Diskursregeln

Juristischer Riegel gegen Extremismus-Konstruktion

in (15.08.2010)

„Diskursorientierter Linksextremismus“ – mit dieser begrifflichen Zauberformel sollte die LOTTA in den Dunstkreis des „Extremismus“ gerückt werden, indem sie in der Pressevorabfassung des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzberichts über das Jahr 2008 in einer neu kreierten Rubrik im Kapitel „Linksextremismus“ Erwähnung fand. „Diskursorientierung“ als besonders perfide Form des „Extremismus“?


Nach einigem Tauziehen zwischen dem Verfassungsschutz (VS) NRW und der LOTTA geht die LOTTA aus dem Rechtsstreit als Siegerin hervor. Nachdem bereits im Jahre 2009 das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen dem VS in die Juristenfibel diktierte, dass dieser „unmissverständlich“ (OVG Münster) in seinem Verfassungsschutzbericht hätte hervorheben müssen, dass es sich bei der Zeitschrift LOTTA nicht um eine verfassungsfeindliches Projekt handelt und auch kein entsprechender Verdacht besteht, erklärte der Leitende Ministerialrat Burkhard Freier noch danach in einer Innenausschusssitzung, der VS „vertrete nach wie vor die Auffassung“, dass man „über diese Zeitschrift in dieser Art der Darstellung berichten könnte und dass diese Form richtig“ sei. Das Verwaltungsgericht habe aber „im Wege der einstweiligen Anordnung […] aufgegeben, diese Zeitung zu streichen“. Dem sei man gefolgt. Was hieraus aber für die Zukunft folgt, müsse man „jedoch erst überlegen“.
Zwischenzeitlich änderte der VS offensichtlich seine Ansicht und nahm – wie auch die LOTTA – den vom Verwaltungsgericht Düsseldorf vorgeschlagenen Vergleich an, nach dem in die Druckfassung des neuen Berichts über das Jahr 2009 in das Kapitel „Linksextremismus“ abgesetzt von weiteren eigenen Erläuterungen folgende Formulierung aufzunehmen ist: „In der Pressefassung des Verfassungsschutzberichtes über das Jahr 2008 wurde im Kapitel 'Linksextremismus' die Zeitschrift 'LOTTA' genannt. Hiermit wird richtiggestellt, dass für die erfolgte Nennung eine Berechtigung nicht bestand und das Land hieran nicht festhält.“
Bemerkenswert ist, dass der VS nicht nur einfach den Namen der Zeitschrift LOTTA, sondern die erst im vergangenen Jahr eingeführte Rubrik des „diskursorientierten Linksextremismus“ vollständig gestrichen hat. In dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht wurde immer wieder darauf hingewiesen, insbesondere vor dem Hintergrund einer bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung aus dem Jahre 2005, dass diese Rubrik verfassungswidrig ist, weil sie – jedenfalls bezüglich der LOTTA und weiterer dort genannter Zeitungen, Zeitschriften und Verlage – gegen die Pressefreiheit verstößt. Auf die Klärung durch die weiteren Instanzen wollte sich der VS offenbar nicht einlassen und nahm den Vergleich an. Die LOTTA, die auch von den Landtagsfraktionen der Grünen und der SPD unterstützt wurde, ist mit dem Ergebnis zufrieden und hofft, ihre antifaschistische Aufklärungsarbeit zukünftig ungestört von juristischen Scharmützeln fortsetzen zu können.

Politische Diskursregeln

Dreh- und Angelpunkt des Stigmatisierungsversuches war das Konstrukt des „diskursorientierten Linksextremismus“: Diskurs-, also Gesprächsorientierung und Extremismus – wie passt das zusammen? Um diese widersinnige Begrifflichkeit juristisch zur Geltung bringen zu können, versuchte der VS eine politisch höchst bedenkliche Analogie zwischen gesellschaftskritischer Publikation, antifaschistischem Engagement und „Extremismus“ herzustellen: Gesellschaftskritik = Antifa = Linksextremismus, so die geheimdienstliche Zauberformel in Orwell'scher Manier zur Entsorgung unliebsamer Meinungen. „Big Brother is reading you“?
Hierzu zwei Beispiele aus der Klageerwiderungsschrift des Verfassungsschutzes: Unter Bezugnahme auf den Artikel „Nation, Staat und soziale Frage“ in der LOTTA #18 hat der Verfassungsschutz der LOTTA vorgeworfen, „marxistische Argumentationen“ zu verwenden. Marxistische Argumentationen als Beleg für Verfassungsfeindlichkeit und Extremismus? Dass die Demokratie geradezu von verschiedenen Meinungen und Theorien lebt, hat der Verfassungsschutz – so scheint es – noch nicht erkannt. So hat das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahre 2001 zu Recht ausgeführt, dass gerade Meinungsäußerungen, die auf gesellschaftlich und politisch relevante Themen hinweisen, den Schutz der Presse- und Meinungsfreiheit in besonderem Maße genießen.
Erstaunt war die LOTTA ebenfalls, dass der Verfassungsschutz ihr vorwarf, „staatliche und politische Institutionen“ in Frage zu stellen, weil sich in dem LOTTA-Artikel „White Man's Burden“ kritisch mit dem neoliberalen Think-Tank Konvent für Deutschland auseinandergesetzt wurde (LOTTA #28). So schrieb selbst der stern über den Konvent für Deutschland: „Kürzlich traf sich erstmals ein weiterer Club von konservativ-liberalen Systemveränderern unter dem Namen Konvent für Deutschland. Vorzeigefigur ist der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog, hinter dem Verein stecken der ehemalige BDI-Chef Hans-Olaf Henkel und der Unternehmensberater Roland Berger. Berger sitzt in seiner Zentrale in München und erläutert mit müder Stimme, 'dass unser politisches System, wie jede Ordnung, die sich nicht anpasst, verkommen ist', und wir die 'Entscheidungsprozesse effizienter gestalten müssen'.“ An diesem Beispiel wird deutlich, wie reflexhaft der VS auf Äußerungen anspringt, solange sie nur von einer sich als antifaschistisch bezeichnenden Zeitschrift veröffentlicht werden. Warum wohl wird nicht einem Herrn Berger „Extremismus“ vorgeworfen, wenn er das politische System offen als „verkommen“ bezeichnet?
Die Denkmuster des Verfassungsschutzes erinnern dabei an die berüchtigte McCarthy-Ära der Kommunistenverfolgung in den USA und zeigen den offenkundigen Versuch, gesellschaftskritische Denkansätze zu sanktionieren. Auch in der BRD zur Zeit der so genannten Terroristenverfolgung in den 1970er Jahren waren Einschränkungen von bürgerlichen Grundrechten begleitet von Kampagnen gegen kritische Geister. Als „geistige Ziehväter des Terrorismus“ wurden die linken Intellektuellen Herbert Marcuse, Max Horkheimer und Theodor Adorno damals bezeichnet, deren Schriften im Kontext der 1968er-Revolte Beachtung fanden. Auch in den sozialen Bewegungen der achtziger und neunziger Jahre gerieten kritische Alternativmedien immer wieder in das Visier der Geheimdienste.
In der Argumentation des Verfassungsschutzes vor Gericht wird die politische Feindbildkonstruktion eines solchen Extremismusvorwurfs deutlich. So heißt es dort: Bezugspunkt seien „alleine“ die Leser, die über die Inhalte der Zeitschrift LOTTA ihren „extremistischen Diskurs führen“ würden. Eine „Extremismus“-Gefahr durch eine Zeitung aufgrund der Produktion von geistiger Nahrung für „extremistische“ Leser?

Diskurs über Extremismus-Verdikt

Das Extremismus-Verdikt treibt immer weitere Blüten: Erstmals in einem „Handbuch Extremismus“ des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz wurden gar sämtliche „Extremismen“ alphabetisch hintereinander aufgelistet: Nach „Al-Qaida“ kommen die „Antideutschen“; nach der „Arbeiterpartei Kurdistans“ die „Autonomen Nationalisten“, der „Bahamas“ folgen die „Barking Dogs“ und dem „Nationalen Widerstandsrat Iran“ das „Nationale Bündnis Dresden“. Was soll das aussagen? Ob links oder rechts, rassistisch oder antirassistisch, fundamentalistisch, islamistisch, atheistisch, nationalistisch oder internationalistisch – alles gleichermaßen „extremistisch“?
Die Ankündigung von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder, alle Initiativen gegen Rechtsextremismus vom Verfassungsschutz überprüfen zu lassen, zeigt den Versuch, politische Deutungshoheit mithilfe des Extremismus-Konstruktes durchzusetzen. Der Noch-NRW-Minister Armin Laschet zog mit einer Ankündigung zum „Kampf gegen Linksextremismus“ mittels „Aufklärungsarbeit“ nach. Die ihm zugeordnete Landeszentrale für politische Bildung arbeitet eng mit dem Verfassungsschutz NRW zusammen. CDU, Landeszentrale und Geheimdienstbehörde also vereint zur ministeriell verordneten „Extremismuspräventionszentrale“?

Der juristische Erfolg der LOTTA im Rechtsstreit mit dem Inlandsgeheimdienst ist daher nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite müssen auf breiter Ebene öffentliche Diskussion und politischer Druck gegenüber dem Extremismus-Konstrukt entfaltet werden, um sich einer Diskreditierung staats- und gesellschaftskritischer antifaschistischer Projekte und Initiativen wirkungsvoll entgegenstellen zu können.

Aus: Lotta - antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen, Nr. 39, Sommer 2010 http://projekte.free.de/lotta