Editorial

Liebe Antifas, Freund_inenn und Genoss_innen, liebe Leser_innen,
Wie nicht anders zu erwarten, beschäftigt uns auch im neuen Jahr die leidige Extremismuslinie der schwarz-gelben Bundesregierung. Mit den Folgen dieses langweiligen, nichts destotrotz derzeit hegemonialen Konzepts setzt sich in dieser Ausgabe der Artikel »Konstrukt mit Wirkungsmacht« aus einander. Über die ersten Versuche aus dem Hause Schröder, »zivilgesellschaftliche« Initiativen gegen »Linksextremismus« aufzubauen, berichtet der Beitrag«Andi-Comics für alle!«. Unter dem Titel »Wo geht’s hier zum Extremismus?« nehmen wir schließlich eine Bewertung der sogenannten Extremismusklausel vor, mittels derer zivilgesellschaftliche Initiativen zum Gehorsam gegenüber den staatlichen Brötchengeber_innen verpflichtet werden sollen. Ein erfreuliches Thema ist die erfolgreiche Verhinderung des Neonazi-Großaufmarschs am 19. Februar in Dresden. Über die Konzepte und Abläufe seitens der Neonazis berichten wir in dem Text »Lose Finger sind keine Faust«; der Beitrag »Wie liegt die Stadt so wüst« wirft neben aller Freude über die große, vielfältige und letztendlich erfolgreiche antifaschistische Gegenmobilisierung auch einen analytischen Blick auf das gesellschaftliche, lokalpolitische und antifaschistisch-inhaltliche Setting des Dresden-Spektakels. Damit im nächsten Jahr alles noch besser wird!

Die in der letzten Ausgabe begonnene Diskussionsreihe über den Begriff des »Extremismus« wird diesmal fortgesetzt. Den Aufschlag machte unser Text »Beyond Rechtsextremismus«, der den Diskurs umreißt und den Diskussionsstand um vorhandene Begriffe aufzeigt. In dieser Ausgabe plädiert der VVN-BdA für den Begriff »Neofaschismus« und erläutert seine Perspektive auf die Bildung von Begriffen. Wir bitten an dieser Stelle weiterhin antifaschistische Zusammenhänge, Wissenschaftler_innen und Journalist_innen an die Tasten, um sich mit Beiträgen an dieser Diskussion zu beteiligen.
Wir wünschen euch und uns soweit erst einmal ein baldiges Ende des Winters und einen wunderschönen antifaschistischen Frühling 2011.
Leider gibt es aber auch für dieses Editorial schlechte Nachrichten: Am 12. März fand in der tschechischen Kleinstadt Novy Bydzov eine Neonazidemonstration gegen Sinti und Roma statt. Am Rande kam es zu schweren Übergriffen durch Neonazis auf Roma, die Polizei ging brutal gegen friedliche Gegendemonstrant_innen vor. Eine antiziganistische Stimmung und daraus resultierende schwere Übergriffe in Tschechien waren bei uns schon des öfteren Thema. Für mehr Informationen möchten wir an dieser Stelle das Portal www.romea.cz/english empfehlen.
Am 11. März 2011 kam es im baden-württembergischen Leonberg (Kreis Böblingen) zu einem schweren Übergriff durch Neonazis. Dabei wurde einem linken Jugendlichen aus kurzer Distanz mit einer Gaspistole ins Gesicht geschossen. Nur durch zwei Notoperationen konnte sein Auge gerettet werden. »Seine Sehkraft wird er wohl nie wieder ganz erlangen«, zitiert die Stuttgarter Zeitung einen Freund des Opfers. Wir wünschen dem Betroffenen viel Kraft und gute Genesung!

 

Galina Kozhevnikova

Am 5. März 2011 starb Galina Kozhevnikova nach schwerer Krankheit. Sie wurde 36 Jahre alt. Die russische Menschenrechtsaktivistin und Antifaschistin war Mitbegründerin sowie stellvertretende Direktorin des Informations- und Analysezentrums »SOVA«, welches rassistische Gewalttaten in Russland dokumentiert und analysiert. Galina verfolgte die aktuellen Entwicklungen der russischen Naziszene und setzte sich kritisch mit der russischen Extremismusgesetzgebung auseinander. Ihre Analysen fanden internationale Beachtung und lieferten erschreckende Hintergrundinformationen zur rassistischen und nationalistischen Hegemonie in der russischen Gesellschaft. Aufgrund ihres Engagements geriet sie mehrfach in den Fokus von militanten Neonazis. Viele ihrer Arbeiten und Analysen sind auch auf Englisch auf der Webseite von SOVA zu finden: www.sovacenter.ru

 

Helge

Am 25. Oktober 2010 verstarb im Alter von 47 Jahren unser Weggefährte Helge. Sein Tod ist ein großer Verlust für uns – als Mensch und als Antifaschist wird er allen, die ihn kannten, bitter fehlen. Seit den 1980er Jahren war Helge in der antifaschistischen Bewegung aktiv. Nicht nur, dass er viel dazu beitrug, den braunen Mob auf der Straße erfolgreich in seine Schranken zu weisen, er gehörte später auch zu jenem Team, das 1993 die Antifa-NRW-Zeitung initiierte und Ausgabe für Ausgabe mit exzellenten Rechercheberichten und genauen politischen Einschätzungen füllte. Er wird uns fehlen, aber er hat uns einen Schatz an Erinnerungen an ihn hinterlassen, die uns Inspiration sein sollten, uns weiter für das zu engagieren, für das er stand: eine bessere Gesellschaft, frei von Vorurteilen, Rassismus und Faschismus.

 

 

Respekt und Salut, Galina und Helge!