Der Baller-Meinhof-Komplex

Im Bett mit Gudrun und Andreas

Filmbesprechung

„Der Baader Meinhof Komplex"; R: Uli Edel; Drehbuch: Uli Edel und Bernd Eichinger, nach der Vorlage von Stefan Aust; P: Bernd Eichinger; D.: Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu, Johanna Wokalek, Nadja Uhl, Bruno Ganz, Jan Josef Liefers u.a.; 150 Min.

Über den Film „Der Baader Meinhof Komplex" meinte ein Hauptdarsteller, dass man so etwas endlich in Deutschland machen könne. Ob er das bezüglich des Themas, die Geschichte der ersten Generation der Roten Armee Fraktion (RAF), oder des betriebenen Aufwands im Film (20 Millionen Euro Produktionskosten) äußerte, entzieht sich meiner Kenntnis. Ich hatte aufgrund des Trailers und der Vorab-Besprechungen keine hohe Erwartungshaltung, aber selbst diese wurde noch unterlaufen.

Der Film wirft Fragen auf, ohne das Thema RAF kritisch-analytisch zu hinterfragen. Auch in seiner Machart ist er fragwürdig.

Was will der Film? Über den Mythos RAF aufklären? Und wenn ja, über welchen und vor allem: wessen? Den des Staates? Den der RAF selbst? Welche Story wird hier erzählt, die nicht schon in anderen Filmen zum Terrorismus teilweise besser verarbeitet wurde? Welche neuen Perspektiven auf Ursachen, Motivationen und Folgen der RAF werden geöffnet? Keine. Anstatt mit Mythen aufzuräumen, reproduziert und tradiert der Film selber welche.

Schon das angebliche Standardwerk von Stefan Aust rangiert seit 1985 unter der Rubrik „Sachbuch", allerdings nicht unumstritten; Uli Edels Film zum Buch soll nach seiner Aussage Authentizität und politische Korrektheit vermitteln.

Um die Wirklichkeit darzustellen, müsse man sich eben von ihr entfernen, erklärt er lapidar in Interviews.

Er hat sich weit entfernt, weil er sich im Spekulativen und Ma­nipulativen verliert. So wird ein komplexes Thema vereinfacht.

Vom Macher von „Der Unter­­gang" (der Rechten) quasi „Der Untergang II" (diesmal der Linken)

Dass der Film, der das Jahrzehnt 1967 bis 1977 umfasst, trotz der 150 Minuten Dauer viel Relevantes ausspart, mag noch der Erzählökonomie, dra­maturgischen Konventionen geschuldet sein. Dass er keine differenzierte Charakterstudie bietet - geschenkt. Bei 123 Sprechrollen und 52 kleineren Rollen kann man sich wahrscheinlich nicht auf einige Persönlichkeiten konzentrieren.

Dass der Film eher dem Action­genre als dem des Politthrillers oder des Doku-Dramas zuzuordnen ist, kann man bei einem Produzenten wie Bernd Eichin­ger (u.a. „Der Untergang"), einem Regisseur wie Uli Edel (u.a. „Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo") und einem Vorleger und „Berater" wie Stefan Aust nicht anders erwarten.

Das revolutionäre, weil ach so tabubrechende und mythenver­bannende Aust-Projekt soll sich lohnen. Sein Komplex soll für einen Oscar nominiert werden. Nach den beiden deutschen Terrorregimes die deutsche Terrorgruppe - das nennt man historische Kontinuität.

Bruno Ganz (einst der Nazitäter im Führerbunker-Blockbuster „Der Untergang") und Martina Gedeck (einst das Stasi-Opfer in „Das Leben der Anderen") spielen wieder mit. Natürlich auf verschiedenen Seiten.

Planet Terror - kaltblütige Killerbabes und viel Psychopathos

Merkwürdige Masken werden getragen, nicht nur bei Banküberfällen. Eigentlich gute Schauspieler/innen enttäuschen, weil die Figuren hohl an­gelegt sind.

Schließlich ist „Der Baader Meinhof Komplex" kein psychologisch dichtes Ensem­ble-Kammerspiel. Auch wenn, wie der Titel verkürzend verrät, bestimmte Personen, leider nicht ihre Persönlichkeiten, be­son­ders exponiert werden.

Vielleicht liegt es auch an den bleiernen Dialogen. War ja auch die bleierne Zeit, von der bereits Margarete von Trotta zu berichten wusste. Haben die Drehbuchautoren die ideologischen Phrasen aus einschlägigen Flugblättern und Beken­nerschreiben zusammenzitiert?

Zu formelhaft geraten die „Diskussionen" unter den RAF-Mitgliedern, als dass ihnen tatsächliche, gar eigenständige politische Meinungen unterstellt werden könnten.

Gefühle wie Wut, Enttäuschung und Betroffenheit, z.B. über den Vietnamkrieg oder die Schah-Diktatur, werden eher schematisch behauptet als intensiv gespielt. Die Verzweiflung der Jugendlichen ange­sichts der Tatsache, dass viele ehemalige Nazifunktionäre wei­terhin in Amt und Würden saßen und ihre Eltern sich beharrlich über das sogenannte „Dritte Reich" ausschwiegen, so wie hernach im Wirtschaftswunderland über die „Dritte Welt", kommt nicht zum Tragen.

Die Personen erscheinen unglaubwürdig, ihre Motive für mitunter radikale Wandlungen bleiben nebulös.

So gelingt es Martina Gedeck nicht, Ulrike Meinhofs Weg in den bewaffneten Kampf nachvollziehbarer zu skizzieren. Am Anfang, genauer gesagt: Anfang 1967, tollen noch unschuldig ihre beiden Töchter (davon ist die eine die spätere rechte Publizistin Bettina Röhl, ja, Rebellion ist nicht immer links) am Sylter Strand. Dass sie dies nackt tun, soll vermutlich die Liberalität der idealistischen Journalistin Meinhof und ihres damaligen Lebensabschnittsgefährten, des „konkret"-Herausgebers Klaus Rainer Röhl, belegen. Was aber Meinhof trotz ihrer pazifistisch-humanistischen Prägung zur Terroristin werden lässt, wird nur angedeutet. Dass der heute zur Neu­en Rechten gehörende Sexist Röhl sie betrogen hat, ist kein hinreichender Grund. Auch nicht, dass Gudrun Enss­lin ihr, als Meinhof diese 1968 im Knast nach den zwei Kaufhausbränden in Frankfurt besucht, „Theoriegewichse" vorwirft.

Damit wären wir bei ihrer „Ge­genspielerin": Ensslin (Johanna Wokalek) raucht in ihrer ersten Filmminute, obschon sie ihren Sohn auf dem Schoß hat.

Den gibt sie aber schnell an ihre Mutter ab, während sie sich mit ihrem Pfarrer-Vater rollengemäß vulgär über den Hunger in der „Dritten Welt", die „Marginali­sierung im Trikont", wie es da­mals hieß, streitet. Direkt ist sie als „Schlampe" entlarvt. Sie ist die „Madonna" der RAF, die Terror-Queen. Sie rekrutiert einen Adepten namens Charlie, der soeben dem repressiven Erziehungsheim entflohen ist, in der WG-Badewanne. Einmal nackte Brüste sehen, dann klappt's auch mit dem revolutionären Subjekt. So stell(t)en sich die braven Bürgersleut' mit genüsslichem Schauern das Leben der Anderen, der „langhaarigen Bombenleger" vor.

Das ist Edel-Kitsch: kaltblütige Killerbabes. RAF-Chicks, echt stylish. Ständig rauchende Flin­tenweiber. Mit coolen Sonnenbrillen und Miniröcken - heiß war die deutsche Herbst-Col­lection. Im jordanischen El Fa­tah-Trainingscamp räkeln die RAF-Nixen sich 1970 lasziv (frau räkelt sich prinzipiell lasziv, das will das Klischee) auf dem Dach, erregen öffentliche Erregung und gebärden sich re­spektlos gegenüber ihren paläs­tinensischen Genossen.

Letztendlich kulminiert der sexistisch rezipierte „Zicken-Terror" zwischen Ensslin und Meinhof 1977 im Stammheimer Knast. Ob es dabei noch um „die Idee" oder um Gudruns Typen, den sie 1970 in Berlin gemeinsam befreiten, geht, ist dann auch schon egal.

Diesen, Andreas Baader, gibt Moritz Bleibtreu mit derselben Macho-Arschloch-Pose wie in einem drittklassigen Gangsta-Movie. Wenn er nicht gerade nicht ganz so militante Mitstreiter als „Schwanzlutscher" und „Halbtunten" tituliert, beschimpft er vor allem Meinhof als „Fotze". Mag sein, dass Baader wirklich so ein Arschloch gewesen ist. Wie erklärt sich dann aber seine Bedeutung für die RAF? Wie kommt es, dass er als charismatische Führungsfigur wahrgenommen wird? In jeder halbwegs vernünftigen linken Gruppe wäre er längst in die Schranken gewiesen worden. Und dass er seine Lederjacke dem Jüngling Charlie schenkt, von dem er zu­nächst meint, dass der „seine Alte fickt", oder dass er bei Nachtfahrten mit vollbesetzten, vermutlich geklauten Autos wild in der Gegend rumballert, kann's auch nicht sein.

Auch die anderen Terrorist/inn/en sind egozentrische, hysterische Psychopath/inn/en, die im luftleeren Raum handeln.

Als in sich ruhender Gegenpart wird Bruno Ganz als Horst Herold (BKA-Chef ab 1971, Einführer der Rasterfahndung) konstruiert. Verglichen mit den irrationalen Hasstiraden der so­eben Beschriebenen, wirkt er besonnen und logisch abwägend. Er äußert gar Verständnis für seine Gegner/innen.

Ob er auch in der Wirklichkeit so reflektiert auftrat, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber hier wird ein psychologisierender Antagonismus betrieben.

Die „verblendeten, irregeleiteten" Jugendlichen agitieren, der Staatsräsonierende argumentiert.

Ansonsten fehlen die Protagonist/inn/en der herrschenden Klasse; der Repressionsappa­rat erscheint nur als Reaktion und nicht als Ursache, und wenn, dann meist nur auf der unteren Ebene, etwa in den Ac­tionszenen mit Schießereien.

Helmut Schmidt flimmert ledig­lich einmal über die Kiste.

Dass die Eskalationsdynamik nicht so eindimensional war, wie der Film Glauben machen will, passt nicht in Austs RAF-Konzept. Der politische Kontext wird ausgeblendet.

Wo bleibt im Film die Schilderung des repressiven Klimas Deutschlands in den 60ern und 70ern? Wo die Hysterie, die von „Bild" und Co. massiv geschürt wurde? Wo die Hetzkampagne gegen vermeintliche Sympathisant/inn/en wie z.B. Heinrich Böll, der aus humanistischer Gesinnung „Freies Geleit für Ulrike Meinhof" forderte? Wo bleiben die Opfer, nicht nur die der RAF, sondern auch des Staates? Etwa die jungen Menschen, die für Terroristen gehalten und erschossen wurden?

Apropos Opfer: Rudi Dutsch­ke, der am 11.4.1968 vom Jung-Nazi und „Bild"-Leser Joseph Bachmann niedergeschossen wurde, fungiert nur als Stich­wortgeber für den bewaffneten Kampf.

Er bahnt sich den Weg durch die Trauergemeinde zu Holger Meins' Grab und sagt: „Holger, der Kampf geht weiter."

Dann recken alle die Faust, und schon ist klar, das wird die zweite und dritte Generation.

Eine reichlich pathetische Szene, weil sie das Schweigen über andere Verbrechen einschließt.

Eine Nummernrevue verkommt, in der alles nicht richtig vorkommt

Die Baader-Meinhof-Schau avanciert zur bezugs- und daher belanglosen Nummernre­vue. Die Macher springen in schnellen Bilderfolgen von einem Sprengsel zum andern.

Auf die Ereignisse vom 2. Juni 1967 (Schah-Besuch in Berlin, Prügelaktion der „Jubelperser", Mord an Benno Ohnesorg in „putativer Notwehr" durch den Polizisten Karl Heinz Kurras) wird noch bei aller Reduktion relativ präzise eingegangen.

Diese Passage ist durch ihre beeindruckende Prägnanz die bei weitem beste des Films.

M.E. wäre das sogar genug „Stoff" für einen eigenen Spielfilm gewesen. Darüber gibt es bisher eine wirklich nennenswerte Dokumentation von Roman Brodmann: „Der Polizei­staatsbesuch".

Ab April 1968 geht es Schlag auf Schlag. Kaum wird Dutschke niedergeschossen, brennen die „Bild"-Ausliefe­rungswagen. Die Eskalationsdynamik wird als linearer Strang von Ereignissen, weniger von Prozessen dargestellt. Es gibt so viele Attentate, dass man sich fast in einem Kriegsfilm wähnt und den Überblick verliert.

Wie viele Menschen hat die erste RAF-Generation ermordet? 20, 30, 300?

Irgendwann gibt es eine unvermeidliche Klischee-Collage der ikonographisierten Bilder, die in keinem Film über „'68" fehlen dürfen: Kriegsbilder aus Vietnam, Straßenschlachten in den USA, in Paris, Prag, Berlin, Me­xiko, ... - ohne diese in den historisch-politischen Kontext einzuordnen, geschweige denn einander in Beziehung zu setzen. Andere Filme erledigen das entweder schon im Vor- oder Abspann.

Das ist in einem Film über ein primär politisches Thema aber dann ärgerlich, wenn dieser fälschlich einen objektiven Eindruck erwecken möchte.

Vieles bleibt auf der Strecke: im Film Menschen, durch den Film die gesellschaftspolitischen Zusammenhänge. Ein womög­lich kritischer Diskurs über die RAF mit tiefgreifender Analyse geht im Kugelhagel unter. Dieser zerfetzt mit gewaltiger Sprengkraft jeden Sinn. Nicht benannt wird im Film auch, dass es heftige Kritik in Teilen der Linken, vor allem seitens anarchistischer Gruppen, an der RAF gab und gibt.

Zwischen Stammheim und Stammtisch - oder: wie „'68" auf die Marke RAF reduziert wird

Interessant ist, was im Film gezeigt und was nicht gezeigt wird. An einer (Soll-)Bruchstelle, bei der Darstellung oder eben fehlenden Darstellung der Tode im Stammheimer Knast von Meinhof, Baader, Ensslin und Raspe, halten sich die Macher noch ein Hintertürchen of­fen. Wäre der Film nicht sonst so eindeutig manipulativ, könnte das den Machern als neutrale Sensibilität ausgelegt werden.

Man zeigt nicht, wie Meinhof sich umbringt oder getötet wird. Man zeigt aber im Vorfeld ihre zunehmende Isolation, sowohl durch die Haftbedingungen als auch in der Inhaftierten-Gruppe, ihre Depression und Enttäuschung, ihre Konflikte mit Ensslin und auch Baader, ihre als Angebot zur Kooperation interpretierbare Stellungnahme zu den Möglichkeiten einer Gefangenen. Man zeigt nicht, wie sie am Morgen des 9.5.1976 erhängt in ihrer Zelle gefunden wird. Man zeigt ein leeres Mikrophon vor ihrem Platz am nächsten Ver­handlungstag.

Man zeigt nicht, wie Ensslin, Baader und Raspe sich umbringen oder getötet werden. Man zeigt aber im Vorfeld, wie sie durch ihre Anwälte mit Waffen versorgt werden, wie sie bei den Verhandlungen über drohende Hinrichtungen sprechen, wie die Selbsttötung als Ultima Ratio diskutiert wird, falls die „Be­freiungsaktionen" (Schleyer-Entführung am 5.9.1977, Entführung der „Landshut"-Lufthansamaschine mit 86 Passagieren und 5 Besatzungsmit­gliedern am 13.10.1977) im Sinne der RAF scheitern sollten. Man zeigt, wie am Morgen des 18.10.1977 ihre Leichen von Wärtern und Anstaltsärzten aufgefunden werden.

Ob sie sich selbst töteten oder Fremdeinwirkung vorlag, bleibt hier, anders als etwa in Heinrich Bre­loers „Todesspiel", immerhin der Phantasie der Zuschauer/innen überlassen.

Der Tod von Holger Meins (Sti­pe Erceg) 1974 in der Haftanstalt Wittlich, um ein anderes Beispiel zu wählen, wird vor allem der unteren Ebene des Jus­tizvollzugs angelastet, als hätten die Wärter eigenmächtig gehandelt, als sie eine medizinische Versorgung des Hunger­streikenden verweigerten.

Besonders prominent wird die Rolle von Brigitte Mohnhaupt (Nadja Uhl) geschildert.

Nicht nur ist sie - dem Aust-Komplex zufolge - die treibende Kraft in der sogenannten „Zweiten Generation", die Wortführerin bei der Vorbereitung der Schleyer-Entführung, sondern diejenige, die bei dem Versuch, zuvor den Bankier Jür­gen Ponto zu entführen, ihn eiskalt erschießt.

Mag sein, dass es ihre Waffe war, aus der die tödlichen Schüsse abgegeben wurden, der Film konstruiert sie aber un­zulässig als Haupttäterin, was auch als Kommentar zur letztjährigen Debatte um ihre Freilassung nach 24 Jahren Haft gewertet werden könnte.

Seht Ihr, Ihr habt eine Mörderin laufen lassen! Das hätte die „Bild" kaum treffender formulieren können.

Der Mord am Arbeitgeberprä­sidenten Hanns Martin Schleyer am 19.10.1977, der dem Film logischerweise ein Ende setzt, wird allerdings nicht konkret zugeordnet.

Seltsam ist auch, wie sich das Produkt des Aust-Komplexes in den derzeitigen Mainstream-Diskurs einfügt, demzufolge die Studentenrevolte zwangsläufig in der totalitären Vernichtungsideologie der Killertechnokrat/inn/en enden musste (vergleiche Götz Alys Kampf1 ). Kaum ein Wort über die sozialen Bewegungen, über die vielfältige Protestkultur, über die emanzipatorischen Inhalte, über die neuen Impulse für eine Zivilgesellschaft, die „'68" auch befruchtet wurden. 68er-Bashing ist eben en vogue. Wen stören da die Details?

Nicht nur das Konzept der Stadtguerilla im „Herzen der Bestie" ist gescheitert, sondern auch der vorliegende Versuch, sich mit der RAF auseinander zu setzen. Es gelingt dem Film nicht, an aktuelle Probleme anzuknüpfen wie den Abbau von Freiheitsrechten und die staatlichen Überwachungsstrate­gien infolge des verbrecherischen „Anti-Terror-Krieges" seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001.

Ein seltsamer Zufall scheint es zudem zu sein, dass das Recht der Vorab-Rezension vorwiegend Leitmedien zugesprochen wurde, die eine Hegemonie in der Mythenbildung innehaben: „Spiegel", Springer-Zeitungen und FAZ. „Spiegel"?

Klar, schließlich ist die RAF Austs exklusiver Markenartikel. Springer und FAZ? Klar, wer soviel Übung darin hat, einen eigenen Mythos zu stricken, sollte das Handwerk perfektionieren dürfen. Kritischere Medien wie WDR5 mussten bis zur Premiere am 25.9. warten. Viel­leicht, weil sie den Film nicht bejubelten.

Was verwundert, ist die Freigabe ab 12 Jahren trotz einer expliziten Gewaltdarstellung - und dann soll der Film auch noch an Schulen gezeigt werden, als Lehrmaterial. Da wäre es nur konsequent, das Videospiel zur RAF herauszubringen. Eigentlich könnte man bestimmte direkte Aktionen wiederbeleben und den Aust-Komplex durch Raubkopieren enteignen.

Wenn man etwas über die gesellschaftlichen Zusammenhänge des Terrorismus erfahren möchte, sollte man lieber auf z.B. zeitgenössische und -kritische Klassiker wie „Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (Volker Schlöndorff, nach dem Buch von Heinrich Böll), „Die dritte Generation" (von Rainer Werner Fassbinder) und „Deutschland im Herbst (u.a. von Alexander Kluge und Fassbinder) zurückgreifen.

Diese Werke sind zwar eben­falls subjektiv, vermitteln aber authentischer, wenn auch nur in Teilaspekten das bedrückende Klima der 60er und 70er.

Als jüngere Beispiele gelungenerer Auseinandersetzungen seien die britischen Produktionen „Dschihad in der City" und „Yasmin" genannt. Aber auch Steven Spielberg verarbeitet in seinem Drama „München" für einen Mainstream-Regisseur erstaunlich differenziert das At­tentat auf die israelischen Sportler bei der Olympiade 1972 und die Eskalation im Nahost-Konflikt und verweist mit seiner Schlussblende auf das World Trade Center auf die fortwährende Virulenz der Gewaltspirale.

Jörg Siegert

Anmerkung:

 1 Vgl.: Jens Kastner: „... ein bisschen hitlerhaft". Mit Götz Aly treibt das 68er-bashing ungeahnte Blüten. In: GWR 328, April 2008, S. 2.

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 333, Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft, 37. Jahrgang, November 2008, www.graswurzel.net