»Kompromisslos vorgehen«

Zur Situation der Roma in der Dortmunder Nordstadt

in (25.07.2011)

Seit Monaten kocht die Diskussion um die Dortmunder Nordstadt hoch. Die lokalen Medien berichten fast täglich über den „wohl größten Straßenstrich Westdeutschlands“, die große Drogen- und AlkoholikerInnenszene, Kriminalität und Gewalt sowie über illegal „besetzte“ und vermüllte Häuser. Im Mittelpunkt der Debatte stehen dabei vor allem MigrantInnen aus Bulgarien und Rumänien, vorwiegend aus der Volksgruppe der Roma. „Mit eisernem Besen kehren“ oder „mit aller Härte vorgehen“ sind typische Zitate in einer Debatte über ein Quartier, das zum Politikum wurde.
Brennpunkt Nordstadt

Die Dortmunder Nordstadt gilt landläufig als Stadtteil mit besonderem Erneuerungsbedarf. Etwas über 52.000 Menschen leben in dem traditionellen Arbeiterviertel, wobei über 60 % von ihnen einen Migrationshintergrund haben und jeder zweite von ihnen zur Sicherung der Existenzgrundlage auf Hartz IV angewiesen ist. Mit dem nördlichen Dortmunder Stadtteil werden überwiegend Schlagwörter wie Alkohol, Drogen, Prostitution und Kriminalität assoziiert. Zu Beginn des Jahres 2007 wurden im Rahmen der zweiten Osterweiterung nach einem EU-Beschluss unter strikten Auflagen auch Bulgarien und Rumänien in die Europäische Union aufgenommen. In der Hoffnung, den desolaten Lebensbedingungen entgehen und rassistischer Ausgrenzung oder antiziganistischen Ausschreitungen – die gerade in den ehemaligen Ostblockstaaten teils staatlich geschürt, teils geduldet werden – entfliehen zu können, setzen Migrationsbewegungen gen Westen ein. Rund 5.000 Roma sollen im Zuge dessen bisher nach Dortmund gekommen sein, sicherlich sind jedoch nicht alle auf Dauer geblieben.

Aufgrund einer Übergangsfrist, die bis Ende 2013 gilt, bekommen MigrantInnen aus Rumänien und Bulgarien nicht automatisch eine Arbeitserlaubnis und auch ein rechtmäßiger Anspruch auf Sozialhilfe bleibt ihnen bis dahin verwehrt. Viele Möglichkeiten, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, haben sie also nicht. Der einzige Ausweg ist die Selbständigkeit, weil dabei keine besonderen Beschränkungen existieren: Ein Großteil der Männer verdient dann sein Geld auf dem sogenannten. Schwarzarbeiterstrich, wohingegen vor allem viele Frauen aus dem Roma-Ghetto der bulgarischen Stadt Plovdiv nach Dortmund kommen, um hier ihr Geld mit Sexarbeit verdienen zu können. Neun Jahre lang gab es an der Ravensberger Straße einen legalen Straßenstrich, der stets als „Dortmunder Modell“ gelobt wurde. Die Prostituierten konnten ihrer Arbeit vergleichsweise gut nachgehen: Sie waren geschützt durch sogenannte Sicherheitsboxen mit Notfall-Buzzern, hatten einen Rechtsanspruch auf Entlohnung und es gab im Rahmen von Runden Tischen regelmäßige Treffen zwischen den Ordnungsbehörden und den Sozialeinrichtungen.

Doch als die Zahl der Prostituierten von ursprünglich 60 auf offiziell 700 anstieg, von denen der überwiegende Teil Roma-Frauen ausmachte, beschloss der Rat der Stadt Ende März die Schließung des Strichs und weitete den Sperrbezirk auf die ganze Stadt aus. Kritische Gegenstimmen, die auf die katastrophalen Folgen für die Prostituierten hinwiesen (Verlust des sicheren Arbeitsplatzes, steigende Gewaltgefahr durch Freier etc.), konnten sich nicht durchsetzen und auch eine in der Presse als „Huren-Marsch“ titulierte Demonstration der Frauen samt UnterstützerInnen, die für den Erhalt des Straßenstrichs warb, konnte die Verantwortlichen nicht mehr umstimmen. Die Begründung: Der ehemalige Strich hätte vermehrt seit Anfang des letzten Jahres einen Anstieg der Kriminalität nach sich gezogen: zahlreiche Straftaten, verwahrloste Häuser, Drogen- und Menschenhandel seien die Folge.


Beispiel »Ekelhäuser«

Abgesehen davon, dass es keinen Beleg für einen direkten Zusammenhang vom gewachsenen Dortmunder Straßenstrich und steigender Kriminalität gibt, werden die gesellschaftlichen und politischen Ursachen, die die Verhältnisse in Dortmund bestimmen, kaum bis gar nicht thematisiert. Stadtverwaltung und Polizei arbeiten sich lediglich am Ist-Zustand ab, ohne nach den Hintergründen zu fragen und sehen unter anderem. deshalb in den Roma vor allem ein wirtschaftliches und ordnungspolitisches Problem.

Das lässt sich zum Beispiel an der Debatte um die sogenannten Problem- oder Ekelhäuser in der Nordstadt verdeutlichen, von denen das Ordnungsamt rund 60 Stück um den zentralen Nordmarkt ausgemacht haben will. Einige dieser Häuser wurden von RumänInnen und BulgarInnen besetzt und Anfang des Jahres geräumt. Dabei handelt es sich um heruntergekommene Immobilien, die meist überbelegt und infolge dessen auch vermüllt sind. Anstatt die Ursache dieser prekären Wohnverhältnisse nun darin zu suchen, dass die VermieterInnen solcher Häuser schnelles Geld verdienen wollen, indem sie nicht zimmer-, sondern gleich bettenweise vermieten und die Häuser von verschiedenen Eigentümergesellschaften heruntergewirtschaftet wurden, wird den BewohnerInnen die (gleich ob illegale oder rechtskonforme) Nutzung solcher Häuser zum Vorwurf gemacht. Einige Presseberichte suggerierten sogar, dass sich die NutzerInnen in den unhygienischen Zuständen wohlfühlten, weil sie entweder gar nichts anderes kennen würden oder es immer noch bessere Zustände seien als in ihrem Herkunftsland. Als würden sie dort freiwillig wohnen, und nicht etwa nur deshalb, weil ihnen ihre finanziellen Möglichkeiten nicht mehr Lebensqualität erlaubten und sie aufgrund von Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt in diese und ähnlich miserable Wohnverhältnisse gedrängt würden. Dieser Armutsmigration versucht man (übrigens nicht nur in Dortmund) mit einer Law-and-Order-Politik entgegenzusteuern.


Polizei als wesentlicher Akteur


Als eine zentrale ordnungspolitische Maßnahme wurde eine neue „Nordstadt-Task-Force“ (Eigenbezeichnung) gebildet: eine mobile Einsatzgruppe, mit 45 MitarbeiterInnen der Stadt und über 150 PolizistInnen, die fast rund um die Uhr das Nordstadt-Quartier überwachen und kontrollieren sollen, um das Verbot der Straßenprostitution durchzusetzen und Kleinkriminalität zu unterbinden. Allerdings griff man bereits vor der Gründung hart durch. Drei von RumänInnen und BulgarInnen „besetzte“ Häuser wurden geräumt und die Sicherheitsbehörden führten mehrere Groß-Razzien in der Nordstadt durch und stockten ihr Kontingent in diesem Einsatzgebiet um mehr als 80 BeamtInnen auf. Ungeachtet der Tatsache, dass das Verhältnis der ethnischen Minderheit der Roma zur Polizei sowohl historisch vorbelastet, als auch durch gegenwärtige Diskriminierung und Verfolgung in ihren Herkunftsländern extrem konfliktbeladen ist, sollen nun also groß angelegte Polizeikontrollen, Razzien und andere Repressionen wieder zum Alltag für Roma als NordstadtbewohnerInnen werden. Die Stadt setzt offenbar nicht mehr auf eine „Balance zwischen Repression und Betreuung“, die OB Ullrich Sierau (SPD) noch im Februar stolz verkündete. Den Schwerpunkt bildet nun der starke Arm der Sicherheitsbehörden. Dessen Kopf, der Polizeipräsident Hans Schulze (SPD), der bei Dortmunder AntifaschistInnen schon seit Jahren wegen Verharmlosung und Hofierens der örtlichen Neonaziszene in der Kritik steht, forderte bei einer Pressekonferenz: „Wir müssen den Zuzug aus Osteuropa stoppen!“ und zeigte damit mehr als deutlich, worin sein politisches Interesse besteht. Damit leistet Schulze wiederum einer autoritären Programmatik Vorschub, die ein „hartes Durchgreifen des Rechtsstaates“ legitimieren soll. Das wird dann auch dankend von LokalpoltikerInnen angenommen, die ein „klares Signal nach Osteuropa“ senden und damit zeigen wollen, dass Roma hier keine Chance auf ein besseres Leben haben sollen.


»Kriminelle Elemente«

Dieser durch die Sicherheitsbehörden dominierte Kurs wird durch die alltägliche Berichterstattung in der Lokalpresse flankiert. Wie sich an den Meldungen über Roma in der Nordstadt erkennen lässt, sind es vor allem Berichte über Roma-Delinquenz und -Devianz, also über Kriminalität und abweichendes Verhalten. Auch empirische Untersuchungen bestätigen, dass Sinti und Roma in Presseartikeln überwiegend im Zusammenhang mit Kriminalität und Konflikten erwähnt werden und fast nie über Einzelpersonen berichtet wird, sondern immer nur über ethnisch oder familiär verbundene Kollektive („Sippen“ oder „Clans“).

Es sind nicht nur die alltäglichen Meldungen über „Ekelhäuser“ und ansteigende Kriminalität, die durch die Osteuropäer verursacht würde. Die vielen subtilen Randbemerkungen in den Berichten sind ebenso entscheidend: ob nun über eine Romni, die einen Nachbarn geschlagen haben soll, weil es ihr nicht gepasst habe, dass der Flur gewischt wurde, oder das unhinterfragbare Diktum, Dortmund leide unter dem Zuzug der Roma beziehungsweise könne „keinesfalls noch mehr Zuzügler aus Plovdiv verkraften“. Sie ergänzen lediglich die eindeutig rassistischen Pauschalverdächtigungen der Nordstadt-SPD, die festgestellt haben will, dass sich schon jetzt „4.000 bis 5.000 Bulgaren aus kriminellen Milieus“ in Dortmund aufhalten, nur um wenig später gegen „Multikulti-Romantik“ zu wettern. Der örtliche CDU-Sprecher Thomas Bahr setzte noch eins drauf, indem er gegen „kriminelle Elemente und menschenverachtende Lebensformen von Randexistenzen“, die aus „ganz Europa“ nach Dortmund kämen, hetzte. Als Reaktion darauf führten einige Autonome, die sich als „Nordstadtkids“ bezeichneten, einen Farbanschlag auf seine Privatwohnung durch, weil er ein Vokabular benutzt habe, „das die Grenzen des Rechtspopulismus endgültig überschreitet und im Wörterbuch des NS angesiedelt ist“, so heißt es in dem Bekennerschreiben.

Auch in anderen Stadtteilen wie in Oestrich oder Eving, in denen sich größere Roma-Gruppen ansiedeln, gehen die BürgerInnen auf die Barrikaden. Bei einer BürgerInnenversammlung in Eving äußerte eine Person aus dem Publikum, dass die Roma seit Jahrhunderten nicht bereit seien, sich anzupassen und bedauerte „die Polizei könne eben nur rechtsstaatlich handeln.“

Die gesamte tendenziell negative Berichterstattung über die Roma verbindet sich zusammen mit den historisch gewachsenen Vorurteilsstrukturen der MediennutzerInnen zu einem antiziganistischen Syndrom, das die antiziganistischen Topoi der Medien-RezipientInnen als sicheres Wissen bestätigt und diese Stereotype jederzeit wieder mobilisierbar macht. Es kommt dabei dann weniger auf die einzelne unzutreffende bis rassistische Aussage in der Lokalpresse als vielmehr auf die Masse der Berichte an, die das Geflecht aus Stereotypen gegen Roma verdichten und bestätigen und eine eigene Assoziationskette mit Negativurteilen in Gang setzen.

Von einer Debatte kann man hier also kaum sprechen, dazu bedürfte es AkteurInnen auf gleicher Augenhöhe. Doch tatsächlich wird nur über die osteuropäischen Roma berichtet, sie selber kommen kaum zu Wort oder nur dann, um als Randnotiz die Ansichten der JournalistInnen zu bestätigen. Kritische Gegenstimmen kommen hauptsächlich von der Kontakt- und Beratungsstelle KOBER, die die 700 überwiegend bulgarischen SexarbeiterInnen betreut und unterstützt. Deutsche Interessenverbände der Sinti und Roma haben sich entweder bisher nicht wahrnehmbar eingeschaltet oder werden als AnsprechpartnerInnen erst gar nicht berücksichtigt. An einer wahrnehmbaren kritischen Gegenöffentlichkeit mangelt es diesbezüglich also in Dortmund.


»Think Globally, Act Locally«?!

Die Schlammschlacht über die Dortmunder Nordstadt äußert sich also nicht nur in einer Negativberichterstattung über die Roma durch die Lokalpresse, sondern auch in einer ordnungspolitisch oder rassistisch begründeten Ausgrenzung der aus Osteuropa einwandernden Angehörigen einer ethnischen Minderheit. In dieses Verhältnis mischen sich ferner eine gesellschaftliche Abneigung und eine stadtpolitische Praxis gegen Drogenabhängigkeit, Straßenprostitution und prekäre Lebens- und Wohnverhältnisse. Allgemein gesprochen verdichten sich hier also Bestrebungen gegen soziale Verelendung und die als Verwahrlosung empfundene Entwicklung des Nordstadt-Quartiers. An dem Diskurs um die Nordstadt zeigt sich deutlich, dass gerade der Antiziganismus durch ein Changieren zwischen rassistischer Ausgrenzung und sozialer Diskriminierung charakterisiert ist. Dortmund setzt bezogen auf die einwandernden osteuropäischen Roma vor allem auf eine Vertreibungspolitik. Einer zunehmenden globalen Armutsmigration wird man auf lokaler Ebene aber nur kurz- bis mittelfristig begegnen können.



Mehr Informationen


Ein kritischer WatchBlog zur Debatte um die Nordstadt findet sich auf folgender Website: https://nordstadt.noblogs.org

Zur Berichterstattung über Roma und Sinti in der Lokalpresse: http://library.fes.de/fulltext/asfo/01014005.htm

 

Der Artikel erschien in der Ausgabe Nr. 44/Sommer 2011 der antifaschistischen Zeitschrift Lotta