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GBM e.V.: DDR-Brauchtumspflege mit amtlicher Unbedenklichkeitsbescheinigung

Ein Fall von politischer Repression oder doch eher eine Hauptstadtposse? Am 1. Juli 2008 verkündete der Vorstandsvorsitzende der "Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde e.V." (GBM) in den Räumen des Neuen Deutschland (ND) in Berlin, die GBM werde verfolgt, bekomme aber Solidarität. Anwesend waren nach übereinstimmenden Angaben des ND wie auch der jungen Welt (jW) ca. 200 Mitglieder des Vereins sowie etliche linke "Prominenz" wie z.B. Rechtsanwalt Friedrich Wolf und die Bundestagsabgeordnete der LINKEN, Ulla Jelpke. An anderem Ort war bereits der Berliner Verfassungsschutz (BVS) den angeblich Verfolgten zur Seite gesprungen.

Nach den Angaben auf ihrer Internetseite gbmev.de gründete sich der Verein am 31. Mai 1991 aus dem "Arbeitslosenverband Deutschland e.V." heraus in der ehemaligen Hauptstadt der DDR. Nach Angaben der Vereinszeitung akzente 4/08 soll er noch etwa 3.000 Mitglieder haben. Vorsitzender des Vereins von der Gründung bis heute war und ist Prof. Dr. Wolfgang Richter. Ortsgruppen gibt es u.a. in Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Die GBM gibt auch die Zeitschrift Icarus heraus.

Zunächst wandte sich der Verein gegen die Abwicklung von Arbeitsplätzen insbesondere im staatlichen Sektor sowie gegen Berufsverbote in den fünf damals ganz neuen Bundesländern. Schon bald jedoch setzte sein sozialpolitisches Engagement insbesondere an der Rentenfrage an. Für Staatsbedienstete der ehemaligen DDR sollten nach den Vorstellungen der bürgerlichen Parteien des Bundestages die Zusatzrenten aus vormaligen Sonderversorgungskassen entfallen; die Renten sollten, anders als in den alten Bundesländern, nämlich mit niedrigeren Rentenpunkten berechnet werden, etwa im Verhältnis von 40 (Ost) zu 100 (West); eine Anpassung sollte über die Jahre erfolgen. Sie ist mittlerweile erfolgt, wenn auch nicht vollständig, sondern etwa im Verhältnis von ca. 87 (Ost) zu 100 (West), so die GBM selbst. (vgl. "Themenschwerpunkt Renten")

Erfolge im Kampf gegen das "Rentenstrafrecht"

Im April 1999 entschied das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), dass auch MitarbeiterInnen des MfS (Ministerium für Staatssicherheit) und anderen ehemaligen Staatsbediensteten der DDR Renten aus Zusatzversorgungen zustünden. Weitere für das Anliegen der GBM positive Urteile folgten durch das BVerfG. Die GBM hatte zuvor (und danach) - in Übereinstimmung mit der PDS - vom "Rentenstrafrecht" gesprochen und Vergleiche zwischen der Berentung alter Nazis in der BRD und der Berentung der realsozialistischen StaatsdienerInnen gezogen. Sie hatte in den neuen Bundesländern ein Netz von Rentenberatungsstellen eingerichtet. In Folge des BVerfG-Urteils von 1999 usw. beziehen die ehemaligen MitarbeiterInnen staatlicher Einrichtungen, aber auch der Universitäten der DDR deutlich mehr Rente als der Teil der Bevölkerung der fünf neuen Bundesländer, der nicht in solchen staatlichen oder halbstaatlichen Institutionen gearbeitet hat - was tatsächliche oder vermeintliche Stasi-Opfer "wurmt". Von der Berentung mit Rentenaufschlägen gibt es Ausnahmen, auf die in diesem Rahmen aber nicht eingegangen werden kann.

Die GBM streitet nicht ab, dass sich in ihren Reihen auch ehemalige MitarbeiterInnen des MfS befinden. Entscheidend für eine linke Beurteilung der GBM sollte ohnehin sein, welche Antworten sie z.B. auf folgende Fragen gibt: Wie setzt die GBM sich ins Verhältnis zu der Ausübung von Staatsgewalt der DDR? Wie sieht es bei der GBM mit der Aufarbeitung der DDR-Geschichte aus? Welches Verhältnis hat man dort zur Frage der Berechtigung von Geheimdiensten allgemein und dem Ausspähen jedweder potenziellen politischen Opposition im Besonderen im Rückblick auf die DDR und BRD gewonnen? Wie diskutiert man dort die Frage, warum es die große Implosion im System des realen Sozialismus gegeben hat und was aus der Geschichte zu lernen ist? Diskutiert man auch mal (halb-)öffentlich persönliches Versagen? Oder war am Untergang nur der Imperialismus schuld?

Ende 2006 wurde noch eine Erklärung "Gegen Entstellungen von DDR-Geschichte" vom Vorstand der GBM abgegeben, in der nichts, aber auch gar nichts an eigenen Fehlern eingeräumt wird. Dem "Aufbau der DDR, die in der antifaschistisch-demokratischen Neuordnung wurzelt", wird da schlicht "die braune Vergangenheit der BRD" gegenübergestellt. Auffällig an solchen und ähnlichen Erklärungen der GBM ist das Zurückziehen auf bloße Formeln: Wir waren die Guten als Staat, die andere Seite aber war "braun", noch als Bundesrepublik. Das stimmt ja auch in gewisser Weise. Aber eben auch nur in gewisser Weise. Verkannt wird dabei, dass es alte und junge Nazis auch in der DDR vor 1989 gab, dass der Umgang mit den VertragsarbeiterInnen aus Vietnam, aber auch aus Mosambik, Kuba usw. alles andere als "ausländerfreundlich" war und dass es sehr wohl einen auch hausgemachten Boden für gewalttätigen Rassismus auf dem Gebiet der ehemaligen DDR nach dem Anschluss gab.

Ausgeblendet wird außerdem, dass selbst die Soldaten der Roten Armee kaum Kontakt mit der Bevölkerung finden sollten und konnten und in ihrem persönlichen Aktionsradius vielfach auf die Kasernen beschränkt waren. Allgemein ist festzuhalten, dass - und das ist das Elend des "realen Sozialismus" - die im Ergebnis falsche Totalitarismustheorie ja an recht ekligen realsozialistischen Herrschaftsformen ansetzen konnte. Alleine, wie die Renft-Combo fertigtgemacht wurde, wie mit Havemann, Biermann und Bahro verfahren wurde, wie kleinste Organisationsansätze verfolgt wurden, zeigt jedenfalls ein alles andere als linkes Demokratieverständnis.

Auch ist zur Kenntnis zu nehmen und aus linker Sicht zu verarbeiten, dass mindestens 75 Prozent der DDR-Bevölkerung 1989/90 keinen Sinn mehr in der staatlichen Eigenständigkeit der DDR sahen, ja nicht einmal bereit waren, für handfeste "Errungenschaften des realen Sozialismus" zu kämpfen. Welches GBM-Mitglied fragt überhaupt danach, ob und inwiefern die "Aktuelle Kamera" zu dem verheerten politischen Bewusstsein der DDR-Bevölkerung beigetragen hat?

Antworten auf diese Fragen sucht man bei der GBM als Organisation vergebens. Stattdessen findet man ein weitgehend inhaltsleeres Gewäsch über die "Delegitimation" der DDR (selbstredend durch die überall vorhandenen AntikommunistInnen vorgetragen - ständig wird auch hier nur "im Block" gedacht), so als ob sich die DDR nicht wesentlich selbst delegitimiert hätte. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der aufgeblähte Sicherheitsapparat der DDR im Kampf der Systeme aller Wahrscheinlichkeit nach objektiv mehr geschadet als genutzt hat. Wird in den Reihen der GBM überhaupt die Frage der Effizienz der "Firma" gestellt? Nach außen jedenfalls nicht.

In seiner Erklärung "Pluralismus und Totalitarismus" malt der Bundesvorstand der GBM ein dramatisches Bild der Lage: "Die Angriffe auf die Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde e.V., die Diskriminierung ihrer Mitglieder und ihres Vorstandes, das Einwerfen der Scheiben ihrer Geschäftsstellen, das Bekleben ihrer Außenwände mit neofaschistischen Flugblättern oder die Bedrohungen via Internet mehren sich seit Frühjahr 2008. Das ideelle und tatendurstige Engagement gegen die GBM hat eine neue rechtskonservative und kriminelle Intensität und Qualität erreicht. Man kann nicht ausschließen, dass sich das weiter mehrt. Auch andere uns nahestehenden Organisationen sind von ähnlichen Angriffen betroffen."

Selbstkritik ist bei der GBM ein Fremdwort

Die junge Welt vom 3. Juli 2008 wusste zu berichten, dass es zuvor eine antikommunistische Hetzkampagne, vorgetragen durch den Berliner Kurier, gegeben habe, die dazu geführt habe, dass der GBM die Räume des Bezirksamtes von Berlin Treptow-Köpenick zur Rentenberatung nach Abstimmung vom 26. Juni in der BVV (Bezirksverordnetenversammlung) entzogen wurden. Der GBM-Vorsitzende Wolfgang Richter betrachtete diesen Beschluss als "Eingriff in die Meinungs- und Vereinsfreiheit", der "im Kontext mit den zunehmenden Angriffen auch auf andere linke Organisationen im Lande" zu sehen sei. Um was für Angriffe es sich handele, sagte er nicht; auch das ND, das nach der Veranstaltung vom 1. Juli berichtete, nannte keine Beispiele.

Bleiben die Angriffe auf die GBM selbst. Der Angriff auf die Fensterscheiben der GBM war bereits am 25. April 2008 erfolgt, mithin mehr als zwei Monate vor der Veranstaltung vom 1. Juli 2008. Der Angriff galt laut akzente, Ausgabe 6/08, als aufgeklärt. Auch im GBM-online-forum wird unwidersprochen ein Bericht der Berliner Zeitung genannt, demzufolge ein dringend Tatverdächtigter ermittelt wurde. Ferner, so Wolfgang Richter, sei die Fassade der Geschäftsstelle mit neofaschistischen Flugblättern beklebt worden. Bekanntlich aber liegt die Geschäftsstelle, um die es geht, in Lichtenberg in der Weitlingstraße. Jeder Mensch, der sich nur halbwegs in Berlin auskennt, weiß, dass das Gebiet um die Weitlingstraße eine Hochburg der NPD und anderer Neonazis ist, so dass mit rechtem Material beklebte Fassaden ständig vorkommen dürften.

Verschwiegen wird zudem, dass die BVV Lichtenberg bei Stimmengleichheit die Beibehaltung der bezirkseigenen Räume für die GBM bereits beschlossen hatte. Die bürgerlichen Parteien waren mit ihrem Versuch, der GBM diese Räume zu verweigern, buchstäblich "abgeschifft". (vgl. Berliner Zeitung, 28.4.08). Zuvor hatte es im Berliner Kurier lediglich am 3.4.08 (!) einen kleinen Artikel über einen "angeblichen Stasi-Verein" bzw. "Stasi-Club" gegeben. Ein weiterer Artikel erschien im gleichen Blatt am 2.7.08, in dem ein völlig ahnungsloser Autor nach dem Beschluss der BVV Treptow-Köpenick halluziniert: "Das war's dann wohl für den alten Stasi-Club." Die von der GBM behauptete Kampagne ist tatsächlich keine gewesen.

Ebenso befremdlich wie die alarmistischen Berichte über zunehmende Angriffe und eine antikommunistische Kampagne gegen die GBM erscheint die unreflektierte Bezugnahme des Vorstands auf den "Pluralismus." In der schon erwähnten Erklärung "Pluralismus oder Totalitarismus" schreibt die GBM: "Man hört schon die verärgerte Retourkutschen: Wo war in der DDR der Pluralismus? Auch diese Frage müsste man mit komparatistischem Blick auf eine sozialwissenschaftliche Ebene heben. Schon Ende der 60iger (!) Jahre konstatierte der Nestor der bundesdeutschen Politikwissenschaft, Klaus von Beyme: ,In dem neuen Pluralismus der siebziger Jahre (!) sind auch Nichtmarxisten immer stärker dazu übergegangen, Sozialismus und Pluralismus nicht nur als vereinbar, sondern einander sogar voraussetzende Prinzipien anzusehen. Auch die marxistische Soziologie rückt zunehmend davon ab, die sozialistische Gesellschaft dogmatisch als konfliktlose Gesellschaft zu definieren.`" Das ist schlicht Geschichtsklitterung. Wann, wo und wie war die DDR pluralistisch? Sollen sog. "Tauwetterperioden" als Pluralismus ausgegeben werden? Was aber stand an deren Ende?

Kollegiale Grüße vom Berliner Verfassungsschutz

Vollständig unglaubwürdig wird die Informationspolitik des Vorstandsvorsitzenden der GBM, wenn man weiß, dass das Berliner Abgeordnetenhaus erst Tage zuvor mit den "rot-roten" Stimmen und gegen "gelb-schwarze" Stimmen bei Enthaltung der Grünen beschlossen hatte, es bei der Gemeinnützigkeit der GBM zu belassen, sie also nicht als "verfassungsfeindlich" einzustufen. (Berliner Zeitung, 24.6.08) Das Zustandekommen des Beschlusses, mit dem das Berliner Abgeordnetenhaus der GBM faktisch die Gemeinnützigkeit bestätigte, trägt skurrile Züge. Die Stadträtin der LINKEN in Lichtenberg, Katrin Framke, hatte nämlich die Idee, sich über Innensenator Körting (SPD), den Dienstherrn des Landesamtes für Verfassungsschutz Berlin, die Verfassungsmäßigkeit der GBM bestätigen zu lassen, und dies per Anfrage an Körting. Das Ganze fand vor dem Hintergrund statt, dass die LINKE "eigentlich" die Abschaffung des Verfassungsschutzes fordert. Und tatsächlich: Der Verfassungsschutz wurde aktiv. Dessen "Studie" erbrachte als Ergebnis: Die GBM ist ungefährlich für die freiheitlich demokratische Grundordnung (FDGO), GBM (und Isor, einer mit der GBM befreundeten Organisation) gehe es um die Rente für die jeweiligen Mitglieder. (Berliner Zeitung, 25.6.08)

Im Übrigen sei die GBM ein "DDRBrauchtums- und Traditionsverein, bei dem die Ideologievermittlung eine untergeordnete Rolle spiele". Das Demokratie- und Legitimationsverständnis der GBM entspreche aber immer noch "dem der SED von 1946 bis 1989". Die GBM betreibe "ideologisch und psychologisch motivierte Verklärungen der SED- Diktatur". (Berliner Zeitung, 3.7.08) Das Ergebnis des Verfassungsschutzberichtes wie auch der Abstimmung muss dem Vorsitzenden vor der Veranstaltung vom 1. Juli bekannt gewesen sein - kein Wort davon aber auf der Veranstaltung. Der Verein hat also quasi amtlich quittierte Narrenfreiheit - allerdings können die Bezirke ihm Räume verweigern bzw. entziehen. Die im Wesentlichen gut berenteten, mit einer gehörigen Portion Bosheit ausgestatteten alten Männer können also weitermachen.

J.H.

aus: ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis/Nr. 531/19.9.2008