Kunst und Subversion in Jugoslawien

Wohl in keinem anderen Nachkriegsjahrzehnt war das kulturelle Feld so sehr Schauplatz konzeptioneller und inhaltlicher Suchbewegungen, wie in den Sechzigerjahren.

Im Kern ging es dabei vor allem um eins: Hat die Kunst eine rein ästhetische Bestimmung, was dem bürgerlichen Kunstverständnis akzidentieller Bewertungskriterien entspricht, oder aber findet sich die Bestimmung der Kunst in ihrer gesellschaftspolitischen Relevanz, und kann sie demnach "nicht mehr die Flucht vor der Wirklichkeit sein" , wie es der bekannte Zagreber Kunstphilosoph Danko Grliæ formulierte? Unter dem Einfluss der zeitgenössischen Linksphilosophie und der daraus entspringenden ideellen Orientierung an politischen Konzepten der Neuen Linken optierten die Kunstschaffenden vermehrt für eine progressive, eben nicht passive gesellschaftliche Rolle der Kunst.
Wie im westlichen Europa, so auch im "Selbstverwaltungssozialismus" Jugoslawiens bewegte sich eine solche künstlerische Verortung abseits des ideologischen Status quo - die Kunst sollte aufrütteln und Missstände aufzeigen, soziale ebenso wie politische und künstlerische. Nun hatte dies aber in Jugoslawien einen ungewöhnlich delikaten Nachgeschmack, präsentierte sich doch ein solches Projekt als Bejahung der sozialistischen Verfassungskonzeption, gleichzeitig aber auch als Negation der Verfassungswirklichkeit eines Staates, dessen offizielle Selbstdarstellung einer "Kritik alles Bestehenden" verpflichtet war. Noch 1954 hat Edvard Kardelj, einer der Chefideologen des jugoslawischen Bundes der Kommunisten, anlässlich der Verabschiedung der neuen Verfassung pathetisch proklamiert, das "nichts, was geschaffen wurde [Â…]" so heilig sein dürfe, "das es nicht übertroffen werden könnte oder durch etwas ersetzt, was noch fortschrittlicher, noch freier, noch menschlicher" sei.
Doch gerade aus diesem scheinbaren Widerspruch heraus entfaltete die Kunst- und Kulturszene Jugoslawiens ihren subversiven Charakter, machte sie es den politischen Machteliten so schwer, eine glaubwürdige Kritik an ihr zu formulieren. Die Subversion, verstanden als ein Prinzip des Widerstandes , entfaltete sich hier als ein explizit künstlerischer Widerstand an der politisch-kulturellen Praxis. Nicht in der Unterhöhlung des Selbstverwaltungssozialismus lag also die politische Sprengkraft des Kunstfeldes , sondern gerade in der expliziten Bejahung der Verfassungsmoral, und somit, horribile dictu, erschienen nicht die kritischen Intellektuellen als Verfassungsfeinde, sondern die politische Machtelite.
Wenn ein junger Theaterkritiker wie Darko Suvin 1961 in einem Zeitungsartikel das politisch-ideologische Schema für ein "fortschrittlich[es], wahrhaft revolutionär[es] und avantgardistisch[es]" Theater im Programm des Bundes der Kommunisten und in der jugoslawischen Verfassung verortet, dann ist dies in erster Linie eine Kritik an den realen Zuständen und der Hinweis, dass die bisherige Kulturpolitik der jugoslawischen Kommunisten ihren eigenen Grundsätzen zuwider handelt. Denn es gelte, so Suvin in seinem Resümee, ein "szenisch-poetisches Äquivalent zum jugoslawischen sozialistischen Humanismus", erst aufzubauen.
Ihre politische Subversivität konnte diese junge und progressive jugoslawische Kunstszene umso subtiler vortragen, als sie mit den philosophischen und soziologischen Analysen junger Wissenschaftler, gruppiert um die seit 1964 in Zagreb erscheinende Zeitschrift Praxis, ein theoretisch-politisches Äquivalent fanden. Ohnehin muss man gerade der Philosophie, zumindest in den Sechzigerjahren, eine beinahe schon ubiquitäre Rolle im Prozess der kritischen intellektuellen Affirmation zuweisen. Waren es in Deutschland vorrangig Wissenschaftler, die aus dem Umkreis des Frankfurter Instituts für Sozialforschung stammten und sich grob unter dem Begriff "Frankfurter Schule" subsumieren lassen, so war es in Jugoslawien vor allem die in Zagreb und Belgrad lehrende Philosophengruppe um die Praxis, die als theoretischer Stichwortgeber fungierte. Ihre besondere Relevanz für das Kunstfeld entwickelte sich dabei vorrangig aus dem Praxisbegriff, der die "subjektive schöpferische Kraft" des Menschen in den Mittelpunkt stellte. Damit war für das Kunstfeld zum einen die Kritik an den ästhetisch-inhaltlichen Deformierungen des sozialistischen Realismus möglich, auch wenn sich dieser in Jugoslawien nie als künstlerische "Staatsdoktrin" durchsetzen konnte. Zum anderen öffnete er den Künstlern die Möglichkeit, die alltägliche Realität und deren Widersprüche nicht nur künstlerisch, sondern auch theoretisch fundiert darzustellen.
Innerhalb des jugoslawischen Kunstfeldes der Sechzigerjahre changierten die ideellen Prämissen dabei zwischen kritischer Distanz zu jedweder ideologischen Positionierung der Kunst (wie etwa bei den international renommierten Schriftstellern Bora Æosiæ und Danilo Kiš), und einem aktivistischen Kunstverständnis, welches das gesellschaftsverändernde Potential der Kunst betonte. Dieser zweite Ansatz war insbesondere bei jungen, meist noch studentischen Kunstschaffenden ausgeprägt. Und nicht zufällig spielten diese jungen KünstlerInnen auch eine tragende Rolle in der jugoslawischen Studentenbewegung, die ihren Höhepunkt in der Besetzung der Belgrader Universität vom 3. bis 9. Juni 1968 fand.
Deren radikale Abrechnung mit als überkommen wahrgenommenen Formen und Inhalten der Kunst-, aber auch Politszene wird in einem 1969 in der Zagreber Studentenzeitung Studentski list veröffentlichten "Manifest" deutlich skizziert: "Ich schreibe nicht im Namen der Provokation. Ich provoziere, indem ich schreibe. Ich provoziere die Tradition. Nicht die Geschichte. [...] Geschichte und Tradition sind wie Mutter und Tochter. Die Mutter erobert Politiker, die Tochter Dichter. Die Mutter ist schon seit langem keine Verführerin mehr. Die Tochter ist die ewig unschuldige Prostituierte. [...] Der Dichter ist dem Politiker gefährlich, weil er frei ist und die demokratische Illusion nicht anerkennt. [...] Die Literatur ist eine poetische Denkweise und kein Panzer der Kulturrevolution. Die Kultur hat keine Revolution nötig. [...] Der Literatur ist die Revolution immanent."
Auch wenn ein solches Pamphlet keine Allgemeingültigkeit für das jugoslawische Kunstfeld beanspruchen kann, für die spezifische Kunstszene an den Universitäten aber war es keineswegs eine kaum beachtete Marginalität.
Die Vorstellung jedoch, Kunst habe eine über das Ästhetische hinausreichende Funktion, war innerhalb der jugoslawischen Intellektuellen weit verbreitet, was auch die Relevanz ihrer Subversivität für die politischen Eliten erklärbar macht. Nicht zufällig traf 1963 eines der ersten Zeitungsverbote des sozialistischen Jugoslawiens die renommierte Belgrader Kulturzeitung Danas.

Dieser Artikel erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, "zwei, drei, vieleÂ… achtundsechzig", Wien, Frühjahr 2008.