Einwanderungsland Richistan

Editorial

Haben Sie schon mal was von Richistan gehört? Wir auch nicht. Handelt es sich dabei um eine jener neuen autonomen Teilrepubliken, die vor allem in Zentralasien wie Pilze aus dem Boden schossen?

Haben Sie schon mal was von Richistan gehört? Wir auch nicht. Handelt es sich dabei um eine jener neuen autonomen Teilrepubliken, die in letzten beiden Jahrzehnten vor allem in Zentralasien und Osteuropa wie die Pilze aus dem Boden schossen? Nein, Richistan ist auf keiner Landkarte zu finden. Und doch ist es höchst real. Mit dem Begriff bezeichnet Robert Frank, Buchautor und ehemaliger Reporter des Wall Street Journal, das imaginäre Land, in dem die Superreichen leben. In ihren Gated Communities, die in Kapstadt ebenso liegen wie in Beverly Hills oder in Bangalore, haben sie sich eine ganz eigene Lebenswelt erschaffen. Ein luxuriöser Lifestyle in all seinen Ausprägungen gehört dazu ebenso wie das Bewusstsein, Angehörige einer transnationalen Elite zu sein.

Diese Elite ist tatsächlich global, denn sie besteht längst nicht mehr aus den üblichen US-amerikanischen und europäischen Verdächtigen wie Bill Gates und den Aldi-Brüdern. Zu den privilegierten EinwohnerInnen von Richistan zählen in wachsendem Ausmaß Milliardäre (und einige wenige Milliardärinnen) aus Ländern der Dritten Welt. Die neueste Reichenliste des US-Wirtschaftsmagazins Forbes ist da höchst aufschlussreich. Der mexikanische Telekommunikations-Tycoon Carlos Slim ist inzwischen mit einem Vermögen von 60 Milliarden Dollar der zweitreichste Mann der Welt. Vier der weltweit zehn reichsten Menschen kommen aus Indien. Asiatische, lateinamerikanische und sogar afrikanische UnternehmerInnen tauchen in großer Zahl auf der Forbes-Liste auf, und alle sind sie sagenhaft reich. Eine der bemerkenswertesten unter ihnen ist die gerade mal 26 Jahre alte Yang Huiyan. Die reichste Frau Chinas machte mit Aktien- und Immobilienhandel ein Vermögen von 7,4 Milliarden Dollar und liegt nun Platz 125, Tendenz steigend. Sie hat umgesetzt, was der nicht ganz so erfolgsverwöhnte Berti Vogts in seinem Werbesport für eine Bank proklamierte: "Mein Geld muß genauso hart arbeiten wie ich".

Soviel Andrang aus Ländern des Südens führt zu Abwehrreaktionen der Alteingesessenen, das ist in Richistan nicht anders als in anderen Einwanderungsländern. Dass neureiche indische Unternehmer nicht mehr nur europäische Stahlkonzerne aufkaufen, sondern gar traditionsreiche Luxus-Automarken wie Jaguar, das beunruhigt aber nicht allein die superreichen BürgerInnen von Richistan, sondern auch diejenigen, denen dazu die eine oder andere Milliarde fehlt. Wie etwa einen Kommentator der Süddeutschen Zeitung. Der Aufstieg der Dritte-Welt-Milliardäre auf der Forbes-Liste ist für ihn der Anlass, das "diffus bedrohliche Phänomen" der Globalisierung in düsteren Farben auszumalen und die PolitikerInnen zu ermahnen: "In der Reichen-Liste wird auch eine grundsätzliche Botschaft transportiert: Deutschland kann keine Wirtschaftspolitik mehr betreiben, die den Aufstieg von Indien oder China ignoriert." Daraus folgt für ihn: "Bei jeder Entscheidung zum Steuer- und Sozialsystem ist zu berücksichtigen, dass es einen globalen Wettbewerb um Jobs gibt." Dem SZ-Kommentator scheint zu schwanen, dass dieser Wettbewerb nichts anderes heißt als Sozialabbau und Lohndumping, und das führt nicht nur in Deutschland zu unschönen rassistischen Reaktionen. Macht aber laut Kommentator nichts, denn auf längere Sicht würden Investoren aus Dritte-Welt-Ländern die Toleranz der Deutschen eher fördern: "Wenn es kein Kuriosum mehr darstellt, dass der Boss Inder oder Ägypter ist, wird sich so mancher von seinen Vorurteilen verabschieden müssen." Man muss sich diesen Effekt wohl so ähnlich vorstellen wie bei den schwarzen Bundesligaspielern, die ja bekanntlich für das Verschwinden des Rassismus aus den Fußballstadien gesorgt haben.

Der wackere SZ-Kommentator hat aber angesichts der Dritte-Welt-Reichen weitere Sorgen: "Wohlstand = Demokratie - diese klassische Gleichung steht in Frage. Und die Gewinne werden ungleich verteilt. Der Mexikaner Carlos Slim verdient alleine so viel wie drei Millionen seiner Landsleute zusammen genommen." Empörend, diese Ungerechtigkeit! In Europa und den USA wären solche Gegensätze zwischen reich und arm vollkommen undenkbar. Hier ist der Kapitalismus rheinisch, der Neoliberalismus kommt hingegen aus Chile. Und so weiß unser Kommentator für die sozialen Probleme eine Lösung: "Die Reichenliste ist für den Westen auch eine Aufforderung, auf der ganzen Welt für seine Werte einzutreten." Schön gesagt. Nur, welche Werte meint er eigentlich? Aktien, Immobilien oder Gold? Dow Jones oder DAX? Oder alle zusammen?
Vielleicht kann uns Hasso Plattner weiterhelfen, der mit seiner Software-Schmiede SAP Milliarden anhäufte. Er verriet dem manager magazin eine seiner wertvollen Weisheiten: "Ab einem gewissen Reichtum ist Glücklichsein deutlich schwerer. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede." Gut zu wissen, dass auch bei denen, die in Richistan eingesperrt sind, nicht alles Gold glänzt.

die redaktion