Wehrmachtssoldaten in Italien verurteilt

in (17.09.2012)

Ein Militärgericht in Verona hat am 6. Juli 2011 neun ehemalige Wehrmachtssoldaten in Abwesenheit verurteilt. Den Soldaten, die als Teil der Fallschirmjäger-Division Hermann Göring sowohl bei der Aufstandsbekämpfung in Warschau als auch bei der Verfolgung von Widerstandskämpfer_innen in Italien eingesetzt worden waren, wurden Massaker an Zivilist_innen vorgeworfen. Bei Einsätzen in Italien im Jahr 1944 hatte die Division über 400 Zivilist_innen, darunter vor allem Frauen, Kinder und ältere Menschen, in der Region Emilia-Romagna und der Stadt Arezzo (Toskana) getötet. Das Gericht verurteilte die Angeklagten zu lebenslangen Haftstrafen und Schadensersatzzahlungen an die Hinterbliebenen. Eine Vollstreckung der Urteile müssen die ehemaligen Wehrmachtssoldaten indes nicht fürchten, da sie sich bei Verkündung des Urteils in Deutschland aufhielten. Die Bundesrepublik Deutschland verweigert nicht nur ihre Auslieferung nach Italien, sondern leitet auch keine eigenen Untersuchungen ein. Angeblich reichen die Beweise nicht aus, um eigenständige Verfahren durchzuführen.

Es ist nicht verwunderlich, dass die Prozesse erst in diesem Jahr ihr Ende fanden. Zwar begannen bereits kurz nach der deutschen Kapitulation 1945 umfangreiche Untersuchungen der NS-Verbrechen durch Jurist_innen. Viele der belastenden Akten wurden jedoch in den sogenannten „Schrank der Schande“ verbracht. Dieser stand von 1960 bis 1994 in der Allgemeinen Militäranwaltschaft in Rom und beherbergte über 2200 Fälle von Kriegsverbrechen in Italien. Man wollte die Verfahren gegen die deutschen Wehrmachtssoldaten nicht aufrollen, um diplomatische Probleme mit der Bundesrepublik Deutschland zu vermeiden, die viele der ehemaligen Wehrmachtssoldaten in die Bundeswehr übernommen hatte. So entgingen tausende von deutschen Soldaten ihrer gerechten Verurteilung. Obwohl es sich um einen der letzten großen NS-Prozesse handelte, fand praktisch keine öffentliche Auseinandersetzung in Deutschland über die Verhandlungen statt. Die Bundesrepublik wird aber auch in Zukunft mit Prozessen und Entschädigungsforderungen von Opfern des Nationalsozialismus konfrontiert sein. Im September verhandelt der Internationale Gerichtshof in Den Haag über die Massaker an Einwohner_innen der griechischen Stadt Distomo. Hier wird es um die Frage gehen, ob das Völkerrecht den Opfern von Kriegsverbrechen ein subjektives Recht auf Entschädigung unmittelbar gegen den verantwortlichen Staat zuspricht.

Maximilian Pichl, Frankfurt am Main