Solidarität statt Volksgemeinschaft

Völkischer Antikapitalismus: Über den Versuch der Nazi-Szene soziale Themen zu besetzen

in (15.08.2008)

Am 1. Mai, dem „Tag der Arbeit", marschierten in Nürnberg und Hamburg tausende Nazis unter dem Slogan „Sozial geht nur National". Bei Protesten im Vorfeld des G8-Gipfels 2007 tauchten auf linken Demonstrationen plötzlich Nazis auf und trugen Transparente mit der Aufschrift: „Es gibt keine gerechte Globalisierung". Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 kündigte der Parteivorsitzende der neonazistischen NPD, Udo Voigt in einer Presseerklärung an, seine Partei werde ,,sich an die Spitze einer neuen deutschen Friedensbewegung und aller Globalisierungsgegner setzen". Populistische antiglobalisierungs- und antikapitalistische Rhetorik liegen innerhalb der Rechtsextremen im Trend. Die Nazis versuchen so mit Hilfe der Besetzung sozialer Themen ihre menschenverachtende Propaganda unter die Leute zu bringen.

Die neonazistische Partei NPD hat in den letzten Jahren einen erstaunlichen strategischen Wandel vollzogen. Betonte die Partei in den 1960er Jahren noch stets sie sei „nationalkonservativ und antikommunistisch", bezeichnet sie sich heute als „revolutionär" und „antikapitalistisch". Der Wandel geht vor allem auf den Einfluss der so genannten „Neuen Rechten" zurück. Die Neuen Rechten sind hauptsächlich junge Menschen, die sich von der Vergangenheitsfixierung der Alten Rechten abgrenzen und mit „anti-imperialistischen" Argumenten einen „modernisierten Nationalismus" propagieren.

Eine ernst zu nehmende Kritik am kapitalistischen System an sich haben die Neuen Rechten aber nicht zu bieten. Stattdessen unterscheiden sie, genau wie zur Zeit des Nationalsozialismus unter Hitler, plump zwischen „schaffendem" und „raffendem" Kapital. Als „raffend" machen sie ein internationales und „heimatloses" Finanzkapital aus und personifizieren dies in alter antisemitischer Tradition offen mit den Juden_Jüdinnen. Dem stellen die Nazis ein „schaffendes", deutsches, bodenständiges Industriekapital gegenüber. Eine solche Trennung ist angesichts der Totalität kapitalistischer Verhältnisse völlig absurd. Sie zeigt, dass viele Rechtsextreme heute schlicht versuchen die Programmatik der NSDAP im Nationalsozialismus rhetorisch zu modernisieren. Mit Hilfe von Chiffren wie der „Wallstreet" oder der „US-Amerikanischen Ostküste" greifen die Nazis tief in die Mottenkiste der Verschwörungstheorien um den Eindruck zu erwecken, eine kleine Personengruppe sei Schuld am wirtschaftlichen Unrecht unserer Zeit: US-AmerikanerInnen und Juden_Jüdinnen, die an der New Yorker Finanzindustrie, der „Wallstreet" beheimatet wären.

Die Nazis lehnen „die Globalisierung" insgesamt ab. Sie leugnen jede mögliche positive Auswirkungen eines Welthandels. Dabei übersehen sie, dass sich der Prozess der Globalisierung schon seit Jahrhunderten abspielt und sich nur jüngst extrem beschleunigt hat. Statt eines weltweiten Handels wollen die Nazis die Volkswirtschaft künstlich auf die national-staatliche Ebene begrenzen und Deutschland nach außen abschotten. Eine solche „raumorientierte Volkswirtschaft" wäre gleichbedeutend mit dem völligen Zusammenbruch der deutschen Wirtschaft. In dem von den Nazis geforderten „Nationalen Sozialismus" würde wieder das Führerprinzip herrschen. Statt freien Gewerkschaften, betrieblicher Mitbestimmung und einer radikalen Umverteilung zielt ihre Propaganda auf ein Wirtschaftsmodell, in dem nur Platz für Menschen ist, die in ihr rassistisches, sexistisches Weltbild passen.

Im Gegensatz zu den rechtsextremen GlobalisierungsgegnerInnen bilden Menschenrechte und Solidarität die Grundlage linker GlobalisierungskritikerInnen. Diese haben verstanden, dass die Grenze nicht zwischen „Völkern", sondern zwischen „oben" und „unten" verläuft. Angesichts der Vereinahmungsversuche der Nazis sollte klar sein, dass eine emanzipatorische Globalisierungskritik immer auch antifaschistisch sein muss.

 

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