Jenseits des Mehrwerts?

Gebrauchsrente und städtische Lebensweise



Gegenwärtig beobachten wir in Deutschland eine neue Phase der Reorganisation des kapitalistischen Zugriffs auf „Ressourcen“. Entlang der neuen Konfliktlinien entfalten sich vielfältige mehr oder weniger sichtbare soziale Kämpfe. Verwertungslogik und Gebrauchslogik prallen häufig scharf aufeinander. Zugleich gibt es verstärkte Bemühungen, unbezahlte gebrauchsförmige Arbeit für gesellschaftliche Aufgaben wie auch die unmittelbare Existenzsicherung der Armen zu mobilisieren.1

Die scheinbar widersprüchlich verlaufenden stadträumlichen Inwertsetzungs- und Entwertungsprozesse werden zunehmend moderiert mit einem Regime flexibler Governance aus intensivierter Verwertung (hot spots mit teuren Büro- und Wohnungsangeboten, hochsubventionierte Technologie- und Gewerbeparks, Einkaufsparadiese, etc.) und weißen Flecken aus Leerständen, untergenutzten Grundstücken und „Niemandsland“, die mit i.d.R. nicht ausreichend rentablen „Zwischennutzungen“ (Ansiedlung einer kulturell aktiven Szene mit vielfältigen prekären Existenzen, Kleinstbetrieben im Dienstleistungssektor und Handwerk, Grabelandnutzungen etc.) temporär wieder in Gebrauch genommen werden. Die sozialen Spannungen infolge dieser neuen Regierungsweise sind noch nicht wieder in gesellschaftliche Verhandlungssysteme integriert. Und so erleben wir durch die Auflösung des fordistischen Sozialstaats jetzt auch in Westeuropa, dass das kombinierte Produktionsverhältnis aus Warenproduktion und Subsistenzproduktion wieder deutlicher hervortritt und in der Stadt erneut sichtbarer wird. 



Aktuelle Vertreibungen: Die Relation von Waren- und Subsistenzproduktion ist ein hoch umstrittenes Terrain

Das zurzeit wohl größte Infrastrukturprojekt in Deutschland, wenn nicht in Europa, mit einer Investitionssumme von 4,4 Mrd2. Euro vermittelt eine Ahnung von der Dimension der anstehenden Veränderungsprozesse: Der Umbau der Emscher bis zum Jahr 2027 vom mehr als 100 km langen offenen Abwasserkanal für das Ruhrgebiet mit seinen heute ca. 5 Millionen Menschen zu einem Naherholungsgebiet und „ökologischen Biotop“ mit eingelagerten hochpreisigen Wohnungsangeboten für die neuen ökonomischen Eliten. Die Emscher war seit ihrer Nutzung als Abwasserkanal des sich rasch industrialisierenden Ruhrgebiets vor über 100 Jahren immer eine Meidezone – stinkend und gefährlich. 

Überall in ihren Randbereichen finden sich bis heute Grabelandnutzungen zur Selbstversorgung und zur Erholung für die ärmeren Bevölkerungsschichten. Mit der Renaturierung als mäandrierender Fluss werden die Randbereiche zu einer „natürlichen“ Auen- und Flusslandschaft umgebaut. Zugleich werden die ökologischen Aufwertungen der Flächen als Nebeneffekt für Ausgleichserfordernisse3 anderweitiger nachteiliger Eingriffe im übrigen Stadtgebiet herangezogen. Die neuerdings an einen attraktiven, teilweise auch mit Wegen erschlossenen Landschaftsraum Emscher angrenzenden Flächen können als hochwertiges Wohnbauland verwertet werden. Der geplante Phoenixsee auf dem ehemaligen Gelände des Stahlwerkes Phoenix in Dortmund-Hörde zeigt exemplarisch die planerischen Zukunftsprojektionen.4 Die in Gang gesetzten sozialen Verwerfungen und die Massenvertreibungen tausender Menschen sind bislang nur punktuell ein öffentliches Thema – wer wollte auch etwas gegen „blühende Landschaftsvisionen“ sagen?

Andererseits wächst der Bedarf für subsistenzorientierte Nutzungen. In Dortmund gibt es bereits eine Warteliste für „Grabeland“.5 Je mehr Menschen in den kapitalistischen Kernländern als für die Kapitalverwertung überflüssig aussortiert werden, ohne dass sie hinreichend Existenzmittel haben, um so mehr rückt die Subsistenzproduktion für den unmittelbaren Konsum in das Blickfeld für Lösungsstrategien. 

Im Bemühen um einen flexiblen Umgang mit den Grenzen kapitalistischer Verwertung werden gegenwärtig neue Strategien und Instrumente zur gouvernementalen Bearbeitung der aufbrechenden Widersprüche erprobt. Zur Mobilisierung unbezahlter, gebrauchsförmiger Arbeit in Bereichen unzureichender Rentabilität dienen einerseits Strategien zur freiwilligen Selbstorganisation beispielsweise für „Zwischennutzungen“, „Recycling-Charity“6 zur Resteverwertung und „Do it yourself“ in Form von Koch- und Nähkursen etc. für Arme und andererseits Workfare-Konzepte7, die Transferleistungen mit einer Arbeitspflicht verbinden. 

Mit diesen Verschiebungen in den gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen ist ein grundlegender Politikwechsel verbunden. Unbezahlte Arbeit und gebrauchsförmige Nutzungen werden wieder mehr als Feld politischen Handelns wahrgenommen und in Anerkennungsbeziehungen gefasst. Damit werden auch diejenigen gesellschaftlichen Praxen, die bislang durch Ausblendung dem ökonomischen Zugriff faktisch entzogen waren, anschlussfähig zugerichtet und geraten zunehmend unter Druck, vereinnahmt zu werden. Diese (Teil-)Integration in die warenökonomische Rationalität lässt das emanzipatorische Potenzial, sich zumindest zum Teil der Verwertungsrationalität entziehen zu können, schwinden.

Das „Terrain“ der Relation von Waren- und Subsistenzproduktion ist auch in den kapitalistischen Kernländern wieder hoch umstritten und wird neu ausgemessen. Die im Rahmen der Warenproduktion immer häufiger brachliegenden sozialen und räumlichen Ressourcen sind vorrangiges Ziel der Strategien „sozialer Entwicklung“. Diesen Versuchen herrschaftlicher Steuerung durch „Beteiligungsprozesse“ zur Selbst-Verwaltung der Misere mit zugewiesenen Handlungsspielräumen stehen die Strategien und Taktiken der Bewohner/innen zur Erlangung von Verfügungsmacht über für sie unverzichtbare Ressourcen gegenüber. Die Dynamik aus den Bestrebungen der Bewohner/innen, eine Stabilisierung und wenn möglich Verbesserung ihrer Lebensbedingungen zu erreichen, und den Zugriffen von Behörden und sozialen Trägern, diese Aktivitäten zur Milderung der lokalen sozioökonomischen Krisenerscheinungen zu nutzen, treibt die Restrukturierung des Verhältnisses von Bürger/innen und (lokalem) Staat an.



Rückblende: Wuchernde Aneignung und ständige Verdrängung 
– Konjunkturen gebrauchsförmiger Arbeit in Dortmund

Nicht von ungefähr rücken überall dort, wo die Warenökonomie nicht mehr funktioniert oder auch noch nie funktioniert hat, lokale Traditionen „wuchernder Aneignung“, die Selbstorganisationspotenziale der Menschen ins Blickfeld. Sie waren in der Geschichte und sind bis heute Grundlage der „Überlebensstrategien“. Jenseits des vielleicht 20 Jahre umfassenden „goldenen Zeitalters“ des Fordismus gab es in der Stadt immer eine z. T. hochgradige Nutzungsmischung, die auch Spielräume für Subsistenzproduktion einschloss. 

Maria Mies und Veronika Bennholdt-Thomsen haben zur Illustration des kombinierten Produktionsverhältnisses ein Modell der sichtbaren und unsichtbaren Ökonomie entwickelt:













Das Modell zeigt, wie sich das Kapitalverhältnis auf eine breite Basis aus unbezahlter vertragsloser Arbeit stützt (Subsistenz, Bauern – Handwerker, Hausarbeit und Kolonien). In Deutschland gestaltete sich das Verhältnis von bezahlter zu unbezahlter Arbeit in 2001 immer noch ungefähr ein Drittel zu zwei Drittel (1:1,8). Danach wurden 56 Mrd. Stunden Erwerbsarbeit und 96 Mrd. Stunden unbezahlte Arbeit geleistet.8 Mit der tendenziellen Abnahme der Lohnarbeit und den wachsenden Nöten vieler Menschen, mit sinkenden Geldeinkommen über die Runden zu kommen, wird der Anteil unbezahlter Arbeit in Zukunft wieder deutlich zunehmen.

Im Rückblick zeigt sich, bis in die 50er Jahre hinein galt insbesondere für die ärmeren Bereiche der Stadt – wie die Dortmunder Nordstadt als ehemalige Vorstadt für Arbeiter/innen – eine vollständige Nutzungsmischung von Subsistenzproduktion über Wohnen, Handel und Handwerk bis hin zur Industrieproduktion. Die fordistische Modernisierung der Lebensverhältnisse orientierte sich an den durch Massenproduktion zu erzielenden Effizienzgewinnen. Die Wirkung dieser Logik forcierte die räumliche Polarisierung von Nutzungen und die Nutzungsentflechtung durch die Homogenisierung einzelner Nutzungen. Diese Tendenzen erzeugten Maßstabsvergrößerungen in der gesamten Textur der Stadt. Die Verallgemeinerung bürgerlicher Wohnvorstellungen als Zonen des Massenkonsums erforderte ebenfalls die Bereinigung der Mischung aus Produktion und Wohnen. Die hohen Umwelt- und Gesundheitsbelastungen der Emissionen der Montanindustrie ließen sich jedoch nicht mit dem bürgerlich repräsentativen „Erholungswohnen“ vereinbaren. In der Folge entwickelten sich drei Umbaustrategien zur Modernisierung der Dortmunder Nordstadt zur Konsumsphäre. Zunächst gab es Planungen, die direkt an die Montanflächen angrenzenden Bereiche großflächig abzureißen und Trennzonen zwischen Industrie und Wohnquartieren einzufügen. In der zweiten Hälfte der 60er Jahre wurde die Flächensanierung in Kernbereichen der Nordstadt in Angriff genommen und teilweise der Abriss ganzer Quartiere umgesetzt. In der dritten Phase wurden unter dem Druck der enormen Kosten einer Totalsanierung der Wohnungsbestand und die öffentlichen Räume Ziel der Herstellung moderner Konsumräume mit Hilfe „behutsamer Erneuerung“.

Wie tiefgreifend diese Modernisierungsbemühungen waren, lässt sich daran ablesen, dass immer große Umsiedlungs- und Vertreibungsprozesse mitgedacht wurden. So wies der erste Flächennutzungsplan von 1964 für Dortmund 210 Sanierungsgebiete mit einer Gesamtfläche von 1010 ha (etwa 1/5 der insgesamt ausgewiesenen Wohnbauflächen) und 174. 142 Einwohnern (fast 1/3 der Einwohner) aus. Nach den damaligen Planungen sollten 111 000 Einwohner vom Abriss ihrer Wohnungen betroffen werden.10 Die Menschen sollten in die im übrigen Stadtgebiet umfangreich ausgewiesenen neuen Wohnbauflächen umgesiedelt werden. Stadtplanung hatte einen deutlich erzieherischen Impetus: die modernen räumlichen Verhältnisse sollten die Menschen zur Anpassung an die neuen Bedingungen zwingen. Darüber hinaus gab es eine aktive Politik, die provisorisch benutzten, nutzungsoffenen, im ökonomischen Sinn brachliegenden Räume durch Aufbereiten und Vermarkten zu beseitigen. Weniger rentierliche Nutzungen wurden durch kapitalkräftigere verdrängt und die unerwünschten oder nicht marktkonformen Nutzungen rechtlich eingeschränkt bzw. ausgeschlossen. Diese Entwicklung hatte drastische Konsequenzen. Als mit dem Einsetzen der fordistischen Krise zu Beginn der 70er Jahre sich das wirtschaftliche Wachstum immer mehr vom Bedarf an Arbeitskräften entkoppelte, bedeutete dies vor allem für das untere Drittel der Gesellschaft immer weniger Erwerbsmöglichkeiten. Gerade die weniger voraussetzungsvollen Tätigkeiten verschwanden im Zuge der systemischen Rationalisierung vom Markt. Die Auswirkungen der Massenarbeitslosigkeit trafen die Menschen umso härter, als ihnen durch die „Modernisierung“ der Wohnquartiere die Möglichkeiten, mangelndes Einkommen oder zu geringe Transferleistungen durch Subsistenzproduktion zu ergänzen, entzogen worden waren. 

Subsistenzproduktion war bis weit in die 60er Jahre hinein ein anerkannter Teil der Existenzsicherung für Unter- und Mittelschichten und Teil der Sozialpolitik. So lange gab es in der Planungsverwaltung auch eine grundsätzliche Akzeptanz für solche Flächenerfordernisse. Die Stadt hat im vergangenen Jahrhundert immer wieder große Flächen Bauerwartungsland in ihrem Besitz gegen ein geringes Pachtgeld zur Nutzung als Grabeland an Bewohner/innen abgegeben.11 Bis zur Einführung des Bundesbaugesetzes Anfang der 60er Jahre waren Sekundärnutzungen wie Wirtschafts- und Nebengebäude bis hin zu Kleintierställen auch in Wohngebieten rechtlich zulässig und üblich. Diese tradierte Subsistenzökonomie zur Ergänzung und in Krisenzeiten auch der Sicherung der Existenzmittel der unteren Schichten erwies sich als sehr überlebensfähig und die Menschen hielten so lange wie möglich an ihren gewohnten Alltagspraxen fest.12 Es waren schon sehr drastische gesellschaftliche Veränderungen notwendig, um diese Überlebensstrategien zurückzudrängen. Die wirksamsten destruktiven Dynamiken entfalteten sich durch die erzwungene gesteigerte Mobilität der Arbeitskräfte über die Stadtgrenzen hinaus, den Ausbau eines Sozialstaates, der die primären Unterstützungsnetzwerke (Familie, Freunde und Nachbarschaft) entwertete, die radikale Senkung der Nahrungsmittelpreise durch die industrielle Landwirtschaft und die drastische Rationalisierung des Einzelhandels zu Discountern etc. Aber all das bedurfte einer rigiden fortgesetzten räumlichen Vertreibungspolitik, um dauerhaft durchgesetzt zu werden. 

Die Großsiedlung „Clarenberg“ mit 25 vier- bis siebzehngeschossigen Gebäuden in Dortmund-Hörde wurde nach dem Abriss einer alten Arbeitersiedlung gebaut. Bereits 1971 gab es heftige Proteste gegen Konzepte wie die Flächensanierung Clarenberg: „Wir hatten den [Bewohner/innen] klargemacht, sie müssten alle ihre Wohnungen verlassen und darüber könnten sie eigentlich nur glücklich sein, denn sie kriegten was viel Besseres wieder. (…) Nur das war viel teurer. (…) Also objektiv gesehen war das besser. Aber die [Bewohner/innen] wollten das gar nicht, denn die waren damit zufrieden. (…) Und dann sagte [eine Bewohnerin] zu uns, wir hätten etwas völlig vergessen, was wir möglicherweise auch nicht beurteilen könnten. Das wollte sie uns mal sagen. Ihr Mann, der die Familie ernährte, würde mit Überstunden im Monat das … als Einkommen haben. Wenn wir das mit unserem Einkommen mal vergleichen würden, würden wir wahrscheinlich erstaunt darüber sein, wie wenig das wäre. Und wir sollten ihr mal sagen, wie sie denn davon die neue Wohnung bezahlen soll. Ja, das andere wäre ja alles so leicht gesagt, aber das würde niemand berücksichtigen. (…) Das Problem konnten wir [als Planer/innen] natürlich nicht lösen.“13

Die Menschen mit geringeren Geldeinkommen waren und sind bis heute immer auf der Suche, ihre Existenzmöglichkeiten zu verbessern. Den Guerillataktiken der kleinen Nutzer/innen hatte keine Planungsverwaltung oder Ordnungspolitik wirklich etwas entgegen zu setzen. Und so wuchern immer wieder wilde Aneignungsprozesse, sobald sich Leerstellen ohne expliziten Nutzungsanspruch im Stadtgefüge ergeben. Die ehemalige CEAG-Fabrik in der Dortmunder Nordstadt war zu Beginn der 80er Jahre ein teils besetztes, teils zu geringen Mieten genutztes sozio-kulturelles Projekt. 1984 waren über 200 künstlerisch-musisch tätige Menschen (Rockmusiker, Theaterleute, Maler und Bildhauer) und ca. 165 gewerblich beschäftigte Menschen auf dem ca. 5 ha großen Gelände aktiv. 1991 wurde im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Emscherpark ein Ideenwettbewerb zur Neubebauung des Geländes mit mehr als 200 Wohnungen ausgeschrieben. Die über 10 Jahre gewachsenen Strukturen einer Mischung aus vorwiegend informeller Ökonomie und unmittelbarer Aneignung wurden mit einem „Leuchtturmprojekt“ der Stadtentwicklung wegsaniert und die Nutzer/innen von „Stadtschrott“ wurden mit den IBA-Qualitätsstandards über „gute Stadtentwicklung“ belehrt. Solche drastischen Zugriffe setzen hohe Investitionen voraus und können daher meistens nur im Rahmen großer öffentlicher Programme wie der IBA oder heute des Emscherumbaus bzw. großer Infrastrukturmaßnahmen geleistet werden.

Mit dem Ende der fordistischen Prosperitätsphase zu Beginn der 70er Jahre hat eine lange Umbruchphase eingesetzt. Entlang der daraus folgenden Friktionen und Brüche, die immer wieder schlecht oder nicht mehr verwertbare Bereiche in der Stadt offen lassen, entfaltet sich das räumliche Muster der Auseinandersetzungen als hoch umkämpftes Terrain. Teilweise erwachsen daraus auch Politisierungen wie die Hausbesetzungen in den 70er und 80er Jahren. In der Dortmunder Nordstadt gab es im Zuge der unterschiedlichen Sanierungspolitiken bis in die 90er Jahre eine stetige Verdrängung gebrauchsförmiger Nutzungen aus den Wohnbereichen in periphere Lagen am Rande des Stadtbezirks und mit dem Schwinden der Montanindustrie in die den Stadtteil umgebenden untergenutzten Industrie- und Gewerbegebiete. Es ist bis heute ein ständiges Ringen um die im Kapitalverwertungszusammenhang entwerteten Bereiche der Stadt, um sogenannte „Meidezonen“ und um Poren aus unterschiedlichen Gründen schlecht vermarktbarer Reste. 

Die als Globalisierung beschriebene Verallgemeinerung der Weltmarktbedingungen auch in den kapitalistischen Kernländern löste in den 90er Jahren einen neuerlichen Modernisierungsschub im Stadtgefüge aus. Öffentliches Planungshandeln begleitete diese Anpassungen mit dem Ziel, die gesellschaftliche Funktionsfähigkeit aufrecht zu erhalten und an die aktuellen Kapitalverwertungsbedingungen anzupassen. Das Ergebnis ist die Ausbildung eines spezialisierten, hochgradig hierarchisierten räumlichen Gefüges mit Schauseiten des Luxuskonsums, der Hochtechnologie oder anderer sauberer „Führungsbranchen“ und mit Hinterhöfen aus abgewohnten Wohnquartieren, schlecht bezahlten Serviceindustrien und hoch belastender Gewerbe wie LKW-Logistik, fein säuberlich zoniert und häufig in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander. Die funktionale Zuordnung solcher kleinräumig konturierter Bereiche mit hoher und mit niedriger Wertschöpfung und die Entfaltung von marktvermittelten Austauschbeziehungen zwischen diesen Zonen leisten einen wichtigen Beitrag zur Ausschöpfung der lokal möglichen durchschnittlichen Profitrate in der neoliberalen Stadt. Dieser Spezialisierungsprozess in kapitalproduktive und in entwertete Bereiche zu einer „neoliberalen Landkarte“14 ist nicht abgeschlossen. Die Umbruchphase des Strukturwandels von fordistisch zu neoliberal hinterlässt gleichzeitig eine Reihe von Leerstellen und womöglich auch Wüsten, die die bevorzugten neuen Zugriffbereiche für nicht marktvermittelte Aneignungsprozesse darstellen. 

Parallel gehen tradierte entwertete Räume wie die Flächen entlang des ehemals offenen Abwasserkanals „Emscher“ durch Renaturierungsmaßnahmen oder den Ausbau der Infrastruktur verloren und die alten Nutzer/innen werden in neue „Niemandsland“-Zonen verdrängt. Dabei werden regelmäßig die gewachsenen sozialen Milieus mit ihren vielfältigen Unterstützungsbeziehungen zerstört. Vor allem ältere Menschen schaffen einen Neuanfang nicht mehr und ihr Erfahrungswissen geht verloren. Die kommunale Planungsverwaltung spielt in den Restrukturierungsprozessen durch eine repressive Ordnungspolitik und öffentliches Planungshandeln eine entscheidende Rolle in der Zumessung von Handlungschancen an die Bewohner/innen. Seit 2007 werden die Grabelandflächen in der Stadt erstmalig systematisch erfasst und angesichts der dramatischen Haushaltslage auf mögliche Verwertbarkeit hin geprüft. Diese Neubewertung trifft aber auch planungsrechtlich gesicherte Kleingärten. So sollen in der Anlage „Hafenwiese“ in der Dortmunder Nordstadt 52 Gärten einer Erweiterung und Standortoptimierung des Hauptsitzes der Knauf-Interfer-Gruppe (Metallverarbeitung) im Hafen zum Opfer fallen.15 Die Fläche ist in kommunalem Besitz und soll verkauft werden. Dies ist in der politischen Öffentlichkeit hoch umstritten. 

Angesichts der Widerstände bedient sich die Verwaltung daher zunehmend politischer Strategien und befördert zur Legitimation der laufenden Vertreibungsprozesse der Grabeländler/innen u. a. die seit einem Jahr immer wieder in der Lokalpresse hochkommende Debatte über eine missbräuchliche Nutzung oder Vermüllung von Grabelandflächen.16 Aktuell lässt sich auch in Dortmund ein neues Moment beobachten, das unter dem Label „Social Development“17 firmiert. Seit der Sozialstrukturatlas18 die lange bagatellisierten sozialen Polarisierungen in der Stadt unabweisbar belegt, ist die lokale Politik unter Handlungsdruck und hat im Rahmen eines „Aktionsplans Soziale Stadt“ ein Aktionsraumprogramm für die 13 am meisten benachteiligten „Sozialräume“ aufgelegt.19 Hier soll einerseits mit niederschwelligen Beratungsangeboten und lokalen Projekten und andererseits mit einem lokalen „Managementsystem für Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit“ die Integration in die Mehrheitsgesellschaft stabilisiert werden. Gleich anderen Globalisierungseffekten stammt die Strategie „sozialer Entwicklung“ ursprünglich aus der Entwicklungszusammenarbeit mit Ländern des globalen Südens. Diese Handlungsansätze aus internationalen Kontexten werden offenkundig zunehmend auf der hiesigen lokalen Ebene eingesetzt, um Globalisierungsfolgen zu bearbeiten. Solche Ansätze greifen häufig die bislang unbeachtet geblieben Strategien gebrauchsförmiger Selbsthilfe und marginaler Verdienstmöglichkeiten20 der Bewohner/innen und ihre Kooperationskompetenzen auf, um sie mit professioneller Hilfe „effizienter“ und zugleich anschlussfähig an die herrschenden ökonomischen Dynamiken zu gestalten.



Gegenstrategien: Selbstbestimmung und kollektive institutionelle Arrangements zur Verfügung über Ressourcen

Damit werden auch Gefährdungen erkennbar. Es ist nur ein schmaler Grat zwischen den Möglichkeiten zu mehr Selbstbestimmung und der Instrumentalisierung für das neoliberale Gesellschaftsprojekt. Im Folgenden wird skizziert, wie ein Pfad der Selbstermächtigung aussehen könnte und wie notwendig lokale kollektive Formen der Selbstorganisation sind, die diese Selbstermächtigung repräsentieren und sich zu einer Kampflinie entlang der Frage nach der Verfügungsmacht vernetzen können. Der Fokus liegt hier besonders auf Fragen zur Konzeption von öffentlich-rechtlichen Gebrauchsrechten21. Diese Gemeinheiten sind ihrer Rechtsnatur nach nicht handelbar und müssen in den lokalen historischen Kontext eingebettet werden.

Die Gegenwart ist unsicher geworden und die Zukunft scheint für viele Menschen auch in den kapitalistischen Kernländern kaum mehr überschaubar. In einer „Transformationsgesellschaft“, in der infolge porös gewordener alter Verhältnisse die gesellschaftlichen Strukturen unscharf und weniger verbindlich erscheinen, bestehen Möglichkeiten, durch relativ kleine Interventionen die Herausbildung neuer gesellschaftlicher Institutionen und die Richtung der Transformation zu beeinflussen.22 In einem solchen Zeitfenster bedeutsamer Verschiebungen sind die alten Herrschaftsanordnungen prekär geworden und die neu entstehenden können ihre Wirkung noch nicht hinreichend entfalten. So erfährt der Kampf von „unten“ um gebrauchsförmige Gemeinheiten für ausreichende Lebensmöglichkeiten gegenwärtig starken Rückenwind durch die Schwäche des globalen Kapitalismus, die Warenform durchgängig als Formprinzip aufrecht zu erhalten. Allerdings nehmen auch die direkten Gewaltverhältnisse zu, um sich unbezahlte Arbeit anzueignen.

Damit ist das Konfliktfeld für strategische Überlegungen zu mehr Selbstbestimmung beschrieben. In der hier vorzustellenden Perspektive stützen sich die Überlegungen auf Gemeinheiten23 als soziales Eigentum in kollektiver Verfügungsmacht. Die Neubegründung solcher gesellschaftlicher Institutionen ist selbst ein Transformationsprozess, der sich über „suchendes Lernen“ realisiert. Hilfreich für strategische Handlungsansätze können die von Elinor Ostrom entwickelten „Bauprinzipien“ zur Regulierung von Allmenderessourcen auch unter den Bedingungen einer Warengesellschaft sein24. Elinor Ostrom arbeitete seit den 80er Jahren an einer umfassenderen Theorie der institutionellen Arrangements zur Selbstverwaltung und nachhaltigen Nutzung von Allmenderessourcen. Ihre Schlussfolgerungen zur gesellschaftlichen Rationalität solcher Arrangements sind: „Man kann erwarten, dass die NutzerInnen eine bedingte Selbstverpflichtung zur Befolgung von Regeln eingehen, die 
• eine Gruppe von Aneignern definieren, die berechtigt sind, eine Allmenderessource zu nutzen (Bauprinzip 1),
• auf die besonderen Attribute der AR und der Gemeinschaft der Aneigner, die die AR nutzen, abgestimmt sind (Bauprinzip 2),
• zumindest partiell von Aneignern vor Ort entwickelt worden sind (Bauprinzip 3),
• von Personen überwacht werden, die den Aneignern vor Ort rechenschaftspflichtig sind (Bauprinzip 4) und
• durch abgestufte Strafen sanktioniert werden (Bauprinzip 5)“, (vgl. S. 241, ebenda).

Ein angemessenes Regelwerk, das sich nicht auf den Tausch von Äquivalenten, sondern auf Bedürfnisse bezieht, setzt die Gebrauchslogik unmittelbarer sozialer Kooperation voraus. Als Maßstab gesellschaftlicher Entwicklung müsste das Postulat „ein gutes Leben für alle“ gelten. Die Konzeption der „neun menschlichen Grundbedürfnisse“ von Manfred Max-Neef kann hierfür als universelle Matrix für alle Gesellschaften herangezogen werden (Subsistenz, Sicherheit, Anerkennung, Wissen, Teilhabe, Freizeit/Erholung, Kreativität, Identität und Freiheit).25

Die Menschen müssen in einer solchen Perspektive die Reproduktionsseite ihres Alltags als selbstversorgende Produzent/innen auch in den kapitalistischen Kernländern in wesentlichen Bereichen neu organisieren. Sie bleiben nicht Konkurrent/innen in Warenbeziehungen, sondern haben Teilhaberechte an den Gemeinheiten, um für sich selber zu sorgen und die Überschüsse zur Bereicherung der sozialen Beziehungen oder als ökonomischen Zugewinn zu nutzen. Niemand wäre hier überflüssig, jede(r) kann auf ihrem/seinem Erfahrungs- und Leistungsniveau mitmachen. In einem solchen institutionellen Rahmen lassen sich auch nicht-hierarchische asymmetrische soziale Beziehungen abbilden (d. h. alle Lebenslagen, in denen Menschen versorgt werden müssen). Als Gegenleistung für die Nutzung der lokalen Gemeinheiten besteht umgekehrt im Sinne der Reziprozität die Pflicht, zur Instandhaltung und ggf. zum Ausbau von Infrastruktur und Produktionsmitteln beizutragen (z. B. durch Arbeitsleistung, Abgaben aus Erträgen, finanzielle Beiträge). Ein solcher Weg beinhaltet nicht nur die Rücknahme der Warenform als Bedingung gesellschaftlicher Organisation, sondern beschreibt auch eine Gegenbewegung zur Privatisierung öffentlicher Güter. 

Die Aneignung der Gemeinheiten würde durch „Rechte“ formalisiert und in einem Kontext aus lokalen Netzwerken sozial gefasst. Hierauf könnte sich ein gebrauchsförmiges Konzept von Nutzung und Konfliktvermittlung abstützen. In der räumlichen Dimension bedeutet dies eine grundlegende Reorganisation und vielfache Dezentralisierung der Infrastruktur. Die Wohnareale erführen eine Neubestimmung als „Produktionsorte für Selbstversorgung“ statt bloßer Konsumräume.

Das ist nicht wirklich neu. Fast die gesamte menschliche Geschichte hat es solche Strategien gegeben. Die gesellschaftliche Teilhabe ergibt sich hier aus den Gebrauchsrechten als gemeinschaftliche Nutzung von Infrastruktur, Gebäuden und Boden. Jede(r) hat das Recht, als Produzent/in tätig zu sein. Diese Aktivitäten könnten mit Blick auf die deutschen Gegebenheiten in Wiederaneignung und Neudeutung des Begriffs als „Urproduktion“26 gelten und sollten abzüglich einer Gemeinschaftsabgabe in einem auszuhandelnden Rahmen steuer- und abgabenfrei sein. Der Sinn wäre, man bekäme Rechte eingeräumt, „etwas in Kooperation mit anderen zu tun“. Aber im Unterschied zum neoliberalen „Workfare State“ könnte man/frau selbstbestimmt handeln,27 sich dafür Kooperationspartner/innen suchen und die materiellen Erträge blieben bei den Nutzer/innen. Als Rahmen würden den lokalen Anforderungen angepasste Regeln der Produkthaftung, Hygiene oder beispielsweise des biologischen Landbaus gelten. Die materiellen Voraussetzungen für diese Neugestaltung der gesellschaftlichen Reproduktion müssen über das gesellschaftliche „Soziale“ bereitgestellt, aber dezentralisiert kollektiv verantwortet werden.

Es handelt sich dabei keinesfalls um einen niedrig entwickelten Sektor. Man braucht ein auf kleinteilige, arbeitsintensive Produktionsmethoden zugeschnittenes technologisches Niveau und die systematische Entwicklung des Wissens, das über Erfahrung hinaus auch theoretisch erarbeitet und vermittelt werden muss. Erst daraus entsteht eine Professionalität, die Selbstversorgung mit ihren Produkten und Ergebnissen als ein eigenes Segment dauerhaft in der Existenzsicherung der Menschen verankern kann.



Ausblick

Aus der Geschichte wissen wir, dass Anerkennungsbeziehungen das Feld eröffnen, auf dem es erst möglich ist, „Ansprüche und Rechte“ einzufordern. Die Entfaltung von „Gegenmacht“ setzt Anerkennungsbeziehunen mit denen, gegen die man sich wendet, voraus. Diese Anerkennungsbeziehungen gefährden zugleich jedes „revolutionäre Projekt“, denn dadurch werden solche Projekte anschlussfähig an die vorhandenen Herrschaftsverhältnisse und können sogar bei partieller „Integration“ als gesellschaftliches Außen, als „Kolonie“ konzeptualisiert werden. Die globalisierten ökonomischen Verhältnisse ermöglichen es heute überall, bei einem relativ geringen Anteil an formalisierter Lohnarbeit die Produktivität einer Gesellschaft als Ganzes auszubeuten. Die kapitalistischen Kernländer erfahren im Neoliberalismus die Neukonzeptualisierung des Verhältnisses von Lohnarbeit und nicht entlohnter bzw. hausfrauisierter Arbeit, die auch erhebliche Verschiebungen im Geschlechterverhältnis verursacht. Immer mehr Männer verlieren ihre mit existenzsichernder Lohnarbeit verbundenen Privilegien und erfahren eine negative Angleichung ihrer gesellschaftlichen Stellung an Frauen in hausfrauisierten Zuverdienstarbeitsverhältnissen. Zugleich werden Zentrum und Peripherie neu bestimmt und mit der wachsenden Peripherie nehmen die direkten Gewaltverhältnisse zu. Diese Tendenzen verweisen auf die Herausbildung einer weltweiten Unterklasse als neuer Kolonie.

Die konstruktive Zugriffsmöglichkeit besteht darin, dass trotz der in der Vergangenheit weitreichenden Durchdringung der Gesellschaft mit Warenbeziehungen auch in den kapitalistischen Kernländern immer ein Residualbereich gebrauchsförmiger Logik bleibt, ohne den keine Gesellschaft existenzfähig ist. Je mehr sich dieser Bereich infolge abnehmender Integrationskraft des Kapitalismus ausdehnt, umso bedeutsamer werden die darin eingebetteten gebrauchsförmigen Logiken. Die gebrauchsförmige Kooperation bringt zugleich die gebrauchsförmige Rationalität als gesellschaftliches Prinzip hervor. Menschen ordnen sich als Subjekte in gesellschaftliche Prinzipien ein und gestalten auf dieser Grundlage ihre sozialen Beziehungen.

Anders als in der Warenlogik sind gebrauchsförmige Konstruktionen nur unter Anwendung von unmittelbarer Gewalt ausbeutbar und sie gewinnen, soweit Produktionsmittel vorhanden sind, mit der Zahl der Kooperationspartner/innen. Solange es gelingt, Gewalt „draußen“ zu halten, eröffnet sich hier ein Raum für experimentelle soziale Praxis, die um die soziale gesellschaftliche Produktivität der Menschen und ihre Bedürfnisse zentriert ist. Sie entfaltet ihr Potenzial gerade auch in den asymmetrischen sozialen Beziehungen, die immer schon gebrauchsförmig gefasst wurden. Das wichtigste Beispiel ist das Aufziehen der Kinder. Aber auch, dass die allermeisten alten Menschen im Familienzusammenhang gepflegt werden, ist kein Zufall. Damit ist allerdings noch keine herrschaftsfreie Gesellschaft hergestellt. Eine alle Menschen einschließende demokratisch verfasste „Selbstorganisation“ muss daher so angelegt sein, dass „Gewalt“ als Instrument irrational ist. In der Zukunft wird es in einem ständigen Ringen vermehrt darum gehen, den Verteilungsspielraum insbesondere auch in der Gebrauchssphäre zu erweitern. Es ist an der Zeit, Prinzipien eines allgemeinen Entwicklungsmodells zu formulieren, das sich auf Kooperation mit allen statt Konkurrenz und auf Solidarität in asymmetrischen nicht-hierarchischen und nicht-patriarchalen sozialen Beziehungen stützt.

Hierfür ist jedoch, anders als die neuen linken Adaptionen grüner und sozialdemokratischer Projektepolitik im sozial-gewerblichen Sektor zur Unterstützung der „Hilfebedürftigen“ es nahelegen, ein Perspektivenwechsel notwendig. Statt des Aufbaus einer Recycling-Industrie zur Verwertung der Abfälle der Gesellschaft für den Unterhalt unrentabler Menschen geht es vielmehr um Selbstorganisation auf „gleicher Augenhöhe“ und eine soziale Spaltungen überwindende Reorganisation des gesellschaftlichen Sozialen. Dazu gehört, dass sich Beiträge an den individuellen Möglichkeiten und die erhaltenen Leistungen an den individuellen Bedürfnissen orientieren. Eine solche Regelung der Umverteilung basiert auf der Konzeption des gesellschaftlich „Sozialen“ als kollektivem Eigentum. Die allgemeinen Dezentralisierungstendenzen erlauben es heute, insbesondere konkret praktische Anforderungen zur Alltagsbewältigung (z. B. erhebliche Teile der sozialen Versorgung, der Ernährungssouveränität, der Gesundheitsversorgung, lokale soziale und kulturelle Infrastruktur, Wohnen uvm.) in Form von Gemeinheiten in die direkte Verantwortung der Menschen in lokalen Kollektiven zu geben. Diese gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen werden bereits für neoliberale Konzepte der Individualisierung von Lebensrisiken und die Privatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge genutzt. Solchen Zumutungen kann nur mit Konzepten kollektiver Organisation entgegen getreten werden. Dabei wird mit der Grundlegung der Bedürfniszentrierung als gesellschaftlichem Prinzip ein alternativer Pfad zum Verwertungsprinzip beschritten. Unter produktiver Aneignung der Methoden und Instrumente der „Kontextsteuerung“, zum Beispiel qualitative Indizes und Zielvereinbarungen etc., können heute schon die Bedingungen für die Dominanz der Gebrauchslogik im gesellschaftlichen „Sozialen“ gewahrt werden. In einem solchen gesellschaftlichen Rahmen kann Selbstorganisation „von unten“ Selbstbestimmung als kollektiven sozialen Prozess verwirklichen. Bislang ungelöste Probleme liegen in der Gewährleistung transparenter Entscheidungen und in der Repräsentation von Minderheitenpositionen. Hier ist noch viel politische Theorie notwendig, damit das persönlich „Private“ tatsächlich „politisch“ wird. 



- - - - - - - - - 

1          Wir beobachten in vielen EU-Staaten die Einführung der Arbeitspflicht für Transferleistungsempfänger/innen meistens zu gemeinnütziger Arbeit in Feldern der kommunalen Daseinsvorsorge durch Workfare-Strategien und andererseits die Mobilisierung von Freiwilligenarbeit zum Beispiel für Tafelprojekte zur Speisung der Armen.
2          gut 2 Mrd. Euro sind bereits verbaut.
3          Seit den 90er Jahre müssen für den Naturhaushalt und die Landschaft nachteilige Eingriffe im Rahmen der kommunalen Bauleitplanung bilanziert und entsprechend durch Aufwertungen an geeigneter Stelle ausgeglichen werden.
4          vgl. www.phoenixdortmund.de/de/fakten/ 
5          „Grabeland“ wird für gärtnerische Nutzung jährlich verpachtet. Ganz überwiegend sind es Flächen im kommunalen Eigentum, aber auch die Deutsche Bahn, Kirchen oder ehemalige Montanbetriebe und kleinere private Eigentümer/innen verpachten Grabeland.
6          Ein Beispiel ist die Tafelbewegung, die Bedürftige mit nicht mehr verkaufsfähigen Lebensmitteln versorgt oder auch das Sammeln von Sachspenden in Form von Medikamenten, gebrauchter Kleidung, Spielzeug, Möbeln etc.
7          z. B. die Ein-Euro-Jobs
8          Statistisches Bundesamt (2004): Alltag in Deutschland – Analysen zur Zeitverwendung. Beiträge zur Ergebniskonferenz der Zeitbudgeterhebung 2001/02 am 16./17. Februar 2004 in Wiesbaden, Forum der Bundesstatistik Bd. 43
9          vgl. S. 64, Zapf, Katrin (1969): Rückständige Viertel – Eine soziologische Analyse der städtebaulichen Sanierung in der Bundesrepublik.
10        Die Errichtung von Allmenden ist bereits seit 1806 in Deutschland verboten. Allmenden sind Ressourcen im kollektiven Eigentum lokaler Gemeinschaften. Die Baunutzungsverordnungen, eingeführt zu Beginn der 60er Jahre, sehen z.B. die früher üblichen Wirtschaftsgebäude in Wohngebieten nicht mehr vor.
11        Heute sind 0,30 Euro pro qm und Jahr an Pacht zu entrichten (2008).
12        Die Sterilität vieler Siedlungsprojekte seit den 60er Jahren mit wenig nutzbaren Freiräumen und einem Mangel an Ergänzungsnutzungen zur Eigenproduktion für die Bewohner/innen war weniger ein Problem moderner Architektur als ein politisches Programm. Räumliche Bedingungen können Chancen der Teilhabe für ein „gutes Leben“ eröffnen oder davon ausgrenzen. 
13        Vellay, Irina, Dissertationvorhaben „Unbezahlte Arbeit als strukturierendes Element zukunftsfähiger Stadtentwicklung“.
14        Andrej Holm spricht hier treffend von einem „Leopardenfell“, vgl. seinen Beitrag in diesem Band.
15        Vgl. WAZ vom 26.7.2008
16        Die lokale öffentliche Debatte erfährt gerade einen neuen Höhepunkt mit der Abrissverfügung der Stadtverwaltung gegenüber 30 Schwarzbauten auf städtischem Grabeland allein im Stadtteil Dortmund-Dorstfeld anlässlich der Emscher-Renaturierung. Die bisherigen Erhebungen der Stadt haben bisher 40 – 50 Schwarzbauten auf städtischen Grabelandflächen ergeben. Der Stadtverband der Gartenvereine schätzt die Fallzahl auf etwa 10 % der 1700 städtischen Grabelandparzellen. Vgl. WAZ vom 18.7.2008 
17        Vgl. zum Begriff  und Konzept Homfeldt, H. G., M. Schneider (2007): Social Development – ein Rahmenkonzept für die Transnationalisierung Sozialer Arbeit? In: H.G. Homfeldt: Soziale Arbeit im Aufschwung zu neuen Möglichkeiten oder Rückkehr zu alten Aufgaben? Baltmannsweiler.
18        Vgl. Stadt Dortmund: Sozialstrukturatlas 2005. Oktober 2007
19        Vgl. Stadt Dortmund: Entwurf, Aktionsplan Soziale Stadt. 8.11.2007
20        Manfred Max-Neef: „Ein Merkmal der Armen ist, dass sie kolossal kreativ sind. Wir haben in Chile die Wirtschaft der Armen erforscht und klassifizierten allein in einer Stadt über 200 Arten von Überlebensjobs.“ Vgl. Interview mit Manfred Max-Neef und Nicanor Perlas in der taz vom 12.3.2005, „Die Armen sind kolossal kreativ“. Besonders beliebt ist zurzeit das Pfandflaschen sammeln. Kaum ein städtischer Papierkorb enthält heute noch längere Zeit „Leergut“. Die Recyclingquote dürfte hier nahe der 100 % liegen.
21        Wir kennen heute in Deutschland drei Arten von Nutzungs- bzw. Gebrauchsrechten: private Nutzungsrechte (z. B. der Nießbrauch als lebenslanges Wohnrecht oder die Grunddienstbarkeit), – öffentlich-rechtliche Nutzungsrechte, die noch aus dem vorbürgerlichen Recht stammen und deren Neubegründung seit 1806 verboten ist, (z. B. Allmenden) – Gemeingebrauch als Jedermann/ Jederfrau – Recht (öffentlich, z. B. die Benutzung von kommunalen, Bundes- und Landesstraßen).
22        Vgl. hierzu Wallerstein, Immanuel (1997): Social Change? Change is eternal. Nothing ever changes. 
www.binghampton.edu/fbc/iwportug.htm, Zugriff 22.07. 2008
23        Gemeinheiten gefasst als öffentlich-rechtliche Nutzungsrechte.
24        Anders als Elinor Ostrom in der (waren-)ökonomischen Perspektive verwende ich für mein anschließendes Argument den Begriff der Gemeinheiten in der sozialen, auf den Gebrauch zur Erhaltung und Entfaltung von Leben ausgerichteten Perspektive. Vgl. Ostrom, Elinor (1999): Die Verfassung der Allmende – Jenseits von Staat und Markt. Tübingen
25        Max-Neef, Manfred (1991): Human Scale Development.
26        Der Begriff „Urproduktion“ hat im deutschen Einkommensteuerrecht Bedeutung. Unter Urproduktion fällt nach herkömmlicher Definition die Gewinnung von Rohstoffen und die Produktion mit den „Kräften der Natur“ 
z. B. durch Bergbau, die Landwirtschaft, Fischerei, Imkerei, Wanderschäferei etc. solange es sich um Produktion für den eigenen Bedarf bzw. um Direktvermarktung handelt, die einen Umfang gemessen in standardisierten Vieheinheiten, bezogen auf die verfügbare Fläche nicht überschreitet (Kapazität der Eigenproduktion). Urproduktion ist Umsatz- wie Gewerbesteuerfrei, möglicherweise entsteht bei gemischten Einkünften in der Einkommensteuer ein Progressionsvorbehalt.
27        Der “Workfare State“ umschreibt das neoliberale Sozialstaatsmodell.