„Den vertrockneten Grashalm im Heuhaufen aufspüren“

Forscher der Universitäten Mainz und Tübingen haben ein Verfahren entwickelt, mit dem auch kleinste Mengen künstlich eingebrachter Erbinformation identifiziert werden können. Damit wäre Gendoping auf der Basis von Gentransfer testbar.

Interview mit Perikles Simon



Schon länger wird Gendoping als Mittel zur extremen Leistungssteigerung im Spitzensport diskutiert. Seit den Bildern von der muskelbepackten Maus wird das Thema auch in Bodybuilder-Kreisen aufmerksam verfolgt. Immer wieder hieß es jedoch, dass Gendoping noch nicht möglich sei. Sie haben nun einen Anti-Gendoping-Test entwickelt. Bedeutet das, dass es bereits Gendoping-Verfahren gibt, die erfolgreich angewendet werden?

Bei den derzeit denkbaren Gendoping-Verfahren im engeren Sinn würde es darum gehen, Erbinformationen von Außen in das Lebewesen hinein zu vermitteln. Man würde etwa versuchen, das Gen für einen Wachstumsfaktor oder für ein Hormon in die jeweiligen Zellen einzubringen. Mit dieser Gentransfertechnik können immer nur ganz kleine Teilbereiche genetisch verändert werden, nicht etwa die gesamte Muskulatur. Das hat nur dann einen Effekt, wenn die genetisch veränderten Teilbereiche eine Substanz produzieren, die auf den ganzen Körper wirkt. Daher würde man auf Gene zielen, die Hormone codieren. Um den Körper fundamental zu verändern, müsste man alle Körperzellen erreichen. Das ist bisher nicht möglich.

Wie unterscheidet sich Gendoping von somatischer Gentherapie?

Gendoping unterscheidet sich von Gentherapie in dem Ziel, das erreicht werden soll. Bei der Gentherapie geht es darum, schwerstkranke Menschen durch den zielgerichteten Transfer von Genen zu behandeln. Beim Gendoping ist das Ziel, mehr Hormon in den Körper hinein zu bekommen. Das Ziel der Mediziner ist extrem schwer zu erreichen. Bei dem jetzigen Stand der Technik würde man den Gentransfer, der nicht zum Ziel hat schwerstkranke Menschen zu heilen, sondern nur ein bisschen mehr Hormon in den Körper zu bekommen, in der Medizin daher aus ethischen Gründen ablehnen. Das Ziel potenzieller Gendoper ist aber nichtsdestotrotz unter Missachtung von ethischen Maßstäben sehr einfach auf der Basis der derzeitigen Technik zu bewerkstelligen.

Wie funktioniert der von Ihnen entwickelte Anti-Gendoping-Test?

Für Gendoping auf der Basis der derzeitigen technischen Möglichkeiten würde man Erbinformation verwenden, die die Hormonausschüttung beeinflusst. Wir haben uns daher die Hormone vorgenommen, für die eine leistungssteigernde Wirkung erwiesen ist, und haben uns die zugehörigen Gene angesehen. Wie sich gezeigt hat, gibt es kleine Unterschiede zwischen der technisch eingebrachten und der natürlichen Erbinformation. In der eingebrachten Erbsubstanz fehlen die Intron-Segmente.
Das können wir mit unserem Verfahren feststellen. Wir nutzen die Technik, die auch in der Kriminalistik bei der Täter-Erkennung verwendet wird, das heißt wir machen eine Amplifikation über PCR (Polymerase-Chain-Reaction). Dieses PCR-Verfahren haben wir dahingehend verfeinert, dass wir auf das Fehlen der Introns testen können. Die Erbinformation wird nur dann amplifiziert, wenn keine Introns vorhanden sind. Im Anschluss sequenzieren wir die betreffenden DNA-Abschnitte oder weisen sie mittels Hybridisierungstechnik nach (Southern Blot), um den Befund noch einmal zu überprüfen. Anders als die Kriminalämter können wir nicht nur mit sehr geringen Mengen arbeiten, sondern der Test ist auch dann noch durchführbar, wenn diese geringen Mengen in einem großen Klumpen Erbsubstanz natürlichen Ursprungs vorliegen. Das zeichnet den Test ganz besonders gegenüber schon vorhandenen Tests aus. Früher war es möglich, die Stecknadel im Heuhaufen zu finden, jetzt können wir den vertrockneten Grashalm im Heuhaufen aufspüren. Wir könnten Erbsubstanz nachweisen, die mit der Nahrung aufgenommen wurde, wie zum Beispiel von transgenen Tieren oder Pflanzen. Weil wir auf einzelne Moleküle zielen, ist der Test hoch sensitiv.
Hieran knüpfen sich auch Hoffnungen, das Verfahren zur medizinischen Diagnostik einzusetzen. Bei Krebserkrankungen ist das beispielsweise denkbar. Auch könnte man es vielleicht bei der normalen Leistungsdiagnostik einsetzen, wenn Menschen durch Sport versuchen, gesunde Ziele zu verfolgen, wie abzunehmen, oder ihren Blutzuckerspiegel oder Blutdruck zu senken. Dahingehend das Testverfahren weiterzuentwickeln, wäre sehr interessant.

Wurden Sie von der Welt-Antidoping-Agentur (WADA), die sich für ein weltweites Gendoping-Verbot ausgesprochen hat, in Ihrer Forschung unterstützt?

Die haben unsere Meldung gleich auf ihre Website gesetzt. Ich war jetzt erst wieder kürzlich mit den Verantwortlichen in Kontakt, um zu beraten, wie wir weitermachen. Es gibt Überlegungen, dass wir mit einer französisch-amerikanischen Arbeitsgruppe in Zukunft enger zusammenarbeiten, um perspektivisch an zwei Standorten weltweit diese Tests durchführen zu können.
Die Welt-Antidoping-Agentur ist sehr daran interessiert, den Test möglichst zügig in die Umsetzung zu bringen. Allerdings sind die Ressourcen begrenzt. Es gibt sicherlich Bereiche, deren Erforschung für Sportler relevanter wäre, weil dort bereits Substanzen missbraucht werden und es aber teilweise noch gar keine oder keine besonders guten Testverfahren gibt. Das ist zum Beispiel beim Wachstumshormon der Fall. Es klemmt im Anti-Doping-Kampf ganz klar an den Finanzen.

Was wird so ein Anti-Gendoping-Test kosten?

Das kann ich jetzt nicht genau sagen. Die Technik ist zwar von der Universität Tübingen zum Patent gemeldet, aber die WADA wird keine Testgebühren zahlen müssen. Sie hat ein uneingeschränktes Nutzungsrecht. Das macht es schon einmal viel günstiger. Dann haben sie im Grunde nur die Arbeitskosten und die Materialkosten. Da sind wir nicht teurer als irgendein konventioneller Dopingnachweis.

Wer sind die Akteure im Feld des Gendopings, und was sind die Motive für Gendoping?

Im Sport ist Gendoping für die Gruppen ein Thema, die von jeher zu extremen Substanzeinnahmen geneigt haben, wie zum Beispiel die Bodybuilder. Die bewegen sich schon jetzt an den Grenzen dessen, was mit Training und konventionellem Doping möglich ist. Um dem noch eins draufzusetzen, bliebe nur noch, auch genetisch zu manipulieren. Wir wissen aber auch, dass es vom Bodybuilding in den Hochleistungssport nur ein ganz kleiner Schritt ist. Sobald die ersten Bodybuilder das erfolgreich angewendet haben und am Leben bleiben, schwappt das in den Hochleistungssport über. So war es bei den Stereoiden, so war es bei den Peptidhormonen und wir befürchten, dass es auch beim Gentransfer so sein wird.
Es gibt darüber hinaus noch ein weiteres Szenario. Bestimmte Staaten könnten versuchen, sich hier als Biotechnologie-Standort einen Vorteil zu verschaffen. Die ethischen Standards sind ja weltweit sehr unterschiedlich. In China ist zum Beispiel ein Gentransfer für Tumorerkrankte als Routineverfahren zugelassen, obwohl in Studien in den USA mehrfach belegt wurde, dass kein Nutzen bei der Anwendung dieser Art des Gentransfers besteht. Es geht da um die Behandlung von Hals-Nacken-Tumoren mit adenoviralem Gentransfer des Tumorsuppressorgens p53. Man hat so das Gefühl, es ginge lediglich darum, zu erfassen, wie gut der Gentransfer funktioniert, und nicht darum, diese schwerstkranken Leute erfolgreich zu behandeln. Wenn sie das jetzt weiterspinnen, wäre das die Überprüfung der Toxizität und der Spezifität vom Gentransfer. Wenn sie nun auch noch die Sensitivität überprüfen wollen, bräuchten sie eben jemanden, der seine Leistung über die Maßen steigert. Wir befürchten, dass Gentransfer in diese Richtung schon angewendet wird.

Wie wird Ihrer Meinung nach die Zukunft des Gendopings aussehen?

Schon in den Neunziger Jahren hat man im Tierversuch am Affen durch viralen Gentransfer das EPO-Gen eingebracht. Diese transgenen Affen können dadurch Hämatokrit-Werte von kurz unter sechzig erreichen, die dann wieder sinken. Das lässt sich durch die Gabe eines milden Antibiotikums steuern. Und diese Affen leben immer noch. Man weiß also: Das Ganze ist hochwirksam. Und: Wenn man sehr hochwertige Technik verwendet, dann ist es auch sicher. Wenn das mit EPO so gut funktioniert, stellt sich die Frage, ob man das auch mit anderen Hormonen machen kann? Es gibt Hormone, die wir bisher nicht spritzen können, um damit einen Leistungseffekt zu erreichen. Ein Beispiel wären die Gefäßwachstumsfaktoren. Wenn Sie also als Ausdauersportler auch noch die Gefäße ihrer Muskulatur verbessern wollten, dann wäre das ein Ansatzpunkt, wo man mit konventionellen Methoden nicht weiterkommt, mit Gentransfer aber schon.

Mit Ihrem Verfahren kann auf künstlich eingebrachte DNA getestet werden. Es sind aber viele weitere Möglichkeiten denkbar, die Genexpression zu verändern. Wie sieht es mit der Zukunft der Anti-Gendoping-Tests aus?

Jede leistungssteigernde Substanz verändert die Genexpression. Koffein zum Beispiel verändert die Genexpression in dem Sinne, dass durchaus einige Gene, die für die Leistung wichtig sind, angekurbelt werden. Ganz extrem ist das bei den Stereoidhormonen. Alle Stereoidhormone oder anabolwirksame Substanzen verändern die Genexpression wichtiger Muskelstrukturproteine und sind darüber leistungssteigernd. Ich halte deshalb nichts davon, Gendoping so zu definieren. Das betrifft auch die Definition der WADA, die auf diese Weise versucht hat, jede Substanz, die neu auf den Markt kommt, im Voraus zu erfassen. Wenn da einer vor Gericht zieht, wird er darauf verweisen können, dass das juristisch betrachtet keine hinreichend präzise Definition ist. Alles, was leistungssteigernd wirkt, kann darunter subsumiert werden.
Es gäbe die Möglichkeit, Substanzen wie GW1516 klar einzugruppieren. Man könnte auch eine neue Gruppe Muskeltherapeutika aufmachen, unter die alle Substanzen fallen, die wie AICAR den Muskelstoffwechsel günstig beeinflussen. Solche klassichen Pharmaka können wir allerdings nicht  mit unserem Verfahren nachweisen. Interessanter Weise können wir zwar den Gentransfer von IGF 1 nachweisen. Aber das Peptidhormon IGF1, von dem wir befürchten, dass es momentan schon gespritzt wird, können wir hingegen nicht nachweisen.

Wie sind Sie eigentlich persönlich zum Thema Gendoping beziehungsweise zur Entwicklung eines Anti-Gendoping-Tests gekommen?

Ich habe mich irgendwann dazu entschieden, aus der Neurowissenschaft in die Sportmedizin zu wechseln. Doping ist leider ein Thema, um das wir im Hochleistungssport nicht herum kommen. Und wie wir feststellen mussten, gilt das leider auch für den Freizeit- und Breitensport. Nach einer Studie, die ich mit meinem Kollegen Striegel durchgeführt habe, nehmen 15-20 Prozent der normalen Fitnessstudiobesucher diese Substanzen. Es ist zu befürchten, dass das auch gesundheitspolitisch irgendwann relevant wird. Im Anti-Doping-Kampf heißt es dann immer, man könne Doping nicht effektiv nachweisen. Man redet dann immer von Hase und Igel. Letztendlich ist aber eigentlich das Problem, dass die finanziellen Mittel nicht zur Verfügung gestellt werden.
Mir war wichtig, dieser Haltung etwas entgegenzusetzen. Erst einmal wollte ich herausfinden, wieviele Sportler wirklich dopen. Dafür haben wir eine Leistungssportstudie durchgeführt, in der sich gezeigt hat, dass mindestens sieben Prozent der Nachwuchsathleten dopen - und das sind nur die, die es zugeben. Als nächstes haben wir uns das vorgenommen, von dem alle Experten sagten, dass es nicht nachweisbar sei, und gezeigt, dass wir es nachweisen können: Gendoping durch Gentransfer. Beides haben wir geschafft. Wenn mir jetzt irgendein Funktionär sagt, Doping gebe es gar nicht im Leistungssport, verweise ich auf die eine Studie. Wenn er sagt, wir könnten nicht alles nachweisen, verweise ich auf die andere Studie. Es müssen nur die Mittel für einen effektiven
Anti-Doping-Kampf bereitgestellt werden.

Das Interview führte Vanessa Lux.