»Schwächer als je zuvor«

Interview mit Meir Javedanfar über das iranische Regime und die Opposition (iz3w 318, Mai/Juni 2010)

J. Weckerle / B. Krasowski: Was sind die wichtigsten Veränderungen im Iran seit den Präsidentschaftswahlen im Juni 2009?

Meir Javedanfar: Glaubwürdigkeit und Legitimität des Regimes wurden wie nie zuvor in Frage gestellt. Die Position von Ahmadinejad ist in den Augen vieler IranerInnen, darunter auch PolitikerInnen, schwächer als zuvor. Die Differenzen zwischen dem religiösen Zentrum in Qom und dem politischen Zentrum in Teheran sind heute so groß wie nie zuvor in der Geschichte der Islamischen Republik. Heute ist die Frage nicht mehr, ob das Regime fällt, sondern wann. Mit der Grünen Bewegung hat sich so etwas Ähnliches wie eine Opposition formiert, der sich noch weitere Kräfte anschließen könnten. Es wird ein langer Prozess, aber von nun an muss sich das Regime vor jedem Fehler hüten.

 

Sie denken also nicht, dass sich das Regime konsolidiert hat, wie viele nach dem gescheiterten Versuch von Massenprotesten am 11. Februar, dem Revolutionstag, sagten?

Ja, sie haben hart durchgegriffen und es ist ihnen in einigen Fällen gelungen, die Angst zurückzubringen. Doch das ist keinesfalls das Ende der Proteste, denn die Situation ist weiter angespannt, die ökonomische Misere ist nicht verschwunden, die politischen Rechte wurden immer weiter eingeschränkt, und erneute Massenproteste sind sehr gut möglich. Die größte Gefahr für das Regime sind die seit den Protesten offen ausgebrochenen internen Machtkämpfe. Die jüngeren Entwicklungen haben strukturelle Schäden an den Grundlagen des Regimes bewirkt, die nicht immer offensichtlich sind.

 

Gibt es Diskussionen über neue Strategien für den Protest?

Viele Menschen haben Angst, offen darüber zu reden. Was geplant wird, ist eine Kampagne des zivilen Ungehorsams, mittels Streiks, Arbeitsniederlegungen und Wahlboykotten. Die Menschen äußern ihre Unzufriedenheit durchaus, sie stellen die Legitimität des Regimes etwa durch Parolen infrage, die sie auf Geldscheinen verbreiten.

 

Ist militanter Widerstand derzeit eine wahrscheinliche Option?

Nein. Moussavi und Karoubi unterstützen das nicht, und viele IranerInnen betrachten Gewalt als nutzlos. Man darf nicht vergessen, dass die Revolution 1979 nicht gewalttätig war, die Menschen haben nicht auf Schah-AnhängerInnen geschossen, es war eine zivile Massenbewegung. Auch heute setzen viele auf eine Art Orangene Revolution wie in der Ukraine, und genau vor einer gewaltlosen Revolution hat das Regime Angst, denn sie erschwert gewalttätige Repression.

 

Der Iran wird inzwischen oft als Militärdiktatur beschrieben, in der Revolutionsführer Khamenei eine Marionette der Revolutionsgarden ist.

Hinsichtlich politischer Macht ist Khamenei immer noch der entscheidende Mann. Ich halte nichts von der These, dass er die Geisel der Revolutionsgarden sei. Er überträgt ihnen allerdings immer mehr Macht, weil sie ihm gegenüber loyal sind. Der Oberkommandant der Revolutionsgarden, Ali Jafari, hat heute mehr Macht als der Präsident. Noch sind sie loyale Soldaten Khameneis. Aber wenn Khamenei stirbt und die Nachfolgefrage nicht geklärt ist, werden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit die Macht übernehmen. Heute kontrollieren sie immer größere Teile der iranischen Wirtschaft, manche Quellen sprechen von zwei Dritteln, und im Kabinett von Ahmadinejad sind sie sehr stark vertreten. Der Iran ist noch keine Militärdiktatur wie Myanmar, allerdings befindet er sich auf dem Weg dorthin.

 

Wer unterstützt eigentlich Ahmadinejad und warum? Sein »Wahlsieg« ist schwer verständlich, und er hat selbst im konservativen Lager erbitterte Feinde.

Die einzige Unterstützung erhält er von Khamenei und den Revolutionsgarden, weil sie ihn für loyal halten. Sonst hat er keinerlei Rückhalt. Ahmadinejad war vor kurzem in Qom, und nur drei der acht Großayatollahs haben sich bereiterklärt, ihn zu treffen. Das war für ihn ein großer Rückschlag. In den Augen des Klerus schadet Ahmadinejad sowohl dem Regime als auch ihren eigenen politischen und ökonomischen Interessen.

 

Welche Rolle spielen Religion und religiöse Führer in der Grünen Bewegung?

Es gibt Kräfte wie Großayatollah Sanei, der die Grüne Bewegung unterstützt, und Großayatollah Amoli, der Ahmadinejad in Qom nicht empfing. Diese religiöse Legitimität ist wichtig für religiöse Kräfte, aber die Grüne Bewegung ist keine religiöse Bewegung. Die Spaltung innerhalb Qoms hilft ihr zwar, aber für die Zukunft wichtiger ist die Entwicklung in der iranischen Mittelklasse, besonders der Studierenden. Ihnen geht es mehr um politische Rechte. Aufgrund des Missbrauchs von Religion zur Unterdrückung der iranischen Bevölkerung wollen immer mehr Menschen, dass Religion eine geringere Rolle in der Politik spielt.

 

Welche Rolle spielen Öl und Gas für die iranische Ökonomie?

Sie sind extrem wichtig, 80 Prozent der Exporteinnahmen kommen durch Öl und Gas. Durch Misswirtschaft ist die Abhängigkeit vom Energiesektor noch gewachsen, Pläne für die Diversifizierung der Ökonomie sind gescheitert. Öl und Gas sind auch außenpolitische Werkzeuge, sie werden billig verkauft, um sich Loyalitäten zu sichern. Beispielsweise wird Gas an Oman und Kuwait, die selbst Gasquellen besitzen, zu unwiderstehlich niedrigen Preisen verkauft. Ähnliches ist mit der Türkei geplant. Diese Länder werden, so die Hoffnung, einen möglichen Krieg gegen den Iran nicht unterstützen.

 

Wie hängen die ökonomische Situation und die politische Unfreiheit zusammen?

Der Privatsektor wird marginalisiert, die Revolutionsgarden übernehmen immer größere Teile der Wirtschaft. Die Inflationsrate beträgt 20 bis 25 Prozent, die Arbeitslosigkeit beträgt nach inoffiziellen Quellen mindestens 30 Prozent. Die Brain-Drain-Rate des Iran ist die höchste der Welt, die gebildeten Menschen verlassen das Land. Das wirtschaftliche Überleben der Menschen wird immer schwerer, hinzu kommt das Problem der Umweltverschmutzung. Laut der iranischen Website Tabnak ist die Luft in Teheran so verschmutzt, dass eine Minute atmen so schädlich ist wie neun Zigaretten. Manche Leute fragen nun, warum all dies die Menschen nicht in die Arme der Opposition treibt. Darauf gibt es leider eine einfache Antwort: Da das Regime so große Teile der Wirtschaft kontrolliert, ist es schwer, sich der Opposition anzuschließen, ohne den Job zu verlieren. Während der Schah-Zeit war dies leichter, da der Bazar als bedeutender Privatsektor noch existierte.

 

Angesichts dieser prekären Situation und der Abhängigkeit von Energieexporten, könnte das Regime nicht internationale Krisen provozieren, um die Energiepreise in die Höhe zu treiben?

Ja, die Regierung Ahmadinejads hat eine Weile diesen Trick versucht und mit Drohungen auf einen sinkenden Ölpreis reagiert. Aber das funktioniert nicht mehr. Der Ölpreis hat sich stabilisiert und macht keine verrückten Sprünge mehr wie im Juli 2008, als das Barrel nach einem iranischen Raketentest 148 Dollar kostete.

 

Gibt es einen Zusammenhang zwischen den internen und externen Konflikten des Regimes?

Die Menschen gehen auch deshalb auf die Straße, weil das Leben im Iran durch die außenpolitische Isolation des Regimes und die wirtschaftlichen Folgen sehr schwierig geworden ist. Es gibt also einen Zusammenhang, auch wenn das Regime versucht, die Konflikte auseinander zu halten.

 

Sie kennen sowohl den Iran wie auch Israel. Wie schätzen Sie das Verständnis der beiden Seiten füreinander ein?

Ich wurde im Iran geboren und habe dort bis zum Alter von 14 Jahren gelebt. Dann habe ich 16 Jahre in Großbritannien gelebt und bin vor fünf Jahren nach Israel gekommen. Die iranische Seite versteht sehr wenig von der der israelischen Gesellschaft und Politik. Die israelische Seite beginnt, einen realistischeren Blick auf den Iran zu werfen, auch wenn sie manchmal Ahmadinejad für ‚den’ Iran halten, was falsch ist. Die Israelis sollten verstehen, dass militärische Drohungen gegen den Iran dem Regime helfen.

 

Was würde ein Sieg der Grünen Bewegung im Verhältnis zu Israel bedeuten?

Wir könnten ein Ende der Vernichtungsdrohungen und der Holocaustleugnung erleben. Ich sehe keine Botschaftseröffnungen in Teheran und Tel Aviv, aber ein Sieg der Grünen Bewegung könnte zu deutlichem Spannungsabbau führen.

 

Wäre das genug für Israel?

Ein Ende der Vernichtungsdrohungen und der Unterstützung von Hamas und Hisbollah wäre wichtig für Israel. Aber was Israel aus verständlichen Gründen wirklich will, ist der Stopp der militärischen Komponente des iranischen Atomprogramms.

 

Was bezweckt das iranische Regime mit dem Atomprogramm und wie weit ist es?

Das Ziel ist eine Atombombe. Die wollte schon der Schah, in unserem Buch »The Nuclear Sphinx of Teheran« haben wir dazu den Leiter des damaligen Atomprogramms interviewt. Ich denke, der Iran ist noch vier bis fünf Jahre von einer Bombe entfernt. Sie haben sehr viele Schwierigkeiten mit ihrem Atomprogramm, und der Legitimitätsverlust des Regimes ist eine der größten. Den AtomwissenschaftlerInnen entgeht nicht, dass das Land von einem immer brutaleren Regime beherrscht wird. Viele fragen sich, ob sie ihm zu einer Bombe verhelfen wollen, oder lieber langsam machen und einer demokratischen Regierung die Fähigkeit zum Bau einer Bombe geben sollten.

 

Welche Vorschläge haben Sie für die internationale Iran-Politik?

Man sollte harte Sanktionen gegen das Regime erlassen, gegen alle Bankkonten der Führung in Europa, in der Schweiz, gegen alle Firmen des Regimes in den Golfstaaten. In der UN, etwa dem Menschenrechtsrat, sollte gegen das Regime vorgegangen werden. Die Zensur im Iran sollte bekämpft werden, den Menschen sollten die technischen Möglichkeiten für freie Kommunikation bereitgestellt werden. Das Regime müsste grundsätzlich isoliert werden, wofür man auch China und Russland gewinnen sollte. Aber der Westen sollte nicht offen einen Regime Change unterstützen.

 

War es richtig von Obama, in seiner Ansprache zum persischen Neujahr das Regime weiterhin als Verhandlungspartner anzusprechen?

Ja, das war völlig richtig, die Hardliner im Iran hassen diese Politik. Sie wollen jemanden wie Bush, dessen Drohungen sie nutzen können. Obama stellt sie dagegen bloß, und er ist wahrscheinlich der beliebteste US-Präsident im Iran seit der Islamischen Revolution.

 

Im Iran wurde aber bei Demonstrationen immer wieder gerufen: »Obama, Obama, mit uns oder mit ihnen«.

Einige Leute im Iran wünschen sich, dass Obama sich offen auf ihre Seite stellt. Aber das könnte der Opposition ernsthaft schaden. Einer der Gründe, warum Khamenei Ahmadinejads Wahl zuließ, ist die große Angst vor Obamas ausgestreckter Hand. Denn sie zerstört 30 Jahre iranischer Propaganda, in der die USA als anti-iranisches, anti-islamisches, nicht verhandlungsbereites Land dargestellt wurde. Außerdem ist Obama ein Afro-Amerikaner mit Zweitnamen Hussein, der Name des berühmtesten schiitischen Imams. Das löst den Leim, der die anti-amerikanische Politik des Regimes zusammenhielt.

 

 

Meir Javedanfar leitet das Nahost-Politik- und Wirtschaftsberatungsinstitut MEEPAS in Tel Aviv (www.meepas.com). Er arbeitet für zahlreiche internationale Medien und ist an Projekten der UN und des Club of Rome beteiligt. Zusammen mit Yossi Melman hat er »The Nuclear Sphinx of Tehran. Mahmoud Ahmadinejad and the State of Iran« (2007) veröffentlicht.

Das Interview führten Jonathan Weckerle und Beata Krasowski.