Widerstand gegen neoliberale Krisenpolitik? Portugal nach den Wahlen und vor dem Generalstreik

Die politische Entwicklung in Portugal bleibt unübersichtlich und widersprüchlich: Nachdem im März 2011 Massenproteste gegen die Spar- und Kürzungsprogramme zum Sturz der portugiesischen Regierung beitrugen, hat der Wahlsieg der Konservativen bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im Juni 2011 die Fortführung und Verschärfung der neoliberalen Politik vorerst gesichert.

Einerseits hatten die Massenproteste im Frühjahr in Portugal darauf hingedeutet, dass ein wachsender Anteil der Bevölkerung die schweigende Unzufriedenheit überwunden hatte und bereit war, gegen die neoliberale Regierungspolitik auf die Straße zu gehen. Andererseits haben die WählerInnen wenige Monate später der Partei zur Macht verholfen, die diese Politik unterstützt und bereits vor der Wahl angekündigt hatte, die noch schärferen EU/IWF-Pläne umzusetzen. Insgesamt ist also ein Widerspruch zwischen den Massenprotesten im März und dem Wahlverhalten am 5. Juni festzustellen.
Die wachsende soziale Unzufriedenheit führte nicht zu einem Stimmenzuwachs für die linken Oppositionsparteien. Im Gegenteil: Der Linksblock kam nur noch auf etwa fünf Prozent – ein deutlicher Verlust im Vergleich zu den zehn Prozent bei den letzten Wahlen. Eine naheliegende Erklärung hierfür ist, dass Linksblock-PolitikerInnen den regierenden SozialdemokratInnen im Wahlkampf Koalitionsangebote gemacht hatten, während der Linksblock gleichzeitig gegen die Prekarisierung agitierte. Die sozialdemokratische Regierung hatte diese Verschlechterung der Lebensverhältnisse jedoch wesentlich mit vorangetrieben.
Auch die Kommunistische Partei erreichte mit 7,91 Prozent nicht mehr WählerInnen als sonst. Die KP konzentrierte ihren Wahlkampf darauf, sich als „linke und patriotische Kraft“ darzustellen, und setzte auf die Anti-EU/IWF-Stimmung in der Bevölkerung. Allerdings erreichte dieser Ansatz wenig neue WählerInnen außerhalb der traditionellen Parteiklientel. Auch ist kein relevantes Sinken der Wahlbeteiligung zu beobachten, das als Abwendung von der herkömmlichen Parteienpolitik und Hinwendung zu neuen Formen unmittelbarer und basisdemokratischer sozialer Proteste verstanden werden könnte.

Widerspruch zwischen Protesten und Wahlverhalten

Diese Entwicklung wird davon begleitet, dass inzwischen wesentlich weniger Menschen an den sozialen Protesten teilnehmen. Während im März bei zwei Protestwellen jeweils 200.000 Menschen auf die Straße gingen, bleiben solche Zahlen seitdem aus. An den traditionellen 1.Mai-Veranstaltungen der Gewerkschaften beteiligten sich lediglich einige zehntausend Menschen.
Auf den ersten Blick scheinen die Märzproteste ein Strohfeuer gewesen zu sein. Erst bei genauerem Hinsehen lassen sich interessante Antworten „von unten“ auf die Krise entdecken, die weniger sichtbar aber möglicherweise nachhaltiger sind. So sind nach den Märzprotesten in einigen portugiesischen Städten Vernetzungen und Organisierungen entstanden, in denen versucht wird, auf lokaler Ebene soziale Proteste gegen die neoliberalen Spar- und Kürzungsprogramme zu initiieren. Die Beteiligten setzen sich aus bisher unorganisierten SchülerInnen und StudentInnen zusammen, die durch die Massenproteste politisiert wurden, sowie aus linksradikalen und anarchistischen AktivistInnen.
Diese Vernetzungen führen zum einen zu größeren politischen Aktionen jenseits der linken Oppositionsparteien und der Gewerkschaften. Erwähnenswert ist etwa die Mayday-Parade in Porto, bei der die zunehmende Prekarisierung der Arbeits- und Lebensverhältnisse Thema war. Eine ähnliche Demonstration in Setubal löste die Polizei unter massivem Gewalteinsatz auf. Offensichtlich hat sich ein Teil der Menschen, die an den Märzprotesten teilgenommen haben, weiter politisiert und radikalisiert.
Zum anderen entstehen aus solchen Strukturen Aktivitäten für ein besseres Leben. So besetzten Mitte April in Porto linksradikale und anarchistische AktivistInnen eine ehemalige Grundschule und verwandelten diese in ein selbstverwaltetes soziales Zentrum. Die Menschen aus dem Stadtviertel brachten sich von Anfang an im Zentrum ein und nutzten die Räume für ein selbstorganisiertes Kultur- und Bildungsprogramm. Davon unbeeindruckt ließ die Stadtverwaltung von Porto die Schule Mitte Mai durch die Polizei räumen – unter massivem Protest der AnwohnerInnen. Durch eine gemeinsame Kampagne der BesetzerInnen und der AnwohnerInnen wurde erreicht, dass die Stadt die Räumung inzwischen zurückgenommen hat und das Zentrum demnächst wieder geöffnet werden kann.

Strohfeuer oder nachhaltige Vernetzung?

Obwohl die Parlamentswahlen eher darauf hindeuten, dass linke Oppositionsparteien in absehbarer Zeit keine wirksame Gegenkraft gegen die neoliberale „Krisenbewältigung“ bilden werden, wachsen auf lokaler Ebene Strukturen und Aktivitäten jenseits von Parteien und Gewerkschaften, die sich langfristig zu einer bedeutenden Kraft entwickeln könnten. Möglicherweise wird bereits bald ein erstes Zeichen hierfür zu beobachten sein. Derzeit kursiert in Portugal ein Aufruf für einen Generalstreik am 8./9. September. Der Generalstreik soll ohne Beteiligung von Parteien oder Gewerkschaften stattfinden. Allerdings ist bisher nicht absehbar, wie erfolgreich ein solcher Streik ohne Unterstützung der Kommunistischen Partei und der ihr nahestehenden Gewerkschaften sein kann.

In: analyse&kritik, Nr. 563 (19.8.2011)