Auf die Straße gegen Krieg, Entrechtung und Besatzung

Anfang Dezember will die Antikriegsbewegung anlässlich von Petersberg II durchstarten - Interview mit Jan Bremer

Am 5. Dezember kommen die am Afghanistankrieg beteiligten Staaten in Bonn zusammen, um über die weitere Zukunft des Landes zu beraten. Für die Friedens- und Antikriegsbewegung Anlass genug für umfangreiche Proteste.

Auf dem Bonner Petersberg soll über »politische Lösungen« und »Truppenabzug« gesprochen werden. Das klingt doch eigentlich gut. Steht man da nicht vor einem Vermittlungsproblem?

Jan Bremer: Nein. Wie das Protestbündnis gegen die Konferenz richtig feststellt: »Sie reden vom Frieden, sie führen Krieg!« Ziel der Kriegsallianz bleibt eine langfristige militärische Sicherung, aber mit so wenig eigenen Soldaten wie möglich. »Truppenabzug« heißt hier höchstens »Afghanisierung« des Krieges. Ein völliger Truppenabzug stand überhaupt nie zur Debatte, stattdessen soll es eine permanente Stationierung von Truppen geben.

Weniger eigene Soldaten und »Afghanisierung« - ist das nicht genau der richtige Weg, um den Protest gegen den Afghanistankrieg zu entschärfen, ganz nach dem Motto »Aus dem Auge, aus dem Sinn«?

Deshalb geht es bei den Protesten auch nicht allein um den Afghanistankrieg. Die imperialistischen Kriege des Westens sind seit der Ausrufung des »Krieges gegen den Terror« nicht weniger geworden, im Gegenteil. Der Einsatz des Militärs zur Konfliktlösung ist, wie wir zuletzt in Libyen sehen konnten, aus Sicht der NATO das probate Mittel. Als Nächstes scheint der Iran auf der Abschussliste zu stehen. Deutschland ist stets dabei, auch wenn die Politik zuweilen das Gegenteil behauptet. Ich denke nicht, dass wir ein Vermittlungsproblem haben, wenn wir gegen Krieg, Entrechtung, Besatzung und Unterdrückung auf die Straße gehen.

Die Mehrheit in Deutschland lehnt den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan ab. Ihr habt eine Demo mit rund 6.000 Teilnehmern angemeldet. Ein gewisses Missverhältnis, oder?

Leider sagen Umfragen noch lange nichts darüber aus, wie viele Menschen auf die Straße gehen. Das müssen wir als linke Aktivisten ja in vielen Bereichen immer wieder leidvoll feststellen. Wir erinnern uns alle noch an die ausgebliebenen Krisenproteste. Hinzu kommt, dass der Antikriegsprotest in der aktivistischen Linken im Zuge der »antideutschen Debatte« lange Zeit verpönt war - und noch teilweise bis heute ist. Eine konsequente Ablehnung des Libyenkrieges ist vielen Linken schwergefallen. Wir wollen aber nicht jammern, sondern Antimilitarismus vor allem in der Linken wieder starkmachen und unterschiedliche Kämpfe mehr in ein Verhältnis zueinander setzen. Krise und Krieg sind für uns Kehrseiten ein und derselben Medaille.

Dennoch schätzt ihr eure Mobilisierungsfähigkeit nicht sehr hoch ein ...

Ich glaube, dass das Potenzial der einzelnen Strömungen sehr unterschiedlich ist. Die klassische Friedensbewegung ist schon lange in der Krise. Die ritualisierten Ostermärsche sind sicher eine wichtige Tradition, aber es werden keine neuen Akzente gesetzt. Für die Linkspartei, besonders für ihren linken Flügel, ist die Mobilisierung nach Bonn ein wichtiges Thema. Wie weit sie ihr Klientel mobilisieren kann, kann ich schwer einschätzen. Aber eine starke Basismobilisierung in der Linkspartei würde die Antikriegsposition in der Partei sicher stärken. Für die radikale Linke war das Thema, wie gesagt, lange Zeit unattraktiv und belastet. Aus meiner Sicht hat die Mobilisierung gegen den NATO-Gipfel in Straßburg 2009 eine positive Wende gebracht und Antimilitarismus wieder deutlicher in den Fokus gerückt. Es gibt sicher noch einiges zu tun, aber ich würde eine positive Entwicklung bescheinigen.

Selbst die Bundesregierung spricht mittlerweile davon, dass der Afghanistankrieg nicht mit militärischen Mitteln zu gewinnen sei. Ist man in Berlin kriegsmüde geworden oder wie erklärst du dir diesen Sinneswandel?

Ich würde es eher als Hinhaltetaktik und Beschwichtigung der Öffentlichkeit verstehen, denn die Strategie in Afghanistan setzt im Gegenteil auf eine Ausweitung der militärischen Mittel. Seit 2009 hat sich das Truppenkontingent der ISAF mehr als verdoppelt. Deutschland stellt dabei mit rund 5.000 Soldaten nach den USA und Großbritannien den drittgrößten Anteil. Und der angekündigte Beginn des Abzugs ist eh frühestens für 2014 in Aussicht gestellt worden. Ziel ist es, die eigenen Kosten und Opfer zu reduzieren bei gleichzeitiger Wahrung von Einfluss und Kontrolle. Auch wenn sich die Politik und die Militärs, damals übrigens noch unter Rot-Grün, das Engagement in Afghanistan sicher anders vorgestellt haben, von Kriegsmüdigkeit kann generell keine Rede sein.

Wenn nun bis 2014 ein Großteil der ausländischen Truppen aus Afghanistan abgezogen werden soll, was heißt das für das Land?

Die Bilanz des westlichen Engagements in Afghanistan ist verheerend. Was hat die Kriegspropaganda nicht alles versprochen. Die Taliban sollten besiegt werden, Demokratie gebracht und die Rechte der Frauen gestärkt werden. Nichts davon ist eingetreten. Die Taliban sind nicht besiegt, sie mussten mittlerweile als Verhandlungspartner anerkannt werden. Von einer wie auch immer gearteten Demokratisierung ist das Karzai-Regime weit entfernt. Die Regierung ist absolut korrupt. In vielen Regionen haben Warlords das Sagen, für die Menschenrechte keine Bedeutung haben. Die Wirtschaft in Afghanistan ist völlig am Boden, wenn man mal vom Opiumhandel absieht. Die Besatzung hat den Neoliberalismus in Afghanistan auf die Spitze getrieben: Schutzzölle wurden abgeschafft, Staatsbetriebe privatisiert und für westliche Investoren gilt eine Steuerbefreiung von vier bis acht Jahren. Auch die Entwicklungshilfe fließt vor allem in die Tasche westlicher Aufbaufirmen oder wird für Sicherheitsmaßnahmen und Aufstandsbekämpfung zweckentfremdet.

Der Krieg zieht also massive ökonomische und soziale Verwerfungen nach sich ...

In der Tat. Die Folgen dieser Politik sind Massenentlassungen und fortschreitende Verarmung. Die Arbeitslosenquote liegt bei 40 Prozent, über 60 Prozent der Bevölkerung ist chronisch unterernährt und lediglich 13 Prozent der Afghanen haben einen gesicherten Zugang zu Trinkwasser. Laut einer US-Militärstudie steht die absolute Mehrheit des Widerstandes gegen die Besatzung nicht etwa den Taliban oder al-Qaida nahe, sondern wird von Armut und Arbeitslosigkeit zum bewaffneten Aufstand motiviert. Unter der anhaltenden Kriegssituation haben vor allem Frauen und Kinder zu leiden. Die Selbstmordrate ist enorm, Prostitution und Suchtkrankheit weit verbreitet und Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung.

Eine schnelle Lösung scheint unter diesen Bedingungen nicht in Sicht. Was muss sich ändern?

Nein, eine Besserung ist aktuell wirklich nicht in Sicht. Die westlichen Besatzer bauen der afghanischen Marionettenregierung einen Repressionsapparat auf. Afghanistan droht die Zukunft einer von der NATO abhängigen autoritären Militärdiktatur. Eine Zukunft hat Afghanistan erst dann wieder, wenn die Besatzung und all ihre gesellschaftlichen und ökonomischen Auswüchse beseitigt sind.

 

Drei Tage Protest gegen Petersberg II

Am 5. Dezember 2011 wird in Bonn die Konferenz »Petersberg II« der NATO-Staaten und anderer Länder stattfinden, bei dem über die Zukunft Afghanistans beraten werden soll. Die Friedens- und Antikriegsbewegung mobilisieren zu dreitägigen Protesten gegen das Gipfeltreffen. Auftakt ist eine Demonstration am Samstag, den 3. Dezember. Am folgenden Tag findet eine Internationale Antikriegskonferenz im Landesmuseum Bonn statt. Am Tag der Afghanistankonferenz selbst sind zahlreiche Protestaktionen im Umfeld des Tagungsorts, dem alten Bundestagsplenarsaal, geplant. Die Interventionistische Linke beteiligt sich an diesen Aktivitäten und ruft zu einem internationalistischen Block in der Demonstration am 3. Dezember ab 11 Uhr 30 auf dem Bonner Kaiserplatz auf. Weitere Informationen unter www.afghanistanprotest.de bzw. www.dazwischengehen.org.

aus: ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 566/18.11.2011