Kleines "gallisches Dorf" gegen GVO

Eine Bürgerinitiative in Hessen

GID 187, April 2008, S. 16 - 18 Gentechnikkonzerne erwecken gerne den Eindruck, als könnten sie tun und lassen, was sie wollen. Dass dem nicht so ist, hat eine kleine Gemeinde in Hessen eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Presseauszüge vom 9. April 2008 aus der Hessischen Niedersächsischen Allgemeinen (HNA): "Niedermöllricher Erklärung - Ein kleines Dorf auf dem Kriegspfad", "Kriegerisch. Das ist die einzige zutreffende Bezeichnung für die mutigen Niedermöllricher. Sie scheuen weder den übergroßen Schatten von Monsanto noch die ungeheure Geldmacht, die dahinter steht. Kaum haben sie die erste Schlacht geschlagen (...) Da ziehen sie in bunter Kriegsbemalung schon in die nächste Runde, vorneweg Dietmar Groß, der Biobauer und Oberstratege (...) Ihre Waffen sind durchweg friedliche Mittel. Mit ihrer Erklärung werden die Möllricher bundesweit Aufsehen erregen", "Arthur Schäfer, Sprecher der Bürgerinitiative Niedermöllrich: ‚Wir hatten damals die schlimmsten Befürchtungen (...) Deshalb haben wir die Initiative gegründet.Â’"

Die Bürgerinitiative

Was ist das für eine Bürgerinitiative? Was ist das für eine Erklärung? Und: Wo, um alles in der Welt, liegt Niedermöllrich? Es begann am 16. Januar 2007. Durch einen Zeitungsartikel in der örtlichen Tageszeitung wurde der friedlichen, ländlichen Stille an der schönen Eder jäh ein Ende gesetzt. Einem Artikel in der HNA zufolge plante der Chemie- und Gentech-Konzern Monsanto im nordhessischen Dorf Wabern-Niedermöllrich, zirka 30 Kilometer südlich von Kassel, einen Freilandversuch mit drei neuen gentechnisch veränderten (gv) Maissorten. Im April sollte es losgehen. Nach einem kurzen Schockzustand, nur wenige Stunden nach Bekanntwerden der Neuigkeit, formierte sich in der hiesigen Bevölkerung ein massiver Widerstand gegen die geplanten Versuche - als Teil eines damals noch unabsehbaren, heute aber sichtbaren, positiven bundesweiten Dominoeffekts (siehe Kasten). Die ersten Aktionen waren (noch) unkoordiniert und jeder/jede machte es auf seine und ihre Weise: Umweltschutzorganisationen, Biobauern, Politiker und, wie am 17. Januar 2007, Marion Wolf, die es mit einer spontanen "Ein-Frau-Demonstration" in Niedermöllrich versuchte, und damit - wie der ins Wasser geworfene Stein - Kreise zieht. Vieles wird von Zuschauenden zunächst belächelt, doch schon bald finden sich plötzlich mehrere, die einer Meinung sind, sich koordinieren und sich ein gemeinsames Ziel setzen: "Kein gentechnisch veränderter Mais in Niedermöllrich und anderswo." Am 20. Januar 2007, also nur vier Tage nach der ruhe-störenden Zeitungsmeldung, heißt es "Die Protestfront steht." Über 500 GenmaisgegnerInnen aus dem Dorf und seiner Umgebung nehmen an der ersten großen Demo in Wabern teil. Allen stinkt es, dass über die Köpfe der Bevölkerung hinweg das Dorf zum Versuchsspielplatz für Monsanto erklärt werden soll - mit Genehmigung des Regierungspräsidenten in Gießen.

2006: Keine Mehrheit für gentechnikfreie Region

Der Gemeinde war es im Jahr zuvor nicht gelungen, sich mittels Abstimmung im Gemeinderat, zu einer gentechnikfreien Zone zu erklären. Eine ausreichende Mehrheit war nicht zustande gekommen. So stehen Monsanto jetzt - vermeintlich - alle Tore offen, wie leider in vielen Gemeinden in Deutschland. Und als der Konzern dann wie aus dem Nichts heraus auftaucht, dämmert den BürgerInnen langsam, dass da etwas für das ökologische und ökonomische System, in dem sie leben Folgen haben könnte. Das mittlerweile gegründete Aktionsbündnis mit Sprecher Dietmar Groß findet in der Öffentlichkeit breite Unterstützung. Der Landrat Frank-Martin Neupärtl (SPD), der bündnisgrüne Landtagsabgeordnete Martin Häusling, der Bildungsreferent der evangelischen Kirche Helmut Koch, der BUND und andere stärken die Front. Die BürgerInneninitiative (BI) nimmt mit seinen Mitgliedern als Teil des Aktionsbündnisses die Arbeit auf. Nicht immer gestaltet sich diese harmonisch und es geht viel Zeit dabei verloren, die unterschiedlichen - teilweise sehr starken Persönlichkeiten - zusammen zu bekommen. Welche Idee ist die richtige? Welche wird umgesetzt? Vieles wird dem nächsten Moment überlassen, anderes wird geplant. Manchmal sieht es so aus, als ob die Gruppe auseinanderfallen will und dann ist das gemeinsame Ziel doch wieder da: "Kein Gen-Mais im Schwalm-Eder Kreis!" Am 3. Februar 2007 findet die erste organisierte große Demo in Niedermöllrich statt: mit Zug zum geplanten Feld, Ballonaktionen, Rednern und zirka 300 Demons-tranten.

1:0 für die Gentechnikgegner

Dann der erste Erfolg: Monsanto zieht sein Vorhaben für das Jahr 2007 zurück! Der Konzern plant aber für den Zeitraum von 2008 bis 2011 eine größere Versuchsfreisetzung am selben Standort. Es steht 1:0 für die Gentechnikgegner - mehr nicht! Keiner ruht sich auf diesen Lorbeeren aus, weitere Aktionen folgen: 10. März: Podiumsdiskussion in Wabern. Monsanto-Vertreter Dr. Andreas Thierfelder kann die 400 BürgerInnen mit seiner Präsentation nicht davon überzeugen, dass das Vorhaben unbedenklich ist. 27. März: Fahrt von BI-Mitgliedern zum Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) in Berlin. Übergabe der Unterschriften, die sich gegen das Vorhaben aussprechen an die Bundestagsabgeordnete Ulrike Höfken (Bündnis 90/Die Grünen). Mitte April: Eine erste Selbstverpflichtungserklärung für den Verzicht auf gentechnisch verändertes Saatgut wird von vielen hiesigen Bauern unterzeichnet. 18. April: 6.500 Unterschriften aus dem Schwalm-Eder Kreis und der Umgebung werden als Einwände gegen Monsatos Freisetzungs-Vorhaben dem Magistrat der Gemeinde Wabern überreicht. Das schwere Paket wird durch Bürgermeister Günther Jung (SPD) an das BVL weitergeleitet. Hiermit reicht auch die Gemeinde erstmalig Einwände gegen das Vorhaben beim BVL ein. 28. April: Unter dem Motto "David sät gegen Goliath" beteiligt sich die BI an der bundesweiten Bantam-Aktion und sät auf einem dem geplanten Versuchsfeld benachbarten Acker Zuckermais. Das Feld mit dem Bantam-Mais gehört einem direkt betroffenen konventionell arbeitenden Landwirt, der, da er Direktvermarkter ist, seine Existenz bedroht sieht. Es folgt der erste Rückschlag: Am 13. Juni 2007 erteilt das BVL Monsanto die Genehmigung für die Feldversuche. Die Menschen vor Ort fühlen sich betrogen und in ihrem Demokratie-Verständnis getäuscht. Sind sie nun das Volk oder sind es nur noch Lobbyisten, die Politiker, die Gesetzgebung und das Rechtsverständnis beeinflussen? Im Dorf selber hatten sich 95 Prozent der Bevölkerung mit ihrer Unterschrift gegen das Vorhaben ausgesprochen.

Gäste machen Mut

Für das Aktionsbündnis hieß das: "So nicht! Jetzt erst recht!" Der Protest soll in Berlin, in Wiesbaden und ebenso in der Zentrale von Monsanto, in Düsseldorf, Ernst genommen werden. Viele "kleine Leute" sind Deutschland und nicht Lobbyisten, die Rechtsprechung kaufen wollen. Die ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin und heutige Bundestagsabgeordnete Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) macht mit ihrem Besuch am 27. Juni 2007 in Niedermöllrich Mut. Sie rät den Menschen, am Ball zu bleiben. Das wird beherzigt und Anfang Juli 2007 bekommen alle 613 Bundestagsabgeordneten Briefe mit der klaren Bitte, die Novellierung des Gentechnikgesetzes zum Schutz der BürgerInnen zu gestalten. Mitte Juli 2007 erhebt Heiko Martin als Mitglied der BI, und von einer eventuellen Freisetzung direkt betroffener Landwirt, Klage gegen die Entscheidung des BVL. Es folgen weitere Veranstaltungen, unter anderem mit dem Träger des alternativen Nobelpreises Hermann Scheer (SPD) und dem Gründer der Initiative "Zivilcourage Vogelsberg", dem Landwirt Dr. Peter Hamel. Bauern gründen im Dezember mit der Unterzeichnung einer Selbstverpflichtungserklärung die gentechnikfreie Region Niedermöllrich. Auch im neuen Jahr versuchen Aktionsbündnis und BürgerInneninitiative am Ball zu bleiben. In einer Veranstaltung am 23. Januar, für die wir den Vizepräsidenten des Agrarausschusses im Europaparlament und Mitglied in der Fraktion Europäische Freie Allianz/Grüne, Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf, gewinnen konnten, macht uns dieser mit der aktuellen Lage bei der Novellierung des Gentechnikrechts und dem unterschiedlichen Umgang mit der Gentechnik in den europäischen Länddern bekannt. Verschiedene Versuche, Monsanto dazu zur Preisgabe seiner Planungen für das laufende Jahr zu bewegen, scheitern. Doch die BI will es wissen: 37 ihrer Mitglieder reisen am 31. März nach Düsseldorf und demonstrieren dort friedlich vor den Firmentoren der Monsanto-Zentrale. Ein Fernsehjournalist, der die Gruppe begleitete, wird des Hauses verwiesen. Die Mitglieder der BI lässt man trotz des Versprechens, in Niedermöllrich Aufklärung betreiben zu wollen, vor den Toren stehen. Dann die Überraschung! Am 3. April teilt Monsanto Landrat Neupärtl mit, dass auch in 2008 keine Aussaat der gentechnisch veränderten Versuchspflanzen erfolgen werde. Anhand "der Feldversuche in Deutschland" sei "für die drei gentechnisch verbesserten Maislinien MON810xNK603 (...) ein wesentlicher Beitrag zum Nachweis der Produktsicherheit geleistet (...) Vor diesem Hintergrund ist auch die am geplanten Feldversuchsstandort Niedermöllrich bestandene wissenschaftliche Fragestellung erfolgreich abgeschlossen". Trotz vieler Schwierigkeiten nun also der erhoffte zweite Teilerfolg.

Niedermöllricher Erklärung

Mittlerweile hat sich bei den KritikerInnen aber die Einstellung verbreitet, dass es mit dem Verhindern des Versuchsstandortes nicht getan ist und der Kampf sich ausweiten muss. Unter dem Motto "Gentechnikfrei vom Acker bis in den Einkaufskorb" haben wir die "Niedermöllricher Erklärung" erstellt, mit der sich die UnterzeichnerInnen dafür einsetzen, dass "in unserer landwirtschaftlich geprägten Region Nordhessen hochwertige Lebensmittel erzeugt und möglichst in regionalen Zusammenhängen verarbeitet und vermarktet werden". Diese Erklärung wird schließlich am 08. April 2008 von Vertretern des Lebensmittelhandwerks, des Naturschutzes, der BürgerInneninitiative, des Landkreises und der Gemeinde unterzeichnet. Allen voran unterschreibt Prof. Dr. Hubert Weiger als Präsident des BUND, der mit seiner Unterschrift den Wunsch vebindet, dass diese Erklärung und der gewonnene Kampf dieser BI Nachahmung finden und Schule machen werde.

Ein Zurück ist möglich

Unseren Erfahrungen nach ist der Aufklärungsbedarf in der Bevölkerung sehr groß. Den Menschen wird Glauben gemacht, dass im Bereich der landwirtschaftlichen Gentechnik ein Zurück nicht mehr möglich ist. Dem ist nicht so! Ein einfaches kleines "gallisches Dorf" in Nordhessen hat dies bewiesen und kämpft weiter.

Versuchsfreisetzungen in der Kritik

Eine Reihe Freisetzungsversuche ist in den vergangenen Wochen von Seiten der Anmelder und Betreiber zurückgezogen beziehungsweise abgesagt worden: Neben den Freisetzungen der Firma Monsanto in Niedermöllrich (Hessen), werden die Sortenversuche mit gentechnisch verändertem (gv) Mais in Oberboihingen (Hochschule Nürtingen, Baden-Würtemberg) und Ebsdorfergrund-Rauischholzhausen (Uni Gießen, Hessen), der gv-Weizen-Versuch in Rostock und Üplingen (Uni Rostock, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt), der Standort Müncheberg (Brandenburg) eines Freisetzungsversuches der BASF mit gv-Kartoffeln und eventuell auch der Freisetzungsversuch mit gv-Gerste in Gießen (Uni Gießen, Hessen) mindestens in diesem Jahr nicht stattfinden. Als offizielle Beweggründe werden genannt: zu später Zeitpunkt der Entscheidung, Rückzug der Fläche durch den Eigentümer, Feldbesetzungen und regionaler Widerstand und anderes. Da an allen Orten - zum Teil seit ein paar Wochen, zum Teil seit Jahren - Widerstand geleis-tet wird, zeigt sich, dass dieser seine Wirkung nicht verfehlt - auch wenn es oft nicht eindeutig zu belegen ist, ob die Aktionen unmittelbar zur Rückzugs-Entscheidung geführt haben. Bemerkenswert ist die Bandbreite, mit der gegen die Freisetzungsversuche vorgegangen wird: In Gießen und Oberboihingen wurden die Felder besetzt, in Müncheberg, Ebsdorfergrund-Rauischholzhausen und Niedermöllrich gibt es regionale Initiativen und gegen den Freisetzungsversuch mit gv-Weizen hat es eine große Zahl an überregional gesammelten Einwendungen gegeben, die auch von einem breiten Bündnis von insgesamt mindestens 130 Verbänden und Gruppen aus der Zivilgesellschaft aber auch aus der Wirtschaft unterstützt worden war. (Christof Potthof) Karin Schappert und Antonette Bongartz sind Mitglieder in der BürgerInneninitiative Niedermöllrich. Kontakt: Antonette Bongartz (Sprecherin) per eMail: adebarpost-antonette@web.de; Termine und weitere Vorhaben im Netz unter: www. gegenge-h-n.de.