Schacher um Simbabwe

Mugabes Regime verwaltet das rassistische Erbe des Kolonialismus

Kaum ein Staat schottet sich so ab wie Simbabwe. Die Pressefreiheit ist enorm eingeschränkt: Laut World Press Index von Reporter ohne Grenzen nimmt das südafrikanische Land Platz 140 von 168 ein. „Wer Terror und Korruption im Reich Robert Mugabes beschreiben will, riskiert sein Leben“, so schreibt DIE ZEIT. Und das Auswärtige Amt warnt auf seiner Homepage: „Die Situation in Simbabwe hat sich nach der Stichwahl um das Präsidentenamt und der Unterzeichnung einer politischen Absichtserklärung zwischen den rivalisierenden Parteien noch nicht wesentlich entschärft, weshalb weiterhin von allen nicht dringend erforderlichen Reisen in das Land abgeraten wird.“ (07.08.08)

Die im Zuge der Stichwahl vom 27. Juni 2008 in weiten Teilen des Landes eskalierende Gewalt brachte Simbabwe für einige Tage auf die Titelseiten der westlichen Medien.

Dr. habil. Henning Melber ist Direktor der Dag Hammarskjöld Stiftung in Uppsala, wo er bis Ende 2006 als Forschungsdirektor am „Nordic Africa Institute“ (NAI) war. Von 1992 bis 2000 leitete er die „Namibian Economic Policy Research Unit“ (NEPRU) in Windhoek. Seit 1974 ist er Mitglied der „SWAPO of Namibia“. Für die LeserInnen der Graswurzelrevolution beleuchtet er die Entwicklungen in Simbabwe (GWR-Red.).

 

„Pamberi ne Chimurenga“ war Ende der 1970er Jahre auch in der (west-)deutschen Soli-Szene ein populärer Slogan. Die Shona-Version des universellen revolutionären Mottos, dass der Kampf weiter gehe und der Sieg im Volkskrieg sicher sei (im konkreten Fall wörtlich mit „Vorwärts im Kampf“ zu übersetzen), gehörte zum Mobilisierungsalltag der Zimbabwe African National Union (ZANU). Als deren Präsident Robert Gabriel Mugabe in den späten 1970er Jahren die Bundesrepublik und Westberlin besuchte, sammelte der maoistische KBW Millionen Märker, um alte Unimogs zu Militärfahrzeugen für den zweiten Chimurenga umzurüsten (der erste wurde schon Anfang des 20. Jahrhunderts erfolglos gegen die Banden des Cecil John Rhodes – den Namensgeber des besetzten Kolonialterritoriums – und des britischen Empires geführt).

Das in einer eindrucksvollen Kampagne mobilisierte Spen­dengeld wurde seinerzeit vom BRD-Staat beschlagnahmt, weil es der Gewaltunterstützung diente – sozusagen eine Frühform der staatlichen Anti-Terror-Maßnahmen. Als ZANU-Präsident Mugabe bei einer Veranstaltung in der Westber­liner Hasenheide die geballte Faust reckte, taten es ihm Tausende in der dicht gefüllten Hal­le nach und skandierten „Pam­beri ne Chimurenga“. Der Kampf der simbabwischen Befreiungsbewegung wurde als einer der antiimperialistischen Linken in der BRD verstanden (wenn es auch jene im pro-sowjetischen Lager gab, deren Sympathien der konkurrierenden ZAPU unter Joshua Nkomo gehörten).

Auch ohne die umgerüsteten Unimogs schaffte es die ZANU kurz danach, in einem ausgehandelten Dekolonisierungs­prozess auf Grundlage des mit Großbritannien vereinbarten Lancaster-House-Abkommens 1980 einen Wahlsieg zu landen. Das „povo“ (Volk) nutzte die Gunst der Stunde, düpierte den Westen und zog die „Terroristen“ den im Wahlkampf protegierten Kollaborateuren vor.

ZANU übernahm die politische Macht im ehemaligen (Süd-)Rhodesien. Das hieß fortan Simbabwe, und dessen nach ei­nem britischen Lord benannte Hauptstadt Salisbury wurde zu Harare. Auch sonst änderte sich so manches, aber nicht alles. Eigentlich zu wenig.

Dem zweiten Chimurenga folgte zwanzig Jahre später ein dritter. Denn das „povo“ reagierte darauf, dass die von ihnen favorisierten Freiheitskämpfer als neue Machthaber eigentlich zu­vorderst nur an ihrer eigenen Freiheit, aber nicht der des Volkes interessiert waren. Dass es genug davon hatte, sich einmal mehr an der Nase herumführen zu lassen, machte es mit der Ablehnung des Referendums Anfang 2000 deutlich. Dieses sollte Mugabe noch größere Machtbefugnisse überschreiben und die beschleunigte Landreform institutionalisieren. Mit der politischen Niederlage der Regierung gelang der Ende  der 1990er Jahre formierten politischen Oppositionspartei MDC (Move­ment for Democra­tic Change) der Durchbruch.

Fortan entdeckten Mugabe und seine Herrschaftsclique den revolutionären, anti-imperialistischen Diskurs – um im Zuge der „fast track“ Landreform die besten Farmen der „Rhodies“ sich selber und ihren Chargen im Militär-, Sicherheits- und Po­lizeiapparat zuzuschustern.

Dass dabei neben den überwiegend (aber keinesfalls ausschließlich) weißen kommerziellen Farmern auch Hunderttau­sende FarmarbeiterInnen mit ihren Familien auf der Strecke blieben, scherte die „Antiimpe­rialisten“ wenig.

Der Aufschrei der Empörung, der aufgrund der Gewaltakte gegen die (in diesem Falle als ausschließlich weiß wahrgenommenen) FarmerInnen bei den Besetzungen und Enteignungen durch die westlichen Medien ging, war für Mugabe und Konsorten eine willkommene ideologische Schützenhilfe. Die Proteste entlarvten die Scheinheiligkeit des vorgeblich moralischen Bewusstseins eines Teils der globalen Hegemonie, der sich um Verletzung von Menschenrechten eigentlich nur dann kümmert, wenn es ge­gen die eigenen Interessen geht. Was konnte einem afrikanischen Despoten denn auch besser in den Kram passen, als sich von Tony Blair und George W. Bush über Demokratie und Menschenrechte belehren zu lassen, während die gerade einen der hässlichsten Kriege der Neuzeit mit Lügen angezettelt hatten und sich einen Dreck um die Völker- und Menschen­rechtsnormen scherten?

So waren Kritiker dieses Kalibers die besten Komplizen: Mu­gabe konnte sich in der Perspektive des globalen Südens trotz seiner allzu zweifelhaften Motive zur Galionsfigur des an­tiimperialistischen Genres stilisieren. Auch hier wirkte, wie der nigerianische Literaturnobel­preisträger Wole Soyinka in einem seiner Essays zum „Klima der Angst“ formulierte, „die Be­ruhigungstablette afrikanischer und/oder Dritte-Welt-Solidarität, jener Katechismus historischer Opfer des europäischen Imperialismus, der sie dazu drängte, angesichts möglicher Anschuldigungen durch die historischen Unterdrücker der Welt die Ränge zu schließen“.

Dabei enthüllte sich der Gewaltcharakter des ZANU-Regimes unter Mugabe bereits Anfang der 1980er Jahre in ungeschminkt brutaler Form, als die der ZAPU-Opposition zugerechnete Bevölkerung im Mata­beleland durch die von nordkoreanischen Militärs ausgebildete Fünfte Brigade in einem an Genozid grenzenden Akt der blindwütigen Gewalt dezimiert wurde.

Über 20.000 Menschen wurden abgeschlachtet, viele mehr gefoltert, vergewaltigt, gedemütigt und entwürdigt. Mit Ausnahme der Katholischen Kirche im Lande erhob kaum jemand die Stimme zum Einspruch.

Die Welt schwieg, und mit ihr die vorgeblich solidarisch Bewegten, weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte. ZAPU wurde in den Pakt mit einem Regime gezwungen, das fortan als ZANU/PF die einzig nennenswerte Opposition integriert und damit eliminiert hatte.           

Die seither uneingeschränkt fortdauernde Gewaltbereit­schaft brach sich erneut Bahn, immer wenn sich politischer Protest regte. Doch mit der MDC und dem verlorenen Referendum kippten die Machtverhältnisse. Schon 2002 vermochte sich Mugabe nur noch durch Manipulation und offene Repression als Präsident im Amt halten. Seither eskalierte die Gewaltspirale ständig und wurde die Mehrheit der Bevölkerung durch eine ruinöse Wirtschaftspolitik der Existenzgrundlage beraubt.

Das povo wurde nun zum Abschaum degradiert. Operation „Murambatsvina“ säuberte die Innenstadt von Harare von den Ärmsten und beraubte sie der letzten, noch so erbärmlichen und notdürftigen Unterkunft und Einnahmequelle im Straßenhandel. Murambatsvina lässt sich mit „den Dreck auskehren“ übersetzen... Dass sich mittlerweile etwa ein Drittel der Bevölkerung des Landes aus politischen und wirtschaftlichen Gründen im Ausland durchzuschlagen und die daheim gebliebenen Angehörigen zu unterstützen versucht, ist ein trauriger Beleg für die ernüchternde Einsicht, dass es der Mehrheit der ehemals kolonisierten Bevölkerung unter einer afrikanischen Regierung nicht besser geht als unter der kolonialen Fremdherrschaft.             

Das Wahlergebnis im März 2008 kam dennoch für Mugabe und dessen Clique so überraschend wie seinerzeit für das rho­desische Siedlerregi­me die Wahl der ZA­PU und zeugt letzt­lich vom Realitätsverlust jener, deren Macht auf Gewalt basiert.

Wie schon gegen Ian Smith 1980 nutzte das povo durch den Gang zur Urne gegen Mu­gabe die Möglichkeit, mit dem Stimmzettel den Waffen die Stirn zu bieten. Nur, dass das einheimische Regime sich dem nicht beugte.

Der ersten Bestürzung und Hand­lungsunfähig­keit folgte der stille Putsch durch das Militär und die Polizei.

Fortan blieb Mugabe die senile Marionette einer Junta, die sich dem politischen Machtwechsel widersetzte und zeigte, dass sie zu Massengewalt und -ver­nichtung auch im Lichte der Weltöffentlichkeit bereit ist.

Der als „stille Diplomatie“ kaschierte Langmut eines Thabo Mbeki und die Duldung der Verhöhnung eines Volkswillens durch die Staatengemeinschaft des Südlichen Afrika (SADC) kam dabei fast schon einer Mittäterschaft gleich.

Angesichts der offenen Bereitschaft des Regimes, die Stichwahl Ende Juni 2008 um jeden Preis zugunsten Mugabes enden zu lassen, und angesichts der steigenden Zahl der Opfer des Regimeterrors, überließ der MDC-Präsidentschaftskandi­dat Morgan Tsvangirai das Feld dem Autokraten. Es war ohne­hin bereits klar, dass die Regierung ohne bzw. gegen die Mehrheit des Volks herrschte.

Mittlerweile hat sich die Suche nach einer Lösung darauf verlegt, zwischen dem ZANU/PF-Regime und der Opposition einen Kompromiss auszuhandeln, der den Machttransfer ermöglichen soll. 

Dass sich bei den Ende Juli aufgenommenen Verhandlungen in Südafrika zwischen ZANU/PF und den beiden MDC-Fraktionen die Delegierten über den mangelnden Luxus und die fehlende Minibar auf den Zimmern in der ursprünglich reservierten Drei-Sterne-Lodge beschwerten und daraufhin in ein Fünf-Sterne-Etablissement umgebucht wurden, verheißt nichts Gutes. Einmal mehr scheint es weniger um das Gemeinwohl, sondern eher um die eigene Pri­vilegiensicherung zu gehen.

Das weckt den Verdacht, dass sich, dem kenianischen Modell folgend, für Despoten und Regimes des harten Kalibers eine neue Variante des Machterhalts gegen den Willen der Bevölke­rungsmehrheit eröffnet. Durch mit externer Hilfe vermittelte Ar­rangements zur Machtteilung in so genannten Regierungen nationaler Einheit wird der Zugang zu den staatlich kontrollierten Honigtöpfen neu verteilt. Die Taktik ist alt, geht min­destens bis in die Kolonialzei­ten zurück und nennt sich Kooptation. Auch für viele Kriti­kerInnen der überkommenen Verhältnisse scheint dies als „Notlösung“ ein akzeptabler Ausweg zu sein, gemäß dem pragmatischen Motto „besser als nichts“. Den Kürzeren zieht einmal mehr das povo.

Genau besehen lehrt uns Simbabwe, was Ashis Nandy in der unlängst im Verlag Graswurzelrevolution auf Deutsch erschienenen Studie „Der Intimfeind“ am Beispiel Indiens als Verlust und Wiederaneignung der Persönlichkeit im Kolonialismus Anfang der 1980er Jahre analysierte und auf den Punkt brachte.

Das koloniale Projekt vollendete sich in der vermeintlichen Alternative, die doch nur nach dem Vorbild des kolonialen Herrenmenschen und dessen Machtverständnis modelliert wurde: Wie andere „Befreiungsbewegungen an der Macht“ ge­hört auch die ZANU/PF zu jenen anti-kolonialen Organisationen, „die von den Koloni­satorInnen erzogen und dann domestiziert worden waren“. – Darum auch bleibt Mugabe trotz anti-imperialistischem Pathos und pseudo-revolutionärer Rhetorik die lokale Fratze von Blair, Brown, Bush und Co., die er herauszufordern behauptet (und glaubt). Die ihm als vermeintliche Alternative zum weltweit herrschenden System zujubeln, merken nicht, dass er nur das Erbe von Cecil Rhodes und Ian Smith verwaltet.

So warnen nicht nur die Essays von Ashis Nandy davor, wie in deren Einleitung vermerkt, „dass ein konventioneller Anti-Kolonialismus zugleich der Ko­lonisierung des Bewusstseins dienen kann“. Auch die Grenzen der Befreiung im Südlichen Afrika und anderswo zwingen uns angesichts der gesell­schaftspolitischen Realitäten zu der Einsicht und Konsequenz, dass unsere Solidarität aufs Neue gefordert ist. Wenn diese sich nicht neu bestimmt, haben wir, die wir noch in den späten 1970ern (und danach) mit den Mugabes dieser Welt gemeinsam die Fäuste reckten und die jeweiligen revolutionären Sprüche skandierten, rein gar nichts kapiert und nichts dazu gelernt. 

 

Henning Melber

 

Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 331, 37. Jahrgang, September 2008, www.graswurzel.net