Ware: weiblich

in (05.05.2008)

Frauenhandel: Es sind vor allem die Asylgesetze, die ein selbstbestimmtes Leben für gehandelte Frauen verhindern. Von Judith Götz

Schätzungen zufolge arbeiten derzeit etwa 100.000 Frauen aus Afrika außerhalb des Landes - vor allem als so genannte Zwangsprostituierte. Diese Zahl nennen Mary Kreutzer und Corinna Milborn in ihrem eben erschienenen Buch "Ware Frau - Auf den Spuren moderner Sklaverei von Afrika nach Europa". Die meisten Frauen haben unter falschen Versprechungen mit gefälschten Papieren das Land verlassen und dabei unglaublich hohe Schulden gemacht, die sie ihren Schleppern zurückzahlen müssen. In Europa finden sie sich in einer sklavenähnlichen Situation wieder, zu deren Aufrechterhaltung die HändlerInnen viel beitragen. Auch in Österreich sind viele aufgrund von illegalem Visa-Handel gelandet.
Die Recherche für ihre Reportage führte die beiden Autorinnen nicht nur ins Stuberviertel in Wien und in österreichische Freierforen, sondern auch nach Italien, Spanien, Deutschland und nach Nigeria. Die beiden Politikwissenschafterinnen beleuchten in ihrer Studie die restriktiven Gesetzeslagen der Zielländer sowie die Mittäterschaft und Ignoranz von Staat und Behörden. Darüber hinaus nennen sie aber auch die Bedeutung anderer Mittel wie Einschüchterung der Familien oder Vodoo-ähnliche Rituale, mit denen die Frauen abhängig gemacht werden und ihnen der Ausstieg erschwert wird. Viele Menschenhändler verlangen in Zusammenarbeit mit Juju-Priestern von den Frauen vor ihrer Abreise einen magischen Schwur, mit dem die Frauen massiv unter Druck gesetzt werden. Sie müssen geloben, jede Arbeit zu machen, ihre Schlepper nicht zu verraten und ihnen das Geld zurückzuzahlen. Bei Nichteinhaltung, so wird gedroht, folge Krankheit, Wahnsinn oder gar Tod.
Die Autorinnen heben hervor, dass Frauenhandel keine rein männliche Domäne ist. Viele ehemalige Zwangsprostituierte steigen zu so genannten "Madames" auf, die für die Betreuung der Mädchen und Frauen zuständig sind und dafür sorgen, dass diese ihre Schulden an den Schlepper rechtzeitig bezahlen.
Kreutzer und Milborn lassen verschiedene Frauen zu Wort kommen, die den beschwerlichen Weg nach Europa überlebt haben. Deren Erzählungen veranschaulichen nicht nur den individuellen Leidensweg und die damit verbundene Aussichtslosigkeit eindringlich, sie führen dabei auch vor Augen, wie viele Menschen bereits unterwegs auf der Strecke bleiben und auf dem Weg durch die Sahara oder im Meer zwischen Marokko und Spanien den Tod finden.
Die stark emotionalisierende Argumentation der beiden Autorinnen scheint dabei jedoch häufig unangebracht, da die Fakten ohnehin für sich sprechen. Ebenso ist fraglich, ob den Betroffenen mit der Forderung nach Kriminalisierung der Inanspruchnahme von Zwangsprostitution wirklich geholfen wäre. Stattdessen wäre zu klären, ob es nicht vielmehr an den rassistischen Gesetzeslagen der europäischen Länder liegt, die vielen MigrantInnen kaum eine andere Möglichkeit, als jene auf Schlepper zurückzugreifen, lässt, um in die Festung Europa zu gelangen und dort auch legal arbeiten zu können.
Den Autorinnen gelingt es jedoch, darauf aufmerksam zu machen, welche Ausmaße Menschenhandel mittlerweile angenommen hat und sensibilisieren damit wieder für ein Thema, das in Europa seit geraumer Zeit eine gewisse "Normalisierung" und damit auch Entdramatisierung erfahren hat.
Ausschlaggebend für die Entstehung des journalistisch gehaltenen Sachbuchs war die Bekanntschaft mit Joana Adesuwa Reiterer, die durch ihre Heirat mit einem Menschenhändler, der sich als Reiseunternehmer ausgab, 2003 in Wien landete. Sie hätte eigentlich als Madame arbeiten sollen, wagte jedoch die Flucht und entschied sich, besser Deutsch zu lernen, Fuß zu fassen und eine NGO zu gründen. Um so jenen Frauen, deren Schicksal sie aus nächster Nähe beobachten konnte, zu helfen.
In "Ware Frau" heißt es über Joana: "Sie wurde weder zum Opfer noch zur Täterin. Aber sie wurde zur Aufdeckerin. Joana ist Schauspielerin, und das merkt man: Sie betritt jedes Café und jede Wohnung wie ein Bühne. Und wenn sie eine Tür öffnet, drehen sich die Köpfe nach ihr um. Sie lacht viel, hat einen bissigen Humor, und man kann lange Nächte mit ihr verbringen, ohne Themen wie Frauenhandel zu berühren. Und doch arbeitet sie konstant dagegen. Sie hat in vier Jahren seit ihrer Flucht Deutsch gelernt, zwei Ausbildungen gemacht, ihre Arbeit als Schauspielerin in Österreich wieder aufgenommen und einen Film gedreht. Vor allem aber hat sie den Verein ‚Exit‘ gegründet, mit dem sie von Menschenhandel Betroffene berät und Aufklärungsarbeit in Nigeria leistet."

Aussagen
Joana Adesuwa Reiterer ist Schauspielerin, Regisseurin und Gründerin der NGO "Exit". Es sind vor allem die Asylgesetze, die ein selbstbestimmtes Leben für gehandelte Frauen verhindern, sagt sie im Gespräch mit Judith Götz.

an.schläge: Frauenhandel und Zwangsprostitution aus Afrika sind noch ein relativ neues Phänomen in Europa. Wann hat das angefangen und wie sehen die meisten Geschichten dieser Frauen aus?

Joana Adesuwa Reiterer: Ja, Frauenhandel aus Afrika, insbesondere Nigeria ist ein Phänomen der 1980er, das zuerst in Italien aufgetaucht ist und sich dann in anderen europäischen Ländern, vor allem auch im deutschsprachigen Raum, verbreitet hat. In den 1990ern sind viele Frauen aus Nigeria gekommen, weil sie festgestellt haben, dass es als Asylwerberin legal ist, in der Sexarbeit zu arbeiten. Andere haben diese Gesetzeslagen dann ausgenützt und angefangen, Frauen nach Europa zu verkaufen. Die meisten Biographien der Frauen sind ähnlich. Viele Mädchen wollen einfach weg, weil sie vor sexueller Gewalt, Unterdrückung, Ungleichbehandlung, Armut und der ökonomischen Aussichtslosigkeit fliehen wollen. Da diese Aspekte jedoch nicht als Fluchtgrund reichen, haben die meisten keine andere Möglichkeit, als einen Schlepper zu bezahlen. Manche wissen vorher, dass sie in der Sexarbeit tätig sein werden, andere nicht, keine weiß jedoch die Bedingungen - nämlich Zwangsprostitution. Es heißt dann, dass die Schlepper viel Geld für die Mädchen ausgegeben hätten - für falsche Dokumente, Bestechung, den Flug oder die Reise durch die Wüste. Diese Beträge belaufen sich auf 20.000 bis 60.000 Euro, die sie zurückzahlen müssen. Nach der Ankunft haben sie meist einen Tag frei und müssen danach auf den Strich gehen und wöchentlich bestimmte Beträge abliefern, ansonsten droht ihnen Gewalt bzw. gibt es auch noch andere Druckmittel. Die meisten müssen ohne Kondome arbeiten, weil sie von ihren Madames keine zur Verfügung gestellt bekommen und sie selber kein Geld dafür ausgeben können. Um das Geld zurückzahlen zu können, nehmen sie oftmals auch alles, was kommt und müssen häufig sehr billig, manchmal nur für zehn Euro arbeiten. Wenige sind sich im Klaren, dass sie keinen legalen Aufenthaltsstatus haben oder welche Rechte ihnen zustehen, weil die Händler oder Madames meist ihre einzigen InformantInnen sind. Andere wiederum haben große Angst vor Kontrollen, Abschiebung und Schubhaft und auch kein Vertrauen in die österreichischen Behörden. Zur Zeit sind ca. 400 Frauen aus Nigeria als Sexarbeiterinnen in Österreich angemeldet, die Dunkelziffer ist jedoch viel höher. Die meisten arbeiten auf der Straße, auch in den Bundesländern, weil es sehr schwer ist, in einem Bordell Arbeit zu bekommen. Viele wollen gar keine Nigerianerinnen haben - schwarze Frauen lieber aus Brasilien.
Ich bin der Meinung, dass Zwangs- und selbstständige Prostitution unterschieden werden sollten und ersteres bekämpft werden muss. Dafür setzen wir uns ein und wir unterstützen Frauen, die aussteigen wollen.

Was macht "Exit" genau?

Ich habe die NGO "Exit" 2006 mit dem Ziel gegründet, AfrikanerInnen über die Realität in Europa zu informieren und aufzuklären. Dafür haben wir beispielsweise einen Aufklärungsfilm gemacht, den wir in Nigeria an Schulen gezeigt haben. Aber auch in Österreich ist diese Arbeit sehr wichtig, weil viele Behörden sich einfach weigern, die Geschichten dieser Frauen ernst zu nehmen und damit abtun, dass "die eh nur hier bleiben wollen." Gerade an solche Frauen richtet sich unsere Arbeit, an der sich momentan etwa fünf Leute aktiv beteiligen. Weitere sechs arbeiten mit, niemand ist jedoch fix angestellt. Gerade jetzt gibt es aber viele Hilfsangebote. Nachdem wir von Personen angesprochen wurden, die Frauen kannten, die Hilfe brauchten, haben wir angefangen, auch Beratung anzubieten. Dabei geht es nicht nur um die rechtliche Dimension, sondern vor allem auch darum, ein Subjektbewusstsein zu bewirken, das erkennt, dass Zwangsprostitution ein Unrecht ist und Menschenhandel eine Menschenrechtsverletzung. Und dass es möglich ist, dagegen etwas zu unternehmen. Wir versuchen auch, die Mädchen und Frauen mit anderen Organisationen wie LEFÖ oder Diakonie für die weitere Betreuung zu vernetzen, weil wir selber kein Opferschutzhaus oder ähnliches haben. Außerdem betreiben wir auch Recherche, dokumentieren die Geschichten, die uns Frauen erzählen und versuchen Öffentlichkeitsarbeit zu machen, indem wir Seminare, Workshops, Diskussionsveranstaltungen organisieren oder einzelne Geschichten auf Websites, im Radio oder in Printmedien veröffentlichen, um mehr Problembewusstsein zu erzielen. Am Anfang sind wir auf den Strich gegangen, um Frauen zu informieren. Inzwischen hat sich aber schon rumgesprochen, dass es uns gibt und die Frauen geben unsere Nummer selber weiter. So hab ich seit 2003 Geschichten von etwa sechzig Frauen dokumentieren können, etwa 15 Frauen betreuen wir gerade regelmäßig und davon wollen vier auch wirklich aussteigen. Um ihre Sicherheit sowie die ihrer Familien zu garantieren, kooperieren wir auch mit den nigerianischen Behörden.

Die wenigsten Frauen haben einen legalen Aufenthaltsstatus, was den Ausstieg sicher noch erheblich erschwert. Wie können die betroffenen Frauen deiner Meinung nach vorgehen?

Betroffene von Frauenhandel haben einerseits die Möglichkeit, in Schutzprogramme reinzukommen und andererseits Asyl oder Aufenthaltsgenehmigungen zu beantragen. Auch die Frauen, an deren Ausstieg wir jetzt gerade arbeiten, haben Aussagen gemacht über ihre Geschichten und versuchen jetzt, einen legalen Aufenthaltsstatus zu bekommen. Aber das reicht natürlich oft noch nicht. Zwangsprostitution und Frauenhandel müssten einfach anerkannte Flucht- und Asylgründe sein. Da müsste sich das Gesetz schon noch um einiges ändern. Die Frauen hätten dann viel mehr Möglichkeiten, aber so profitieren auch die Händler davon, da die Anträge meist so lange dauern, dass die Frauen bis dahin ihre "Schuld" abbezahlt haben. Den Schleppern kommt es eigentlich zugute, dass die Frauen dann abgeschoben werden, weil sie so, wenn sie frei sind, keine Konkurrenz darstellen und einfach ein neues Mädchen ihren Platz besetzt. Wir versuchen daher, den Frauen zu erklären, wie die westliche Welt bzw. wir ihre Situationen sehen, dass es sich nämlich um Sklaverei und Ausbeutung handelt, in der sie leben und arbeiten. Und dass sie etwas dagegen unternehmen sollten. Wir raten ihnen, ihre wahre Geschichte zu erzählen, neue Asylverfahren zu beantragen, Aussagen vor der Polizei zu machen und Schutzhäuser in Anspruch zu nehmen. Weiters kümmern wir uns dann auch darum, dass die Polizei weiterermittelt. Ein zweiter, sehr wichtiger Schritt ist dann, dass der Asylgrund akzeptiert wird. Wenn wir Erfolg mit den Frauen haben, die wir gerade betreuen, und dadurch zeigen können, dass der Ausstieg möglich ist, wird sich das sicher herumsprechen und mehr Frauen motivieren, unsere Arbeit in Anspruch zu nehmen.

Andere Organisationen, die sich mit Sexarbeit beschäftigen, meinen, ein Ausstieg wäre oft nicht möglich, weil die meisten Frauen aufgrund mangelnder Ausbildung und dem Fehlen einer Arbeitsgenehmigung keine andere Arbeit machen können. Wie siehst du das?

Das stimmt natürlich auch. Die Bildung der Frauen reicht meist in der westlichen Welt nicht aus und so bleiben nur Jobs wie putzen usw. übrig und selbst diese können sie nicht legal ausführen. Ausstieg muss daher auch heißen, hier zu leben und sich die Existenz sichern zu können, also eine Arbeitserlaubnis zu bekommen - auch da müssten sich die Gesetze noch ändern. Wichtig ist auf jeden Fall auch, dass sich die Frauen auch weiterbilden, denn nur so haben sie die Chance, irgendwann gutbezahlte Jobs zu haben.

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,
www.anschlaege.at