... und alles funktioniert total schön

in (23.11.2010)

"unibrennt" nannten sich die Bildungsproteste im Herbst 2009, die von Österreich ausgehend auch Deutschland erreichten. "#unibrennt - Bildungsprotest 2.0“ nennt sich nun der Kinofilm darüber, und er verspricht zu viel.

Aus 900 Stunden Videomaterial hat die AG Doku* mit der Wiener Produktionsfirma Coop99 einen knapp 85-minütigen Kinofilm über die Bildungsproteste im Herbst 2009 geschnitten. Dabei kommt vieles vor und vieles zu kurz.

Menschen in weißen Overalls hanteln sich an Fensterbänken entlang. Rufen einander unverständliche Dinge zu, lachen. Schließlich wird mit Erfolg an der Vorderfront der Wiener Kunstakademie ein riesiges Transparent entrollt: „Reclaim (y)our education!” Die Besetzung beginnt. Die Kamera wackelt. It’s real.
Brav nach aristotelischem Dramenaufbau wird die Geschichte der Proteste am Beispiel der Universität Wien erzählt, zusammengehalten durch die Kritik an Leistungsdruck, Verschulung und ökonomischem Verwertungszwang, die sich wie ein roter Faden durchzieht.
Von einer Einführung in die Problematik des Bologna-Prozesses (Stimme aus dem Off: „Wie man als Student mitbekommt, dass alles langsam zerfällt”) geht es gleich weiter zur Audimax-Besetzung, auf die unmittelbar die Solidarisierung einer breiten Öffentlichkeit folgt – vor allem, so suggerieren die Kurzinterviews, aufgrund des hohen und ordnungsverliebten Organisierungsgrades („Haltet eure Vokü sauber”, „Selbstverantwortung”, „Fühl dich wie zu Hause, wasch ab!”). Die Bewegung professionalisiert sich, Arbeitsgruppen werden gebildet, Pressekonferenzen abgehalten, Sprecher_innen treten an und wechseln sich ab, das „Experiment Basisdemokratie” geht in die heiße Phase und „alles funktioniert” laut einer Studentin „total schön.”

Die Klimax ist schließlich erreicht, wenn eine internationale Besetzungs-Vernetzung höchsten Grades hergestellt ist, die AG Doku von einer europäischen Stadt in die nächste jettet und Anti-Flag, Jean Ziegler und Gustav sich die Audimax-Türklinke in die Hand geben. Ex-Wissenschaftsminister Johannes Hahn ist zu keinem Kompromiss bereit, Uni-Wien-Rektor Winkler erzählt verträumt von ’68, die Gruppe „Squatting Teachers” solidarisiert sich. Und dann geht es auch schon wieder bergab. Erste Streitigkeiten stellen sich ein, Müdigkeit macht sich breit, über das Klimpern eines Audimax-Pianisten brüllen sich zwei Besetzer_innen an, ein weißgekleideter Nikolaus geht vorbei. Der Hörsaal ist fast leer. Und das Drama darf dann auch mit der Katastrophe enden: Die Held_innen sterben nicht (wie bei Aristoteles), sondern werden geräumt, in Wien und in allen solidarischen Städten, ein einsamer Student zwischen Bullenspalieren spielt in einem Kölner Hörsaal auf der akustischen Gitarre Bob Marleys „Redemption Song”. Da ist er endlich, der bis zu Minute 68 sehnlich erwartete Schauer. Schmalzige Nostalgie, Antonioni pack ein, wir machen uns die Musikvideos unserer Politisierung selbst.
Danach wabert es noch ein Weilchen weiter. Der „Hochschuldialog” wird zum Scheitern gebracht, Beatrix Karl wird neue Wissenschaftsministerin, und die Vorbereitungen zu den Bologna-Gipfel-Protesten gehen los. Ein Fazit wird formuliert: Die Protestbewegung war erfolgreich, weil Bildung zum Thema geworden ist. Dann, erstaunlich zynisch in diesem allzu freundlichen Film: Schwenk auf den Eignungstest zum Medizinstudium. Tausende Bewerber_innen lassen sich von Securitys durchchecken, bevor sie sich im übervollen Megahörsaal zur Prüfung niederlassen. Ende.

Der Authentizitätsfaktor der zahlreichen wackelnden Kameras, die immer ganz nah dran sind am Geschehen, hat Charme und erlaubt auch unterschiedliche Blickwinkel auf die Bewegung und ihre viele kleinen Details. Widersprüche und Momente der aufregenden Politisierung, Fragestellungen jenseits von Bachelor und Master, jenseits von selbstbezüglicher Mittelschichtskritik an einem langweiligen Universitätssystem fallen der strengen Timeline aber zum Opfer. Ob es für eine Filmproduktion genügt, sympathisches Material chronologisch aneinanderzureihen – vielleicht ist das schon zu viel gefragt. „Wir wollten ja keinen Film machen, der über die Proteste reflektiert,” sagt Produzent Antonin Svoboda. Und das ist (leider) gelungen.

„#unibrennt – Bildungsprotest 2.0“ (A 2010) läuft seit 29.10. in den österreichischen Kinos.

* Arbeitsgruppe Dokumentation, die aus der Bewegung unibrennt entstand und in mehreren, unabhängigen Zusammenhängen die Proteste auf Video dokumentierte.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Monatsmagazin, www.anschlaege.at