Uwe-Jens Heuer 1927-2011

Jurist in zwei deutschen Staaten

Nach Systemumbrüchen gedeiht die Selbstbezichtigungs- und Selbstrechtfertigungsliteratur: Von Carl Schmitts dünner Schrift „Ex captivitate salus“, erschienen 1950 an entlegener Stelle im Kölner Domführerverlag, bis zu Uwe-Jens Heuers über sechshundertseitigen Erinnerungsband „Ein Jurist in zwei deutschen Staaten“, der 2002 in einem etablierten linksliberalen Juristenverlag erschien. Am 22. Oktober ist der 1927 in Essen geborene Heuer in Berlin gestorben. Von den DDR-Juristen, die über die Grenzen ihres Staates hinaus Beachtung fanden, leben nach Heuers und dem Tod des Rechts-Kybernetikers Michael Benjamin noch die Gustav-Radbruch-Mitherausgeber Hermann Klenner und Gerhard Haney oder die in der Wiederbegründung eines Verwaltungsrechts engagierten Hans-Ulrich Hochbaum und Wolfgang Bernet. Ausführlich und (selbst-)kritisch Auskunft über das Juristenleben in der DDR findet man bisher nur bei Heuer. „Keine Beichte, kein Aufdecken von Geheimnissen, aber ein offenes und ehrliches Buch“, bewirbt seit Jahren der Nomos-Verlag Heuers Bericht.

Schon ein Gutachten 1956 zur Doktorarbeit kanzelte Heuer als zu aufmüpfig ab. Später kooperierte Heuer im Wirtschaftsrecht mit Hans-Ulrich Hochbaum von der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, während der dortige Professor Gerhard Haney, der den DDR-Staat verklärte, für den auf Verrechtlichung und Demokratisierung des Zentralismus drängenden Heuer ein theoretischer Gegner war. Während der Entstalinisierung Ende der fünfziger Jahre ging er zusammen mit dem Rechtsphilosophen Klenner und dem (2006 verstorbenen) Völkerrechtler Bernhard Graefrath „zu weit“. Die „Revisionisten-Gruppe“ wurde per „Parteistrafe“ vorübergehend aus dem Wissenschaftsbetrieb entfernt. Anfang 1968 nannte „Der Spiegel“ Heuer zusammen mit Christa Wolf als Gegenelite zur DDR-Führungsclique. In einer Reformkommission schmuggelt er aus dem BRD-Grundgesetz eine Formulierung in Artikel 108 der DDR-Verfassung ein.

Sein Buch über „Marxismus und Demokratie“, trotz alle Defizite (den Namen Hans Kelsen sucht man vergebens) ein aufsehenerregender Versuch, in der Gorbatschow-Ära auch für die DDR eine Diskussion über Rechtsstaat und Gewaltenteilung anzustoßen, erschien gleichzeitig im DDR-„Staatsverlag“ und in Westdeutschland bei „Nomos“.

In diesem Buch findet man zahlreiche mitunter in Fußnoten versteckte Seitenhiebe gegen linke Dogmen und die Politik des damals so genannten „realen Sozialismus“, etwa wenn auf Lassalles Überzeugung verwiesen wird, daß Marx zu abstrakt sei, „um Politik zu verstehen“, wenn als Vorbild zitiert werden die kommunistischen Parteien Chinas („Ohne die Reform des politischen Systems wird die Reform des Wirtschaftssystems nicht den endgültigen Erfolg erringen können“) oder Ungarns (Pluralismus und sozialistische Kulturpolitik in Ungarn“) oder wenn Heuer über kommunistische Träumereien und die Ignoranz gegenüber den Formen von Staatlichkeit schreibt: „Das Absterben des Staates liegt im Dunkel ferner Zukunft.“ Konsequent widerspricht er der unter Linken beliebten Vermengung oder gar Gleichsetzung von Recht und Politik, der Geringschätzung des als „bürgerlich“ verachteten juristischen Positivismus: „Damit ergeben sich auch neue Überlegungen zum Positivismus... Heute kommt es darauf an,… das Bewußtsein von der Notwendigkeit der Einhaltung und Durchsetzung des eigenen Rechts bei den Bürgern, aber auch im Staatsapparat… zu festigen.“

Die Wende 1989 erlebte Reisekader Heuer in den USA, danach begab er sich als Seiteneinsteiger in die Politik und gehörte Volkskammer und Bundestag an. Als er dort, allzu rechtswissenschaftlich, aus der Kolumne des Dresdener Völkerrechtlers Ulrich Fastenrath in der „Frankfurter Allgemeine“ zitierte, mußte er sich, so Ex-SED-Mitglied Heuer, von „der Ex-Maoistin“ Antje Vollmer, damals Vizepräsidentin des Bundestages, belehren lassen: „Aber etwas zur FAZ gehört nicht in eine persönliche Erklärung.“

Als 2007 WASG und PDS sich zur Partei „Die Linke“ vereinigten, war die Streichung des Begriffs „demokratischer Sozialismus“ aus dem Namen der neuen Partei eine weitere politische Niederlage für Heuer, der auf dem Parteitag dagegen aufgetreten war. Daß er just an dem Tag starb, an dem die Linkspartei auf einem anderen Parteitag ein neues Erfurter Programm verabschiedete, lädt zur Suche nach tieferer Bedeutung ein, und erinnert jedenfalls an Marx' Diktum, daß sich die Geschichte zweimal ereigne – einmal als Tragödie, einmal als Farce.

Selbstkritisches zum stets gefährdeten Verhältnis zwischen Politik und Recht wäre auch bei Heuer zu lernen für deutsche Juristen, die sich im letzten Jahrhundert in verschiedenen Systemen vergaloppiert haben. Dazu paßt, daß nun posthum Heuers Buch „Glanz, Elend und Wiederkehr des Staatsdenkers Carl Schmitt“ erscheint. Geradezu programmatisch hatte Heuer seine Positionen zusammengefaßt in dem Leserbrief, den „Neues Deutschland“ am 25. November 1997 veröffentlichte, und zwar unter der und Überschrift: „Juristische und politische Bewertung sind zweierlei“.

Jena – 31. Oktober 2011