Erst leugnen, dann herunterspielen

Steinmeier, die Staatsräson und die "Bagdad-Affäre" des BND

"Wir haben eine weiße Weste. Auf Bagdad ist keine Bombe aufgrund von Meldungen gefallen, die von deutscher Seite an die USA geflossen sind." So kommentierte der SPD-Abgeordnete Michael Hartmann nach der Sitzung des BND-Untersuchungsausschusses am 25. September die Befragung mehrerer BND-Mitarbeiter zu den Aktivitäten des deutschen Auslandsgeheimdienstes während des Irak-Kriegs 2003. Der BND habe keinerlei Unterstützung für die "taktisch-operative Kriegsführung" der USA geleistet. Bereits im Vorfeld der Zeugenvernehmung hatte Hartmann behauptet, es gebe in den Akten "keine Belege", dass die beiden BND-Agenten aus Bagdad für die Kriegsführung "relevante Informationen" an die Amerikaner weitergegeben hätten.

Dass der Abgeordnete aus Mainz-Wackernheim in der Lage ist zu beurteilen, was für die USA militärisch relevant oder irrelevant war, glaubt keiner, der einmal dabei war, wenn Hartmann den Mund aufmacht. Hartmanns Job ist es, seinem Parteifreund, dem jetzigen Außenminister und damaligen Kanzleramtschef und Geheimdienstkoordinator Frank-Walter Steinmeier, Flankenschutz zu geben, und er tut dies, da er sonst nichts zu bieten hat, mit Fleiß und Ausdauer.

Die Oberflächlichkeit der Massenmedien und eine gewisse kollektive Gleichgültigkeit kommen Hartmann entgegen. Denn tatsächlich sind derartige "Belege" seit Anfang 2006 öffentlich bekannt. In ihrem am 23. Februar vorgelegten "Bericht gemäß Anforderungen des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) vom 25. Januar 2006 zu Vorgängen im Zusammenhang mit dem Irakkrieg und der Bekämpfung des Internationalen Terrorismus (Offene Fassung)" bestätigte die Bundesregierung selbst, ein im Februar 2003 in Bagdad installiertes "Sondereinsatzteam" des deutschen Auslandsgeheimdienstes habe in den darauf folgenden Wochen diverse Meldungen über "den Charakter der militärischen und polizeilichen Präsenz in der Stadt" über die BND-Zentrale in Pullach an das US-Hauptquartier (Centcom) in Qatar geliefert. Die Regierung erwähnt neben Berichten zu "kriegsvölkerrechtlich geschützten Einrichtungen" und Meldungen über die "Stimmung und Versorgung der Bevölkerung in Bagdad" ausdrücklich "Beschreibungen mit geographischen Koordinaten zu Aufenthaltsorten militärischer Kräfte (Einzelfahrzeuge in der Nähe des Offiziersclubs der Luftwaffe, Personal und Material irakischer Spezialtruppenteile)". Koordinaten seien "auch in einer Meldung nach dem Luftangriff auf den vermuteten Aufenthaltsort von Saddam Hussein am 07. April 2003 enthalten" gewesen.

Verblüffend war schon damals, wie die Bundesregierung die eingeräumten Fakten bewertete. So hätten "die mit Koordinaten versehenen Meldungen" Sachverhalte beschrieben, "die für die strategische Luftkriegsführung entweder nicht von Interesse, oder der US-Seite schon vorher im Detail bekannt gewesen waren". Auch "für die taktischen Luftstreitkräfte waren die an die US-Seite weitergegeben Informationen ohne Relevanz", heißt es weiter. Zu einer "Meldung mit vier Koordinatenangaben zu Kräften der SRG und RG" (Sondergarden und Republikanische Garden; Anm. J.B.) erfährt man, derartige "mobile militärische Teileinheiten, wie sie überall im Stadtbild anzutreffen waren", hätten für die USA "erkennbar nicht zum Zielspektrum" gehört. Einer ebenfalls übermittelten "Koordinatenangabe des Ausweichquartiers des irakischen Geheimdienstes" fehlte, glaubt man der Bundesregierung, "die für einen Luftschlag erforderliche Genauigkeit".

Dass das Parlamentarische Kontrollgremium den Bericht überhaupt anfordern konnte, war dem NDR-Magazin Panorama zu verdanken, dass am 12. Januar 2006 über die BND-Aktivitäten in Bagdad berichtet hatte. Die Regierung hatte die Angelegenheit bis dahin auch vor der zuständigen Kontrollinstanz des Bundestages verschwiegen. In der Sendung berichtete ein als "ehemaliger Pentagon-Mitarbeiter" vorgestellter Informant von der "deutschen Spionage-Hilfe" während des Krieges und davor - "was natürlich hieß, uns bei der Zielführung und Zielbestätigung zu helfen". Der Pentagon-Mann bewertete die Rolle der deutschen Agenten in Bagdad ganz anders: "Sie haben uns direkt unterstützt", sagte er. "Sie haben Informationen für die Zielplanung geliefert."

Steinmeier, 2003 als Kanzleramtschef direkt politisch verantwortlich für den Auslandsgeheimdienst, behauptete zunächst , er wisse nichts von den BND-Aktivitäten. Kurze Zeit später, als wohl klar wurde, dass sich die Angelegenheit nicht mehr unter den Teppich kehren ließ, wurde das Dementi zum "Missverständnis" erklärt. Steinmeier trat die Flucht nach vorn an: Zwar hätten die BND-Leute mit ihren GPS-Geräten Koordinaten aus Bagdad an ihre Zentrale in Pullach geliefert, räumte er ein, auch seien diese an das US-Hauptquartier in Qatar weitergegeben worden. Allerdings habe es sich lediglich um "non targets" gehandelt, zivile Objekte wie Krankenhäuser, Botschaften oder Synagogen, die vor Bombardierung und Beschuss geschützt werden sollten.

Vier Wochen später wurde mit dem offiziellen Regierungsbericht klar, dass zumindest die Behauptung, der BND habe lediglich nichtmilitärische "non targets" gemeldet, nicht mehr zu halten war. Weitere Einzelheiten veröffentlichte das PKGr-Mitglied der Grünen-Fraktion, Hans Christian Ströbele, in einer eigenen, "abweichenden Bewertung". Insbesondere wie Ströbele die BND-Aktivitäten um den - auch im Bericht der Bundesregierung erwähnten - Offiziersclub der irakischen Luftwaffe einschätzt, ist aufschlussreich. "Am 28. März", schreibt der Abgeordnete, "wurde von den BND-Mitarbeitern der Volltreffer gemeldet, mit dem Hinweis, dass sich aber erneut RG-Stellungen und Militär mit Offizieren dort befinden". Am 1. April, also drei Tage nach dieser Meldung, wurde aus Bagdad gemeldet, dass derselbe Offiziersclub erneut bombardiert und dem Erdboden gleichgemacht wurde. "Es liegt nahe anzunehmen", folgert Ströbele, "dass die erneute Bombardierung, die nach dem Treffer auf dieselbe Stelle eigentlich schwer verständlich ist, auf die Meldung neuer militärischer RG-Stellungen durch die BND-Mitarbeiter erfolgt ist." (Hervorhebung J.B.)

Im September 2008 veröffentlichte der Stern unter der Schlagzeile "Die Bagdad-Protokolle" neue Details über den Einsatz der beiden - mittlerweile als Oberstleutnant Rainer Mahner und Regierungsinspektor Volker Heinster bekannten - BND-Agenten. So hätten die US-Amerikaner die Kooperation der Deutschen bei der Aufklärung zur Vorbedingung für die von Berlin gewünschte Stationierung eines Verbindungsoffiziers (VO) im US-Hauptquartier in Qatar gemacht. Der Stern zitiert einen Geheimvermerk des BND vom 28. November 2002: "Vorgang mit CENTCOM besprochen. Aussage dort: Wenn BND intensiv aus Bagdad berichtet, dann kann ein VO in Qatar integriert werden. Aber nur dann!" Tatsächlich wurde dann ein Oberstleutnant Porster (Deckname "Gardist") im Centcom stationiert - laut Stern am 25. Februar 2003, zehn Tage nachdem Heinster und Mahner in Bagdad ihre Arbeit aufgenommen hatten.


Auch die Union weiß, "was Staatsräson ist"

Ende November soll Steinmeier als Zeuge vor den Ausschuss geladen werden. Dass er 2009 als Kanzlerkandidat der SPD antreten wird, birgt ein gewisses Risiko. Bislang sieht es allerdings nicht so aus, als wäre die Union gewillt, den Außenminister zu beschädigen. SPD-Obmann Hartmann drückte es kürzlich so aus: "Beide Parteien wissen, was Staatsräson ist."

Interessant könnte auch die geplante Vernehmung des damaligen Außenministers Joschka Fischer werden. Wie Steinmeier hatte auch Fischer im Januar 2006, auf die BND-Aktivitäten angesprochen, behauptet, die Angelegenheit sage ihm nichts. Mit dem Grünen Ex-Minister sprang die neue Bundesregierung nicht ganz so zimperlich um. "Der Bundesminister des Auswärtigen wurde im laufenden Krieg mindestens zweimal persönlich durch Spezialisten des BND detailliert zur Lage unterrichtet", führte sie im Februarbericht an das PKGr aus. "Eine weitere persönliche Unterrichtung des Ministers fand durch die BND-Mitarbeiter, die während der Kriegshandlungen in Bagdad verblieben waren, am 16. Dezember 2003 in Amman/Jordanien statt."

Jörn Boewe

aus: ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 532/17.10.2008