Ich habe gelernt...

in (16.06.2008)

Er hat mich gesehen, leicht genickt. Ich existiere. Dankbarkeit und Freude durchströmen mich. Moskau, Dubai, Peking. Der Kunstmarkt boomt

und ich bin dabei. Der Blick des Galeristen hat mich in meine Zukunft sehen lassen. Einstweilen lebe und arbeite ich in prekären Verhältnissen, aber bald... Das Notwendige zum Leben verdiene ich nicht durch künstlerische Arbeit, sondern arbeite irgendwo, um mir die Arbeit an der Kunst leisten zu können. Dabei bin ich durchaus in den Markt integriert. Meine Werke sieht man in Ausstellungen, auf Messen, in Galerien, mich selber überall, wo das Wort Kunst fällt. Im Lumpenpack des Kunstmarktes lebe ich von der schönen Aussicht, von der Vorstellung, es einmal zu schaffen. Ich verwende große Teile meiner Kreativität, um Strategien des Überlebens zu entwickeln. Die Idee, doch irgendwann entdeckt zu werden, das ist eine davon. Und sie ist mein Symptom: ich leide, nein eigentlich leide ich nicht, ich überlebe dank des Stockholm Syndroms. Wie anderen Menschen in Zwangs- und Abhängigkeitsverhältnissen ermöglicht mir diese Wahrnehmungsverzerrung, mich mit den Interessen des Täters zu identifizieren, eine positive Gefühlsbeziehung, ja Sympathie zu entwickeln. Ich bin auf einen Markt angewiesen, der völlig auf mich verzichten kann. Das ist nicht weiter schlimm, denn ich empfinde schon kleinste Zugeständnisse als große Erleichterung.
Ich investiere viel Geld und Zeit in Portfolios, und es ist immer schön, wenn Galeristen oder Kuratoren sie in Empfang nehmen. Bei der Kunstmesse in Basel ist es mir gelungen, mehrere Kataloge meiner Arbeiten einzuschleusen und zu verschenken. Nicht einfach, denn zum Schutz der Galeristen wurden am Eingang Handtaschen auf Waffen und Künstlermäppchen durchsucht. Beides war an der Garderobe abzugeben, wollte man die Markthalle betreten. Solche entwürdigenden Situationen lassen mich völlig unberührt, weiß ich doch, dass ich belohnt werde.
Ich gehöre zu denen, die zu wenig verdienen. Zu wenig, um auch nur versichert zu sein, deshalb sollte ich die Zuschüsse zum Künstlersozialversicherungsfond, die ich erhalten habe, nun zurückzahlen. Ich war verzweifelt, und in dieser Verzweiflung habe ich Briefe geschrieben, um Aufschub gebettelt. Was für eine Freude zu hören, dass unsere Ministerin Schmied nach der letzten Gesetzesnovelle auf die Eintreibung der Zuschüsse verzichten kann! Die festgeschriebene Möglichkeit der Willkür macht mir keine Sorgen, denn das Gute siegt doch zuletzt.
Ich mache alles. Es ist mir wichtig präsent zu sein, egal zu welchen Bedingungen, denn wenn meine Arbeiten nicht zu sehen sind, wer soll mich dann entdecken? Dabei gibt es immer wieder wirklich gute Gelegenheiten. Ausstellungen, in denen Transportkosten bezahlt werden, ja sogar die Reisekosten der Künstlerinnen und Künstler übernommen werden. Auch Förderungen, Ankäufe und Anderes gibt es. Das ist eine große Hilfe und ich bin dafür immer dankbar. Wer außer Künstlerinnen und Künstlern kann sich über so reichliche Almosen freuen?

...nicht dankbar sein, nicht alles tun!

Die Einsicht krank zu sein war ein erster, wichtiger Schritt. Es ist nicht einfach anerkennen zu müssen, dass man im Casino des Kunstmarktes nicht in Abendkleidung am Spieltisch steht und Champagner trinkt, sondern die Rolle der Jetons hat, die, sind sie ein wenig abgegriffen, im Mülleimer landen. Die so genannten Erfolge waren das Produkt masochistischer Unterwerfung. Was aber tun? Positiv denken? Das ich nicht lache. Ganz im Gegenteil! Hier einige Hinweise - jederzeit erweiterbar.
Zunächst rechnen lernen. Künstlerinnen und Künstler leben seit jeher mit der Zuschreibung, nicht rechnen zu können, es auch nicht zu müssen. In Wirklichkeit nicht zu dürfen. So darfst du nicht rechnen! Wir verkaufen Arbeiten unter dem Materialwert, von Zeit gar nicht zu sprechen. Die darf man nicht rechnen... Warum eigentlich nicht? Wer hat dieses Gebot aufgestellt? Warum darf ich nicht verlangen, meine Arbeitszeit, Aufwand an Raum, Material und vielem mehr zu honorieren? Ich darf, wir dürfen, wir müssen! Das schärft den Blick, vermindert in jedem Fall den Hang zu Dankbarkeit und Freude. Selbst die attraktivste Ausstellungsbeteiligung bleibt hinter dem zurück, was ein normaler Handwerker bekommt. Werden Fahrtspesen verrechnet, Kostenvoranschläge und Projektideen bezahlt? Warum soll das unmöglich sein? Wenn Werke von Künstlern und Künstlerinnen präsentiert werden, warum sollen sie keine Vergütung dafür bekommen? Unsere Leistungen dürfen nicht länger als prinzipiell kostenlos angesehen werden. Kunst, egal wie wenig wir damit verdienen, ist kein Hobby. Deshalb brauchen wir normale Versicherungen, nicht nur die Künstlersozialversicherung, sondern Ausfalls- und Betriebsversicherungen, wie andere Selbständige. Wir wagen es nicht einmal zu denken! Selbst Künstlerinnen und Künstler halten es für undenkbar, ausreichende und angemessene Honorare für erbrachte Leistungen zu bekommen. Deshalb: Forderung statt Förderung!
Dann: Verträge zu machen. Es ist nicht einzusehen, warum Künstlerinnen und Künstler mit Galerien und Ausstellungsräumen keine Verträge machen. Wir brauchen präzise, nicht beliebig interpretierbare und willkürlich veränderbare Abmachungen. Wie krank war ich um zu glauben, das sei nicht notwendig? Unsere progressive Vereinzelung und radikale Selbstbezogenheit führen dazu, Tatsachen nicht mehr realistisch einzuschätzen. Das ist hilfreich für die Profiteure des Kunstmarktes, nicht für uns. Deshalb: Vereinen wir uns! Nicht nur in Institutionen wie die IG Bildende Kunst. Wir können weit mehr teilen und austauschen: Erfahrungen, Können, Betriebsmittel.
Als Resümee: Klare Forderungen stellen und dabei bleiben. Keine Dankbarkeit am falschen Platz. Unsere Leistungen haben gesellschaftliche und wirtschaftliche Relevanz, die wir nicht nur selber erkennen, sondern deren Anerkennung wir auch bei anderen einfordern müssen. Werden diese Forderungen nicht erfüllt, dann eben so klare Konsequenzen ziehen. Das heißt: Nicht alles tun!

Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, "nicht alles tun", Wien, Sommer 2008.