Die Idee ist tot, es lebe die Idee

Eine neue Bildungsexpansion als Basis für linke Universitätspolitik in der Post-Exzellenz-Ära

Die deutschen Universitäten waren Ende der 90er Jahre zwischen stecken gebliebenen linksliberalen Bildungsreformen und dem Beharrungsvermögen des konservativen ProfessorInnenstandes eingeklemmt. Die Debatte über die Idee(1) behinderte die notwendige Debatte über die Funktion(2) der Universität in der postindustriellen Gesellschaft. So wurden Ländermittel für Hochschulen zu lästigen Haushaltsposten, die möglichst gering zu halten waren. Die 2004 initiierte Kampagne für wissenschaftliche Leuchttürme beendete die Sinnsuche vorerst. Formal wurde mit der Exzellenzinitiative am Konzept einer zunächst zweckfreien Wissensproduktion festgehalten und dieses in einen wettbewerblichen Maßstab gezwängt. Die Unklarheit über die Fortführung („Alles auf Null?“) und Ausrichtung („Exzellenzinitiative für die Lehre“) zeigt, dass dieser Wettbewerb die Funktionsbeschreibung nicht präzisierte. Das bietet ein Fenster für kreative Wissenschaftspolitik von links: Diese muss die funktionale Differenzierung gestalten, um eine Zweiklassigkeit zu verhindern.
Die jüngere Entwicklung der Berliner Freien Universität zeigt, welche Wege die „exzellenten“ Universitäten nehmen, um sich unter den Bedingungen der neuen Steuerungsinstrumente, stagnierender oder sinkender Grundmittel und Drittmittelexpansion zu profilieren. Das Wahlprogramm des 2003 gewählten FU-Präsidenten Lenzen bestand in einer „oberhalb von Fachbereichsstrukturen“ angesiedelten Organisation von thematisch orientierten, meist interdisziplinär angelegten Wissensclustern. Lenzens Ziel war es, handlungsfähige Strukturen jenseits demokratischer Mitwirkung zu schaffen, Berufungs- und Strukturpolitik nah am Präsidium zu konzentrieren und letztendlich Abhängigkeitsverhältnisse zu konstituieren. Diese Strategie war folgerichtig, denn nur über Drittmittel und Rankingpositionen ist eine Profilierung als „Forschungsuniversität“ möglich. Dafür genügt es nicht, einzelne „exzellente“ WissenschaftlerInnen zu beschäftigen. Die ganze Institution soll den vermeintlichen „Exzellenzgedanken“ ausstrahlen, sich mit der „Marke FU“ identifizieren. Die Außenwirkung, sichtbar an steigenden Budgets für Öffentlichkeitsarbeit, für Auslandsdependancen und Medienpräsenz, steht im Vordergrund.
Es zeigt sich die eigentliche Funktion der „geadelten“ Einrichtung: eine exzellente Universität soll Berater der Funktionseliten in Staat und Wirtschaft sein und spezifische Aufgaben im globalen Wettbewerb wahrnehmen. Das FU-Label „Internationale Netzwerkuniversität“ korrespondiert nicht zufällig mit der Struktur transnational agierender Konzerne. Hinter der Fassade der Spitzenforschung und proklamierter Zugewandtheit zur Gesellschaft steht die Dienstleisterfunktion der FU gegenüber den ökonomisch global agierenden Institutionen in Wirtschaft und Politik: Die „standortgerechte Dienstleistungshochschule“ in ihrer elitären Variante ist eine Realität, in der kritische Wissenschaft keinen Platz mehr hat. Allerdings wäre die nur (Wieder-) Implementierung kritischer WissenschaftlerInnen für linke Politik nicht hinreichend. Es muss, frei nach Walter Benjamin, nicht nur gefragt werden, wie die Universität ZUM gesellschaftlichen Produktionsprozess steht, sondern auch wie sie IN ihm steht.
Dabei verschiebt sich der Fokus von der Forschung auf die Lehre: Wirtschaft und Politik üben weniger an mangelnder Forschungsstärke oder fehlendem Technologie- und Wissenstransfer der Universitäten Kritik. Vielmehr wächst sich der Fachkräftemangel im akademischen Bereich zum zentralen Problem aus.(3) Dies gilt es, für linke Ziele zu nutzen, ohne seine Interessenlagen zu übernehmen. Universitäten, deren Struktur auf Drittmitteleinwerbung ausgerichtet ist, haben jedoch in der kommenden Debatte über gute Lehre schlechte Karten.
Studierendenbefragungen zeigen, dass gerade an Universitäten der Bologna-Prozess eher scheitert als gelingt, so auch an der FU: unstudierbare, thematisch unklare BA-Studiengänge, hohe Abbrecherquoten, chaotische Zulassungsverfahren, repressive Studierendenverwaltung, unklare Lernziele usw.
Die „Verlierer“, etwa kleinere oder nord-ostdeutsche Universitäten wie die Humboldt-Universität, klagen nicht über Reputationsverluste. Sie arbeiten konzentriert an einem Profil im Bereich forschungsgebundener Lehre. Das könnten die Keimzellen eines neuen Universitätsprofils sein. Solche Universitäten profilieren sich über die Lehre, ohne Lehruniversitäten zu sein. Der Bologna-Prozess bietet dafür eine kreativ zu erschließende Grundlage. Über Modularisierung wird eine Abkehr vom ständisch orientierten Lehrstuhlprinzip sowie eine Hinwendung zur kollektiven und problem- wie projektorientierten kooperativen Wissenschaft und eine größere Selbstbestimmung der Studierenden tendenziell möglich. Forschung ist dafür konstitutiv, aber nicht Ausgangspunkt. Sie muss vor allem ermöglicht werden. Forschung zu stärken heißt, zuerst das Problem der Lehre zu lösen und auf eine stabile Basis zu stellen. Gute Forschung braucht zeitliche Freiräume und die Rückkopplung im Studium gleichermaßen.
Diese Art der Universitätsreform braucht eine politische Absage an „Exzellenz“. Dieses als „akademischer Kapitalismus“ bezeichnete System aus vermeintlich empirisch messbaren Leistungsspitzen und der Reputationsakkumulation ist strukturbildend, besonders in den Exzellenzuniversitäten. Es wirkt normierend statt innovierend. Es sagt nichts über die Qualität aus, wie viel veröffentlicht und wie viel zitiert wird. Der „Ruf“ einer Universität ist eine metaphysische Größe – beeinflussbar durch PR und Marketing. Die zu erforschende empirische Realität ist hingegen so komplex wie multidimensional, also sind es auch die Forschungspfade.
Eine Profilierung der „Verlierer“-Universitäten braucht politische Rahmenbedingungen. In der Summe muss die Einheit von Forschung und Lehre erhalten bleiben. Daueraufgaben müssen durch Dauerstellen und dauerhafte Budgets abgesichert werden. Zugleich sollten liquide Mittel zur Ausschreibung von Wettbewerben um innovative Lehrformen und Forschungsvorhaben mit regionalem Bezug dienen. Es braucht einen gut ausgestatteten Hochschulpakt II statt einer Neuauflage der Exzellenzinitiative. Kapazitätsauslastung und – berechnung sind weiter verbindlich vorzuschreiben, um einen möglichst offenen Zugang zu gewährleisten. Leistungsbezogene Mittelzuweisung sollte zielgenau auf Studienerfolg sowie Gleichstellungskriterien abgestellt sein. Innerhochschulische Demokratie und kommunikative Schnittstellen zur Gesellschaft sind gegen unternehmensähnliche Steuerungsmodelle zu setzen. Und nicht zuletzt: die „Exzellenzunis“ dürfen in der Mittelzuweisung und rechtlich nicht bevorzugt werden.
Linke Politik in Hochschulen drängt die Universität auf die Verpflichtung, gesamtgesellschaftliche Ansprüche zu erfüllen, ohne ihre Innovationskraft einzuschränken. Die Idee der Universität wäre dann, eine integrative, nicht eine spaltende Rolle zu spielen. Eine ehrenvolle Querschnittsaufgabe könnte hierbei die Steigerung der katastrophalen Beteiligung von MigrantInnen an höherer Schul- und Hochschulbildung sein.

Anmerkungen

1 Vgl. etwa: Jürgen Mittelstrass: „Gibt es (noch) eine Idee der Universität?“, in: Ders., Wissen und Grenzen, Frankfurt 2001, S. 161-179. und Wolfdieter Narr: Wieder die restlose Zerstörung der Universität. Neuauflage. Berlin 2000.
2 Immer noch lesenswert: Peer Pasternack: Wozu Hochschulen? In: die hochschule 2/2002. S. 109ff..
3 Vgl. etwa den „Innovationsindikator Deutschland 2007“ des BDI und der Telekomstiftung. Unter http://ww2.bdi.eu/initiativen/innovationsindikator/Seiten/default.aspx.