Die Geschichte von Dragoljub Milanovic

in (05.05.2009)
In diesem Jahr der großen Jubiläen wird eines eher nicht oder ungern erwähnt: Vor zehn Jahren ging der sogenannte Kosovo-Krieg, in dem Serbien 78 Tage lang bombardiert wurde, unrühmlich zu Ende. Die für diesen Krieg angeführten Gründe erwiesen sich als genauso erlogen wie im Irakkrieg. Zu Recht hatte diese NATO-Aktion kein UN-Mandat und gilt daher laut Völkerrecht als Angriffskrieg. Für viele Betroffene hält das Unrecht bis heute an - ein exemplarischer Fall sei hier erzählt.

Nach einem im Juli 2000 in vielen Zeitungen aufgegriffenen Bericht von amnesty international war die Bombardierung der Belgrader Sendezentrale des Serbischen Rundfunks und Fernsehens (RTS) als das offensichtlichste Kriegsverbrechen der NATO ins Bewußtsein geraten. Eine juristische Auseinandersetzung mit dieser Gewalttat, die 16 RTS-Mitarbeitern das Leben und vielen anderen die Gesundheit kostete, wurde unumgänglich. Wer aber wurde angeklagt? Die Bomberpiloten? Die militärischen Befehlshaber der NATO? Die verantwortlichen Politiker des Bündnisses?

Neutrale Beobachter können sich das Vorgehen der Belgrader Justizbehörden nur mit dem enormen Druck aus dem Ausland erklären, die NATO moralisch zu entlasten. Dazu mußte ein anderer Schuldiger gefunden werden. Warum sollte nicht zum Beispiel der Fernsehdirektor selbst für den Bombentod seiner Mitarbeiter verantwortlich sein?

Ein Vierteljahr nach dem mal Putsch, mal Volksaufstand genannten Machtwechsel in Belgrad wird er verhaftet, im August 2001 ist die Anklageschrift gegen ihn fertig, und eine Art Schauprozeß kann beginnen. Wegen angeblicher Sicherheitsinteressen ist er nicht öffentlich. Die Vorwürfe gegen Dragoljub Milanovic beziehen sich nicht auf den Inhalt seiner Arbeit als Fernsehchef. Das ist insofern rechtlich von großer Relevanz, als das Kriegsverbechertribunal in Den Haag in einem Bericht darauf hinweist, daß Medien nicht schon zu einem legitimen militärischen Ziel werden, wenn sie die Verteidigungsbereitschaft der Bevölkerung mobilisieren, sondern erst, wenn sie zu Verbrechen anstacheln, wie etwa in Ruanda geschehen. Doch ein solches Vergehen hat weder der einheimische Staatsanwalt dem Fernsehen vorgeworfen, noch hat die NATO sich die Mühe gemacht, ihre allgemeinen Behauptungen über Propaganda mit einem einzigen Beispiel zu belegen.

Milanovic wurde angeklagt, sich während des Krieges nicht an die Vorschriften über Schutzmaßnahmen in den öffentlichen Einrichtungen gehalten und so Menschenleben gefährdet zu haben. Er habe versäumt, im Kriegszustand die Auslagerung der Produktionskapazitäten und das Senden von einem Ersatzstandort anzuordnen. Diesem Vorwurf schlossen sich als Nebenkläger auch Angehörige von zwei Familien an, die Opfer zu beklagen hatten. Der für Sicherheitsfragen zuständige Stellvertreter des Direktors sagte aus, er habe immer wieder versucht, Milanovic von der Nervosität einiger Kollegen und den Vorteilen eines Umzugs zu überzeugen, was dieser aber mit der Begründung abgelehnt habe, daß man im Ausweichquartier genauso gefährdet sei.

Milanovics Frau Ljiljana, selbst Journalistin und gleichsam in Sippenhaft arbeitslos, hat in einem kleinen Verlag einen Dokumentationsband über den Prozeß herausgegeben, so daß Anklage, Verteidigung und Urteil gut nachvollziehbar sind. In seiner ausführlichen Verteidigungsrede hat der Angeklagte Dragoljub Milanovic, sehr verknappt und frei übersetzt, Folgendes erwidert.

Die Verteidigungsrede

Seit der Bombardierung des Gebäudes fühle ich unermeßlichen Schmerz um die Getöteten, als Mensch, als ihr Kollege und Direktor. Ich bin dankbar, daß die Anklage nicht auch behauptet, was die Medien seit Wochen zu wissen glauben: Ich hätte sogar den Zeitpunkt der Bombardierung gewußt und meine Kollegen dem Tode überlassen. In aufgeheizter Atmosphäre wird der Schmerz, der Haß und das Leid der unglücklichen Familien mißbraucht, um mich als Kollaborateur und Mörder zu diffamieren. Dieser Senat muß nun entscheiden unter enormem Druck der manipulierten Öffentlichkeit und der neuen Machthaber, die den Staatsanwälten und Richtern täglich mit Entlassung drohen, sogar den Richtern des Verfassungsgerichtes Jugoslawiens, und die nur auf meine Aburteilung warten. Deshalb liegt es mir fern, die Ehrbarkeit dieses Gerichtes zu verletzen, das ich als das meinige erachte, obwohl ich allein schon das Erscheinen auf der Strafbank als größte Strafe, Ungerechtigkeit und Schande empfinde.

Wenn ich die Anklage richtig verstehe, was nicht leicht ist, weil sie konstruiert und sinnlos ist, sitze ich auf diesem Stuhl, weil ich die Vorschrift 37 nicht in Kraft gesetzt habe. Im Panzerschrank des Senders sind 49 von mir unterschriebene Vorschriften gefunden worden, eine mit der Nummer 37 war nicht auffindbar. Es gab sie nur in einer Computerauflistung. (Der Verteidiger wird später von einer Fälschung sprechen.) Es gibt weder das Original noch eine Kopie mit meiner Unterschrift. Ich weiß nicht, ob es diese Vorschrift je gegeben hat.

Die Anklage erwähnt nicht, daß ich schon lange vor dem Krieg, im April 1998, alle meine Sicherheitsvollmachten an meinen dafür zuständigen Stellvertreter übertragen habe. Er war schon vor meiner Zeit für diesen Bereich zuständig und hatte alle Kontakte zu den örtlichen Organen. Aber selbst die nun von der Anklage vorgelegte Fassung der Vorschrift 37 bestätigt, daß mein Verhalten während des Krieges auch in Unkenntnis dieses Papiers rechtmäßig war. Denn da ist, sogar in Fettschrift, die Klausel vermerkt, daß der RTS-Direktor befugt ist, ein dem Auslagerungsgebot widersprechendes Vorgehen anzuordnen. Das heißt, ich hatte das Recht, nach eigenem Ermessen die Vorschrift 37 außer Kraft zu setzen. Ich hätte mich nur einer staatlichen Aufforderung zur Verlegung des Senders beugen müssen, aber einen solchen Befehl oder auch nur eine Empfehlung habe ich niemals bekommen.

In der Unglücksnacht gab es eher Grund, beruhigt zu sein, da tagsüber der russische Friedensvermittler Viktor Tschernomyrdin in Belgrad war. Nun warteten wir auf sein Statement, in dem er bekannt gab, daß Miloseviæ eine internationale Truppe im Kosovo akzeptiere. Das war für mich einer der Gründe, noch bis spät in die Nacht im Sender zu bleiben. Als die Meldung aus Moskau kam, machten der notdiensthabende Redakteur und ich den Beitrag sendefertig. Gegen 1.30 Uhr habe ich mich nach Hause begeben, und ich verfluche das Schicksal, daß ich nicht noch etwas blieb, weil ich dann im Gegensatz zu meiner jetzigen Marter mit getroffen und so von der Schmach verschont geblieben wäre.

Weshalb hielt ich ein Verbleiben des Senders in den RTS-Studios nach allem Abwägen für richtig? Als staatliches Fernsehen hatten wir den Sendeauftrag, die Information der Bevölkerung über die Kriegsfolgen zu intensivieren. Das wäre aus dem Provisorium eines Bergtunnels nicht möglich gewesen. Der von manchen gewünschten Reduktion der Nachrichtensendungen, Interviews und Reportagen konnte ich nicht zustimmen, weil gerade in der Zeit der Verteidigung des Landes nichts so wichtig ist wie sie.

Noch mehr zählte für mich die schlichte Tatsache, daß es für uns im Krieg überhaupt keinen sicheren Arbeitsort gab. Von jedem Standort hätten wir uns verratende TV-Signale gesendet, und auch im Tunnel hätte uns eine »schlaue Bombe« ausfindig machen können. Wenn der Berg über uns zusammengestürzt wäre, hätte es sogar noch mehr Opfer gegeben.

Unterbewußt vielleicht sogar der Hauptgrund für unser pflichtschuldiges Verharren am Arbeitsort war - ich gebe das ungern zu -, daß wir in der Tiefe unserer Herzen an ein Minimum militärischer Ehre des Gegners geglaubt haben. Am Eingang des dritten Jahrtausends konnte ich mir letztlich nicht vorstellen, daß in unserem Land absichtlich ein ziviles Ziel bombardiert würde. Und daß die Repressionen nicht ruhen würden, bis wir zugeben, die Schuld an dem Angriff selbst zu tragen.

Das Urteil

Das Urteil gegen Dragoljub Milanovic hält fest, er habe leichtfertig angenommen, daß der Tod von Personen nicht eintreten werde. Er wurde für schuldig befunden, die Vorsorgemaßnahmen der jugoslawischen Bundesregierung, die örtliche Auslagerung industrieller und anderer Produktionskapazitäten betreffend, insbesondere die Vorschrift 37, mißachtet zu haben. Nach § 194, Abs. 2 in Verbindung mit §187, Abs. 2 und 3 des Strafgesetzbuches der Republik Serbien wurde er zu einer Haftstrafe von neun Jahren und sechs Monaten ohne Bewährung verurteilt. Ein zweiter Anklagepunkt, der öffentlich verhandelt wurde, warf ihm das Wirtschaftsvergehen »unerlaubter Devisenbesitz« vor. In einem Panzerschrank waren für den Kauf neuer Technik staatlich zugeteilte Devisen gefunden worden, die dort nicht hätten liegen dürfen. Das ergab zusätzlich acht Monate Haft.

Das Oberste Gericht Serbiens bestätigte die Gesamtstrafe von zehn Jahren und zwei Monaten. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beschuldigte. Er sitzt seit mehr als acht Jahren in Haft.

Diese Art Rechtsprechung, würde sie sich international durchsetzen, stellt letztlich im Falle eines als »friedenerzwingende Maßnahme« ausgewiesenen Angriffskrieges alles unter Strafe, was nicht einer bedingungslosen Kapitulation gleichkommt. Der Kosovo-Krieg ist bis heute weder zeitgeschichtlich, noch juristisch, noch rechtsphilosophisch aufgearbeitet. Aber manche Einzelheiten sind bekannt geworden. Knapp ein Jahr nach dem Krieg sagte der damalige britische Premierminister Tony Blair in einem Interview, der Angriff auf RTS sei notwendig gewesen, weil auch westliche Sender die Videos von zivilen Opfern übernommen hätten. »Das ist eines der Probleme, wenn man in einer modernen Kommunikations- und Informationsgesellschaft Krieg führt. Uns war klar, daß diese Bilder auftauchen und eine instinktive Sympathie für die Opfer bewirken würden.« RTS wurde bombardiert, weil die Weltöffentlichkeit nicht erfahren sollte, was damals in Jugoslawien wirklich geschah.

In ihrem neuen Buch »Wehe dem Sieger! Ohne Osten kein Westen« (Rowohlt Verlag, 302 Seiten, 18.90 €) befaßt sich Daniela Dahn in dem Kapitel »Mein erster Angriffskrieg« ausführlich mit dem Krieg vor zehn Jahren, mit den Lügen und den Folgen. Ossietzky wird noch näher über das Buch berichten.