Keine Tasse Milch

In Europa wird die Arbeit des feministischen KollektivsMujeres Creando aus La Paz, Bolivien bislang vor allem im Kunstkontext gewürdigt. „Wir machen keine Kunst, wir machen Politik“, sagen sie selbst über ihre Straßenaktionen und Performances. Maria Galindo spricht im Interview über die Allianz zwischen Indigenen, Huren und Lesben und ihre multimedialen Aktionsformen.

 

an.schläge: Die Mujeres Creando gibt es seit 1992. Was war eure Gründungsmotivation?

Maria Galindo: Bei unserer Gründung beschäftigten uns vor allem zwei große Fragen. Die eine Frage haben wir an die Linke gerichtet: Worin liegt unsere eigene Verantwortung dafür, dass der Neoliberalismus in Bolivien und in ganz Lateinamerika Einzug gehalten und eine so große Legitimität erlangt hat? Für uns war das ein Resultat der Absenz der Linken in der täglichen Politik. Die haben große Reden geschwungen, während die Basis vom Neoliberalismus das Blaue vom Himmel versprochen bekommen hat. Die andere Frage war natürlich die Frauenfrage, die von der Linken ignoriert wurde. Auch die NGOs haben sich als Arm des Neoliberalismus missbrauchen lassen. Und auch sie haben die Frauenfrage zu einer Frage nach Frauenrechten gemacht, und die Anerkennung dieser Rechte – indem sie etwa für Quoten eintraten – wurde von ihnen dazu benutzt, die Frauen zu schlucken. Jede Quote benutzt Frauen in einem patriarchalen System. Wir möchten nicht 30 Prozent der Hölle des Neoliberalismus, wir wollen das ganze Paradies. Und deshalb haben wir einen sozialen, nicht-institutionellen, autonomen, politischen Raum geschaffen. Wir beschäftigen uns mit allen politischen Fragen: Denn jede Frage der Gesellschaft ist eine Frauenfrage, genauso wie die Frauenfrage eine soziale Frage der ganzen Gesellschaft ist und sich nicht auf drei, vier Frauenthemen reduzieren lässt. Die Mujeres Creando sind eine feministisch-autonome soziale Bewegung. Wir sind keine Frauen im Allgemeinen, und wir vertreten schon gar nicht Frauen im Allgemeinen. Wir leben Beziehungen, die unerträglich, unerlaubt und unmöglich sind: die Beziehungen zwischen Huren, Indigenen und Lesben – gemeinsam, schwesterlich und revoltierend.

Diese Strategie gefällt mir besonders: dass nicht das Subjekt „Frau“ zentral ist, sondern stattdessen die Beziehung zwischen unterschiedlichsten Identitäten – und dass diese Beziehung eine politische Praxis ist. Aber ist diese Praxis in einer Allianz zwischen so unterschiedlichen Menschen nicht oft verdammt schwierig?

Das ist natürlich nicht einfach. Auf Spanisch sagen wir: Es ist keine Tasse Milch. Aber es ist möglich: durch das Konkrete. Die Allianz, die Schwesterlichkeit ist keine ideologische. Wir arbeiten nicht zusammen, weil wir gleich denken, sondern weil wir uns eine gemeinsame ethische Grundlage geschaffen haben. Keine arbeitet für die andere, niemand spricht für dieandere, keine vertritt die andere. Und wir bleiben offen für jede andere Identität. Indigene, Huren, Lesben sind keineswegs fixe Kategorien, sondern Metaphern.

Wir beschränken uns auch nicht darauf, Lesbenpolitik, Hurenpolitik oder Politik für Indigene zu machen. In bestimmten Situationen ist eine Identität plötzlich privilegiert, da besteht die Versuchung, dass bspw. Indigene sagen, nehmen wir uns, was wir kriegen können und vergessen wir die anderen. Wir haben das immer als Falle betrachtet. Entweder alle oder keine. 

Für eine eurer Aktionen, die Performance „La Puta“, habt ihr mit der Gründerin der ersten Gewerkschaft für Sexarbeiterinnen zusammen gearbeitet. Du sprichst dich dezidiert dagegen aus, Prostitution als Arbeit anzuerkennen. Warum? Und wie ist so eine Kooperation trotzdem möglich?

Prostitution ist nicht einfach eine Arbeit, Prostitution ist eine Situation. Prostituierte sind Objekte, und Objekt zu sein ist keine Arbeit, sondern eine Lage. Für bessere Bedingungen in der Prostitution zu kämpfen bedeutet, nicht gegen Prostitutionzu kämpfen. Wir aber kämpfen gegen Prostitution. Aber wir sehen ganz klar, dass die Definition von Sexarbeit vielen Frauen in der Prostitution gefällt. Und uns ist die Zusammenarbeit immer das Wichtigste. Ich will mit den Frauen kooperieren, unabängig davon, wie sie das nennen. Wenn wir uns durch ideologische Diskussionen trennen lassen, werden wir uns verlieren. Und dann verlieren wir das Wichtigste. Deswegen ist es so entscheidend, nicht bei der Diskussion stehen zu bleiben, sondern in die Praxis zu gehen.

In La Paz habt ihr ein Zentrum namens „Virgen de los deseos“ (Jungfrau des Begehrens). Was passiert dort?

Das Haus ist ein Ort der konkreten Politik. Und auch das Haus soll unsere Offenheit zeigen, alle, die mit uns arbeiten wollen, können dort hinkommen. Es gibt auch eine kleine Gemeinschaft, die dort lebt. Wir verkaufen unsere Bücher dort, wir verkaufen Essen und unsere Radiostation befindet sich im Haus. Wir betreiben einen eigenen Sender und machen gemeinsam mit anderen Gruppen 14 Stunden Programm pro Tag. Ich selbst mache jeden Morgen zwei Stunden Radio. Und ich habe vor, ein Straßenstudio zu eröffnen, um direkt mit Leuten auf der Straße zu sprechen. Momentan findet im Zentrum auch ein Forschungsprojekt statt zu Frauen, die Mikro-Kredite aufgenommen haben. Die Wirtschaft Boliviens überlebt nur durch die Frauen, sie besteht zu achtzig Prozent aus dem informellen Sektor, und der ist in der Hand der Frauen. Mikro-Kredite für diese Frauen wurden in ganz Lateinamerika als entwicklungspolitische Maßnahme verkauft, tatsächlich beuten sie die Kraft und die Kreativität von Frauen für das kapitalistische System aus.

Du hast gerade einen neuen Dokumentarfilm fertiggestellt,„Amazonas“, in dem es um Gewalt an Frauen geht …

Gewalt gegen Frauen ist ein Thema, das uns immer begleitethat. Ich habe Exil-Bolivianerinnen in Buenos Aires getroffen, unter denen es die Gruppe „Amazonas“ gibt. Der Film zeigt das Wissen, das sich diese Frauen im Kampf gegen Gewalt erworben haben, und ihre Praxis ist unglaublich beeindruckend. Er zeigt konkrete Strategien von Solidarität, unterschiedliche Widerstandsformen. Ich habe diese Strategien den verlogenen Maßnahmen von Polizei, Sozialarbeit, NGOs und Gesetzen gegenübergestellt.

Sind Gewaltschutzgesetze nicht auch wichtig?

Gesetze haben bei uns nur den Konservativen dazu gedient, sich mit ihnen zu brüsten. Sie wurden inhaltlich so verwaschen, dass sie völlig zahnlos sind und keinerlei Nutzen haben.

Du nennst immer wieder Kreativität als wichtiges Mittel, vor allem weil ihr der Monotonie der immer gleichen linken Agitationsmittel so überdrüssig wart.

Wir glauben an Kreativität als sehr wichtiges Instrument der Politik, an Kreativität als Kraft, die die Gesellschaft verändern kann. Wir haben festgestellt, dass es keine echte Kommunikation zwischen linken Intellektuellen und der Gesellschaft gibt. Die einzige Rolle, die für die Gesellschaft vorgesehen war, war die der Zuhörenden. Wir wollten diese maskulinistische Rhetorik der Linken nicht übernehmen, wir wollen eine echte Unterhaltung führen. Wir haben etwas zu sagen, aber wir möchten auch zuhören. Das bringt eine neue Form der Rede mit sich, es bedeutet, neue Wörter und damit auch neue Inhalte finden zu müssen. Für mich bedeutet eine Sozialbewegung zu sein auch, eine eigene Sprache zu entwickeln. Sonst spricht man in der Sprache der Mächtigen. Die Linken glauben, in dieser Sprache sprechen zu müssen, um sich für die Mächtigen verständlich zu machen. Aber damit laufen sie zu ihnen über. Ich habe mit diesem maskulinistischen, rationalen und intellektuellen Denken, das sich über die anderen stellt, gebrochen. Damit will ich nichts zu tun haben.

Ihr macht weiterhin sehr viele direkte Aktionen auf der Straße,ihr sprüht Graffitis, macht Performances im öffentlichen Raum. Gleichzeitig dringt ihr aber auch in andere Bereiche des Öffentlichen vor und nutzt unterschiedlichste mediale Mittel wie Text, Radio, Film. Glaubt ihr, dass es diesen weiten Öffentlichkeitsbegriff braucht, dass also wirkungsvoller Widerstand auf all diesen medialen Ebenen ansetzen muss?

Der Neoliberalismus hat den öffentlichen Raum verändert. Der öffentliche Raum war immer ein maskuliner Raum, die Frauen waren im privaten Bereich. Der Neoliberalismus hat sie in Lateinamerika dazu gezwungen, auf die Straße zu gehen und dort ihr Geld zu verdienen. Und dadurch haben sie den Bereich des Öffentlichen verändert, sie haben ihn in ein großes Haus verwandelt. Die Linke hat diese Veränderung bis heute nicht bemerkt. Wir haben sie von Anfang an begleitet und sind mit auf die Straße gegangen, wo wir immer lauter wurden. Dann haben uns die Massenmedien entdeckt und uns „übersetzt“. Und als wir das Ergebnis dieser Übersetzung gesehen haben, wussten wir: Wir brauchen eine Kamera, wir müssen uns selbst aufnehmen, wir müssen das selbst schneiden, wir dürfen das nicht in andere Hände geben, sonst verlieren wir alles.

Ihr hattet dann ja sogar im staatlichen Fernsehen eine eigene Sendung.

Ja, wöchentlich eine Stunde. Wir haben Aktionen gemacht, sie gefilmt und ausgestrahlt. Wir haben auch berühmte Leute eingeladen, sie aber nicht interviewt, sondern sie stattdessen aufgefordert, uns Fragen zu stellen. Aber die gefilmten Straßenaktionen waren immer der Kern. Die waren auf der Straße schon stark. Aber von uns geschnitten, von uns erzählt, wurden sie im Fernsehen noch hundertmal stärker.

Du hast gesagt, dass so etwas heute unter Evo Morales paradoxerweise nicht mehr möglich wäre. Warum?

Wir bedeuten ein Risiko für diese Regierung. Sie möchte die einzige Stimme sein, die Widerstand gegen Neoliberalismus leistet. Nur Evo darf sprechen. Dass das letztlich auch den Widerstand zerstört, der Evo groß gemacht hat – das sehen sie nicht.

www.mujerescreando.org

 

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,  www.anschlaege.at