Arabischer Frühling 2.0

Themenschwerpunkteditorial iz3w 330

»Die Revolution ist die erfolgreiche Anstrengung, eine schlechte Regierung loszuwerden und eine schlechtere zu errichten.« Trifft diese sarkastische Bemerkung von Oscar Wilde auch auf die Umbrüche zu, die unter der Bezeichnung »Arabischer Frühling« zusammengefasst werden? Diese Frage ist eine Art Leitmotiv dieses Themenschwerpunktes. Ihr Ausgangspunkt ist die ernüchternde Beobachtung, dass der Sturz der autoritären Herrscher in Tunesien, Ägypten und Libyen nicht jene Befreiung hervorgebracht hat, die sich viele demokratische AktvistInnen vor Ort und ihre SympathisantInnen hierzulande erhofft hatten.

Auf den Frühling folgte ein Herbst, der von erneuter Repression und von Wahlerfolgen islamistischer Parteien (also der politischen Rechten) geprägt war. In Syrien tobt gar ein blutiger Krieg des Assad-Regimes gegen große Teile der Bevölkerung. Dass manche Widersacher von Assad ebenfalls schwere Menschenrechtsverletzungen begehen und ihre politische Agenda alles andere als fortschrittlich ist, vervollständigt das traurige Bild.

 

Ein gutes Jahr nach dem ersten Arabischen Frühling lässt sich aber auch viel Positives festhalten und auf einen zweiten Frühling hoffen. Denn allen Rückschlägen und betonartigen Strukturen zum Trotz sind in fast allen arabischen Ländern Veränderungen eingetreten, hinter die nicht mehr zurückgegangen werden kann. Die Bevölkerungen sehen sich heute mehrheitlich als politisches Subjekt, als aktive Akteure und nicht mehr als zu beherrschendes Objekt. Die tiefgreifenden Folgen dieser Entwicklung können vermutlich erst in einer Dekade resümiert werden.

Zweifelsohne sind die Demokratisierung, die Durchsetzung von Frauenrechten, die Pressefreiheit und vieles mehr noch prekär. Alle Fortschritte müssen wachsam verteidigt werden gegen alte Apparate und neue Tugendwächter. Aber im Vergleich zur Situation vor anderthalb Jahren hat sich unglaublich viel getan. Übereinstimmend wird aus fast allen Ländern berichtet, wie sehr sich die Bevölkerung politisiert hat und kritische Diskussionen alltäglich geworden sind. RevolutionärInnen brauchen aber auch in arabischen Ländern einen langen Atem, daran ändert das rasante Tempo der ersten Veränderungen nichts.

Wünschenswert wäre freilich eine entschiedene Unterstützung des demokratischen Aufbruchs aus dem Ausland. Doch nicht nur Russland und China verhalten sich schäbig gegenüber den RevolutionärInnen, auch westliche Regierungen haben kaum mehr als ein paar warme Worte für sie übrig. Die Sanktionen der EU gegen das Assad-Regime beispielsweise sind in ihrer Harmlosigkeit lächerlich – als ob es Assad beeindruckt, dass seine Frau derzeit nicht mehr in Paris shoppen gehen kann.

Nicht einmal die hiesige Linke kann sich in ihrer Mehrheit zu einer entschiedenen Unterstützung der Revolten entschließen, es dominieren Abwarten und Zuschauen. Gewiss, es gibt Initiativen wie »Adopt a Revolution«, die die demokratische syrische Opposition ideell und materiell stärken. Doch dem stehen bis in die Linkspartei reichende antiimperialistische Strömungen gegenüber, die jegliche Sanktionen gegen das Assad-Regime ablehnen. Sie wenden sich gegen die angeblich von Seiten des Westens drohende Kriegsgefahr und ignorieren, dass Assad schon seit fast einem Jahr einen realen Krieg gegen die Bevölkerung führen lässt.

 

Wenden wir uns Erfreulicherem zu, etwa den künstlerischen Aufbrüchen in arabischen Ländern, die dem dortigen Frühling eine eigene visuelle Prägung geben. Bebildert ist dieser Themenschwerpunkt mit Cartoons von Khalid Albaih, dem wir herzlich für die Erlaubnis danken. Albaih ist Sudanese, wuchs aber vor allem in Doha auf. Er gehört jener jungen, zornigen Generation in arabischen Ländern  an, die sich von Autoritäten gleich welcher Art nichts mehr vorschreiben lassen. Seine Cartoons geißeln die Diktatoren, die Militärs und die Fundamentalisten ebenso wie die Manipulationsmacht der Medien. Er lässt sich vom Westen und dessen Versprechen nicht blenden, aber erst recht glaubt er den Assads der arabischen Welt und den Glaubenseiferern kein einziges Wort mehr.

Leute wie Albaih und ihre Etappenerfolge sind der Grund, warum wir dazu tendieren, Oscar Wildes Zitat zu korrigieren: »Die Revolution ist die erfolgreiche Anstrengung, eine schlechte Regierung loszuwerden und eine weniger schlechte zu errichten.«

 

die redaktion