Wo bitte geht's hier zu den Fakten?

10.000 Kosovo-Roma droht die Abschiebung

Fast 10.000 Roma-Flüchtlinge aus dem Kosovo, die seit vielen Jahren in Deutschland leben, sollen demnächst in ihr Herkunftsland abgeschoben werden.

 

Bislang galt für sie, ebenso wie für Kosovo-Serben, als Angehörige einer Minderheit ein Abschiebungsstopp, der sie vor Zwangsrückführungen bewahrte. Doch aufgrund eines Rückübernahmeabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Kosovo dürfen sie nun doch abgeschoben werden. Seitdem laufen Hilfsorganisa­tionen Sturm und verweisen auf die unzumutbaren Bedingungen, denen Roma im Kosovo nach wie vor ausgesetzt sind. Alle veröffentlichen Berichte weisen darauf hin, dass auf­grund weiter andauernder interethnischer Spannungen ein Le­ben in Würde und Sicherheit für Roma im Kosovo auf absehbare Zeit nicht möglich ist. Doch selbst gewichtige Stellungnahmen gegen diese Abschiebungen perlen spurlos an den zuständigen Innenministerien ab. Scheinbar beratungsresistent verweisen sie freundlich auf die geltende Rechtslage und behaupten darüber hinaus, der Kosovo sei auch für Minderheiten sicher. Die hohe Kunst staatstragender Rhetorik beherrschen die Zuständigen hierbei bestens, und eben das verrät dem aufmerksam Lesenden auch, dass sich dahinter mehr als nur Ignoranz verbirgt. Durch gezielt verharmlosende und irreführende Formulierungen umgeben sich die Verantwortlichen mit dem Nimbus verantwortungsvollen und men­schenrechtskonformen Han­delns. Was sich allerdings wirklich hinter Sprechblasen wie „das Vorgehen entspricht internationalen Standards" und „alle hu­manitären Aspekte wurden be­reits im Vorfeld geklärt" verbirgt, kann jemand, der sich mit dem deutschen Asyl- und Ausländerrecht nicht auskennt, kaum durchschauen. So sind die allermeisten Deutschen zwar der Ansicht, Flüchtlingen müsse man selbstverständlich Asyl gewähren, „aber wer nicht als Flüchtling anerkannt worden ist, der war dann wohl auch gar kein echter Flüchtling", so die vorherrschende Meinung. Genau darauf spekuliert z.B. MdB Johannes Vogel (FDP), wenn er argumentiert, den betroffenen Roma stünde nach „erfolglosem Asylverfahren" und „negativer Prüfung für die Flüchtlingsanerkennung" eben kein Recht zum Aufenthalt zu. Was viele Menschen nicht wissen: In Deutschland haben Bür­gerkriegsflüchtlinge grundsätzlich keinen Anspruch auf Asyl. Nur wer von einer Staatsmacht verfolgt wurde, hatte daraufhin die Chance, als Flüchtling anerkannt zu werden. Das war im ehemaligen Jugoslawien nicht der Fall: Die Roma wurden von ihren eigenen Nachbarn, militanten Albanern, überfallen, ermordet oder vertrieben. Vor allem deshalb stehen die meisten der 10.000 Roma in Deutschland vor dem Problem eines „erfolglosen Asylverfah­rens" und der „negativen Prüfung für die Flüchtlingsanerkennung". Wie kann das sein, mögen sich hier jene mit gesundem Menschenverstand fragen. Zumal in anderen EU-Staaten Bürger­kriegsflüchtlinge durchaus als „echte" Flüchtlinge gelten. Noch absurder wird das Ganze, wenn man weiß, dass auch in Deutschland die Roma trotz Verweigerung des Flüchtlingsstatus zehn Jahre lang nicht in den Kosovo abgeschoben werden durften, da ihre Sicherheit dort als nicht gewährleistet galt. Obwohl man sie also aus humanitären Gründen nicht abschieben durfte, blieben sie in Deutschland trotzdem nur „geduldet", das heißt, sie waren per Gesetz die ganze Zeit über ausreisepflichtig. Deshalb können Abschie­bungsbefürworterInnen ihnen jetzt auch vorwerfen, sie hätten ihre jahrelange Chance, freiwillig auszureisen, nicht genutzt. Und daher dürfe nun „auf die Anwendung des Mittels der zwangsweisen Rückführung nicht verzichtet werden", so Peter Altmaier, parlamentarischer Sekretär des Bundesin­nenministeriums.

Die Sicherheitslage im Kosovo wird hierbei systematisch schöngeredet.

Gern beruft man sich auf nicht einsehbare Lageberichte des Auswärtigen Amts oder auf die NATO, die ihren Einsatz im Ko­sovo inzwischen als „Erfolgsstory" verkauft und stolz verkündet: „Die Region ist ruhig und stabil." Nun hat die NATO natürlich al­len Grund, ihren Einsatz im Ko­sovo, der seinerzeit ohne UN-Mandat erfolgte, zu einer Erfolgsstory zu deklarieren. Dass NATO-Soldaten die Situation vor Ort durchaus differenzierter sehen, konnte man einem ARD-Bericht vom 12. Juni 2009 entnehmen. Dort berichtete ein Bundeswehrsoldat im Feldlager Prizren: „Es ist ruhig, weil wir hier sind. Es ist aber nicht so, dass sich die Lage nicht schnell ändern könnte. Und deshalb ist es wichtig, mit den Menschen hier auf der Straße und mit allen Behörden in Verbindung zu bleiben. Das ist der entscheidende Faktor, wenn man überhaupt eine Chance ha­ben will, diese Stimmungsumschwünge rechtzeitig zu erkennen, um dann darauf reagieren zu können." Die Abschiebungsbefürworter in den Innenministerien schrecken auch vor sinnentstellenden Aussagen nicht zurück, sie reißen Zitate hochrangiger Menschenrechtsvertreter aus dem Zusammenhang, um damit die Abschiebung der Roma zu rechtfertigen. So weist zum Beispiel Peter Altmeier darauf hin, auch EU-Men­schenrechtskommissar Tho­mas Hammarberg sei schließ­lich in seinem Bericht vom 2. Juli 2009 zu der Auffassung ge­kommen, dass sich die Sicher­heitslage im Kosovo auch hinsichtlich der ethnischen Minderheiten verbessert habe. Hammarberg erwähnt im gleichen Bericht allerdings auch weiter bestehende interethni­sche Spannungen und gewaltsame Zwischenfälle und appelliert daher an die europäischen Regierungen, keine Minderheiten (sprich: Serben und Roma) in den Kosovo abzuschieben. Holger Hövelmann wiederum, Innenminister Sachsen-Anhalts, möchte suggerieren, die Umsetzung der Abschiebungen stünde im Einklang mit dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UN­HCR). Nach Hövelmann habe der UN­HCR dafür plädiert, „die Rückführungen vorsichtig zu gestalten und angemessen zu begrenzen. Diesem Anliegen wird - wie vorstehend ausgeführt - entsprochen". Der UNHCR hat allerdings für noch einiges mehr plädiert und spricht in der zitierten Passage ausdrücklich nur von „nicht schutzbedürftigen" Personen. Wörtlich schreibt der UNHCR, dass „Roma weiterhin internationalen Schutzes bedürfen und eine Rückkehr nur auf freiwilliger Basis erfolgen sollte". Er begründet dies „über Ver­folgungsgefahren hinaus" unter anderem auch damit, dass „grundlegende Menschenrechte, namentlich in den Bereichen Arbeit, Ausbildung, Registrierung sowie Gesundheits- und Wohnungswesen für Roma nicht garantiert werden" können.

Was dürfen wir daraus schließen?

Die für die geplanten Abschiebungen Verantwortlichen kennen die kritischen Berichte sehr genau und nutzen sie - gegen die Intention der VerfasserIn­nen. In diesem Zusammenhang fragt man sich zwangsläufig, wie das Angebot an Rückkehrer aus Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Baden-Württem­berg zu verstehen ist, denen die Entscheidung zur freiwilligen Ausreise durch finanzielle Anreize erleichtert werden soll. So lockt sie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in seinem Projekt „URA 2" u.a. mit der Gewährung von Lebensmittel- und Mietkostenzuschüs­sen. Allerdings längstens für fünf Monate und begrenzt bis zum 31. Dezember 2009. Faktisch bedeutet das leider all zu oft, dass der harte Aufschlag in der Kosovo-Realität nur um wenige Monate verschoben wird, wie erste verzweifelte Anrufe von sogenannten „freiwilligen" Rück­kehrern aus dem Kosovo zeigen. Kann es wirklich sein, dass die Geldgeber die Situation vor Ort so falsch einschätzen? Oder muss man nicht vielmehr annehmen, dass mit den Zahlungen auch eine Art „Freikauf" von zukünftiger Verantwortung erreicht werden soll? Folgendes bleibt festzuhalten: Die Sicherheitslage im Kosovo hat sich unstrittig verbessert: Kein Krieg ist besser als Krieg. Das war übrigens auch schon vor der Unabhängigkeitserklä­rung des Kosovo der Fall. Ebenso unstrittig ist aber auch, dass der Minderheitenschutz im Alltag noch immer nicht ausreichend gewährleistet werden kann, auch wenn die neue ko­sovarische Verfassung dies auf dem Papier vorsieht. Denn diese rein formale Neuerung bedeutet noch lange nicht, dass nationalistische Albaner deshalb plötzlich zu Roma-Freunden werden. Doch genau auf diese formale Ebene reduziert die Bundesregierung ihre Verantwortung und ihren Handlungsspiel­raum: Der Kosovo will als eigenständiger Staat anerkannt werden. Das kann er aber nur, wenn er auch seiner „völkerrechtlichen Verpflichtung zur Rückübernahme eigener Staatsangehöriger nachkommt", so das Argument der Bundesrepublik Deutschland. Ohne Rückübernahmeabkom­men keine Anerkennung als Staat. Das ist auch gemeint, wenn das Bundesinnenminis­terium verlauten lässt, die Rückführungen entsprächen „internationalen Standards". Seit der Kosovo den Rückführungen notgedrungen zustimmte - das tat er vor allem aufgrund massiven Drucks seitens Deutschlands - sieht sich die Bundesregierung formal jeder Verantwortung entledigt und kann sich dabei auch noch auf die besagte Einhaltung „internationaler Standards" berufen. Auf welchen fruchtbaren Boden die Anwendung dieser deformierenden Rhetorik der Bundesregierung fällt, ist nicht zu übersehen, wenn man sich z.B. in Internet-Foren umsieht: Im Schutz der Anonymität stehen dort die bekannten, wie in Beton gegossenen Vorurteile: „Das sind doch nur Wirtschaftsflüchtlinge", „die können sich ja sowieso nicht integrieren", Diebstahl sei bei den Roma „überproportional häufig" und ihre Lebensauffassung „mit unserer Arbeitsethik nicht vereinbar" (stimmt! Die Knochenarbeit, die manche Roma hier verrichten, würden viele Deutsche nicht annehmen). Und „wir Deutschen" hätten nach dem 2. Weltkrieg auch un­ser Land mit eigenen Händen wieder aufgebaut. Wieso also „Extrawürste" für die Kosovo-Roma? Ganz einfach. Weil man die während des Nationalsozialismus ins Ausland geflohenen Juden auch nicht nach 10-15 Jahren gegen ihren Willen nach Deutschland „rückge­führt" hat, damit sie dort beim Wiederaufbau helfen, sondern ihnen als besonders schutzbe­dürftiger Minderheit auch besonderen Schutz gewährte. Genau dieser Schutz gebührt auch den Roma. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. „Es war doch immer klar, dass die Roma irgendwann zurück müssen", heißt es stattdessen häufig, mit Hinweis auf ihren Duldungsstatus. Klar ist, dass die Roma nach wie vor auf den Schutz Deutschlands angewiesen sind, dass Deutschland in den letzten zehn Jahren zu ihrer neuen Heimat geworden ist, dass ihre Kinder mit den eigenen Eltern lieber deutsch als romanes sprechen, und dass viele der Jüngeren kein einziges Wort albanisch oder serbokroatisch verstehen. Diese Menschen kann man nicht einfach in den Kosovo verpflanzen. Sie haben dort keine Chance auf ein Leben, das geltenden humanitären Standards entspricht. Das sind die Fakten.

 

Ulrike Löw

Dr. Ulrike Löw ist Mitarbeiterin der Gemeinnützigen Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender (www.ggua.de) und Initiatorin der Kampagne "Schnappschüsse für ein Bleiberecht - Aktion 302 - Rettet eure Nachbarn!" http://www.aktion302.de Infos: info@ggua.de

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 343, Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft, 38. Jahrgang, November 2009, www.graswurzel.net