10.2012)


Nach dem Bekanntwerden der NSU-Morde fand die in antifaschistischen Kreisen formulierte Einschätzung, der Staat sei auf dem rechten Auge blind, in der Öffentlichkeit breitere Zustimmung. Stellt diese Entwicklung eine Zäsur dar im Umgang mit der extremen Rechten?

In der Vergangenheit gab es mehrfach Situationen, in denen breite gesellschaftliche Gruppen eine Auseinandersetzung mit Neonazis, Rassismus und den beschämenden Reaktionen staatlicher Stellen gefordert haben. Zuletzt entstanden beispielsweise zahlreiche staatlich geförderte Opferberatungsstellen, was lange undenkbar erschien. Tatsächlich hat sich aber an der grundsätzlichen Unfähigkeit staatlicher Stellen, erfolgreich gegen Nazis und Rassismus vorzugehen, nichts geändert, insbesondere weil keine Bereitschaft besteht, ganz grundsätzlich gegen die Ursprünge von faschistischem Gedankengut, Rassismus und Antisemitismus vorzugehen. Hierbei möchte ich auf die „Kieler Erklärung des Runden Tisches gegen Rassismus und Faschismus“ verweisen, in der es treffend heißt:
„Offener und organisierter Neofaschismus ist die eine Seite der Medaille. Die andere: Rassistische Erklärungsmuster und Orientierungen entstehen in der Mitte der Gesellschaft. Sie sind kein Randproblem, nicht jugendspezifisch und nicht regional einzugrenzen. Sie werden gefördert durch gesellschaftliche Verhältnisse, die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit bis zur Vernichtung des Konkurrenten erfordern, Ungleichheit und Abbau sozialer Errungenschaften als Fortschrittsmotor rechtfertigen und damit Entsolidarisierung und Ausgrenzungsbereitschaft notwendig hervorbringen.“
Dies wird in Zusammenhang mit dem angeblichen Versagen der Polizeibehörden und des Inlandsgeheimdienstes bei den Ermittlungen gegen den so genannten NSU besonders deutlich. Der bundesdeutsche Inlandsgeheimdienst hat die Aufgabe, den bundesdeutschen Staat vor Angriffen aus dem Inneren zu schützen. Von Anfang an wurde dies fast ausschließlich als Aufforderung zum Kampf gegen die Linke verstanden. Das war schon deshalb nicht verwunderlich, weil seit der Übergabe der Verantwortung für den Inlandsgeheimdienst durch die Alliierten an die Deutschen viele ehemalige Gestapo-Leute dort beschäftigt wurden und den Aufbau maßgeblich beeinflusst haben. Die Ausrichtung gegen Links ist aber auch inhaltlich vorgegeben: Linke, egalitäre, emanzipatorische Forderungen sind geeignet, die bestehende Eigentums- und Wirtschaftsordnung in Frage zu stellen, während die nationalsozialistische Ideologie die im Kapitalismus enthaltenen Werte lediglich völkisch zuspitzt. Insoweit ist es logisch, systemimmanent und folgerichtig, dass der Inlandsgeheimdienst Naziaktivitäten zunächst einmal nur begleitet und nur dann hart durchgreift, wenn außenpolitische Belange Deutschlands betroffen sind. Die häufig zu beobachtende Kumpanei zwischen Diensten und Nazis ergibt sich vor allem aus der ideologischen Nähe. Der Inlandsgeheimdienst hat seit längerem seinen Schwerpunkt gegen so genannte ausländische Organisationen und Menschen gerichtet. Das Vorgehen gegen „Ausländer-Extremismus“ – zunächst mit der Repressionswelle gegen hier lebende und politisch aktive Kurden, dann gegen sogenannte Islamisten – bildet jedenfalls seit 9/11 einen Schwerpunkt der inlandsgeheimdienstlichen Tätigkeit. Diese ist eng verknüpft mit dem vorhandenen gesellschaftlichen Rassismus und hat de facto einen großen Teil der vorhandenen Kräfte gebunden. In der Folge wurde die Beobachtung von Nazigruppen deutlich reduziert.

Was sind die zentralen Anforderungen zur Aufarbeitung des NSU-Skandals?

Der NSU-Skandal kann nicht von Gremien aufgearbeitet werden, die zu Geheimhaltung verpflichtet sind. Sowohl das Schäfer-Gutachten zur Arbeit der Thüringer Behörden als auch die Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse sind in großen Teilen ihrer Arbeit aber durch eben diese Geheimhaltungspflicht beschränkt. Auch die Strafprozesse gegen Mitglieder oder Unterstützer des NSU werden nicht zu Aufklärung führen, da der Prozessstoff durch die von der Bundesanwaltschaft vorgegebene Anklageschrift bestimmt wird. Eine Aufarbeitung kann nur erfolgen, wenn sämtliche Erkenntnisse und Akten zum NSU veröffentlicht bzw. zumindest wissenschaftlichen Untersuchungen zugänglich gemacht werden. Es ist aber bereits jetzt deutlich, dass wesentliche Aktenbestandteile auch den dazu arbeitenden Gremien nicht mitgeteilt und schon gar nicht übergeben wurden. Dies wäre nur möglich gewesen, wenn sehr frühzeitig bei allen Inlandsgeheimdiensten, dem BKA sowie den Landeskriminalämtern alle Unterlagen sichergestellt worden wären.

Die Prozesseröffnung gegen das NSU-Mitglied Beate Zschäpe sowie einen breiteren Unterstützerkreis steht unmittelbar bevor. Lassen sich im Hinblick auf den aktuellen Kenntnisstand zum Verfahren Einschätzungen treffen, ob die organisatorische Dimension des Rechtsterrorismus hierbei ausreichend untersucht werden wird?

Die Strafverfahren gegen NSU-Mitglieder und -Unterstützer werden sich ausschließlich auf diejenigen konkret vorwerfbaren Handlungen beziehen, die mit vertretbarem Aufwand nachgewiesen werden können. Dies könnte unter Umständen sogar bedeuten, dass Beate Zschäpe nur einfache Mitgliedschaft und die Brandstiftung an dem von der Gruppe bewohnten Haus vorgeworfen werden. Strafverfahren eignen sich per se nicht zur Aufarbeitung komplexer Zusammenhänge. Im Falle NSU besteht aber darüber hinaus kein Interesse, die organisatorische Dimension der militanten Naziszene aufzuklären.

Als staatliche Antwort wurden u.a. eine Zentraldatei Rechtsextremismus nach Vorbild der schon existenten Zentraldatei Islamismus sowie ein Gemeinsames Abwehrzentrum Rechtsextremismus (GAR) eingerichtet. Wie ist dies im Einzelnen zu bewerten?

Bereits die Einrichtung des Abwehrzentrums hat zu einer bedenklichen Ausweitung der Speicherung personenbezogener Daten beim Bundesamt für Verfassungsschutz geführt, die Eingang in die Verbunddatei beim Gemeinsamen Abwehrzentrum finden. Auch die Fristen für die Speicherung von Informationen sollen deutlich verlängert werden. All diese Ausweitungen der Kompetenzen der Sicherheitsbehörden werden momentan durch die Morde des NSU gerechtfertigt. Über zehn Jahre lang hat eine Gruppe von größtenteils als gewalttätig bekannten, mit Haftbefehl gesuchten Neonazis Morde und Anschläge im gesamten Bundesgebiet begangen. Die deutschen Sicherheitsbehörden wollen nicht einmal erkannt haben, dass es sich bei der Verbrechensserie um politisch motivierte Taten von Neonazis handelte, sondern hatten im Umfeld der Opfer nach ausländischen Tätergruppen gefahndet. Keine der jetzt vorgeschlagenen neuen Institutionen und Gesetzesveränderungen hätte an diesem Ermittlungsdesaster etwas geändert. Nun wird dieses Versagen benutzt, um lang geplante Kompetenzerweiterungen und Grundrechtseinschränkungen – auch die Vorratsdatenspeicherung darf nicht fehlen – zu begründen und durchzusetzen. Bereits jetzt schwadronieren die ersten PolitikerInnen von einem Gemeinsamen Abwehrzentrum Links. Es findet schleichend eine Aushöhlung der grundgesetzlich garantierten Freiheitsrechte statt.

Zudem kündigte Innenminister Friedrich eine Zentralisierung der Aufgabenbereiche der Verfassungsschutzbehörden an – auch wenn die Länder zunächst dagegen waren. Was bedeuten diese Umstrukturierungsmaßnahmen rechtlich und politisch?

Solange diese Maßnahmen nicht konkret bezeichnet werden, ist eine solche Bewertung nur schwer vorzunehmen. Die Beschränkung föderaler Strukturen, also die Schwächung der Landesämter für Verfassungsschutz muss allerdings zu einer enormen Machtfülle bei der Bundesbehörde führen. Bereits jetzt ist festzustellen, dass diese Institutionen nicht demokratisch zu kontrollieren sind. Dies würde durch Stärkung der Bundesbehörde zementiert.

Mittlerweile vermitteln die staatlichen Maßnahmen gegen Rechts in der Öffentlichkeit den Eindruck einer „wehrhaften Demokratie“: In Rheinland-Pfalz läuft ein § 129-Verfahren („kriminelle Vereinigung“) gegen das neonazistische Aktionsbüro Mittelrhein; in Nordrhein-Westfalen sind zahlreiche Durchsuchungen und Vereinsverbote gegen die ansässige neonazistische Kameradschaftsszene ausgesprochen worden. Juristisch einwandfreie Schritte in die richtige Richtung?

Man hätte die so genannten Freien Kameradschaften bereits vor Jahren als Nachfolgeorganisationen verbotener Nazigruppen verbieten können. Unter Umständen wären diese Gruppen auch schon stark geschwächt worden, wenn die verschiedensten Behörden ihre V-Leute aus diesen Vereinigungen abgezogen hätten. Wichtiger als eine Kriminalisierung wäre aber eine politische Auseinandersetzung. Eine solche wurde lange vermieden, die Gefährlichkeit dieser Gruppen geleugnet.

Führen derartige Verbote nicht lediglich dazu, dass sich die Szene organisatorisch wieder neu formiert?

Staatliche Verbote, die richtig begründet und nachhaltig durchgeführt werden, schwächen die Naziszene. Faschistische, rassistische und antisemitische Einstellungen sind aber nur politisch erfolgreich zu bekämpfen. Die zurzeit laufenden Verfahren gegen Nazikameradschaften scheinen zumindest auf den ersten Blick nur durchgeführt zu werden, um den angeschlagenen Ruf der Behörden etwas zu beschönigen. Ob es tatsächlich zu einer Zerschlagung der Strukturen und der Aufklärung von Straftaten aus der Szene kommt, bleibt abzuwarten.

Können aus antifaschistischer Sicht grundsätzliche Einschätzungen zur staatlichen Verbotspolitik formuliert werden?

Es gibt keine einheitliche staatliche Verbotspolitik. Maßstab für vieles ist momentan der Umgang mit der NPD. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts, ein Verbotsverfahren nicht durchzuführen, solange nicht zu klären ist, wie stark die NPD von staatlich bezahlten Personen beeinflusst und getragen ist, war richtig. Der Staat hat bis heute die Voraussetzungen für ein Verbotsverfahren nicht geschaffen. Bis heute sind zahlreiche V-Leute in den NPD-Strukturen bzw. in den Nazistrukturen im direkten Umfeld der NPD tätig. Die staatlichen Stellen haben damit entschieden, dass sie ein Verbot nicht wollen. Vor diesem Hintergrund sind die von Zeit zu Zeit relativ willkürlich vorgenommenen Vereinigungsverbote kritisch zu beurteilen.

Die repressive staatliche Linie gegen die Neonazis ist begleitet von einer Denunziation antifaschistischer Aktivitäten der radikalen Linken: In Dortmund etwa wurde das Verbot des neonazistischen Aufmarsches zum Antikriegstag begleitet vom Verbot des dort geplanten Antifa-Camps. Droht hier eine öffentlichkeitswirksame Durchsetzung der alten Extremismustheorie, die undifferenziert die neonazistische Gefahr mit der „Gefahr von Links“ gleichzusetzen versucht?

Die Extremismus-Doktrin dient vor allem der CDU im Bund und in den von ihr geführten Ländern als politisches Kampfinstrument gegen Links. Sie basiert auf der Behauptung, Faschismus und Sozialismus würden von den Rändern der Gesellschaft her die „demokratische Mitte“ gefährden. Dies ist nicht nur eine widerliche Gleichsetzung, sondern verklärt diese „Mitte“ der Gesellschaft zum Ideal. Wer solch eine „Theorie“ vertritt, kann und will nicht erkennen, dass beispielsweise Rassismus und Antisemitismus gleichermaßen in der gesamten Gesellschaft vorherrschen und auch dort reproduziert werden. Zurzeit sind der Inlandsgeheimdienst und diejenigen Politiker, die durch ihre Extremismus-Doktrin die militante Naziszene haben agieren lassen, stark unter Druck. Durch die verstärkte Repression und Mobilisierung gerade auch gegen AntifaschistInnen wird versucht, die eigene politische Position zu verteidigen. Auf keinen Fall sollen AntifaschistInnen die Möglichkeit haben, vor dem Hintergrund des NSU-Skandals ihre Kritik an der staatlichen Politik darzustellen und mit ihrer grundlegenden Gesellschaftskritik Gehör zu finden.

Vielen Dank für das Interview!


Alexander Hoffmann ist als Rechtsanwalt in Kiel tätig. Am 31. Oktober referiert und diskutiert er in der Düsseldorfer Reihe „INPUT – antifaschistischer Themenabend“ zum Thema Staatliche Repression gegen die extreme Rechte – Chancen, Fallstricke und Grenzen, Zentrum Hinterhof, Corneliusstr. 108, Beginn: 19.30 Uhr. Nähere Infos: www.linkes-zentrum.de/gruppen/input