Die Herren Wirtschaftsführer

Stets hat die Menschheit ihre Helden gehabt: Priester oder Ritter, Gelehrte
oder Staatsmänner. Bis zum 14. Juli 1931 waren es für Deutschland die Wirtschaftsführer,
also Kaufleute. Die Kaufleute sind Exponenten des Erwerbsinnes;
sie haben immer ihre Rolle gespielt, doch wohl noch nie so eine große
wie heute. Weil das, was sie in Händen halten, das wichtigste geworden ist,
werden sie in einer Weise überschätzt, die lächerlich wäre, wenn sie nicht so
tragische Folgen hätte. Die deutsche Welt erschauert, sie braucht Götzen, und
was für welche hat sie sich da ausgesucht –!
Man sollte meinen, daß der gesunde Menschenverstand wenigstens eines
sehen könnte: den Mißerfolg. Aber damit ist es nichts. Niemand von denen,
die diese Wirtschaftsführer bewundern, behielte auch nur einen Tag lang einen
Chauffeur, der ihm die Karre mit Frau und Kind umgeworfen hätte, auch dann
nicht, wenn dem Chauffeur die Schuld nicht nachzuweisen wäre. Er kündigt,
denn solchen Chauffeur will er nicht. Aber solche Wirtschaftsführer, die will er.
Der unbeirrbare Stumpfsinn, mit dem diese Kapitalisten ihre törichte Geldpolitik
fortsetzen, immer weiter, immer weiter, bis zur Ausblutung ihrer Werke
und ihrer Kunden, ist bewundernswert. Alles, was sie seit etwa zwanzig
Jahren treiben, ist von zwei fixen und absurden Ideen beherrscht: Druck auf
die Arbeiter und Export. Für diese Sorte sind Arbeiter und Angestellte, die sie
heute mit einem euphemistischen und kostenlosen Schmeichelwort gern
»Mitarbeiter« zu titulieren pflegen, die natürlichen Feinde. Auf sie mit Gebrüll!
Drücken, drücken: die Löhne, die Sozialversicherung, das Selbstbewußtsein
– drücken, drücken! Und dabei merken diese Dummköpfe nicht,
was sie da zerstören. Sie zerstören sich den gesamten innern Absatzmarkt.
Sie scheinen ihn nicht zu wollen – dafür haben sie dann den Export. Was
dieses Wort in den Köpfen der Kaufleute angerichtet hat, ist gar nicht zu sagen.
Ihre fixe Idee hindert sie nicht, ihre Waren auch im Inland weiterhin anzupreisen;
ihre Inserate wirken wie Hohn. Wer soll sich denn das noch kaufen,
was sie da herstellen? Ihre Angestellten, denen sie zum Leben zu wenig und
zum Sterben zu viel geben, wenn sie sie nicht überhaupt auf die Straße setzen?
Die kommen als Abnehmer kaum noch in Frage. Aber jene protzen noch: daß
sie deutsche Werke seien, und daß sie deutsche Kaufleute und deutsche Ingenieure
beschäftigten – und wozu das? »Um den Weltmarkt zu erobern!«
So schlau wie die deutschen Kaufleute sind ihre Kollegen jenseits der
Grenzen noch alle Tage. Es setzt also überall jener blödsinnige Kampf ein,
der darin besteht, einen Gegner niederzuknüppeln, der bei vernünftigem Wirtschaftssystem ein Bundesgenosse sein könnte. Die Engländer preisen rein
englische Waren an, die Amerikaner rein amerikanische, und das Wirtschaftsinteresse
tritt als Patriotismus verkleidet auf. Eine schäbige Verkleidung, ein
jämmerlicher Maskenball.
Schuld – ? Vielleicht gehört eine große geistige Überlegenheit dazu, aus
diesem traurigen Trott des Geschäftes herauszukommen und auch einmal ein
bißchen weiter zu blicken als grade bis zum nächsten Ultimo. Aber das können
sie nicht. Sie machen weiter, wie sie es bisher getrieben haben. Also so:
Niederknüpplung des Inlandskunden; Spekulation auf einen Export, der
heute nicht mehr so durchzuführen ist, wie sich die Herren das träumen; Überlastung
der gesamten Industrie durch ein gradezu formidables Schreibwerk,
das hinter dem Leerlauf der Staatsbürokratie um nichts zurücksteht. Was da
an Pressechefs, Syndicis, Abteilungsleitern, Bürofritzen herumsitzt und Papierbögen
vollschreibt, ohne auch nur das leiseste zu produzieren, das belastet
uns alle. Aufgeblasen der Verwaltungsapparat – man sehe sich etwas das Verwaltungsgebäude
der I.G.-Farben in Frankfurt am Main an: Das Ding sieht aus
wie eine Zwingburg des Kapitalismus, weit ins Land dräuend. Früher haben
die Ritter die Pfeffersäcke ausgeplündert; heute hat sich das gewandelt.
Wie immer in ungesunden Zeiten ist der Kredit in einer gradezu sinnlosen
Weise überspannt. Das Wort »Wucher« ist ganz unmodern geworden, weil der
Begriff niemand mehr schreckt, er erscheint normal. Nun haben aber Kartelle
und kurzfristige Bankkredite die Unternehmungslust und die sogenannte freie
Wirtschaft völlig getötet – es gibt sie gar nicht mehr. Fast jeder Unternehmer
und besonders der kleinere ist nichts als der Verwalter von Bankschulden;
geht’s gut, dann trägt er den ungeheuren Zins ab, und geht’s schief, dann legen
die Banken ihre schwere Hand auf ihn, und es ist wie in Monte Carlo: Die
Bank verliert nicht. Und wenn sie wirklich einmal verliert, springt der Steuerzahler
ein: also in der Hauptsache wieder Arbeiter und Angestellte.
»Das Werk«, dieser Götze, hat sich selbständig gemacht, und stöhnend verrichten
die Sklaven ihr Werk, nicht mehr Sklaven eines Herrn, sondern Sklaven
ihrer selbst. Auch der Unternehmer ist längst zu einem Angestellten geworden,
nur kalkuliert er für sich ein derartiges Gehalt heraus, daß er wenig
riskiert. Die fortgeschrittenen Kommunisten tun recht daran, den Unternehmer
nicht mehr damit zu bekämpfen, daß sie ihm Sekt und Austern vorwerfen,
dergleichen verliert von einer gewissen Vermögensgrenze ab seine Bedeutung.
Aber daß diese Kerle die Verteilung von Ware und Verdienst ungesund
aufbauen, daß sie ihre Bilanzen vernebeln und den Angehörigen der wirtschaftlich
herrschenden Klassen so viel Geld zuschieben, daß den anderen
nicht mehr viel bleibt: Das und nur das ist Landesverrat.Ohnmächtig sieht der Staat dem zu. Was kann er machen? … Seine Gesetze
berühren die Wirtschaft gar nicht, weil sie ihm ebenbürtig an Macht, weil sie
ihm überlegen ist. Sie pariert jeden Schlag mit den gleichen Mitteln: mit denen
einer ausgekochten Formaljurisprudenz, mit einer dem Staat überlegenen
Bürokratie, mit Geduld. Schiebt ihm aber alle Lasten zu, ohne ihm etwa das
Erbrecht zu konzedieren. Er hat zu sorgen. Wovon? Das ist seine Sache.
Also unsere Sache. Für wen wird gelitten? Für wen gehungert? Für wen auf
Bänken gepennt, während die Banken verdienen? Für diese da. Es ist nicht so,
daß sie sich mästen, das ist ein Wort für Volksversammlungen. Sie mästen den
Götzen, sie sind selber nicht sehr glücklich dabei, sie führen ein Leben voller
Angst, es ist ein Kapitalismus des schlechten Gewissens. Sie schwindeln sich
vom Heute in das Morgen hinein, über viele Kinderleichen, über ausgemergelte
Arbeitslose – aber das Werk, das Werk ist gerettet …
Wo steht geschrieben, daß es gerettet werden muß? Warum ist die Menschheit
nicht stärker als dieser Popanz? Weil sie den Respekt in den Knochen hat.
Weil sie gläubig ist. Weil man sie es so gelehrt hat. Und nun glaubt sie.
Noch ist die andere Seite stärker, als man glaubt. Zu warnen sind all jene,
die die Arbeiter sinnlos in die Maschinengewehre und in die weitgeöffneten
Arme der Richter hineintreiben … Noch sind jene stärker. Die Arbeiterparteien
sollten ihre Kräfte nicht in einem zunächst aussichtslosen Kleinkrieg
verpulvern, solche Opfer haben einen ideologischen Wert, ihr praktischer ist
noch recht klein. Drüben ist viel Macht.
Also muß gekämpft werden. Aber so wenig ein geschulter Proletarier individuelle
Attentate auf Bankdirektoren gutheißen kann, so wenig sind Verzweiflungsausbrüche
kleinerer oder größerer Gruppen allein geeignet, ein System
zu stürzen, das jede, aber auch jede Berechtigung verloren hat, Rußland zu
kritisieren. Wer so versagt, hat zu schweigen.
Doch schweigen sie nicht. Sie haben die Dreistigkeit, unter diesen Verhältnissen
noch »Vertrauen« zu fordern, dieselben Männer, die das Unglück verschuldet
haben. Und keiner tritt ab, nur die Gruppierung ändert sich ein wenig.
Das verdient die schärfste Bekämpfung.
Kampf, ja. Doch unterschätze man den Gegner nicht, sondern man werte
ihn als das, was er, immer noch, ist: ein übernotierter Wert, der die Hausse erstrebt
und die Baisse in sich fühlt. Sein Niedergang wird kommen. Das kann,
wie die gescheiten und weitblickenden unter den Kaufleuten wissen, auch anders
vorsichgehen als auf dem Wege einer Revolution. Bleiben die Wirtschaftsführer
bei dieser ihrer Wirtschaft, dann ist ihnen die verdiente Revolution sicher.
Als Ignaz Wrobel in: Die Weltbühne 33/1931, geringfügig gekürzt