Die globale Energiewende und die politische Agenda von Barack Obama

Ein neues Paradigma sozioökonomischer Entwicklung

Der New Deal der 1930er Jahre und der Nachkriegskapitalismus

Der New Deal, der in den 1930er Jahren aus der Weltwirtschaftskrise (1929-1938) führte, basierte auf der Kombination eines neuen technisch-ökonomischen mit einem neuen sozial-ökonomischen Modell. Das technisch-ökonomische Modell war die fordistische Massenproduktion, die economy of scale und das dazu gehörige Muster industrieller Forschung, Entwicklung, Produktion und Nutzung der Natur. Das sozialökonomische Modell war die Teilhabe der Arbeiter an der wirtschaftlichen Entwicklung in Form steigender Einkommen, wachsenden Konsums und besserer sozialer Absicherung: die produktivitätsorientierte Lohnpolitik und der Wohlfahrtsstaat. Natürlich war dieses Resultat nicht Ergebnis absichtsvoll geplanter politischer Entscheidungen - weder des Präsidenten Roosevelt noch der US-amerikanischen Wirtschaftsbosse noch der Wähler oder der Bevölkerung. Es war das Ergebnis sozio-ökonomischer und politischer Entwicklung (im Sinne Schumpeters), also eines Evolutionsprozesses unter den Bedingungen einer tiefen Weltwirtschaftskrise, einer - wenn man so will - systemischen Krise des Kapitalismus, der zweiten systemischen Krise nach dem Ersten Weltkrieg, den Revolutionen und der deutsch-österreichischen Inflation.

Bekanntlich hatte dieser Prozess des institutionellen Wandels, der Suche nach einem Weg aus der Krise in den 1930er Jahren zunächst zu differenten Entwicklungspfaden geführt - wenn man etwa Deutschland (eine nationalistische Sozialpolitik, kombiniert mit Protektionismus, Abschottung, Eroberung und Ausbeutung anderer Völker), die anderen europäischen Mächte (vor allem Großbritannien, das mittels protektionistischer Strategien aus der Krise kommen wollte und erst nach dem Zweiten Weltkrieg eine sozial orientierte Wirtschaftspolitik übernahm), die stalinistische Industrialisierungspolitik in der Sowjetunion und die USA vergleicht. Unstrittig ist, dass sich im Ergebnis der amerikanische Weg aus der Krise durchgesetzt hat, aber erst im Verlauf des Zweiten Weltkriegs und danach, während sich der britische und der deutsche Weg bald, der sowjetische erst in den 1970er Jahren als nicht lebensfähig herausstellten.

Der Take off dieses amerikanischen Entwicklungspfads war die Kombination des New Deal des Präsidenten Roosevelt mit der fordistischen Massenproduktion. Ersterer beinhaltete staatliche Konjunkturprogramme gegen die Not der Arbeiter, die Arbeitslosigkeit und zur Belebung der Wirtschaft.

Der New Deal bewirkte eine Neuverfassung des Sozialen im Kontext des US-amerikanischen Kapitalismus. Es ist nicht unangemessen, einige Maßnahmen hier aufzuzählen: staatliche Überwachung der Börsen, Preiskontrolle für Agrarprodukte (heute wäre an Energieprodukte zu denken), Arbeitszeitverkürzung, freiwilliger Arbeitsdienst, kommunale Investitionen, Rechtsgrundlage für Gewerkschaften und Streikrecht, Einführung einer staatlichen Rente, einer Arbeitslosenversicherung und von Mindestlöhnen, Einführung der progressiven Einkommenssteuer (einer Reichensteuer!), Verbot des privaten Besitzes von Gold und Silber. Später kamen Freihandel und das Prinzip der Meistbegünstigung im internationalen Handel hinzu.1

Der New Deal war eine Neuverfassung des Sozialen im US-amerikanischen Kapitalismus; er unterschied sich definitiv von anderen Arten der Krisenbewältigung. Der deutsche Faschismus versuchte eine Neuverfassung des Sozialen auf eine im Kern ganz andere Art.2 Allerdings waren die Wirkungen des New Deal zunächst sehr begrenzt; erst seine Kombination mit dem bis dahin größten kreditfinanzierten Investitionsschub aller Zeiten - ausgelöst durch den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg und den Beginn der Kriegsvorbereitungen - brachten den Auftakt zur längsten und umfassendsten Phase wirtschaftlicher Entwicklung im Kapitalismus, von 1941 bis 1975. Denn infolge dieses Investitionsschubs boomte nicht nur die Rüstungsindustrie. Die Löhne stiegen in bis dahin ungeahnte Höhen, und dem Boom der Rüstungs- und Investitionsgüterindustrie folgte ein Boom der Konsumgüterindustrie. Der Krieg führte in den USA nicht zu einer Politik des „Gürtel-enger-Schnallens", bezogen auf Löhne und Konsum; im Gegenteil. Die USA versorgten auch Großbritannien, lieferten Rüstungs- und Investitionsgüter, Lebensmittel und Konsumgüter an die Sowjetunion und versorgten nach Kriegsende halb Europa wie nebenher mit. Das Wirtschaftswunder war immer zugleich ein Konsumwunder, das dann auch ohne Krieg und bei erheblich geringeren Rüstungsausgaben weiter funktionierte, also im Ergebnis keine Kriegswirtschaft war.

Wichtig ist diese Kombination: Neuverfassung des Sozialen und Einstieg in einen neuen Industrialisierungs- und Investitionszyklus, die fordistische Massenproduktion, wodurch die entscheidenden Kombinationen möglich wurden: Massenproduktion und Massenkonsum, Kapitalverwertung und Teilhabe der Lohnarbeit am wachsenden Reichtum. Der Weg aus der Krise war ein neuer Pfad wirtschaftlicher Entwicklung, der auf der Grundlage des Kapitalismus ein neues Prinzip der industriellen Entwicklung mit einem neuen Prinzip der sozialen Entwicklung kombinierte.

Der Weg aus der Krise war nicht die nationale und soziale Diktatur, wie in Deutschland, auch nicht die direktive Planwirtschaft, aber auch nicht eine Politik der Einschränkungen auf Kosten der Arbeiter, wie sie in den konservativen westeuropäischen Ländern versucht wurde, sondern die Neuorientierung des Kapitalismus durch die politisch induzierte Neuverfassung seines sozialen Kontextes und die Konstruktion eines darauf basierenden neuen Pfads industrieller Entwicklung, der bekanntlich während des Zweiten Weltkriegs und danach auf ganz Westeuropa und Japan ausgeweitet wurde und sich schließlich auch in weiten Teilen Asiens etablierte. Erst als dieser Pfad selbst erschöpft war und in die Krise geriet (in den 1970er und 1980er Jahren), führte der Zusammenbruch der staatssozialistischen Wirtschaftssysteme auch diese Länder auf den Pfad eines fordistischen Wohlfahrtskapitalismus - freilich zu einem Zeitpunkt, als dieses Modell schon nicht mehr besonders gut funktionierte.

Man mag diese Art wirtschaftlicher Entwicklung, dieses an die Konsumtion der Massen - also vor allem die der Arbeiter - gekoppelte Modell der Kapitalverwertung aus heutiger Sicht kritisieren. Erstens schloss sie die extraordinäre Luxuskonsumtion der ganz Reichen nicht aus, blieb also „ungerecht", auch wenn sie die Arbeiter am wirtschaftlichen Ergebnis beteiligte. Zweitens löste sie zwar das Problem des Hungers und des Elends für die Bevölkerungsmehrheit in den entwickelten kapitalistischen Ländern, aber kleine Teile der inländischen Bevölkerung und große Teile der Menschen in der sogenannten Dritten Welt blieben von der Teilhabe an der Konsumgesellschaft ausgeschlossen.

Drittens aber musste dieser Typ wirtschaftlicher Entwicklung seine eigene Grundlage zerstören, denn er beruhte zwar auf permanenter Steigerung der Arbeitsproduktivität, aber eben nicht auf einer ebenso schnellen Steigerung der Ressourcen- und Energieeffizienz. Die wirtschaftliche Entwicklung ging also mit einer ständig steigenden Belastung der Naturressourcen, des Energie- und Rohstoffverbrauchs, der Abprodukte und der Emissionen einher. Irgendwann mussten die Tragfähigkeitsgrenzen erreicht werden - und sie wurden in mehrerer Hinsicht in den 1970er Jahren erreicht. Man erinnere sich an die 1970er  und 1980er Jahre: die Ölkrisen, das Ozonloch, die Versauerungsgase, das Waldsterben, die Vergiftung der Flüsse und Seen - einige dieser frühen Probleme sind heute mehr oder weniger gelöst oder gemildert; man kann hoffen. Aber es bleiben solche, die ungelöst sind und unlösbar scheinen: die CO2-Emissionen, die Erderwärmung, die Klimaprobleme, die Belastung der Weltmeere mit CO2, die Überlastung der Umwelt mit naturfremden Chemikalien, die Probleme der langfristigen sicheren Lagerung der Nuklearabfälle, der dramatische Verlust der Biodiversität und die Destabilisierung wichtiger Ökosysteme der Erde, z.B. der Regenwälder und der Gletscher.

Meine These lautet: Seit den 1970er Jahren fressen die negativen Skaleneffekte sinkender Ressourceneffizienz die positiven Skaleneffekte der Massenproduktion, der steigenden Arbeitsproduktivität auf; weltwirtschaftlich haben wir per Saldo wahrscheinlich eine Stagnation der Gesamteffizienz (der Synthese von Arbeitsproduktivität, Ressourceneffizienz und Grundfondseffizienz resp. Kapitalproduktivität) zu konstatieren. Seit den 1970er Jahren kann die Verwertung des Gesamtkapitals also nicht mehr durch steigende Gesamteffizienz der industriellen Produktion erreicht werden, sondern nur noch auf drei anderen Wegen: Erstens durch Umverteilung zulasten der Bevölkerung, also durch partielle Rücknahme des Teilhabeprinzips, der produktivitätsorientierten Lohnpolitik und des Sozialstaats - also der Voraussetzungen, auf denen der Erfolg des Nachkriegskapitalismus beruhte. Zweitens durch Standortwettbewerb, Umverteilung zulasten der Konkurrenten, verwirklicht insbesondere im Modell des Wettbewerbsstaates, mit dem ein Welthandelssystem komparativer Vorteile im Handel mit fordistischen Massenproduktionsgütern und den dafür benötigten Investitionsgütern und Rohstoffen zerstört wurde. Eingeschlossen war die systematische Zerstörung des dazu gehörigen Weltfinanzsystems, beginnend mit dem Ende des Bretton Wood-Modells. Drittens schließlich durch eine Verselbstständigung der Verwertung des Finanzkapitals, der Entstehung eines Finanzmarktkapitalismus, dessen Wirkung in einer Umverteilung des realen Bruttoinlandsprodukts zulasten der Allgemeinheit und zugunsten erfolgreicher Finanzmarktakteure besteht, vor allem aber in der zeitlich befristeten Fiktion eines monetären Wachstums, hinter dem allerdings kein realwirtschaftliches steht.

Der Weg der fortgesetzten Deregulierung des Finanzsystems und der Aufblähung des Geldkapitals musste zu Finanzkrisen wie der gegenwärtigen führen. Klar ist, dass alle drei Wege das Problem der Grenzen des fordistischen Typs wirtschaftlicher Entwicklung nicht lösen können, sondern nur hinausschieben. Die einzige logisch mögliche Lösung wäre der Übergang zu einem ressourceneffizienten und umweltkompatiblen Typ wirtschaftlicher Entwicklung.

Der Verzicht auf wirtschaftliche Entwicklung wäre aber kein Ausweg, denn er würde den Status quo festschreiben. Die bis heute gegebenen und ohne einen anderen Typ von Industrie unlösbaren Umweltprobleme würden weiter bestehen und den Tod der heutigen Menschheit zur Folge haben. Verzicht auf wirtschaftliche Entwicklung würde bedeuten, auf die künftigen Technologien zu verzichten, mit denen Umweltzerstörung vermieden und die schon bestehenden Umweltprobleme wenigstens teilweise repariert werden könnten.

Auch der immer wieder geforderte Verzicht auf Wachstum wäre keine Lösung. Der einmal gegebene Pfad des Bevölkerungswachstums wird frühestens 2050 zu einer Stabilisierung der Weltbevölkerung bei neun bis zehn Mrd. Menschen führen (derzeit knapp sieben Mrd.). Verzicht auf wachsende Produktion von Lebensmitteln, Konsumgütern und Dienstleistungen hätte zur Folge, dass Jahr für Jahr pro Kopf immer weniger verbraucht werden müsste, die Menschen der entwickelten Länder also erheblich mehr abgeben müssten, als die Menschen in der Dritten Welt hinzugewännen. Am Ende litten alle Not. Die einzige Alternative ist eine neue Kombination von Entwicklung und Wachstum, eine wirtschaftliche Entwicklung, bei der eine wachsende Produktion mit sinkendem Ressourcenverbrauch (Energie, Rohstoffe und Emissionen) einhergeht und eine umweltkompatible Industrie entsteht.

Verzicht auf Entwicklung und Verzicht auf Wachstum wären tödlich, ebenso wie ein Wachstum ohne Entwicklung oder eine Entwicklung ohne Wachstum. Die Alternative ist ein anderer Pfad wirtschaftlicher Entwicklung, Wachstum, basiert auf einem anderen Prinzip wirtschaftlicher Entwicklung, und die Erfindung wie der Aufbau eines entsprechenden neuen Typs von Industrie, natürlich weltwirtschaftlich. Wenn ein solcher Pfadwechsel gelänge, hätte dies weltwirtschaftlich einen noch größeren Investitionsboom und Entwicklungsschub zur Folge als den, der nach dem Zweiten Weltkrieg zur Entstehung des fordistischen Teilhabekapitalismus geführt hat.

Die politische Agenda von Barack Obama kann Ausgangspunkt eines neuen Entwicklungspfads werden

Die globale Energiewende ist der Schlüssel zu einem neuen Entwicklungs- und Industrialisierungspfad. Dabei handelt es sich nicht um einen einfachen Strukturwandel, sondern um eine industrielle Revolution, die zugleich auch eine wissenschaftlich-technische und eine sozialökonomische Revolution, ein Paradigmenwechsel wirtschaftlicher Entwicklung sein wird. Wir stehen global an einer ähnlichen Wegscheide wie vor 80 Jahren. Die alte Welt der fordistischen Wohlfahrtsökonomie ist am Ende, seit etwa 30 Jahren im Niedergang, und nun zeigt die Weltwirtschaftskrise auch, dass die Auswege - der Weg des Finanzmarktkapitalismus und des Wettbewerbsstaats - Sackgassen waren, die alles nur noch schlimmer gemacht haben. Nötig ist eine neue Kombination: ein anderer Industrialisierungspfad (eine energieeffiziente und ressourceneffiziente Weltwirtschaft) und ein dazu passendes neues Prinzip sozialer Teilhabe, die global zu verfassen wäre (also Indien, China, Afrika und Lateinamerika nicht ausschließen kann). Nötig wäre ebenso eine neue Form globaler Kooperation, die das neoliberale Modell der Exklusion der Überflüssigen und das Prinzip des Wettbewerbsstaates ablöst.

Wie damals kann die Krise der Katalysator eines politischen Prozesses werden, der zu einem neuen, auf Zeit (nicht für immer) wieder funktionsfähigen Entwicklungsweg führt. Diesmal geht es nicht nur darum, einen Typ wirtschaftlicher Entwicklung durch politische Evolution, durch politische Auseinandersetzung hervorzubringen, der Kapitalverwertung und soziale Entwicklung bis auf Weiteres wieder miteinander vermittelt (also auf Zeit in Übereinstimmung bringt); diesmal geht es zusätzlich um ein neues Prinzip der Vermittlung von Industrie und Umwelt. Eingeschlossen ist aber die Wiederherstellung des Sozialen, die Aufhebung der neoliberalen Deregulation zulasten der Arbeit - aber nicht durch einfache Wiedereinsetzung der fordistischen Lohn- und Konsumregulation, sondern durch ein Sozialprinzip, das zu einem neuen Naturverhältnis und einer neuen Industrie passt, also Erwerbsarbeit und Massenkonsum bei sinkenden Ressourcenbelastungen ermöglicht.

Eingeschlossen ist auch die Wiederherstellung eines auf komparativen Vorteilen basierten Weltmarkts und eines dazu passfähigen globalen Finanzsystems, also die Beendigung des Systems des Wettbewerbsstaates und der Gewinne zulasten der anderen Weltmarktakteure. „Komparative Vorteile" bedeutet, dass Strategien industrieller Entwicklung dominieren, bei denen potenziell alle profitieren, jedenfalls die Summe aller Gewinne größer ist als die aller Verluste (sogenannte Win-Win-Szenarien, von denen in den vergangenen Jahren viel geredet wurde, die aber durch das gegebene Welthandels- und Finanzsystem nicht begünstigt werden). Das bedeutet heute vor allem, nach Strategien einer globalen Energiewende zu suchen, bei denen die Lösung der Energiefrage für die nachholende Entwicklung (also der Ausbau der Energiesysteme in China, Indien, Lateinamerika und Afrika) und der Umbau der Energiesysteme in den entwickelten Industrieländern als eine gemeinsame Aufgabe mit komparativen Vorteilen für alle in Angriff genommen wird; also gerade nicht durch Abwälzung der Lasten auf andere gelöst werden soll.

Bis vor wenigen Monaten waren die USA - jedenfalls ihre Regierung und große Teile ihrer Unternehmen und Finanzmarktakteure - der Garant dafür, dass ein politischer Paradigmenwechsel, der längerfristig auf den evolutionären Pfad eines anderen Industrialisierungsmusters und einer anderen sozioökonomischen Konfiguration führt, nicht stattfindet.

Doch innerhalb weniger Monate hat sich das Blatt gewendet - vielleicht. Man weiß nicht, ob es gelingen wird, und auch nicht, wie dieser Pfad am Ende genau aussehen wird (so wenig, wie Roosevelt den Wohlfahrtskapitalismus der 1960er Jahre schon 1933 vor Augen hatte).

Aber nun ist ein „Wunder" geschehen. Zu der Agenda des neuen Präsidenten Barack Obama gehören die drei Kernelemente, die nötig wären, um auf einen neuen Pfad sozioökonomischer Entwicklung einzuschwenken. Sie deuteten sich bereits im Wahlkampf an, sind noch deutlicher geworden in der Agenda des Weißen Hauses und in der Politik zur Bekämpfung der Weltwirtschaftskrise seit Februar 2009. Die Notwendigkeiten, unter großem Zeitdruck die Rezession in den USA zu begrenzen und die sozialen Folgen abzufedern, haben - ganz anders als in Deutschland - nicht zu einer Aufweichung bei der Suche nach einer neuen Strategie geführt, sondern die neue Orientierung auf einen neuen Entwicklungspfad eher verstärkt.

Es sind diese drei Komponenten: Erstens die Wiederherstellung und Erweiterung des sozialen Prinzips. Zweitens die Etablierung eines neuen Prinzips wirtschaftlicher Entwicklung, für das die Energiewende den Schlüssel darstellt. Drittens der Übergang zu einem neuen Prinzip der Außenpolitik und der Weltwirtschaftspolitik, bei dem es nicht darum geht, die eigenen Interessen zu vergessen oder zurückzustellen (wer so messen würde, müsste feststellen, dass Obamas Politik nach wie vor Interessenpolitik ist, aber das ist sie wie jede andere Politik auch!), sondern darum, die eigenen Interessen durch Kooperation und Verständigung zu verfolgen, also Positivsummenspiele in der Weltwirtschaft und der Weltpolitik zu suchen. Daher kann es auch nicht um Protektionismus gehen, aber es geht sehr wohl um eine neue Weltwirtschaftspolitik, bei der Gewinne nicht durch Monopole zulasten anderer, sondern durch Kooperation und komparative Vorteile erwirtschaftet werden. Dann, aber auch nur dann ist Freihandel gut. Genau diese Unterschiede müssen durch die Regulation des Weltfinanzsystems und der Weltwirtschaft wieder zu Geltung gebracht werden.

Obamas große Leistung ist es heute schon, die Notwendigkeit einer Überwindung der Wirtschaftskrise nicht gegen das soziale Prinzip zu kehren, die Notwendigkeit einer Erneuerung des Sozialen nicht gegen eine Energiewende ins Feld zu führen, und schließlich, die Erneuerung der Stärke Amerikas nicht gegen die gemeinsame Arbeit an einer besseren Weltordnung zu wenden.

Wir wissen nicht, ob dies gelingen kann, aber wenn wir wollen, können wir Konturen einer Politik erahnen, die der des New Deal ebenbürtig werden kann.

 

Anmerkungen

1          Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/New_Deal, 14.3.2009, 14:00. Genannt werden folgende Maßnahmen:

-          staatliche Überwachung der Börsen,

-          Mindestpreise für Agrarprodukte.

-          Die Gewerkschaftsforderung nach einer 40-Stundenwoche fand Unterstützung bei den Unternehmern und wurde eingeführt.

-          Ein freiwilliger Arbeitsdienst (Civilian Conservation Corps - CCC) wurde organisiert, der für die Aufforstung und Bodenverbesserung eingesetzt wurde.

-          Zur Wirtschaftsbelebung wurden 122.000 öffentliche Gebäude, eine Mio. km Straßen und 77.000 Brücken gebaut. Verantwortlich dafür waren verschiedene Behörden (u.a. Civil Works Administration - CWA, Works Progress Administration - WPA).

-          Die Tennessee Valley Authority (TVA) baute 20 Staudämme im Tennesseetal.

-          Die landwirtschaftliche Produktion wurde reduziert, um den Farmern rentable Preise zu schaffen. Die Bundesregierung gewährte den Farmern dafür Geldmittel aus dem Agricultural Adjustment Act (AAA) vom 12. Mai 1933.

-          Den Gewerkschaften wurde eine feste rechtliche Grundlage gegeben, ein formelles Streikrecht wurde eingeführt.

-          Kinderarbeit wurde verboten.

-          Eine staatliche Rente wurde eingeführt.

-          Eine Arbeitslosenversicherung wurde ins Leben gerufen.

-          Für Industriearbeiter wurden Mindestlöhne eingeführt.

-          Ein Steuersystem mit niedrigen Sätzen für Arme und hohen Sätzen für Reiche wurde eingeführt.

-          Der private Gold- und Silberbesitz wurde verboten (von 1933 bis 1974).

Ebenfalls bedeutend wurde - jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt - der Reciprocal Trade Agreement Act, bei dem die US-Regierung erste Grundlagen für Freihandel nach dem Prinzip der Meistbegünstigung legte.

2          Vgl. Manfred Lauermann: Das Soziale im Nationalsozialismus, in: Berliner Debatte INITIAL 9 (1998) 1; Wolfgang Schivelbusch: Entfernte Verwandtschaft - Faschismus, Nationalsozialismus, New Deal 1933-1939. München, Wien 2005.

 

Dr. sc. Rainer Land, Philosoph und Wirtschaftswissenschaftler, Thünen-Institut r.V. Bollewick

 

aus: Berliner Debatte INITIAL 20 (2009) 2, S. 62-66