Wegsperren – doch nicht für immer?

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur nachträglichen Verlängerung der Sicherungsverwahrung (SV) vom 17. Dezember 2009 rief bei den Gegner_innen dieser Maßnahme große Erleichterung hervor. Auch beim Beschwerdeführer, der die meiste Zeit seines Lebens hinter Gittern verbracht hatte. Er wurde 1986 vom Landgericht Marburg zu fünf Jahren Haft verurteilt, zugleich wurde SV gemäß § 66 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) angeordnet. Die Höchstfrist für die erste Unterbringung in der SV betrug damals nach § 67 d Abs. 1 StGB zehn Jahre. 1998 wurde sie - auch rückwirkend - abgeschafft. Der Beschwerdeführer wurde daher nicht wie erwartet 2001 entlassen, sondern sitzt noch immer. Auf seine Individualbeschwerde hin entschied der EGMR, dass die nachträgliche Verlängerung der SV über die zur Tatzeit zulässige Höchstdauer hinaus gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoße: Verletzt seien das Recht auf Freiheit (Art. 5 Abs. 1) und der nulla poena-Grundsatz (Art. 7 Abs. 1 S. 2). Die Bundesrepublik wurde zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von 50.000 € verpflichtet.

Nach Art. 5 Abs. 1 a) EMRK dürfe eine Freiheitsentziehung nur nach und in einem hinreichenden Kausalzusammenhangs zu einer Verurteilung erfolgen. Letzterer sei durch die Gesetzesänderung von 1998 durchbrochen worden. Art. 7 Abs. 1 S. 2 EMRK sah der EGMR als verletzt an, weil die SV mit einer Freiheitsentziehung verbunden und wie eine Strafe zu behandeln sei: Die Art und Weise des Vollzugs unterscheide sich nur unerheblich, die ungewisse Dauer stelle sogar eine besondere Belastung dar, zumal eine spezielle psychologische Betreuung fehle. Der spezifische Zweck der SV - Prävention statt Sanktion - könne nicht zu einer anderen Bewertung führen. Der Fall des Beschwerdeführers, dessen SV mehr als dreimal so lang gedauert hatte wie seine Freiheitsstrafe, verdeutlichte die Intensität der Maßnahme. Der Einwand der Bundesregierung, dass das Gericht die SV unbefristet angeordnet hätte und die Verlängerung nur die Vollstreckung der verhängten Sanktion wäre, sei unzutreffend. Zum Zeitpunkt des Urteils stand nämlich die Höchstdauer von zehn Jahren fest.

Das Urteil des EGMR, gegen das die Bundesregierung eine vermutlich aussichtslose Beschwerde eingelegt hat, ist für die deutsche Kriminalpolitik richtungweisend. Es bricht mit dem Dogma, dass die SV keine Strafe sei und insoweit geringeren rechtsstaatlichen Anforderungen unterliege. Wünschenswert wäre es jedoch, das gesamte Institut der SV, das mittlerweile weiter reicht als bei seiner Einführung 1933, zu überdenken.